Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH)

  • Search28.05.2023

Verwalter von Nord- und Ostsee

Deutschland plant Tausende neue Offshore-Windräder. Damit auf See alles geordnet läuft, überwacht das BSH den Ausbau. Eine Mammutaufgabe, wie Präsident Helge Heegewaldt und Abteilungsleiter Nico Nolte im Interview erklären.

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    Alpha Ventus in der Nordsee war Deutschlands erstes Offshore-Wind-Projekt

    Mit der Genehmigung des Offshore-Windparks Alpha Ventus hat das BSH 2001 ein neues Kapitel in seiner Geschichte aufgeschlagen.

     

    Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, kurz BSH, ist Deutschlands oberste Meeresbehörde. Seine Aufgaben sind vielfältig – die Wracksuche zählt ebenso dazu wie die Erstellung von Seekarten oder die Vergabe von Offshore-Windflächen. Das BSH ist dabei für die sogenannte ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) zuständig, den Bereich zwischen zwölf und 200 Seemeilen vor der Küste. So groß das Gebiet wirkt, so kleinteilig ist es bei näherem Hinsehen, denn mit Schifffahrt, Marine, Naturschutz, Rohstoffabbau und Windindustrie beanspruchen die unterschiedlichsten Nutzer ihren Platz. Wie das BSH diese Interessen zu vereinbaren versucht und welche Rolle die Windenergie spielt, erklären BSH-Präsident Helge Heegewaldt und Abteilungsleiter Nico Nolte im Gespräch mit Daniel Hautmann.

    Herr Heegewaldt, Herr Nolte, die Wurzeln des BSH gehen zurück auf das Jahr 1868. Damals hieß das Institut noch Norddeutsche Seewarte. Wie haben sich die Aufgaben verändert?
    Helge Heegewaldt: Damals ging es in erster Linie um Berechnungen für Segelschiffe, um Strömungsberechnungen und darum, die Schifffahrt sicherer zu machen. Nach 1945 trat dann die Hydrographie, die Messung und Beschreibung der physikalischen Eigenschaften von Ozeanen, in den Vordergrund. 1990, nach dem Mauerfall, gab es dann auf einmal viel mehr Küste. Da wurde dann das heutige BSH gegründet.

    Mittlerweile gehört auch das Thema Offshore-Windkraft zu Ihrem Aufgabenbereich, wie fing alles an?
    Heegewaldt: Wir waren ja schon seit den 1970er-Jahren für Genehmigungen von Kabelanbindungen und Pipelines auf dem Festlandsockel zuständig. So kam man auf die Idee, die Genehmigungen für Windparks an das BSH zu übertragen, genauso wie die maritime Raumordnung.
    Nico Nolte: Ende der 1990er-Jahre ging es los. Damals begannen die Überlegungen, in welchen Bereichen Windparks gebaut werden können. Damals gab es ja nur Windparks mit den berühmten „nassen Füßen“, die von Land aus errichtet wurden. Die erste Genehmigung für einen Offshore-Windpark erteilten wir 2001 für Alpha Ventus. Das war alles Neuland, mit vielen offenen Fragen.

    Helge Heegewaldt ist seit März Präsident des BSH. Zuvor bekleidete der Jurist unter anderem Stationen im Deutschen Bundestag, im Bundesumwelt- und im Bundesverkehrsministerium. Der Eintritt ins BSH bedeutete für Heegewaldt den Wechsel aus der übergeordneten Gestaltung auf politischer Ebene in die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung.

     

    Nico Nolte ist seit 2002 beim BSH, seit 2017 leitet er die Abteilung Ordnung des Meeres. In dieser Zeit hat der Jurist miterlebt, wie Offshore-Wind einen wachsenden Stellenwert innerhalb der Aufgaben des BSH erlangte. Nolte befasst sich unter anderem mit Windpark-Genehmigung sowie rechtlichen, meeresbiologischen und technischen Fragen.

    Genau genommen gehört das BSH ja zum Aufgabenbereich des Verkehrsministeriums, in Sachen Windenergie haben Sie es aber mehr mit dem Umwelt- und Wirtschaftsministerium zu tun. Wo fühlen Sie sich besser aufgehoben?
    Nolte: Wir sind die maritime Behörde und haben ja bei der Windenergie eine besondere Zusammenarbeit mit dem BMWK, obwohl wir eigentlich eine Behörde des Verkehrsministeriums sind. Alle Abteilungen spielen beim Wind zusammen.

    In der maritimen Raumordnung wird auch die Windkraft geregelt. Worum geht es da genau?
    Heegewaldt: Das ist ein Regelwerk für alle Nutzungen im Meeresbereich, wie Schifffahrt, Offshore-Windenergie, Leitungen wie Strom- und Datenkabel und Pipelines, die Fischerei, Rohstoffgewinnung, Forschung, Landes- und Bündnisverteidigung sowie den Meeresnaturschutz. Mit dem größer werdenden Platzbedarf einzelner Nutzungen im Meeresbereich wird auch die Konkurrenz um die zur Verfügung stehenden Flächen immer stärker.

