Bau eines Offshore-Windparks: In den Niederlanden müssen die Betreiber eine Gebühr an den Staat zahlen. In Großbritannien erhalten sie bis zu einer bestimmten Obergrenze Geld vom Staat. Ist sie erreicht, fließt es an den Staat zurück.
Vergabeverfahren für Offshore-Windparks
- 03.05.2020
England gegen Holland
Von Volker Kühn
Es war eine der ersten politischen Gesprächsrunden der Coronazeit, die im Internet stattfinden musste: Am 20. März hatte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) Vertreter der Industrie eingeladen, um mit ihnen über den Bau von Offshore-Windparks zu diskutieren. Die Konferenztechnik soll nicht immer funktioniert haben, aber das war aus Sicht vieler Teilnehmer nicht das größte Ärgernis. „Auf der Einladung stand, es ginge um einen Workshop“, sagt einer, der dabei war. „Aber da wurde nichts erarbeitet, das Ergebnis stand schon vorher fest. Wir sollten es bloß abnicken.“
In der Frage, wie der gesetzgeberische Rahmen für den Bau von Windrädern auf See künftig aussehen soll, herrscht ganz offenkundig Zoff zwischen dem Ministerium und der Industrie.
Um die Brisanz dieser Frage zu verstehen, muss man einen Schritt zurücktreten und sich anschauen, nach welchem Prozedere die Baulizenz für einen Offshore-Windpark zuletzt erteilt wurde. Vereinfacht gesagt, funktionierte das so: Der Bund legte fest, wie groß der Park sein sollte, beziehungsweise welche Stromerzeugungskapazität er haben müsste. Dann fand eine Auktion statt. Die potenziellen Bauherren erklärten darin, wie viel Geld sie pro gelieferter Kilowattstunde Strom mindestens haben wollten, damit sie bereit wären, den Park zu errichten. Derjenige, der den niedrigsten Preis bot, erhielt den Zuschlag. Wenn in der Betriebsphase des Parks der Strompreis an der Börse unter den in der Auktion garantierten Preis fällt, zahlen die Stromverbraucher dem Betreiber über die EEG-Umlage die Differenz.
Das niedrigste Gebot gewinnt. Und wenn alle gleich viel bieten?
Das Ziel der Auktionen war es, den Preis für den Bau von Windparks zu drücken – und in dieser Hinsicht ging der Plan auf: In der letzten Auktion boten mit EnBW und Ørsted zwei Betreiber null Cent. Das heißt, sie verzichteten auf einen garantierten Mindestpreis für ihren Strom und waren bereit, ihn ausschließlich zum schwankenden Preis an der Börse zu verkaufen. Keine EEG-Umlage also.
Was für die Stromverbraucher erfreulich klingt, brachte aber ein Problem mit sich. Laut Gesetz gibt das niedrigste Gebot der letzten Auktion von 2018 den maximal zulässigen Höchstwert für die nächste vor. Bei der für 2021 vorgesehenen Auktion hätten damit alle Teilnehmer null Cent bieten müssen. Womit sich die Frage gestellt hätte, wem man dann den Zuschlag erteilt.
Um das Problem zu lösen, sind im Wesentlichen zwei Modelle im Gespräch, die das alte Auktionssystem ablösen könnten:
- Differenzverträge oder Contracts for Difference (CfD): Nach diesem Modell werden Windparks in den Gewässern des Offshore-Weltmarktführers Großbritannien ausgeschrieben. Wie zuletzt in Deutschland nennen potenzielle Windparkbetreiber dabei einen Preis je Kilowattstunde gelieferter Energie, zu dem sie bereit sind, den Windpark zu bauen. Wer den niedrigsten Preis aufruft, gewinnt. Der Unterschied im CfD-Modell: Steigt der Preis an der Börse über den Gebotspreis, kassiert der Staat die Mehreinnahmen. Im bisherigen System gehen sie aufs Konto der Betreiber. Null-Cent-Gebote sind faktisch ausgeschlossen, weil der Betreiber seine Einnahmen komplett abführen müsste. Auch Dänemark und Frankreich setzen auf CfD.
