Rückbau und Recycling

  • Search03.08.2025

Neue Ideen für alte Windräder

Die ersten deutschen Offshore-Windräder nähern sich dem Ende ihrer Lebenszeit. Stahl, Beton und Metall lassen sich gut recyceln. Die Rotorblätter dagegen sind eine Herausforderung. Doch es gibt neue Konzepte.

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    Rotorblatt-Verschiffung: Ein großer Teil der deutschen Windräder wird in den kommenden Jahren zurückgebaut. Damit stellt sich die Frage nach dem Recycling.

    Verschiffung von Rotorblättern: Tausende alte Windräder werden in den kommenden Jahren abgebaut.

     

    Von Julia Graven

    Es begann als Beitrag zur Energiewende und endete in einem Skandal in Tschechien: Anfang 2024 tauchten Hunderte Tonnen Müll aus Deutschland illegal auf mehreren Mülldeponien des Landes auf. Die Anwohner waren entsetzt, was da gelandet war. Laut tschechischem Umweltministerium waren unter den Hunderten Tonnen Fahrzeugbatterien, Flugzeugteile, Metalle – und zerlegte Rotorblätter. Deklariert war der Müll als harmloser Kunststoff.

    Nun geht es nicht nur um die Bestrafung der Verantwortlichen, sondern um eine zentrale Frage der Erneuerbaren: Wohin mit dem wachsenden Altbestand aus der Windkraft? Der Skandal wirft ein Licht auf ein Problem der Energiewende: das Recycling von Anlagen, die das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben.

    Tausende Windräder erreichen ihr Betriebsende: Ein Rückbau-Boom steht an

    Aktuell drehen sich rund 1600 Offshore-Windräder in Deutschland und knapp 29.000 Anlagen an Land. Sie liefern etwa ein Drittel des inländisch erzeugten Stroms. Doch ein Drittel der Windräder ist seit mindestens 20 Jahren in Betrieb; zusammen kommen diese alten, vergleichsweise schwachen Anlagen auf gut ein Fünftel der installierten Leistung. Nach rund 30 Jahren haben die meisten Anlagen ausgedient.

    Alter der deutschen Windräder an Land: Rund ein Drittel der Anlagen ist bereits seit mehr als 20 Jahren in Betrieb. Infografik: Benedikt Grotjahn

    2024 gingen 635 Onshore-Anlagen und 73 Offshore-Windräder ans Netz. Gleichzeitig steigt die Zahl der stillgelegten Anlagen. Der Rückbau nimmt Fahrt auf.

    Die gute Nachricht: Mehr als 90 Prozent der Masse eines Windrades sind problemlos recycelbar: Stahl oder Beton aus Fundament und Turm, Metalle, Aluminium oder Kupferkabel sind für die Recyclingbranche etablierte Wertstoffe. Ihre Wiederverwertung spart Primärrohstoffe. Auch bei den Permanentmagneten mit ihrem hohen Anteil an kritischen Rohstoffen, die in vielen neueren Anlagen verbaut sind, zeichnen sich in der EU für die Zukunft Recycling-Lösungen ab. Das spart im Vergleich zur Neuproduktion Ressourcen und Energie.

    Der Großteil ist leicht zu recyceln. Problematisch sind die Rotorblätter

    Anders sieht es bei den Rotorblättern aus. Sie machen nur zwei bis drei Prozent des Gesamtgewichts aus, bereiten bei der Entsorgung aber die schwerwiegendsten Probleme – ökologisch und wirtschaftlich. Einmal ausgehärtet, lässt sich der bunte Mix aus Harzen, Fasern, Holz, Schaum und Metallen kaum noch trennen. Das Umweltbundesamt warnte bereits 2022: Bis 2040 könnten sich bis zu 640.000 Tonnen Rotorblatt-Abfall ansammeln.

    Abmontiertes Rotorblatt eines alten Windrads: Während sich der Großteil der Turbinen problemlos recyceln lässt, bereiten die Flügel Probleme.

    Abmontiertes Rotorblatt: Während sich der Großteil der Turbinen problemlos recyceln lässt, bereiten die Flügel Probleme.

    Wie lassen sich die riesigen Rotorblätter verwerten? Die einfachste Lösung wäre ein zweiter Einsatz: Gebrauchte Windräder werden in Deutschland ab- und in anderen Ländern wiederaufgebaut. Das ist allerdings eher selten der Fall. Die Mülldeponie ist kein gutes Endlager für Rotorblätter. Wenn die Verbundstoffe sich zersetzen, kann das Boden und Luft verseuchen.

