Der Grünen-Politiker Hans-Josef Fell kämpft auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahr 2013 weiter für die Energiewende. Kürzlich hat er den Entwurf für ein Gesetz zur Sektorenkopplung vorgelegt.
EEG-Autor Fell über stockende Energiewende
- 21.07.2020
„Die Regierung handelt einfach nicht“
Ein halbes Jahr lang hatte sich der frisch in den Bundestag eingezogene Grünen-Politiker Hans-Josef Fell 1999 zurückgezogen, um den Entwurf für ein Gesetz zur Förderung von Ökostrom zu verfassen. Dann holte er seine Parteikollegin Michaele Hustedt sowie Hermann Scheer und Dietmar Schütz vom Koalitionspartner SPD ins Boot. Gemeinsam sorgte die als „Viererbande“ bekannt gewordene Gruppe dafür, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) am 25. Februar 2000 durch den Bundestag ging.
Seither wurde das EEG von diversen Regierungen wiederholt verändert. Nicht zum Besseren, wie der 2013 aus dem Bundestag ausgeschiedene Fell meint. Im Interview mit EnergieWinde erklärt der 68-jährige, was aus seiner Sicht bei den Reformen schiefgelaufen ist und wie die Energiewende in Deutschland wieder auf Kurs gebracht werden könnte.
Herr Fell, geht es nach Teilen der CDU und einigen Experten soll die EEG-Umlage komplett abgeschafft werden. Warum steht ihr Werk so in der Kritik?
Hans-Josef Fell: Daran schuld ist nicht das Instrument der EEG-Umlage, wie wir es im Jahr 2000 entwickelt haben, sondern die Politik unter Kanzlerin Merkel. Sie hat die EEG-Umlage im letzten Jahrzehnt immer wieder dahingehend verändert, dass heutzutage vor allem die energieintensive Industrie und die Energiekonzerne davon profitieren. Aber der Ausbau der Erneuerbaren ist auf der Strecke geblieben und beim Verbraucher kommen die sinkenden Ökostrompreise nicht an.
Viele kritisieren, dass die Umlage immens gestiegen ist, und sehen darin den Grund für steigende Strompreise für den Verbraucher. Was müsste in der geplanten Novelle des EEG verändert werden?
Fell: In erster Linie müsste ein Eingriff korrigiert werden, der 2009 unter dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel vorgenommen wurde: die Einführung des Ausgleichsmechanismus für die EEG-Umlage. Damit ist ein Paradoxon entstanden: Je mehr Ökostrom an die Börse geht, desto stärker sinkt der Börsenstrompreis, aber desto höher steigt die EEG-Umlage. Die Strompreise müssten nicht steigen, wenn die Energieversorger die niedrigen Beschaffungskosten an der Börse an die Kunde weitergeben würden. Um dieses Grundübel abzuschaffen, müsste man zum ursprünglichen Mechanismus zurückkehren. Bis 2010 wurde der EEG-Ökostrom nicht an der Börse verramscht, sondern den Stromkunden verkauft, die dafür auch die EEG-Umlage zahlten. Und dann könnte endlich der Ausbau der Erneuerbaren wieder richtig ohne nennenswerten Anstieg der EEG-Umlage angeschoben werden.
Die EEG-Novelle müsste die feste Einspeisevergütung zurückbringen, zumindest in einem Bereich einer Investitionsgröße von etwa 40 bis 50 Megawatt
Wie könnte das gelingen?