- Gebühr oder „Zweite Gebotskomponente“: In diesem Modell zahlen Windparkbetreiber im Fall mehrerer Null-Cent-Gebote eine Art Eintrittsgebühr: Sie müssen einen Betrag X bieten, zum dem sie bereit sind, ihren Offshore-Windpark zu bauen. Wer am meisten bietet, erhält den Zuschlag. Das System erinnert an das in den Niederlanden eingeführte Modell. Dort kommt eine Art Beauty Contest zum Einsatz, bei dem Kriterien wie die Erfahrung der Bauherren, die geplante Kapazität des Parks oder auch soziale und gesellschaftliche Kosten bewertet werden, um zwischen den Geboten zu unterscheiden.
Um diese beiden Möglichkeiten kreiste die Diskussion zu dem Zeitpunkt, als das BMWi zu seinem Workshop einlud. Die Offshore-Windbranche in Deutschland hatte sich bereits im vergangenen Jahr für Differenzverträge ausgesprochen und wollte in der Videokonferenz dafür trommeln. Aus Sicht von Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands der Windparkbetreiber Offshore (BWO), sprechen vor allem die Finanzierungskosten dafür. Windparks auf See sind gewaltige Projekte; der Bau schlägt je nach Größe leicht mit 1,5 Milliarden Euro zu Buche. Das stelle hohe Anforderungen an die Stabilität der Finanzierung. Ein wesentlicher Kostenfaktor seien die Konditionen, zu denen sich Projektbetreiber Geld am Kapitalmarkt leihen: je größer das Risiko, desto höher die Zinsen, die sie zahlen müssten.
Im CfD-Modell fließt bei hohen Strompreisen Geld zurück aufs EEG-Konto
Das Risiko bestehe in diesem Fall in der langfristigen Strompreisentwicklung: Die Investoren müssten sich sicher sein, dass dauerhaft genügend Geld in die Kasse fließt, um die Projekte zu refinanzieren. „Differenzkontrakte sind ein Schutz gegen den regulatorischen Anteil dieses Preisrisikos“, erklärt Thimm im Gespräch mit EnergieWinde. „Sie sichern die Refinanzierung gegenüber Veränderungen der regulatorischen Rahmenbedingungen ab und erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit, dass die Windparks tatsächlich gebaut werden.“
Zugleich seien sie fair für die Stromkunden, weil im Fall steigender Preise Geld auf das EEG-Konto zurückfließe. Der BWO weiß in dieser Frage die Branche hinter sich: Er vertritt alle 18 Konzerne, die bisher Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee gebaut haben.
Zu einer offenen Diskussion kam es auf dem Workshop des BMWi allerdings nicht. Das Ministerium legte vielmehr ein Kurzgutachten vor, das vier Beratungsgesellschaften und das Fraunhofer ISI in seinem Auftrag erstellt hatten. Das 17-seitige Papier kommt zu dem Schluss, dass das Gebührenmodell am besten geeignet sei, um das bisherige System abzulösen. Das von der Branche präferierte CfD-Modell lehnen die Gutachter ab. Zwar könne es die Finanzierungskosten tatsächlich senken, es bestehe aber „kein Anreiz für die Akteure zur eigenständigen Absicherung langfristiger Marktpreisrisiken“. Es erscheine nicht sinnvoll, „im Vergleich zum Status quo wieder einen Schritt zurück zu weniger Risikoübertragung zu gehen“, heißt es weiter.
