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Das Atomkraftwerk Grohnde in Niedersachsen wird Ende 2021 stillgelegt. Die übrigen deutschen AKW folgen bis Ende 2022.
Debatte um Renaissance der Atomenergie
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Das Atomkraftwerk Grohnde in Niedersachsen wird Ende 2021 stillgelegt. Die übrigen deutschen AKW folgen bis Ende 2022.
Von Volker Kühn
Gut 35 Jahre nach Tschernobyl und zehn Jahre nach Fukushima feiert die Atomenergie ein glänzendes Comeback. Der Eindruck zumindest drängt sich auf, wenn man Meldungen wie diese aus den vergangenen beiden Jahren liest:
Beschreitet Deutschland mit dem Atomausstieg also einen Sonderweg? War der jahrzehntelange Kampf der Umweltbewegung gegen den Bau von Kernkraftwerken ein Fehler? Wären vielmehr neue Meiler nötig, um die Welt bis 2050 zu dekarbonisieren und damit eine Chance zu haben, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen?
Fragt man Klimaschützer und Energiewissenschaftler, ist die Antwort auf diese Fragen ein klares Nein. Sie führen ein ganzes Bündel von Argumenten gegen eine Renaissance der Kernkraft ins Feld: Sie sei zu teuer, zu ineffizient, zu gefährlich und – gerade in Deutschland – gesellschaftlich nicht akzeptiert. Ganz abgesehen von der noch immer ungeklärten Endlagerfrage.
„Ich wette dagegen“, schrieb denn auch Patrick Graichen, Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende, Ende September auf Twitter mit Blick auf die Atomträume niederländischer Parlamentarier. „Da wird kein einziges AKW gebaut werden.“ Graichens Einsatz: „Ein hoher Betrag oder ein sehr guter Wein.“
Die Entwicklung der Atomenergie in den vergangenen zehn Jahren spricht allerdings auch weniger für eine Renaissance als vielmehr für einen allmählichen Niedergang. Zwar sind laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAE) in China, Russland und Südkorea auch 2019 noch neue Reaktoren ans Netz gegangen; zusammen erzeugen sie mehr als fünf Gigawatt Strom. Zudem treibt vor allem China den Bau zusätzlicher Reaktoren voran.
Agora-Energiewende-Chef Patrick Graichen auf Twitter
Allerdings werden weltweit mehr Reaktoren stillgelegt als neu in Betrieb genommen. 2019 war für neun Reaktoren mit zusammen mehr als sieben Gigawatt Schluss. Der Anteil von Atomenergie im globalen Strommix, der 1996 noch bei fast 20 Prozent lag, beträgt aktuell nur noch rund zehn Prozent.
Noch deutlicher zeigt sich die schwindende Bedeutung der Atomkraft im Boom der erneuerbaren Energien. Während die Kapazität der weltweiten Atomkraftwerke im vergangenen Jahr um zwei Gigawatt sank, wurden laut dem World Nuclear Industry Status Report im selben Zeitraum Ökostromkraftwerke mit zusammen 184 Gigawatt neu errichtet und in Betrieb genommen.
Infografik: Andreas Mohrmann
Die Ökostromproduktion ist stark gewachsen, die Atomenergie hat kaum zugelegt. In vielen Jahren erzeugten die weltweiten Reaktoren sogar weniger Strom als noch 2009.
Der Grund für den Niedergang der Kernkraft sind vor allem ihre horrenden Kosten. Bauprojekte wie in Finnland, Großbritannien und Frankreich verzögern sich zum Teil um Jahrzehnte und verschlingen Milliarden. Ohne erhebliche staatliche Subventionen wären sie undenkbar. Doch während die Kosten für Atomkraftwerke explodieren, wird Ökostrom von Jahr zu Jahr billiger. Auch die massiv gesunkenen Erdgaspreise drängen die Atomenergie aus dem Markt. Selbst China investiert deshalb längst weitaus stärker in andere Energieträger.
Und auch das Klimaargument zieht aus Sicht des Atomexperten Mycle Schneider nicht. Beim Klimaschutz gehe es um die Frage, wie man so schnell und günstig wie möglich den Ausstoß von CO2 verringern kann, erklärte Schneider der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Es ist daher bedeutungslos, wenn ein sehr teures Atomkraftwerk in 20 Jahren CO2-Ausstoß vermeidet. Wir können die Treibhausgasemissionen viel schneller und billiger reduzieren“, sagte Schneider, der auch den World Nuclear Industry Status Report herausgibt.
Zudem passen behäbige Atomkraftwerke nicht in eine zunehmend dynamische Energiewelt, die von Wind- und Solarparks mit schwankender Stromerzeugung bestimmt wird. Um sich zu refinanzieren, müssen Atomkraftwerke möglichst durchgehend laufen – sie können in Zeiten mit ausreichender Ökostromproduktion nicht ohne Weiteres abgeschaltet werden, um die Netze vor einer Überlastung zu schützen. Flexible Gaskraftwerke sind wesentlich besser dazu in der Lage. Und sie können überdies auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden.
RWE-Chef Rolf Martin Schmitz im Interview mit „Tagesspiegel Background“
Während Teile der deutschen Politik noch immer von einer Renaissance der Atomenergie sprechen, haben sich die Betreiber längst davon verabschiedet. „Der Kernenergieausstieg ist durch. Unsere Kernkraftwerke schließen. Wir haben da keinerlei Ambitionen mehr“, sagte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz kürzlich im Interview mit „Tagesspiegel Background“.
Wenn die Atomenergie jenseits teurer nationaler Prestigeprojekten langfristig überhaupt eine Chance hat, dann wohl am ehesten in Form sogenannter Small Modular Reactors (SMR). Sie spielen auch in den Klimaplänen von Joe Biden eine Rolle, wenn auch untergeordnete. An solchen SMR arbeiten Unternehmen unter anderem in den USA und Großbritannien, zum Teil mit Unterstützung potenter Geldgeber wie Microsoft-Gründer Bill Gates.
Diese neue Generation von kleinen Reaktoren soll sich grundlegend von den Großkraftwerken bisheriger Bauart unterscheiden. Ihre Kapazität liegt nicht im Gigawattbereich, sondern auf dem Niveau von Windparks, zum Teil sogar auf dem einzelner Windräder. Die Ingenieure wollen damit eines der größten Probleme der Atomenergie gelöst haben: die Sicherheitsfrage. Katastrophen wie in Tschernobyl oder Fukushima, versprechen die Unternehmen, seien mit den Zwergreaktoren unmöglich.
Ob sie gegen die Riesen auf dem Energiemarkt eine Chance haben, ist dennoch fraglich. Das sind inzwischen die Erneuerbaren.