    Zementwerke kämen als Abnehmer infrage. Doch die Preise sind zu hoch

    Eine scheinbar ideale Lösung für die alten Rotorblätter aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) hatte vor einigen Jahren die Firma Neocomp gefunden. Sie schredderte das Kompositmaterial und schickte es dann an ein Zementwerk. Der Harzanteil lieferte dem Prozess die Energie, die Glasfasern als Zuschlagstoff den Quarzsand.

    Für viele Experten war das die aktuell beste Praxis für die GFK-Abfälle. Doch seit 2023 stehen die Schredder in der Nähe von Bremen still. Was ist passiert? Gestiegene Energiepreise und zu geringe Rotorblatt-Abfälle am Markt machten das Modell unrentabel, so Sven Rausch vom Mutterunternehmen Nehlsen gegenüber „Tagesspiegel Background“.

    Carbonfasern sind extrem beständig – und damit nichts für die Müllverbrennung

    Für die neueren CFK-Rotorblätter aus carbonfaserverstärktem Kunststoff sieht es noch schwieriger aus. In der Abfallverbrennungsanlage hat der Wunderwerkstoff nichts verloren. „Er ist so beständig, dass er sogar die Müllverbrennung übersteht. Wenn feine Carbonfasern frei werden, können sie zudem in den Filtern der Abgasreinigung einen Kurzschluss auslösen und die Anlage beschädigen“, sagt Dieter Stapf vom Karlsruher Institut für Technologie KIT gegenüber EnergieWinde.

    Neue Ideen für ausgediente Rotorblätter: Pyrolyse und Recyclingstahl

    Der Forscher arbeitet daher an neuen Verwertungswegen für die Carbonfaser-Abfälle, die nicht mehr recycelbar sind: Eine Idee für die Zukunft könnte es sein, die kohlenstoffhaltigen Abfälle beim Recycling von Stahl zu verwenden, wo man Kohlenstoff benötigt und die Carbonfasern vollständig abgebaut werden können.

    Auch beim Recycling gibt es neue, ungefährliche Ideen: Das Fraunhofer Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV in Augsburg arbeitet an einem Pyrolyseverfahren für geschreddertes CFK. Unter Ausschluss von Sauerstoff werden die Fasern vom Kunststoff getrennt. Die recycelte Carbonfaser verarbeiten die Forscher zu einem Vlies. „In einem neuen Rotorblatt oder in der tragenden Struktur eines Flugzeuges wird man das recycelte Material nicht finden“, erklärt IGCV-Forscher Fabian Rechsteiner. Für Autoteile, Fahrradrahmen oder Tennisschläger wäre es aber bestens geeignet.

    Die nächste Generation: Von Anfang an kreislauffähig

    Die Hersteller denken nun von Anfang an ans Recycling: Siemens Gamesa setzt auf Harze, die sich chemisch mit einer milden Säure trennen lassen. Die recycelbaren Rotorblätter drehen sich schon in einigen größeren Windparks. Unternehmenssprecher Marco Lange von Siemens Gamesa sagt gegenüber EnergieWinde: „Die RecyclableBlades sind noch etwas teurer, aber grundsätzlich wettbewerbsfähig. Denn wir sehen, dass die Materialverwertung am Ende des Lebenszyklus die zusätzlichen Kosten ausgleichen kann.“

    Für die Kreislaufwirtschaft gemacht: Im britischen Hull fertigt Siemens Gamesa Rototblätter, die sich leichter in ihre Einzelteile zerlegen lassen.

    Für die Kreislaufwirtschaft gemacht: Im britischen Hull fertigt Siemens Gamesa Rotorblätter, die sich leichter in ihre Einzelteile zerlegen lassen.

    Auch der dänische Turbinenhersteller Vestas arbeitet im Rahmen der CETEC-Initiative am chemischen Recycling von Rotorblättern, bei dem am Ende Epoxidharz für neue Rotorblätter herauskommen soll.

    Die großen Hersteller haben ambitionierte Ziele verkündet. Der Windradhersteller Nordex will bis 2032 vollständig recycelbare Rotorblätter herstellen. Vestas und Siemens Gamesa wollen 2040 Zero-Waste-Windanlagen verkaufen. Doch die Nachfrage ist verhalten. Betreiber sind noch skeptisch, ob die Qualität des Recyclingmaterials mit dem bewährten Material mithält. Und: Diese Lösungen helfen nicht beim Altbestand.

