„Wir haben natürlich gespürt, dass uns da etwas Gutes gelungen ist. Aber welche Kraft das EEG später entfalten würde, konnte man damals nicht ahnen“, sagt Dietmar Schütz.
Dietmar Schütz und die „Viererbande“
- 24.08.2020
Der Mann, der das EEG durch die SPD brachte
Von Volker Kühn
Einer amtlichen Drucksache gelingt es selten, Lesern das Gefühl zu geben, etwas hautnah mitzuerleben; die Sprache der Beamten ist dafür nicht geschaffen. Das Plenarprotokoll 14/91 des Deutschen Bundestags ist eine Ausnahme. Dabei klingt das Thema trocken: „Zweite und Dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG)“ steht auf der ersten Seite. Doch wer das Dokument vom 25. Februar 2000 liest, spürt noch zwei Jahrzehnte später, dass es ein besonderer Tag im Parlament gewesen sein muss.
Und ein großer Tag für Dietmar Schütz.
Gleich 41-mal taucht der Name des Oldenburger SPD-Abgeordneten in dem Protokoll auf. Schon bevor Schütz zu seiner eigenen Rede ansetzt, meldet er sich mit Zwischenrufen zu Wort – mal angriffslustig, mal mit Humor, mal nüchtern-sachlich. Er weist Redner der oppositionellen CDU zurecht oder wirft einem FDP-Mann Denkfehler vor.
Dann schreitet er selbst ans Pult und erklärt in vier knappen Punkten, warum der Bundestag an diesem Tag das Gesetz beschließen möge, in das er gemeinsam mit drei Koalitionskollegen so viel Herzblut gesteckt hat. Anschließend ruft Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms zur Abstimmung. 217 Abgeordnete stimmen gegen das EEG (darunter eine gewisse Angela Merkel, die später „Klimakanzlerin“ genannt werden wird), 550 Abgeordnete sind dafür.
Damit ist die Energiewende in Deutschland beschlossene Sache. Und Dietmar Schütz feiert seinen bis dato größten politischen Erfolg.
Der Minister ist ein Kohle-Mann. An ihm müssen sie das EEG vorbeimogeln
„Wir haben natürlich gespürt, dass uns da etwas Gutes gelungen ist. Aber welche Kraft das EEG später entfalten würde, konnte man damals nicht ahnen“, erinnert sich Schütz, inzwischen 76 Jahre alt, in einem Café in seiner Heimatstadt Oldenburg. Sein Haar und der buschige Schnäuzer sind grau geworden, aus der Politik hat er sich längst zurückgezogen. Aber die Entwicklung der Energiewende verfolgt er noch immer. „Wir haben heute 50 Prozent Ökostrom in Deutschland. Damals hieß es von Seiten der Kohle- und Atomlobby, dass die Netze schon bei mehr als vier Prozent kollabieren würden“, sagt Schütz. „Alles Unsinn!“
„Damals hieß es von Seiten der Kohle- und Atomlobby, dass die Netze schon bei mehr als vier Prozent kollabieren würden“, sagt Dietmar Schütz. „Alles Unsinn!“
Der Gegenwind auf dem Weg zum EEG kommt seinerzeit allerdings nicht nur aus der Energiebranche. Auch in seiner eigenen Fraktion muss Schütz Überzeugungsarbeit leisten. Die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer hat anderthalb Jahre zuvor die Regierungsgeschäfte übernommen. Das für die Energiepolitik zuständige Wirtschaftsministerium führt der parteilose Werner Müller – ein Manager, der in der Kohleindustrie Karriere gemacht hat und sich später den Ruf des „letzten Ruhrbarons“ erwirbt.
Eigentlich wäre es Müllers Aufgabe, eine Reform des Stromeinspeisegesetzes von 1991 zu erarbeiten, um so die von der Koalition geplante Energiewende auf den Weg zu bringen. Doch das Wirtschaftsministerium zeigt wenig Ehrgeiz, die nötigen Absprachen mit dem grünen Umweltministerium verlaufen schleppend.
