Michael Braungart über Kreislaufwirtschaft

  • Search30.07.2024

„Wir machen es perfekt falsch“

Produkte, die Abfall erzeugen, sind schlecht designt, sagt Michael Braungart. Hartnäckig und mit viel Witz kämpft der „Cradle to Cradle“-Pionier dafür, dass die Kreislaufwirtschaft in Unternehmen zum Standard wird.

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    Michael Braungart, 66 hat in den Neunzigern zusammen mit dem amerikanischen Architekten William McDonough das Konzept der Kreislaufwirtschaft geprägt. Er ist Gründer der Beratungsfirma EPEA und Professor für Öko-Design an der Leuphana-Universität.

     

    Wenn die Welt klimaneutral wird, ist noch nichts gewonnen, sagt der Verfahrenstechniker und Chemiker Michael Braungart. Denn der Mensch hat den Planeten bereits so stark geschädigt, dass er ihm etwas zurückgeben muss – durch Geschäftsmodelle und Wirtschaftsformen, die der Umwelt nutzen und klimapositiv wirken. Mit seiner „Cradle to Cradle“-Philosophie ist Braungart ein Pionier der Kreislaufwirtschaft. Im Interview erklärt er, wie der Weg aus der Wegwerfgesellschaft gelingt – und warum der Gelbe Sack bestenfalls zur Rettung verfahrener Ehen taugt.

    Herr Braungart, beim Stichwort Kreislaufwirtschaft dürften viele zuerst an das duale System und den Gelben Sack denken. Sie sind kein Freund davon. Warum?
    Michael Braungart: Weil seit der Einführung des Gelben Sacks nichts besser geworden ist, im Gegenteil: Die Verpackungsmenge hat sich verdoppelt und der Müll, von dem wir glauben, er würde recycelt, landet schiffscontainerweise in Asien. Außerdem bremst das System Innovationen: Firmen, die Verpackungen ohne Giftstoffe entwickeln, zahlen für die Entsorgung genauso viel, wie wenn sie weiterhin PVC verwenden würden. Obwohl – ein Gutes hatte der Gelbe Sack vielleicht doch.

    Und zwar?
    Braungart: Er dürfte Zehntausende Ehen gerettet haben. Paare, die sich nichts mehr zu sagen hatten, hatten plötzlich wieder ein Thema: Muss ich den Deckel vom Joghurtbecher ablecken, bevor ich ihn in den Gelben Sack werfe?

    Prof. Dr. Michael Braungart, 66, hat in den Neunzigern zusammen mit dem amerikanischen Architekten William McDonough das Konzept der Kreislaufwirtschaft geprägt. Er ist Gründer der Beratungsfirma EPEA und Professor für Öko-Design an der Leuphana-Universität in Lüneburg.

    Foto: Picture-Alliance/dpa

    Warum werden nicht mehr Verpackungen recycelt?
    Braungart: Weil es technisch teils gar nicht oder nur zu horrenden Kosten möglich ist. Verpackungen bestehen oft aus einem praktisch untrennbaren Mix aus zig verschiedenen Kunststoffen. Die DDR war in der Hinsicht weiter als wir. Dort war nur ein einziger Kunststoff im Umlauf, das Polypropylen. Das war zwar der schlechten wirtschaftlichen Lage geschuldet, aber für das Recycling war das wunderbar. Im Einigungsvertrag stand, dass wir das Sekundärrohstoffsystem der DDR übernehmen würden. Haben wir dummerweise nicht gemacht.

    Sind Mehrwegverpackungen besser, PET-Flaschen zum Beispiel?
    Braungart: Jedenfalls nicht so, wie es bei uns gehandhabt wird. Wir haben Cola-Flaschen gefunden, die 80-mal mehr giftiges Schwermetall enthielten, als im Trinkwasser zulässig wäre. PET-Flaschen müssen gereinigt werden, bevor sie wieder in den Umlauf gehen. Dabei werden sie zerkratzt und setzen Giftstoffe frei. Zudem braucht man Pestizide im Reinigungsprozess, die sich anschließend oft auch in den Flaschen wiederfinden.