Fell: Zum einen müssen die über Jahre geschaffenen Hemmnisse im EEG wieder entfernt werden, um die Aktivität der vielen bürgerlichen Akteure neu zu entfachen. Sie waren es, die den erneuerbaren Energien lange Zeit entscheidend zum Erfolg verholfen haben. Aber in den letzten sieben Jahren wurden sie durch die Umstellung auf Ausschreibungen statt fester Einspeisevergütung massiv eingeschränkt. Das Resultat ist der jetzige Einbruch des Ausbaus. Die EEG-Novelle müsste die feste Einspeisevergütung zurückbringen, zumindest in einem Bereich einer Investitionsgröße von etwa 40 bis 50 Megawatt. Aber ebenso wichtig wäre es, die Vorgaben der EU-Kommission endlich umzusetzen und die Benachteiligung von bürgerlichen Investoren im Bereich erneuerbarer Energien abzuschaffen. Denn genau dies geschieht durch die Erhebung der EEG-Umlage auf Eigenstromerzeugung und Eigenstromverbrauch. Das ist nicht akzeptabel, auch nicht aus Sicht der EU-Kommission. Aber die Bundesregierung handelt einfach nicht.
Für den rasanten Anstieg der EEG-Umlage ab 2009 macht Hans-Josef Fell eine Gesetzesänderung unter dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel verantwortlich.
Sie vertreten die Meinung, dass Deutschland zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt werden kann. Aber um einen Bedarf von 420 Gigawatt zu decken, reicht eine Novellierung des EEGs kaum aus. Was muss noch passieren?
Fell: Natürlich muss mehr geschehen. Das Grundproblem ist, dass es kein Marktgeschehen gibt, um dem Ausbau der Erneuerbaren in Kombination mit Speichern und digitalisierter Steuerung die entscheidende Dynamik zu verleihen. Dafür schlage ich mit meinen Kollegen vom Thinktank Energy Watch Group ein neues eigenständiges Gesetz vor, nämlich das Sektorenkopplungs- und Innovationsgesetz für erneuerbare Energien. Diese Gesetzesinitiative sieht eine feste Kombikraftwerksvergütung für jeden Investor vor, der eine systemdienliche Investition im Bereich der erneuerbaren Energien macht. Mit dieser Vergütung kann er seine Anlagen rentabel und sicher betreiben – und kann so auch eine Finanzierung von den Banken erwarten. Im Grunde genommen dient als Grundgerüst dafür das Erfolgskonzept des EEG 2000. Wenn das kommt, bin ich überzeugt, dass wir 2030 100 Prozent erneuerbare Energien verwirklicht haben.
Wie genau soll das funktionieren?
Fell: Die Kombikraftwerksvergütung wird Investitionen in die systemdienliche Produktion, aber auch in die Nutzung von erneuerbare Energien ermöglichen. Sonne und Wind werden den Löwenanteil liefern, aber auch Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie müssen eingebunden werden, da diese drei die Schwankungen der Solar- und Windenergie teilweise schon ausgleichen können – weil sie weniger wetterabhängig sind. Zusätzlich werden Speicher gebaut. Gleichzeitig kommen wir endlich in die Sektorenkopplung, das heißt der Ökostrom fließt in die Elektromobilität, erzeugt grünen Wasserstoff für die Industrie und bringt mit Wärmepumpen den Ökostrom in die Heizungen. Für solche systemdienlichen Investitionen soll es die Vergütung geben.
Auch Anlagen, die nach 20 Jahren aus der EEG-Vergütung fallen, können auf diese Weise weiterbetrieben werden
Und worüber würde sie finanziert?
Fell: Über die EEG-Umlage. Sie wird dadurch aber kaum nach oben getrieben. Wir haben errechnet, dass viele erste Kombikraftwerksprojekte dieser Art mit acht Cent je Kilowattstunde wirtschaftlich arbeiten können. Dies anzustoßen, würde kaum eine Mehrbelastung für die EEG-Umlage bedeuten. Im Gegenteil sogar, denn wir schlagen vor, auch Bestandsanlagen einzubinden. Anlagen, die heute teilweise eine viel höhere Vergütung erhalten, würden aus einer hohen EEG-Vergütung herausgenommen, da sie nun wirtschaftlich rentabel in das Gesamtsystem eingebunden werden können. Anlagen, die nach 20 Jahren aus der EEG-Vergütung fallen, können auf diese Weise weiterbetrieben werden.
