Walskulptur aus Plastikmüll in Brügge: Die Kreislaufwirtschaft soll das Abfallproblem lindern und die Ressourcenversorgung verbessern.
Von Julia Graven
Die innerfamiliäre Messlatte liegt hoch für Nora Sophie Griefahn. Ihre Mutter Monika Griefahn hat Greenpeace in Deutschland mitgegründet, später war sie niedersächsische Umweltministerin. Ihr Vater, der Chemiker Michael Braungart, gilt als Erfinder der Idee einer abfallfreien Welt. 2003 brachte Braungart das Konzept der Kreislaufwirtschaft mit dem visionären Buch „Cradle to Cradle“ zu Papier (deutscher Titel: „Einfach intelligent produzieren“). Angelehnt an Kreisläufe in der Natur wollte er beweisen, dass die Produkte von heute der Rohstoff der Zukunft sind. Er schlug zum Beispiel vollständig abbaubare Eisverpackungen vor, aus denen Blumenwiesen wachsen, wenn das Eispapier mit eingebauten Samen auf der Erde landet. Zu schön, um wahr zu sein?
Mit der NGO Cradle to Cradle, die sie schon während des Studiums mitgegründet hat, hat Nora Sophie Griefahn das grüne Erbe ihrer Eltern angetreten. Mit Workshops, Tagungen und Projekten will sie die C2C-Idee vorantreiben. Zum Beispiel hat sie 2022 bei drei Konzerten der Bands Die Ärzte und Die Toten Hosen auf dem Flughafen Tempelhof demonstriert, wie das Umdenken in der Praxis funktionieren könnte – etwa mit kompostierbaren Fanshirts und Humustoiletten. Nora Sophie Griefahn sagt: „Wir müssen an allen Ecken und Enden ansetzen und Begriffe wie Wertschöpfung neu definieren: Echte Wertschöpfung haben wir doch erst erreicht, wenn ein Produkt oder ein Prozess positive Auswirkungen für alle hat.“
Die Kreislaufwirtschaft schafft Jobs und Einnahmen. Trotzdem stagniert die Idee
Das Konzept der technischen und biologischen Kreisläufe hat mittlerweile viele Unterstützer. Zum Beispiel den Bundesverband der Deutschen Industrie, der grüner Träumereien nicht unbedingt verdächtig ist. Laut einer BDI-Studie von 2021 könnte Kreislaufwirtschaft in Deutschland 177.000 neue Arbeitsplätze schaffen und eine zusätzliche Bruttowertschöpfung von zwölf Milliarden Euro bis 2030 generieren.
Das Problem ist nur: Es geht nicht vorwärts mit der Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch. Der „Circularity Gap Report 2024“ bringt es auf den Punkt: Kreislaufwirtschaft ist zwar in aller Munde, aber der zirkuläre Anteil an der Weltwirtschaft steigt nicht. Im Gegenteil, er ist seit einigen Jahren sogar rückläufig. Wirtschaft funktioniert nach wie vor linear: Sie verbraucht Ressourcen, wie ein ineffizienter Verbrenner. UN-Ökonom Steven Stone bringt es auf den Punkt: „Wir verbrennen unsere Ökosysteme.“
Puma verkauft kompostierbare Schuhe – 500 Paar im Jahr
Pioniere, die den Ressourcenverbrauch bremsen wollen, haben es nach wie vor schwer. Start-ups wie der Modeverleih Re-nt oder die Läden für gerettete Lebensmittel von Sirplus haben wieder aufgegeben. Der Sneaker-Hersteller On will den Kreislauf aktuell mit einem Abo für einen recycelbaren Laufschuh etablieren. Doch das Angebot beschränkt sich vorerst auf ein einziges Modell. Und Puma verkauft gerade mal 500 Paar Turnschuhe, die das Unternehmen kompostieren will, wenn die Käufer sie zurückschicken.
Vaude bietet online Zelte und Fahrradtaschen zur Miete oder Jacken aus zweiter Hand an. Der Outdoorhersteller hat auch T-Shirts oder Schlafsäcke im Sortiment, die so entworfen wurden, dass sich ihre Bestandteile leicht wiederverwenden lassen. Aber weil es kein Rücknahmesystem für Textilien gibt, darf Vaude auch nicht mit deren Kreislauffähigkeit werben. Unternehmenssprecher Benedikt Tröster berichtet EnergieWinde, dass das Unternehmen schon in den Neunzigern ein Recyclingsystem für Textilien hatte. Das wurde mangels Rücklauf eingestellt. Nun hofft man bei Vaude, dass der Green Deal der EU das Thema voranbringt.