    Robert Habeck beschrieb die deutsche Situation bei seinem Besuch hier im BSH im März so: „Auf wenig Platz möglichst viel machen.“
    Nolte: Das ist ein vergleichsweise kleiner Bereich in der AWZ, wo Windräder gebaut werden können. Das ist schon eine enorme Herausforderung. Weil der Platz so eng ist, und um Nutzungskonflikte zu steuern, haben wir als weltweit erstes Land das Instrument der maritimen Raumordnung genutzt. 2009 haben wir den ersten Plan vorgelegt. Da waren wir führend, mittlerweile ist das Standard in Europa.

    30 Gigawatt Offshore-Wind 2030, 40 im Jahr 2035 und 70 GW 2045: Das sind die Pläne der Ampelregierung im Koalitionsvertrag. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Welchen Stellenwert hat die Windkraft heute?
    Nolte: Mittlerweile ist die Windkraft eine etablierte Branche, mit einer hohen Bedeutung. Offshore-Wind heißt ja auch: Hafenausbau, Logistik, Fachkräfte, Häfen, Spezialschiffe – ein boomender Zweig in der maritimen Wirtschaft. Und das große Zukunftsthema, wie wir gerade im Fernsehen sehen konnten: Da waren neun Premierminister beim Nordsee-Gipfel in Ostende und standen an Bord eines Windkraftschiffs.

    Die Minister verkündeten in Ostende, bis 2030 120 Gigawatt Windleistung aufzubauen. Was bedeutet das für Ihre Behörde konkret?
    Heegewaldt: Wir sind jetzt bei acht Gigawatt installierter Leistung, bis 2030 sollen wir 30 Gigawatt haben. Das ist schon atemberaubend. Bis 2040 dann 70 Gigawatt. Das ist eine Verzehnfachung im Vergleich zum Vorjahr.
    Nolte: Das wird ja auch die innereuropäische Konkurrenz verschärfen, um Häfen, Schiffe, Anlagen, etc. Insgesamt wollen die neun Nordseeanrainer bis 2050 300 Gigawatt aufbauen.

    Karte der für die Offshore-Windenergie wichtigen Häfen in Deutschland. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Wie viele Mitarbeiter kümmern sich bei Ihnen um die Windkraft und was machen sie?
    Heegewaldt: Insgesamt sind wir rund 1000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in rund 100 Berufen, darunter klassische Verwaltungsangestellte, Biologinnen, Vermessungsingenieure, aber auch seegehendes Personal. Wir haben auch Ornithologen und Fischspezialisten.
    Nolte: Die Windkraft spielt praktisch in allen Bereichen eine Rolle. Da geht es um klassische Überwachungsaufgaben, etwa um Emissionen und Betriebsstoffe. In meinem Bereich haben wir 150 Stellen. Die Windkraft ist ein großer Bereich, das BSH ein begehrter Arbeitgeber. Hier kann man die Energiewende mitgestalten.
    Heegewaldt: Wir haben mittlerweile auch drei Luftfahrtingenieure, schließlich sind solche Anlagen ja auch ein Verkehrshindernis. Da geht es um Informationen für den Schutz des Flugraums. Irgendwie haben fast alle Beschäftigten mit Wind zu tun.

    Die Meereswindkraft hat enormen Rückenwind. Woran arbeiten Sie konkret?
    Heegewaldt: Die Frage des Windkraftausbaus stellt sich ja in ganz Nordeuropa. Das sind sehr ambitionierte Ziele. Da haben wir Planungsaufgaben und wissen, welche Verfahren in den nächsten Jahren kommen. Wir haben mit dem Flächenentwicklungsplan festgelegt, wann die Bundesnetzagentur Flächen versteigern wird. Der Raumordnungsplan, der 2021 vorgelegt wurde, legt bereits Flächen für Offshore-Wind fest für circa 60 Gigawatt. Da fehlen noch zehn Gigawatt, aber die werden wir finden, auch wenn es eine Herausforderung ist. Wir stimmen uns dazu gerade mit Dänemark und den Niederlanden ab, die ja auch ein großes Interesse an Schifffahrt und Offshore-Wind haben, das darf sich eben nicht widersprechen.

    Offshore-Windpark in Deutschland: Die Aufgaben des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie haben sich mit der Windenergie auf See bedeutend erweitert.

    Blick in einen Offshore-Windpark: „Da fehlen noch zehn Gigawatt, aber die werden wir finden.“

    Und welchen Stellenwert hat die Seefahrt heute noch?
    Heegewaldt: Wir sind für alle unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe zuständig und haben die Verantwortung für deren Seeleute. Wir stellen die Zeugnisse für die Seeleute aus, das ist deren Führerschein. Das sind um die 10.000 Bescheinigungen pro Jahr.

    Welche weiteren Segmente liegen im Aufgabenbereich des BSH?
    Heegewaldt: Wir vermessen die Nordsee und die Ostsee permanent mit unseren Schiffen. Wir erstellen Seekarten und beobachten, wie sich der Meeresgrund durch die Gezeiten verändert.

