Krabbenkutter vor Büsum auf der Nordsee: Die Fischerei klagt über Fangverbote in Offshore-Windparks.
Nutzungskonflikte in Nord- und Ostsee
- 24.04.2020
Wem gehört das Meer?
Von Julia Graven
Wer auf der Mole am Büsumer Hafen steht, sieht nur Wasser. Wenn nicht gerade Ebbe ist, bietet die Nordsee das Bild eines sehr großen, unberührten Stücks Natur. Am Horizont sind ein paar Schiffe zu erahnen, Möwen kreischen, vereinzelt laufen Spaziergänger über den Strand. Ein Idyll.
Auf den elektronischen Seekarten der Krabbenkutter, die vom Büsumer Hafen in die Nordsee auslaufen, sieht das Meer ganz anders aus. Überall auf dem Monitor leuchten bunte Symbole. Da sind Sperrgebiete eingezeichnet, militärische Übungsgebiete, Vogelschutzgebiete, Walschutzgebiete, Schifffahrtszonen und neuerdings auch immer mehr Windparks. Die Nordsee wirkt auf dieser Karte plötzlich nicht mehr groß und unberührt.
Das liegt daran, dass immer mehr Nutzer um das Meer konkurrieren. Zwar ziehen Containerriesen nicht erst seit gestern über die Weltmeere und Fischfangflotten schon seit Jahrhunderten. Doch in den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Konflikte verschärft. Das Frachtaufkommen explodiert, die Marine beansprucht Übungsflächen, Gaspipelines und Datenkabel werden durch den Grund gezogen, die boomende Bauindustrie baggert Sand und Kies ab, Naturschützer kämpfen um Rückzugsgebiete für bedrohte Arten – und mit der Offshore-Windkraft ist obendrein ein weiterer Akteur hinzugekommen.
Ist auf dem Meer noch genügend Platz für alle? Wer diese Frage beantworten will, muss die Interessen der verschiedenen Parteien verstehen.
Fischer streiten mit Parkbetreibern, Parkbetreiber mit Naturschützern
„Es werden immer mehr Windkraftanlagen gebaut, und diese Gebiete sind dann für die Fischerei gesperrt“, klagt Dieter Voss vom Fischereiverein in Friedrichskoog, unweit von Büsum. Immerhin habe das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) erlaubt, dass kleine Fischerboote wie Krabbenkutter durch die Windparks fahren dürfen, erzählt er. Doch die Fischer würden in den Windparks gern auch fischen, so wie ihre dänischen Kollegen. „Da fahren die Fischer mit ihren Schleppnetzen kreuz und quer durch die Windparks“, sagt Voss. Er versteht nicht, warum das in Deutschland verboten ist.
Naturschützer hingegen begrüßen die Fangverbote in den Windparks, weil sich dort die Bestände erholen können – selbst Schweinswale schwimmen zwischen den Windrädern umher. Zugleich liegen sie mit den Parkbetreibern im Clinch, weil sie die Turbinen als Bedrohung für Vögel sehen.
Für die Windparkbetreiber zählt beim Thema Fischerei zuerst einmal die Sicherheit. Sie befürchten zum Beispiel Schäden an der Verkabelung, wenn Fischer im Park Hummerkörbe ausbringen. „Wir sehen für die Zukunft aber natürlich den Bedarf, die Nutzungskonzepte zu flexibilisieren“, sagt Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands der Windparkbetreiber Offshore (BWO).
Offshore-Windpark Nordergründe: Ökostrom vom Meer ist ein zentraler Baustein der Energiewende.
Ein Ziel will der Verband bei allen Kompromissen aber nicht aus den Augen verlieren: „Am Ende des Tages ist für uns wichtig, dass wir einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Dazu müssen aus unserer Sicht bis 2050 mindestens 50 Gigawatt Offshore-Wind in Deutschland installiert werden“, sagt Thimm. Auch die Umwandlung von Windenergie in Wasserstoff soll direkt in Anlagen auf dem Meer stattfinden. Dafür müsse Raum geschaffen werden.
Das BSH muss zwischen den verschiedenen Nutzern vermitteln
Diese Aufgabe – Raum schaffen und Raum aufteilen – liegt beim BSH. Es ist zuständig für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone, AWZ abgekürzt. Das ist der Streifen Meer, der in der Nord- und Ostsee bis zu 200 Seemeilen vor der Küste liegt. Hier hat die Bundesrepublik das alleinige Recht der wirtschaftlichen Ausbeutung, aber auch die Verantwortung für den Erhalt des Ökosystems. Zudem muss der Bund die Freiheit der Schifffahrt gewährleisten. Daher ist in der AWZ immer auch internationale Kooperation gefragt.
