Klimapolitik der Merkel-Jahre

  • Search09.11.2023

16 Jahre Rückstand

Angela Merkel galt als „Klimakanzlerin“, doch ohne die Volten ihrer Regierungen könnte Deutschland im Klimaschutz weiter sein, sagen Experten. Im Gespräch mit EnergieWinde blicken sie zurück – und bewerten auch die Ampel.

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    War Angela Merkel eine Klimakanzlerin? Eher nicht, sagen Experten. Hier ziehen sie Bilanz ihrer 16-jährigen Regierungszeit.

    Angela Merkel 2007 auf Grönland: War sie eine „Klimakanzlerin“?

     

    Von Jasmin Lörchner

    Angela Merkel hat sich früher als viele andere mit dem Klimawandel auseinandergesetzt. Als Umweltministerin mahnte sie 1995: „Das Thema globale Erwärmung ist aus meiner Sicht eines der wichtigsten umweltpolitischen Themen, das wir behandeln müssen.“ Als Kanzlerin posierte sie vor schmelzenden Eisbergen in Grönland. Auf internationalen Gipfeln sagte Merkel verbindliche Klimaziele zu und wurde als „Klimakanzlerin“ bekannt. Doch die Bilanz ihrer 16 Regierungsjahre, in denen die Union zweimal mit der SPD und einmal mit der FDP regierte, fällt eher enttäuschend aus.

    Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat gezeigt, wie sehr Deutschlands Energieversorgung an Importen aus autokratischen Regimen hängt. Und dass der Weg, bis die erneuerbaren Energien ihr volles Potenzial entfalten, noch immer weit ist. „Gemessen an dem, was klimapolitisch erforderlich ist, war die Politik der Merkel-Regierungen ungenügend. Wir sind weit davon entfernt, unsere Klimaziele einzuhalten“, sagt Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe, im Gespräch mit EnergieWinde.

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    In den 16 Jahren der verschiedenen Merkel-Regierungen sind viele Fehler gemacht worden

    Kai Bergmann, Germanwatch

    Auch Kai Bergmann, Referent für deutsche Klimapolitik bei Germanwatch, sieht im EnergieWinde-Interview vor allem Versäumnisse: „Die Umstellung auf erneuerbare Energien in allen Bereichen, in denen wir Energie verbrauchen – das Wegkommen von Strukturen von Öl, Gas und Kohle –, da sind in den 16 Jahren der verschiedenen Merkel-Regierungen viele Fehler gemacht worden.“

    EnergieWinde blickt auf die wichtigsten Weichenstellungen, die Deutschlands Energiewende ins Stocken brachten, und schaut auf den Status Quo der Ampel-Regierung.

    Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder bringt im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auf den Weg.

    Startschuss der Energiewende: Die rot-grüne Koalition beschließt im Februar 2000 das EEG.

    Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und die Krise der Solarkraft

    Die rot-grüne Koalition verabschiedete am 25. Februar 2000 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder das „Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien“ (EEG), um die Energiewende ins Rollen zu bringen: Das Gesetz verpflichtete Energieversorger, Ökostrom aus Wind- und Solaranlagen vorrangig ins Stromnetz einzuspeisen. Außerdem mussten sie den Erzeugern einen Festpreis von 0,51 Euro pro Kilowattstunde dafür zahlen. Das EEG schuf einen starken Anreiz für Investitionen in Solar- und Windenergieanlagen, die in den darauffolgenden Jahren schneller wuchsen als von der Regierung geplant – so schnell, dass Union und FDP vor einer zu hohen Belastung des Bundeshaushalts durch staatliche Subventionen warnten.

    Kapazität der jährlich neu installierten Windenergie- und Solaranlagen in Deutschland von 2000 bis 2023. Infografik: Benedikt Grotjahn

    In der schwarz-gelben Koalition kürzte CDU-Umweltminister Peter Altmaier die Förderungen und legte 2012 eine EEG-Novelle vor, die den bis dahin zügigen Ausbau der Erneuerbaren bremste. Der Ausbau von Solarenergie wurde auf 52 Gigawatt gedeckelt – für die Solarbranche eine Krise mit Ansage. „Wir nennen das die Altmaier-Delle“, sagt Zerger. „Der Ausbau der Solarenergie war auf einem guten Niveau und wurde durch den Deckel sabotiert.“

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    Die geänderte EEG-Umlagenberechnung hat zu dem Eindruck geführt, allein die erneuerbaren Energien seien Preistreiber

    Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

    2014 wurde das EEG unter Wirtschafts- und Klimaminister Sigmar Gabriel (SPD) erneut grundlegend reformiert. Gefördert wurden fortan nur noch Ökostromanlagen, die an einem Ausschreibungsverfahren teilgenommen hatten und nur niedrige Fördersummen pro Kilowattstunde in Anspruch nahmen. „Dann wurden die Ausschreibungsmengen künstlich verknappt, Zuschläge nur für die billigsten, nicht die besten und versorgungssichersten Anlagen vergeben, und Bedingungen insgesamt massiv verschlechtert“, kritisiert Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gegenüber EnergieWinde. „Auf Solarenergie wurde eine Steuer eingeführt. Vor allem die geänderte EEG-Umlagenberechnung hat so stets zu dem Eindruck geführt, allein die erneuerbaren Energien seien Preistreiber.“ Die Bundesregierung habe durch solche Entscheidungen viel Enthusiasmus bei den Bürgern für die Energiewende verspielt, findet Germanwatch-Referent Bergmann.

    Flaute in der Windkraft

    Mit seiner EEG-Novelle untergrub Altmaier auch den Fortschritt im Ausbau der Windkraft. Sein Ministerium winkte zudem pauschale Abstandsregelungen für Windräder durch. Ein Dauerstreitthema, das ebenso wie langwierige Naturschutzgutachten und Bürgerinitiativen immer wieder zu Bauverzögerungen oder zum Scheitern von Windparkplänen führte.

    Als größte Versäumnisse sehen die Experten die Verschleppung von Genehmigungsverfahren und die fehlende Bereitstellung geeigneter Bauflächen. „So ist der Markt nahezu in sich zusammengebrochen“, sagt Kemfert. Bergmann bemängelt daneben Fehlbesetzungen in den Ministerien: Die zuständige Abteilungsleiterin unter Altmaier habe erneuerbaren Energien nicht progressiv gegenübergestanden und „alles dafür getan, dass das nur noch irgendwie verwaltet worden ist.“

    Peter Altmaier posiert mit einem Kinder-Windrad in einem Windpark. Seine Bilanz als Umwelt-, Kanzleramts- und Wirtschaftsminister unter Angela Merkel fällt in der Klimapolitik mager aus.

    Peter Altmaier 2012 in einem Windpark: Der Ausbau der Erneuerbaren ist unter seiner Ägide eingebrochen.

    Genehmigungsverfahren dauern im Schnitt sieben Jahre. Projektentwickler, die vor sieben Jahren ihre Kalkulation für den Bau eines Windrads gemacht haben, sind heute angesichts der Inflation allerdings mit wesentlich höheren Rohstoff- und Materialkosten konfrontiert – die einstige Kalkulation passt oft nicht mehr. Den Schlüssel für beschleunigte Genehmigungsverfahren sieht DUH-Experte Zerger im Personal: „Wir reden viel über Vereinfachung, Entbürokratisierung und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Wenn wir den Ausbau von Windkraft beschleunigen wollen, müssen die genehmigenden Behörden die Mittel erhalten. Wir sehen aktuell in Niedersachsen bei den Genehmigungsverfahren für LNG, dass es gehen kann.“

    Der verschleppte Stromnetz-Ausbau

    Seit Beginn der Energiewende war klar: Die Windenergie aus dem Norden muss irgendwie durch Deutschland in die Verbrauchszentren transportiert werden. Das geht nur mit einem Ausbau des Stromnetzes. Aber auch dort wurden zu wenige Gelder bereitgestellt, der Ausbau wurde verschleppt.

    Landesfürsten einzelner Bundesländer lobbyierten gegen den Bau neuer Stromtrassen; Bayern etwa protestierte gegen Freileitungen. Der Bund schwenkte von Freileitungen auf die Verlegung von Erdkabeln um, weshalb die Trassenplanung vielerorts von vorn beginnen musste. „Die Ministerpräsidenten in Ländern mit hoher Industriedichte hätten im Dialog mit den Bürgern die Notwendigkeit erklären und für Akzeptanz werben müssen, haben das aber nicht getan“, sagt Bergmann. Deutschland sei insgesamt beim Infrastrukturausbau nicht gut darin, partizipative Formen zu finden, um eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz zu sichern.

    Atomausstieg: Ja, nein, doch!

    Die Koalition von CDU/CSU und FDP entschied 2010, den von Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg aufzuheben. Atomstrom sollte als Brückentechnologie fungieren, bis genügend erneuerbare Energien ins Netz eingespeist werden könnten.