Wie sich der Strompreis entwickelt, hängt nicht zuletzt vom Gesetzgeber ab
BWO-Chef Thimm bewertet die Sache ganz anders. Aus seiner Sicht bürdet das Gebührenmodell den Betreibern ein zu großes Risiko auf. Er verweist auf gesetzgeberische Entscheidungen in den kommenden Jahren, die heute noch gar nicht absehbar seien, aber gewaltigen Einfluss auf die Strompreise haben könnten. „Ein Beispiel dafür haben wir bereits erlebt: die Anhebung des Ausbauziels für Erneuerbare von 50 auf 65 Prozent, die im März 2018 beschlossen wurde“, sagt Thimm. Im Sinne des Klimaschutzes sei das natürlich eine gute und richtige Entscheidung gewesen. Weil dazu aber deutlich mehr Erzeugungskapazitäten nötig seien, als derzeit existieren, sei allein durch diesen Beschluss der erwartete Marktwert von Offshore-Strom gefallen – und zwar laut unabhängigen Gutachtern um volle 20 Prozent. Es ist das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Ein ähnliches regulatorisches Risiko sieht Thimm in einer möglichen Verzögerung des Kohleausstiegs.
Unterstützung in der Sache erhält der BWO-Chef von Ingrid Nestle, energiewirtschaftliche Sprecherin der Grünen im Bundestag. Auch sie spricht sich gegenüber EnergieWinde für das CfD-Modell aus. Dass es unkalkulierbare Strompreisrisiken gebe, zeige schon die Coronakrise, in der Nachfrage und Preis deutlich gefallen sind. Zudem befürchte sie, dass die Gewinner von Windpark-Auktionen im Konzessions- oder Gebührenmodell ihre Projekte am Ende gar nicht bauen würden, falls sich die Marktaussichten zwischen der Ausschreibung und der finalen Investitionsentscheidung negativ entwickelten. „Dann zahlen die Konzerne lieber eine Vertragsstrafe, um aus der Sache rauszukommen, als dass sie jahrelang Verluste erwirtschaften“, sagte Nestle.
In der SPD sieht man die Sache anders als im unionsgeführten BMWi
Johann Saathoff, energiepolitischer Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion, argumentiert im Gespräch mit EnergieWinde ähnlich. Das Gebührenmodell könne zudem dazu führen, dass sich in der Offshore-Windenergie ein Oligopol bilde, weil nur noch die ganz Großen in der Branche in der Lage seien, an den Auktionen teilzunehmen. CfD gebe auch kleineren Unternehmen eine Chance. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass das Gebührenmodell im nächsten Schritt auf Bereiche wie Onshore-Wind oder sogar Fotovoltaik übertragen werden könnte und dort den Ausbau abwürgen würde.
„Es scheint, als wenn sich im BMWi zunehmend die erneuerbarenfeindlichen Kräfte durchsetzen“, sagte Saathoff. „Wäre das BMWi wirklich erneuerbarenfreundlich, hätte es längst die im Koalitionsvertrag vereinbarte Anhebung des Offshore-Wind-Deckels auf 20 Gigawatt auf den Weg gebracht.“ In der jüngst vorgelegten EEG-Novelle fehlt dieser Passus allerdings – ebenso wie eine Entscheidung über den künftigen Offshore-Ausbau.
Allerdings glaubt Saathoff, dass das letzte Wort in der Sache noch nicht gesprochen sei. Schließlich gelte noch immer das „erste Strucksche Gesetz“, benannt nach dem früheren SPD-Fraktionschef Peter Struck: „Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es hereingebracht wurde.“
Das hofft auch der BWO. Er hat nach dem Workshop gemeinsam mit anderen Windverbänden einen Brief an Andreas Feicht geschrieben, den zuständigen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Die Branchenvertreter zählen darin fünf Punkte auf, die aus ihrer Sicht klar für Differenzkontrakte sprechen, von niedrigeren Finanzierungskosten der Windparkbetreiber bis zu einer Entlastung der Stromkunden. Feicht habe umgehend geantwortet und zugesichert, sich die Sache noch einmal anzusehen.