Mit den ersten Offshore-Windparks erarbeitete das BSH 2009 auch die ersten Raumordnungspläne für die AWZ in Nord- und Ostsee. Aktuell werden sie fortgeschrieben, auch wegen der neuen Klimaziele der Bundesregierung. Hier gilt: Alles hängt zusammen, und alles beeinflusst sich gegenseitig. Das BSH muss darum die Nutzungen aufeinander abstimmen. Keine leichte Aufgabe. Zumal in Zukunft auch die Absprachen mit den anderen Anrainerstaaten zunehmen werden.
Es wird irgendwann natürlich eng werden, im Moment ist aber noch genug Platz
Karin Kammann-Klippstein, BSH-Chefin
Das Bundesamt setze sich sehr für die Energiewende ein, lobt Stefan Thimm vom Offshore-Verband BWO. Trotzdem stößt das BSH bei der Ausweisung neuer Gebiete an Grenzen. BSH-Leiterin Karin Kammann-Klippstein sagt: „Es wird irgendwann natürlich eng werden, im Moment ist aber noch genug Platz.“
Ihr Kollege Nico Nolte leitet die Abteilung „Ordnung des Meeres“ im BSH und ist dort für die strategische Planung zuständig. Er muss Lösungen finden, wenn Fischer, Naturschützer, Windkraftplaner, Pipelinebauer, Marine und Tourismusmanager unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wer in Nord- und Ostsee wo was machen darf.
Für Fischer wie Dieter Voss aus Friedrichskoog hat das BSH zum Beispiel gerade einen Kompromiss erarbeitet: Erlaubt ist danach die sogenannte stille Fischerei, die nicht mit Schleppnetzen, sondern mit Reusen oder Körben arbeitet. Nico Nolte erläutert in einem Interview mit der „Welt“, dass diese „in der äußeren Sicherheitszone des Windparks bis zu einem Abstand von 250 Metern zu den äußeren Anlagen“, erlaubt ist. Für die Windparkbetreiber ist es ein guter Kompromiss.
Öltanker in Wilhelmshaven: Die Schifffahrt auf den Weltmeeren ist in den vergangenen Jahren rasant gewachsen.
Auch die Naturschutzverbände müssen mit Kompromissen leben. Für Hans-Ulrich Rösner vom Wattenmeerbüro des WWF gibt es keine Zweifel, dass unsere Energie zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen kommen muss. „Doch das wird schmerzhaft werden“, sagt er. Denn der Ausbau der Offshore-Windenergie, ohne den die Klimaziele für 2030 nicht erreichbar sind, bringt aus Sicht der Naturschützer einige Konflikte mit sich.
Bauchschmerzen bereiten den Meeresschützern vor allem die Vögel. Hier fordert der WWF Rücksicht auf Flugrouten, eine vogelfreundliche Beleuchtung, die Vögel nicht anlockt und klare Regelungen für die Abschaltung der Anlagen, wenn besonders viele Zugvögel unterwegs sind. Auch auf die bedrohten Seetaucher müssten die Windparks Rücksicht nehmen.
WWF-Experte Rösner lobt aber auch die Fortschritte. Zum Beispiel, dass keine Windparks mehr in Schutzgebieten zugelassen werden. Oder dass sich viel tut beim Schallschutz, damit die empfindlichen und bedrohten Schweinswale während der Bauphase nicht geschädigt werden.
Beim Abbau von Sand- und Kies streiten auch die Behörden
Unzufrieden ist der WWF mit dem Abbau von Sand und Kies in der Nordsee für private Zwecke. „In Schutzgebieten wie dem Sylter Außenriff in der AWZ ist dies für den WWF ein Skandal.“ Auf der Gegenseite steht die Baustoffindustrie: Wegen der knapper werdenden Vorkommen an Land wird Seekies für sie zunehmend interessant. Auch für höhere Deiche und den Küstenschutz werden Sand und Kies dringend benötigt. Deshalb beansprucht auch die Baustoffindustrie in den Raumordnungsplänen für Nord- und Ostsee ihren Platz.
Das zuständige Landesbergamt Niedersachsen hat den Abbau am Außenriff genehmigt, es will die Rohstoffversorgung sicherstellen. Das Bundesamt für Naturschutz hat Bedenken, es will die Umwelt schützen. Naturschützer haben sogar eine EU-Beschwerde eingereicht.
Greenpeace-Protest am Meeresboden: Die Umweltschützer holen alte Fischernetze, Plastikmüll und anderen Schrott aus der Nordsee.
Was zählt also? Freie Schifffahrt, frischer Fisch, saubere Windenergie, Sand für die Bauindustrie, militärische Sicherheit oder das Leben des Schweinswals?
Das Meer ist ein besonderer Raum. Schön und weit ist es noch, aber nicht mehr frei und unberührt. Es hat eine große wirtschaftliche Bedeutung, vor allem in einer modernen Gesellschaft, die keine Atomkraft, keine Kohle und kein Erdöl mehr will. Deswegen braucht das Meer Raum und Ordnung. Doch bis zu einer Raumordnung, die Grenzen überschreitet und die alle Interessen und alle Anrainer zusammenbringt, ist es ein weiter Weg.