    Das BSH betreibt fünf Schiffe. Was für Schiffe sind das und wozu werden sie eingesetzt?
    Nolte: Neben der Vermessung kümmern wir uns um die Wracksuche. Bei der Erstellung der Seekarten geht es ja auch um verlässliche Informationen, sodass die Seefahrt sicher ist.
    Heegewaldt: Diese Schiffe zu haben ist ein Alleinstellungsmerkmal des BSH, die werden ja auch für wissenschaftliche Aufgaben genutzt, etwa in der Meereskunde. Da sind auch Physiker und Ozeanographen an Bord, wir nehmen auch Proben mit unseren Forschungsschiffen.

    Zurück zur Windkraft. Wie wird sich die Arbeit des BSH in den nächsten Jahren verändern, wenn um Faktor vier mehr Windleistung zugebaut wird?
    Nolte: Auch wenn der Ausbaupfad gigantisch ist, von jetzt acht Gigawatt in sieben Jahren auf 30 Gigawatt, bin ich optimistisch, dass das klappt. Wir wurden personell verstärkt und stellen Leute ein. Der Pfad muss natürlich genehmigungsseitig abgedeckt sein. Es geht ja nicht nur um die Windparks, sondern auch um die Konverter und die Stromleitungen. Das Tolle am Flächenentwicklungsplan ist ja die Synchronisierung von Windpark und Netzanbindung. Das ist Gold wert – ein ganz starker Punkt im deutschen System. Das heißt auch, dass zwischen Ausschreibung und Inbetriebnahme auf den vom BSH voruntersuchten Flächen nur fünf Jahre vergehen.

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    Bis zum Ausbau 2045 wird die Nordsee deutlich anders aussehen. Das muss raum- und naturverträglich passieren. Da geht es um Schutz und Nutzung gleichzeitig

    Helge Heegewaldt

    Ihre Aufgabe ist es ja auch, den Umweltschutz im Auge zu behalten. Klappt das überhaupt bei den Volumina?
    Heegewaldt: Bis zum Ausbau 2045 wird die Nordsee deutlich anders aussehen. Das muss raum- und naturverträglich passieren. Da geht es um Schutz und Nutzung gleichzeitig, dies ist auch das Motto unserer neuen BSH-Strategie.
    Nolte: Auch die Forschung muss weitergehen, gerade in küstenfernen Bereichen, die noch nicht so gut erkundet sind.

    Hat Ihre Behörde denn auch schon mal Technologien oder Bauarbeiten gestoppt?
    Heegewaldt: Wir haben andersherum angefangen und geschaut, was ein größtmöglicher Einfluss ist. Das ist der Rammschall. Es geht ja auch darum, marine Säuger zu schützen.
    Nolte: Wir haben Vorgaben in den Planfeststellungsverfahren angeordnet: Für den Impulsschall gibt es einen Grenzwert von 160 Dezibel in 750 Metern Entfernung. Da sagte uns die Industrie vor zehn Jahren, dass das absolut unmöglich sei. Wir sind aber beim Grenzwert geblieben. Ab 2014 war die Industrie dann mit dem doppelten Blasenschleier in der Lage, diesen Grenzwert einzuhalten. Das meinen wir mit naturverträglichem Ausbau.

    Es heißt, auf dem Grund von Nordsee und Ostsee liege noch tonnenweise Weltkriegsmunition. Ist das so? Und was bedeutet das für Windprojekte?
    Heegewaldt: Es gibt in Nordsee und Ostsee bestimmte Bereiche, in denen sehr viel Altmunition liegt. Dazu gibt es Forschung. Das Thema ist angekommen. Wenn das BSH bei Vermessungsarbeiten Munition findet, leiten wir das weiter zur Bestandserfassung an das maritime Sicherheitszentrum, um die Räumung kümmern wir uns aber nicht. Wenn Unternehmen beim Bau von Windparks auf Altlasten treffen, dann ordnen wir an, das ordnungsgemäß zu entsorgen.

    Sie sind auch für die Verfolgung von Umweltverstößen auf See zuständig. Wie gut benimmt sich die Windkraft da draußen?
    Nolte: Allgemein ist in der Windbranche das Umweltbewusstsein sehr hoch, das begrüßen wir. Wir schauen genau hin. Und das ist auch gut so. Die Branche weiß, dass es Regeln gibt und dass sie sich daran halten muss. Das ist in der Branche angekommen – wie beim Rammschall.
    Heegewaldt: Wir untersuchen beispielsweise, wie das mit dem Korrosionsschutz ist. Die Expertise unseres Meereschemischen Labors ist hier sehr hilfreich.
    Nolte: Das ist ja alles ein sehr dynamischer Prozess. Mit neuen Baustoffen kommen neue Fragestellungen. Umso wichtiger ist es, dass wir vor Ort sind und schauen, was abgegeben wird, um entsprechend zu reagieren und zu informieren. Wir müssen halt immer am Ball bleiben.

    Die Fragen stellte Daniel Hautmann.

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