CO2-neutrale Industrie

  • Search13.12.2019

Das Klimaproblem von Stahl und Zement

Selbst wenn sie sich zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgen, setzen einige der wichtigsten deutschen Industriezweige noch immer CO2 frei. Eine neue Studie beschreibt Auswege aus dem Dilemma.

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    Stahlherstellung in Salzgitter: In den kommenden Jahren müssen viele der Produktionsanlagen erneuert werden. Eigentlich eine gute Gelegenheit zur Umstellung auf klimafreundliche Technologien. Doch der Investitionsbedarf ist hoch.

    Von Kathinka Burkhardt

    Jetzt also auch Dänemark: Deutschlands Nachbar hat kürzlich ein Gesetz verabschiedet, in dem er sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu sein – unabhängig davon, welche Regierungen in den nächsten Jahrzehnten die Geschicke lenken. Damit gehören die Dänen zum wachsenden Klub der Länder, die nur noch so viele Treibhausgase freisetzen wollen, wie durch eigene Wälder und Moore kompensiert werden oder mithilfe von Technik der Atmosphäre entzogen werden können. Die Finnen wollen das bereits 2035 erreichen, Deutschland und Großbritannien 2050.

    Aber wie wollen die Länder das eigentlich schaffen?

    Für kleinere Nationen scheint das Ziel durchaus erreichbar. Dänemark hat 2017 laut dem Umweltbundesamt 47,9 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen, die Finnen 55,4 Millionen. Dagegen brachte es Großbritannien auf satte 470,5 Millionen und Deutschland sogar auf 906,6 Millionen.

    Selbst wenn die Industrie 100 Prozent Ökostrom bezieht, setzt sie noch CO2 frei

    Aber nicht nur die schiere Menge lässt Zweifel daran zu, dass Deutschland sein Ziel 2050 erreicht. Denn die Klimapolitik dreht sich bisher vor allem um Effizienzmaßnahmen und die Elektrifizierung aller Sektoren. Es gibt allerdings ein gewaltiges Feld, in dem es damit nicht getan ist: die sogenannten Grundstoffindustrien.

    Dazu gehören Unternehmen wie der Chemiekonzern BASF, der Baukonzern HeidelbergCement oder der Stahlkonzern Salzgitter. Sie stellen aus Rohstoffen wie Rohöl, Holz, und Kalk Chemikalien, Stoffe und Materialien wie Stahl, Papier oder Zement her. Bei fast allen Prozessen zur Herstellung solcher Grundstoffe wird teilweise in großem Ausmaß CO2 freigesetzt.

    Das Problem: Es gibt für die meisten Verfahren keinen technologischen Ersatz – und damit kein Rezept, sie klimaneutral zu betreiben.

    „Allein fünf Grundstoffe machen direkt oder indirekt mehr als 20 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen aus: Stahl, Zement, Grundstoffchemie, Aluminium- und Papierindustrie“, sagte Stefan Lechtenböhmer, Abteilungsleiter für zukünftige Energie- und Industriesysteme am Wuppertal Institut, kürzlich bei der Vorstellung der Studie „Klimaneutrale Industrie“, in der er und sein Team gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Thinktank Agora Energiewende die Schwierigkeit der Klimaneutralität in der Industrie analysiert und technische sowie politische Lösungswege aufgezeigt haben.

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    Eine Industrieanlage hat eine Lebenslaufzeit von 50, 60 bis 70 Jahren. Wenn jetzt in den nächsten zehn Jahren in etwas Altes investiert wird, dann steht das ja 2050 auch noch da

    Patrick Graichen, Geschäftsführer von Agora Energiewende

    Die Dringlichkeit, den Sektor grundlegend zu transformieren, sei unermesslich hoch: „Wir haben keine Zeit, um das erst nach 2030 zu machen“, sagte Patrick Graichen, Geschäftsführer von Agora Energiewende, bei der Präsentation der Studie. „Eine Industrieanlage hat eine Lebenslaufzeit von 50, 60 bis 70 Jahren. Wenn jetzt in den nächsten zehn Jahren in etwas Altes investiert wird, dann steht das ja 2050 auch noch da – und auch noch in einem sehr guten Zustand.“

    Doch gerade jetzt stehen viele Anlagen in der deutschen Industrie vor einer Erneuerung. So hat etwa die Chemie bis 2030 einen Reinvestitionsbedarf von 59 Prozent ihrer Kapazitäten, in der Stahlbranche sind es 53 Prozent der Hochöfen. Der Zeitpunkt, um in klimaneutrale Technologien zu investieren, könnte also eigentlich nicht besser sein.

    Doch das ist nicht so einfach. Am Beispiel Zement lässt sich am schnellsten erkennen, wie groß die Herausforderung auf dem Weg zur CO2-Neutralität ist und dass es dabei um mehr geht als darum, die Anlagen mit Ökostrom zu befeuern.

    Zwei Drittel des CO2-Ausstoßes der Zementindustrie sind kaum zu vermeiden

    Um das zu verstehen, ist ein kleiner Ausflug nötig: Damit Zement überhaupt seine bindende Eigenschaft erhält, muss zunächst sogenannter Zementklinker hergestellt werden. Der besteht aus einer gemahlenen Rohstoffmischung aus Kalkstein und Ton, die in Drehrohröfen bei rund 900 Grad Celsius kalziniert werden – das heißt gebrannt.

    Wie bei Brennprozessen üblich, werden dabei Treibhausgase freigesetzt, beziehungsweise der Kalkstein in Branntkalk und CO2 umgewandelt. Bis der Zementklinker dann irgendwann gemahlen und mit anderen Bestandteilen wie Hüttensand zu einem bestimmten Zement gemischt wird, fällt noch mehr CO2 an. Diese sogenannten prozessbedingten CO2-Emissionen machen zwei Drittel der Gesamtemissionen bei der Zementproduktion aus. Das letzte Drittel entsteht durch die Verbrennung von fossilen und alternativen Brennstoffen, die zur Erzeugung der hohen Temperaturen nötig ist.