Was dann passiert, erscheint in der Rückschau wie eine Rebellion
Und so kommt es zu einem Akt, der im Nachhinein fast wie eine Rebellion aus den eigenen Reihen anmutet: Vier Abgeordnete tun sich zusammen, um die Reform auf eigene Faust voranzutreiben – die Grünen Hans-Josef Fell und Michaele Hustedt und die Sozialdemokraten Hermann Scheer und Dietmar Schütz. Es ist ein mehr als ungewöhnlicher Vorgang für das parlamentarische System in Deutschland. Fast alle Gesetze werden von der Regierung ausgearbeitet und dann in den Bundestag eingebracht. Die Ministerien verfügen über den nötigen Apparat und das juristische Know-how dazu. Diesmal aber sind es Abgeordnete aus der Mitte des Parlaments, die sich ans Werk machen.
„Das war politiktheoretisch geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie die Demokratie funktionieren soll“, sagt Schütz heute. Michaele Hustedt formuliert es im Gespräch mit EnergieWinde weniger salbungsvoll: „Uns ist einfach der Geduldsfaden gerissen, da haben wir die Sache eben selbst in die Hand genommen.“
Es beginnen intensive Monate für die vier Abgeordneten und ihre Mitarbeiter. Sie führen Hintergrundgespräche, befragen Energieexperten, holen juristischen Rat ein, berechnen mögliche volkswirtschaftliche Folgen verschiedener Fördersätze für Ökostrom und feilen an Gesetzesformulierungen. Bald schon heißt das Gespann koalitionsintern nur noch die „Viererbande“.
Schütz kommt dabei eine besondere Aufgabe zu, wie sich Michaele Hustedt erinnert. „Dietmar hatte eine zentrale Funktion in der Viererbande: Er hat uns Seriosität unter skeptischen Sozialdemokraten verschafft.“
Davon gibt es nicht wenige. Neben Mitgliedern der Bergbaugewerkschaft IG BCE zählen auch Teile des Wirtschaftsflügels dazu. Grüne Ökos wie Fell und Hustedt sind ihnen nicht geheuer und auch der charismatische Hermann Scheer, der in aller Welt für den Klimaschutz trommelt und im Jahr zuvor mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde, wird eher argwöhnisch beäugt. Schütz dagegen steht bei ihnen nicht unter Ideologieverdacht.
Mit seiner sympathischen, soliden und verlässlichen Art hat er es geschafft, bei den Sozialdemokraten Mehrheiten zu organisieren
Michaele Hustedt über Dietmar Schütz
Was nicht bedeutet, dass ihm Umwelt und Klimaschutz nicht am Herzen lägen. Im Rat der Stadt Oldenburg ist er schon 1981 Vorsitzender des von ihm ins Leben gerufenen Umweltausschusses. Er protestiert gegen die Dünnsäureverklappung in der Nordsee, sorgt sich um die Versauerung der Seen in Skandinavien und macht sich für die junge Windenergiebranche an der Küste stark. Aber als Verwaltungsjurist wird er eben nicht als Ökofundamentalist wahrgenommen.
„Mit seiner sympathischen, soliden und verlässlichen Art hat er es geschafft, bei den Sozialdemokraten Mehrheiten zu organisieren“, sagt Hustedt.
Schütz selbst lobt im Rückblick auf diese Zeit die Rolle von SPD-Fraktionschef Peter Struck. Er habe die Arbeit der Viererbande fair begleitet und sich nicht etwa einseitig auf die Seite des Wirtschaftsministeriums geschlagen.
Druck kommt aus allen Richtungen: Auch Ökostromer haben ihre Lobbyisten
Auch von außerhalb der Politik ist das Quartett erheblichem Druck ausgesetzt. Vertreter der konventionellen Energiewirtschaft warnen vor einem Zusammenbruch der Energieversorgung und schüren Zweifel, ob die im EEG geplanten Vergütungssätze für Ökostrom vor dem Europäischen Gerichtshof Bestand haben würden. Daneben schickt auch die Ökostrombranche ihre Lobbyisten los. Einmal, so erzählt es Schütz, bietet der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) ihm eine „Aufwandsentschädigung“ an. Er lehnt ab – und schließt solche Praktiken aus, als er Jahre später selbst BEE-Präsident wird.
Alle Gegenwehr kann nicht verhindern, dass das EEG im Februar 2000 verabschiedet wird und schon im April in Kraft tritt. Vier Punkte sind aus Sicht von Schütz zentral an dem Gesetz:
- Erstens der Einspeisevorrang für Ökostrom: Erneuerbare haben im Netz Vorfahrt vor Kohle-, Gas und Atomkraftwerken.