    Dann kam Fukushima.

    Nachdem im März 2011 ein Tsunami zur beginnenden Kernschmelze im Reaktor von Fukushima geführt hatte, machte die Bundeskanzlerin eine abrupte Kehrtwende. Alle Meiler sollten schnellstmöglich vom Netz. Acht alte und in einer eiligen Sicherheitsprüfung für zu volatil befundene Atomkraftwerke wurden sofort heruntergefahren, Schrittweise gingen die weiteren Meiler vom Netz, die letzten drei im April 2023.

    Der eilige Atom-Ausstieg war teuer: Denn nachdem Merkels Koalition die Laufzeit erst verlängert hatte, beschleunigte sie den Atomausstieg nach ihrer Volte sogar kräftig gegenüber dem von Rot-Grün gesteckten Ziel. Um die Betreiber der Atomkraftwerke zu befrieden, flossen Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe.

    „Dieses Hin und Her, das bringt für die Marktwirtschaft Verwerfungen und für alle Akteure eine riesige Verunsicherung mit sich“, kritisiert Bergmann. Und statt ganz auf den Ausbau grüner Energien zu setzen, flüchtete sich die Regierung in eine stärkere Abhängigkeit fossiler Brennstoffe und genehmigte den Bau neuer Kohlekraftwerke. Der Bau der Pipeline Nord Stream 2, die Deutschland mit russischem Erdgas versorgen sollte, wurde selbst nach der russischen Annexion der Krim 2014 mit aller Kraft vorangetrieben und besiegelte Deutschlands Energieabhängigkeit von Russland.

    Und die Energiepolitik der Ampelkoalition?

    Die neue Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz trat im Dezember 2021 mit hehren Klimazielen und hohen Erwartungen an. Dann kamen der Krieg gegen die Ukraine und explodierende Energiekosten. Deutschland musste sich im Eilverfahren von russischem Gas lossagen. Die Notlösung: Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck vereinbarte eine Energiepartnerschaft mit Katar, das für Menschenrechtsverletzungen kritisiert wird, und kurbelte den Import des Flüssigerdgases LNG an, das noch klimaschädlicher ist als Kohle.

    „Wir geben schon wieder Geld für dreckige Energieimporte aus“, bemängelt Bergmann. „Das Geld, das wir da vergeben, fließt in bestimmte Kanäle. Vielfach in autokratische Systeme, die teilweise auch in der Nahostfrage eine große Rolle spielen.“

    Immerhin arbeite die Ampel ernsthafter am Ausbau erneuerbarer Energien, lobt Kemfert: Nach Steuererleichterungen und vereinfachten Genehmigungsverfahren boomt die Solarenergie wieder, auch die Rahmenbedingungen für den Ausbau der Windenergie wurden verbessert. Das jährliche Ausbauziel für die Solarenergie wurde erstmals übererfüllt. „Diese Geschwindigkeit brauchen wir jetzt auch bei Onshore- und Offshore-Wind, beim Rollout der Wärmepumpe, beim Netzausbau und bei der Energieeinsparung“, so Zerger.

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    Wir kommen beim Klimaschutz jetzt in die Phase, die nicht länger abstrakt ist, sondern in der wir tatsächlich in die Lebenswelten der Menschen eingreifen müssen

    Constantin Zerger, Deutsche Umwelthilfe

    Förderprogramme und Steuererleichterungen reichen für die nötige Beschleunigung in diesen Bereichen seiner Meinung nach nicht aus. Die Regierung müsse die eigentlichen Probleme angehen: die massiven Rückstände im Verkehr, bei der Gebäudesanierung, in der Industrie und beim Umbau der Städte. „Wir kommen beim Klimaschutz jetzt in die Phase, die nicht länger abstrakt ist, sondern in der wir tatsächlich in die Lebenswelten der Menschen eingreifen müssen. Stichwort: Heizungskeller.“ Das Bundesverfassungsgericht mahnte 2021 in seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz immerhin: Wenn Deutschland jetzt nicht entschlossener handelt, drohen künftig Freiheits- und Grundrechtseinschränkungen.

    „In den Merkel-Jahren hatten wir so viel Geld und Zeit – jetzt leben wir in einer Zeit mit multiplen Krisen. Wir haben übersehen, dass die Klimakrise auch ganz viele Grundfragen an unsere Gesellschaft stellt“, sagt Bergmann. Nach 16 weitgehend ungenutzten Jahren lastet auf der jetzigen Regierung deshalb ein umso größerer Druck.

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