    So weit, so technisch, aber das grundsätzliche Problem liegt darin, dass Zement in seinen Bestandteilen und damit auch seine Herstellung nicht verändert werden kann, ohne grundlegende Eigenschaften zu verlieren. Es gibt also keine technologische Alternative zu den CO2-intensiven Brennprozessen.

    Die Filterung von CO2 aus der Luft gilt als einziger Weg zu sauberem Zement

    Die Studie sieht für diese Industrie deshalb nur einen Weg zur Klimaneutralität: „Daher sind aus heutiger Sicht für einen weitgehend treibhausneutralen Zementsektor Carbon-Capture-and-Storage (CCS) sowie gegebenenfalls Carbon-Capture-and-Use-Technologien (CCU) unvermeidlich“, so die Autoren. Das heißt: Die Treibhausgase, die bei der Produktion freigesetzt werden, müssen abgespalten und in CO2-Speicher überführt werden – eine in Deutschland sehr umstrittene Technik, die hier bisher nicht genutzt wird.

    Besser wäre natürlich, wenn man das CO2 an anderer Stelle als Rohstoff nutzen könnte. Doch solche Technologien stehen noch nicht in nennenswertem Umfang bereit.

    Drehofen eines Zementwerks: Der Energiebedarf während der Produktion ist gewaltig.

    Nicht in diesem Ausmaß, aber dennoch ähnlich große Schwierigkeiten hat die Stahlindustrie. Da über die Hälfte der Stahlöfen hierzulande aufgrund von Alter und Zustand in den nächsten Jahren erneuert werden müssen, gebe es eine gute Gelegenheit dies bis 2050 zu ändern, aber: „Einen konventionellen Hochofen kriegt man nicht so einfach CO2-neutral, da braucht es eben große Sprünge gen 2030 – und das ist in industriellen Maßstäben um die Ecke“, sagte Lechtenböhmer vom Wupptertal Institut.

    Das technisch unvermeidbare Problem: Für die Herstellung von sogenanntem Primärstahl – im Gegensatz zu Sekundärstahl, der aus eingeschmolzenem Stahlschrott gewonnen wird – wird unter dem Einsatz des Brennstoffs Koks Eisen aus Eisenerz heraus geschmolzen. Dabei wird sogenanntes Gichtgas freigesetzt, das aus CO2 und Kohlenmonoxid besteht. Letzteres wird dann zwar in anderen Prozessen energetisch genutzt, es wird danach aber ebenfalls letztendlich als CO2 ausgestoßen.

    Wie beim Zement also eine bisher technisch ungelöste Hürde, um klimaneutral zu produzieren.

    In der Stahlindustrie soll Wasserstoff die Klimabilanz verbessern

    Die Industrie ist keinesfalls untätig. In mehreren Projekten wird unter anderem daran gearbeitet, in naher Zukunft statt Koks für die Reduzierung des Eisenerzes zu Eisen Wasserstoff einzusetzen. Dann würden keine prozessbedingten Treibhausgase entstehen, sondern lediglich Wasser. Auch kann Eisen theoretisch durch das Verfahren der Elektrolyse gewonnen werden, es kann somit also prinzipiell durch Stromeinsatz gewonnen werden.

    Aber abgesehen davon, dass hierfür sehr große Mengen an grünem Wasserstoff und Strom notwendig wären, um klimaneutral zu sein, rechnen die Autoren der Studie frühestens 2025 mit der Marktreife dieser Technologien.

    Nicht nur aufgrund dieser technologischen Fragen fehlt es der Industrie an Planungssicherheit: „Die vollständige Umstellung der Primärstahlindustrie auf CO2-arme Verfahren bedeutet, dass wir von einer Investitionssumme in einer Größenordnung von 30 Milliarden Euro reden – das ist gewaltig“, sagte Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Um sich als Unternehmen für solche Investitionssummen zu entscheiden, brauche es einen verlässlichen politischen Rahmen und noch etwas: Versorgungssicherheit.

    Der Ökostromausbau stockt – der Industrie fehlt die Planungssicherheit

    Denn obwohl der Zeitpunkt für die Umstellung auf klimaneutrale Produktionen nicht besser sein könnte, zögert die Industrie, weil unklar ist, woher ausreichend grüner Strom beziehungsweise Wasserstoff für die neuen Technologien zu einem vertretbaren Preis kommen soll. „Die Industrie, die in Deutschland auf Klimaneutralität zuläuft, benötigt sehr viel Wind- und Solarstrom zu vier Cent die Kilowattstunde“, sagt Patrick Graichen. Erst kürzlich hatten Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich berechnet, dass Deutschland über 1000 Terawattstunden grünen Strom benötigt, wenn es 2050 nahezu klimaneutral sein soll, wie EnergieWinde berichtete.

    Die Politik unterschätze die Situation, wie die unsinnige Abstandsregelungsdiskussion für die Windkraft und Studien zum Strombedarf 2050 bewiesen, so Graichen. Die Innovationssprünge, die in der Industrie für die Klimaneutralität notwendig seien, müssten von der Politik mit entsprechenden Instrumenten gefördert werden – auch um im internationalen Wettbewerb einen Vorteil zu haben.

    „Wenn ich diese industrielle Revolution tatsächlich durchdeklinieren will, muss ich mir die Größe dieser Herausforderung auch wirklich bewusst machen“, sagte Graichen. „Da sind große Teile der Politik noch nicht.“

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