    Wie müsste man es stattdessen machen?
    Braungart: Man könnte PET biologisch abbaubar produzieren. Nach der Verwendung als Trinkflasche oder als Verpackung für alle möglichen Lebensmittel könnte man andere Dinge aus dem Material produzieren, Textilien zum Beispiel. Ganz zum Schluss würde sich das Material einfach auflösen. Doch stattdessen arbeiten viele Unternehmen lediglich daran, den Recyclinganteil ihrer Verpackungen um ein paar Prozent zu erhöhen. Was für ein Unsinn! Wir perfektionieren das Falsche und machen es damit perfekt falsch. Die Kosten dafür tragen andere.

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    Wie kann es sein, dass Schuhhersteller Sohlen in Umlauf bringen, deren Abrieb wir dann einatmen, der durch unser Blut zirkuliert und sich in unseren Zellen wiederfindet?

    Michael Braungart

    Was meinen Sie damit?
    Braungart: Ein Beispiel: Wir wissen, dass Schuhsohlen Abrieb verursachen. Das klingt vielleicht harmlos, aber dadurch gelangen große Mengen Mikroplastik in die Umwelt. Allein in der Nordsee stammt schätzungsweise ein Drittel des Mikroplastiks aus der Textilindustrie, mit entsprechend gravierenden Folgen für Gesundheit und Umwelt. Wie kann es sein, dass Schuhhersteller Sohlen in Umlauf bringen, deren Abrieb wir dann einatmen, der durch unser Blut zirkuliert und sich in unseren Zellen wiederfindet? Man weiß inzwischen, dass winzigste Plastikpartikel im Körper das Verhalten von Tieren verändern können. Wir können nur hoffen, dass uns unsere größere Gehirnmasse vor solchen Folgen schützt.

    Schaubild der Abfallhierarchie: Vermeiden, wiederverwenden, recyceln, energetisch verwerten, deponieren. Infografik: EnergieWinde/Benedikt Grotjhan

    Ihre Kritik am bisherigen System ist sehr grundsätzlich. Haben Sie ein Gegenmodell?
    Braungart: Wir sind längst über den Punkt hinaus, an dem es reichen würde, die schlechten Dinge nur etwas weniger schlecht zu machen. Wir müssen Dinge und Prozesse entwickeln, die dem Planeten nützen, statt ihm nur etwas weniger zu schaden. Das ist nicht nur aus ökologischer Sicht notwendig, sondern auch aus ökonomischer. Wir brauchen einen echten Bewusstseinswandel.

    Wie könnte der aussehen?
    Braungart: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Niemand braucht eine Waschmaschine. Was wir eigentlich brauchen, ist saubere Wäsche. Trotzdem verkaufen die Hersteller den Leuten Waschmaschinen. Würden Sie Ihnen stattdessen die Nutzungsrechte daran überlassen und die Geräte später wieder zurücknehmen, blieben die Hersteller im Besitz der Materialien. Das würde es ihnen erlauben, teurere, aber höherwertige Materialien zu verwenden, mit denen die Geräte besonders gut und haltbar wären, sodass die Unternehmen lange Zeit Einnahmen daraus erzielen würden. Stattdessen gehen die Hersteller im Wettbewerb mit asiatischen Konkurrenten in die Knie, weil die billiger produzieren und Geräte in den Umlauf bringen, die entsprechend früher den Geist aufgeben. Wir müssten viel mehr in Dienstleistungen denken.

    Erkennen Sie Ansätze, dass sich diese Sichtweise durchsetzt?
    Braungart: Definitiv! Was mir Hoffnung macht, ist die junge Generation, die in den Familienunternehmen jetzt das Ruder übernimmt. Ich glaube, dass es vielen ein echtes Anliegen ist, sinnvolle Dinge zu erschaffen.

    Die Fragen stellte Volker Kühn.

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