    Zweites Leben für GFK: von der Terrasse bis zur Lärmschutzwand

    Zum Glück gibt es findige Pioniere. Der Ingenieur Holger Sasse verarbeitet in Sachsen-Anhalt GFK aus alten Rotorblättern zu Terrassendielen. In Dänemark entstehen aus zerkleinerten Rotorblättern Fassadenplatten. Auch als Lärmschutzwände an Zugstrecken oder Autobahnen sind die alten Rotorblätter im Gespräch. Der Abfallmanagement-Experte Detlef Spuziak-Salzenberg vom Institut für Energie und Kreislaufwirtschaft an der Hochschule Bremen denkt, „dass mittels mechanischer Zerkleinerung der GFK-Komponenten und der Produktion sogenannter Mineral-Plastic-Compounds größere Mengen den Weg in die stoffliche Verwertung finden können.“

    Für den Rückbau von Windenergieanlagen an Land gibt es erste Standards. Die Industrievereinigung RDRWind will diese bis Anfang 2026 in eine DIN-Norm überführen, die alle Komponenten einer Windenergieanlage betrifft. Spuziak-Salzenberg sagt: „Diese DIN könnte ebenso für die an Land gebrachten Anlagenteile der zurückgebauten Offshore-Windräder gelten.“

    2030 gehen erste Offshore-Turbinen in Rente. Ein Konzept dazu entsteht gerade

    In fünf Jahren geht das Testfeld Alpha Ventus vom Netz, der erste deutsche Offshore-Windpark. Die zwölf Anlagen vor Borkum versorgen seit 2010 rund 55.000 Haushalte jährlich mit Strom. Jetzt sollen sie auch bei der Demontage Pionierarbeit leisten: Ein Konzept für den umweltverträglichen Rückbau der Anlagen und des Umspannwerks entsteht gerade, in enger Abstimmung mit dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Neben dem Schutz der Meeresumwelt hat auch das Recycling der Komponenten hohe Priorität. Das soll Standards für künftige Offshore-Rückbauten setzen.

    Pionierprojekt Alpha Ventus: Die zwölf Windräder des Testfelds gingen 2010 als erster deutscher Offshore-Windpark in Betrieb. Jetzt sollen sie Pionierarbeit beim Rückbau liefern.

    Pionierprojekt Alpha Ventus: Die zwölf Windräder des Testfelds sollen Erkenntnisse für den Rückbau von Offshore-Windparks liefern.

    Den ersten Rückbau-Boom von Windparks auf hoher See erwartet Detlef Spuziak-Salzenberg dann zwischen 2032 und 2035. Was noch fehle, sei eine dafür ausgestattete Hafenfläche. Der Abfall-Experte plädiert für europäische Lösungen: „Alle diese Stoffströme von Stahl, Aluminium, Kupfer und seltene Erden aus Permanentmagneten sind viel zu wichtig für die Kreislaufwirtschaft in Deutschland und Europa, als dass die abgebauten Anlagen den Weg in außereuropäische Länder wie die Türkei, Amerika oder nach Asien finden sollten.“

    Anzahl der Windräder in Deutschland: Insgesamt drehen sich rund 30.500 Turbinen on- und offshore. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Eines ist klar: Die Deponierung von glas- und carbonfaserverstärkten Kunststoffen ist in Deutschland keine Option. Sie ist seit 2005 verboten. Ein EU-weites Verbot für die Deponierung von Rotorblättern ist in Brüssel in der Planung. Es könnte im kommenden Jahr kommen.

    Der BWE fordert zusätzlich ein Exportverbot für gebrauchte Rotorblätter, wenn diese nicht nachgewiesenermaßen einen zweiten Einsatz am Windrad bekommen. Das soll Müllskandale wie in Tschechien verhindern.

    Die Lehre aus dem Skandal in Tschechien: Es braucht geschlossene Kreisläufe

    Die illegal abgeladenen Abfälle sollen nach Deutschland zurückkommen. Das Entsorgungsunternehmen aus Weiden in der Oberpfalz hat zwar Insolvenz angemeldet. Aber die Regierung der Oberpfalz hat die Abfälle Mitte Juni vor Ort untersucht und will sie zurückführen. „Aktuell steht noch kein Rückholdatum fest“, erklärt Pressesprecherin Kathrin Kammermeier gegenüber EnergieWinde. Wann und wie die Rotorreste entsorgt werden, ist offen. Eines hat der Skandal aber gezeigt: Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist dringend nötig.

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