- Zweitens legt das EEG feste Vergütungssätze für jede erzeugte Kilowattstunde Ökostrom über einen Zeitraum von 20 Jahren fest. Wer ein Windrad baut oder eine Solaranlage anschließt, soll sicher sein, dass sich die Investition rentiert. Gerade in der Anfangszeit, als die Technologie teuer und nicht ausgereift ist, erweist sich dieser Punkt als entscheidend.
- Drittens ist eine sogenannte Degressionsformel vorgesehen: Die Vergütung für Ökostrom sinkt über die Jahre, um zu vermeiden, dass die Branche zu stark gefördert wird. „Das ist im Fall der Solarenergie leider nicht wirklich gut gelungen“, räumt Schütz in der Rückschau ein.
- Der vierte Punkt ist ihm mit Blick auf seinen Wahlkreis wichtig: Laut dem Stromeinspeisegesetz von 1991 müssen die regionalen Stromversorger den eingespeisten Ökostrom bezahlen, was norddeutsche Konzerne wie die Oldenburger EWE stärker belastetet als Konkurrenten im Süden. Denn nur an der Küste gibt es bereits nennenswerte Windkraftmengen. Das EEG löst die Regelung ab und schafft stattdessen eine Umlage, die von allen Stromverbrauchern getragen wird.
Über 100 Länder kopieren das EEG: ein Erfolg, den Schütz nie erwartet hätte
Als das Gesetz im Februar 2000 vom Bundestag angenommen wird, ist Schütz euphorisch. „Das war ein grandioser Tag“, sagt er. Dabei ahnt er zu diesem Zeitpunkt nicht, wie groß der Erfolg tatsächlich sein wird. Die im EEG bis zum Jahr 2010 angepeilte Verdopplung des Ökostromanteils auf zehn Prozent wird bereits 2005 erreicht. Fast eine halbe Million Jobs entstehen binnen zehn Jahren im Bereich der Erneuerbaren. Und bis heute haben mehr als 100 Länder die Grundprinzipien des EEG kopiert.
Die Viererbande hat mit dem Gesetz die Energiewende nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt beflügelt.
Schütz verabschiedet sich allerdings schon kurze Zeit später von der Energiepolitik, zumindest vorübergehend. Nach 14 Jahren scheidet er 2001 aus dem Bundestag aus, um Oberbürgermeister von Oldenburg zu werden. Statt der bundesweiten Energiepolitik beschäftigt ihn nun der lokale Einzelhandel. Schütz ist beliebt, seine Wiederwahl 2006 erscheint vielen als Formsache.
Doch in der Stichwahl unterliegt er mit 49 Prozent denkbar knapp – nicht zuletzt, weil die in Oldenburg traditionell starken Grünen den von der CDU nominierten parteilosen Gegenkandidaten unterstützen. Ausgerechnet die Partei, mit der er seinen größten Erfolg im Bundestag feiert, wird so zum Grund für die härteste Niederlage seiner politischen Karriere. Schütz ist am Boden zerstört.
2008 wechselt Schütz die Seiten – doch sein Ziel bleibt dasselbe
Als er dann 2008 die Anfrage erhält, ob er sich vorstellen könne, Präsident des Bundesverbands Erneuerbare Energien zu werden, entbehrt das nicht einer gewissen Ironie – schließlich hätte man sich sehr gut auch einen Grünen auf diesem Posten vorstellen können. Schütz nimmt an und stürzt sich in die Aufgabe. Er wechselt die Seiten, von der Politik in den Lobbyismus, aber das Ziel bleibt dasselbe: Er kämpft für die Energiewende.
2009 lässt der BEE einen Flyer drucken, den Schütz der Bundeskanzlerin überreicht: „2020 – 47 Prozent Erneuerbare“ steht darauf. „Ich war sehr skeptisch, ob das auch realistisch ist. Wir haben das mehrfach von Experten durchrechnen lassen“, erzählt Schütz. Heute wissen wir, dass wir noch zu vorsichtig in unserer Schätzung waren.“
Zu vorsichtig ist aus seiner Sicht auch die aktuelle schwarz-rote Bundesregierung beim Kohleausstieg. Nach ihren Plänen könnte es bis zum Jahr 2038 dauern, bis das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet wird. Schütz hätte sich mehr Tempo gewünscht. Doch nach seinem Ausscheiden beim BEE 2013 ist das nicht mehr sein Kampf. Er engagiert sich ehrenamtlich, etwa in der Oldenburger Bürgerstiftung. Die politische Bühne überlässt er mit 76 Jahren anderen.