Wie könnte man die Industrie stärker in die Energiewende einbinden?
Fell: Genau das findet mit diesem Gesetz statt. Es ist nicht beschränkt auf Hausbesitzer allein; die große Musik spielt ja in der Wirtschaft – ich möchte ausdrücklich mittelständische Produktionsbetriebe nennen. Die können solche Investitionen in die kombinierte Bereitstellung eigener Energie für ihren Strom- und Wärmeverbrauch, aber auch in ihre Mobilität tätigen. Und wenn sie etwa ihre eigenen Dächer nutzen, noch mehr Strom produzieren und dann den Überschuss systemdienlich einspeisen, dann entsteht eine starke Ausbaudynamik, genauso wie es der Netzbetreiber und die Gesellschaft brauchen. Dann bekommen wir viel Ökostrom, um grünen Wasserstoff zu produzieren, mit dem die Industrie Stahl und andere Produkte emissionsfrei erzeugen kann.
Leider stützt die Politik in der Coronakrise das alte System. Sehen Sie sich nur die 4,3 Milliarden Euro an, die der Kohleindustrie gerade erst zugesagt wurden
Wie schätzen Sie die Chance für entsprechende Gesetzesinitiativen ein?
Fell: Im Moment bin ich pessimistisch. Es mangelt am politischen Willen, den Klimaschutz und die Erneuerbaren richtig auszubauen. An der Ökonomie und der Technik dagegen mangelt es nicht. Leider stützt die Politik in der Coronakrise das alte System. Sehen Sie sich nur die 4,3 Milliarden Euro an Subventionen an, die der Kohleindustrie gerade erst zugesagt wurden. Oder die Coronahilfspakete hierzulande: Sie enthalten keinerlei Klimaschutzauflagen etwa für den Flugverkehr.
Aber zumindest auf europäischer Ebene gibt es mit dem Green Deal ein Bekenntnis zu mehr Klimaschutz.
Fell: Das liest man vielleicht in den Schlagzeilen, aber Fakt ist: Es gibt für die EU eine Liste von Erdgasprojekten, die wegen der Methanemissionen in den Abbaugebieten und leckenden Pipelines besonders klimaschädlich sind. Diese Liste mit neuen zu fördernden Projekten sieht eine Überdimensionierung der bestehenden Erdgasleitungen vor – da ist von Klimaschutz keine Spur. Diese Strategie wird von der Kommission faktisch unterstützt. Und das, obwohl man sich aufgrund der Konflikte mit Russland in der Ukraine und um die Krim einig war, die Energiebeziehungen zu Moskau zu verringern. Aber es ist nicht nur im Erdgassektor so, wir sehen auch, wie die EU-Kommission Atomprojekte in Europa unterstützt wie in Großbritannien oder Ungarn.
Noch sind der Einfluss und die Dominanz der fossilen und atomaren Wirtschaft in Brüssel so gewaltig, dass sie weiterhin ihre Pfründe bekommen
Aber in ihren Plänen nennt die Kommission die Erneuerbaren als wichtigen Pfeiler für die Stromversorgung im Jahr 2050.
Fell: Eine derartige Unterstützung, wie sie die EU-Kommission bei Erdgas, Atomkraft und auch Kohle gewährt, sehe ich im Bereich der Erneuerbaren nicht. Vielmehr wurde von der EU in der Vergangenheit auf nationaler Ebene so stark Einfluss genommen, dass wir hier in Deutschland nun das Ausschreibungssystem statt des erfolgreichen EEGs haben, mit den erwähnten Folgen für den Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik. Und ich kann nicht erkennen, dass die EU-Kommission unter Frau von der Leyen irgendwas anderes macht. Noch sind der Einfluss und die Dominanz der fossilen und atomaren Wirtschaft in Brüssel so gewaltig, dass sie weiterhin ihre Pfründe bekommen.
Die Fragen stellte Kathinka Burkhardt.