Circular Economy

  • Search05.05.2024

Sprung in die Kreislaufwirtschaft

Die Kreislaufwirtschaft verspricht ein gewaltiges Potenzial für den Klimaschutz, mit mehr Wachstum und weniger CO2. Trotzdem stockt die Umsetzung. Wir fragen nach, was sich ändern müsste.

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    Die Idee der Kreislaufwirtschaft ist bestechend: Sie reduziert die Abfallmenge und erschließt neue Rohstoffquellen. Im Bild: Walskulptur aus Plastikmüll in Brügge.

    Walskulptur aus Plastikmüll in Brügge: Die Kreislaufwirtschaft soll das Abfallproblem lindern und die Ressourcenversorgung verbessern.

     

    Von Julia Graven

    Die innerfamiliäre Messlatte liegt hoch für Nora Sophie Griefahn. Ihre Mutter Monika Griefahn hat Greenpeace in Deutschland mitgegründet, später war sie niedersächsische Umweltministerin. Ihr Vater, der Chemiker Michael Braungart, gilt als Erfinder der Idee einer abfallfreien Welt. 2003 brachte Braungart das Konzept der Kreislaufwirtschaft mit dem visionären Buch „Cradle to Cradle“ zu Papier (deutscher Titel: „Einfach intelligent produzieren“). Angelehnt an Kreisläufe in der Natur wollte er beweisen, dass die Produkte von heute der Rohstoff der Zukunft sind. Er schlug zum Beispiel vollständig abbaubare Eisverpackungen vor, aus denen Blumenwiesen wachsen, wenn das Eispapier mit eingebauten Samen auf der Erde landet. Zu schön, um wahr zu sein?

    Mit der NGO Cradle to Cradle, die sie schon während des Studiums mitgegründet hat, hat Nora Sophie Griefahn das grüne Erbe ihrer Eltern angetreten. Mit Workshops, Tagungen und Projekten will sie die C2C-Idee vorantreiben. Zum Beispiel hat sie 2022 bei drei Konzerten der Bands Die Ärzte und Die Toten Hosen auf dem Flughafen Tempelhof demonstriert, wie das Umdenken in der Praxis funktionieren könnte – etwa mit kompostierbaren Fanshirts und Humustoiletten. Nora Sophie Griefahn sagt: „Wir müssen an allen Ecken und Enden ansetzen und Begriffe wie Wertschöpfung neu definieren: Echte Wertschöpfung haben wir doch erst erreicht, wenn ein Produkt oder ein Prozess positive Auswirkungen für alle hat.“

    Die Kreislaufwirtschaft schafft Jobs und Einnahmen. Trotzdem stagniert die Idee

    Das Konzept der technischen und biologischen Kreisläufe hat mittlerweile viele Unterstützer. Zum Beispiel den Bundesverband der Deutschen Industrie, der grüner Träumereien nicht unbedingt verdächtig ist. Laut einer BDI-Studie von 2021 könnte Kreislaufwirtschaft in Deutschland 177.000 neue Arbeitsplätze schaffen und eine zusätzliche Bruttowertschöpfung von zwölf Milliarden Euro bis 2030 generieren.

    Das Problem ist nur: Es geht nicht vorwärts mit der Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch. Der „Circularity Gap Report 2024“ bringt es auf den Punkt: Kreislaufwirtschaft ist zwar in aller Munde, aber der zirkuläre Anteil an der Weltwirtschaft steigt nicht. Im Gegenteil, er ist seit einigen Jahren sogar rückläufig. Wirtschaft funktioniert nach wie vor linear: Sie verbraucht Ressourcen, wie ein ineffizienter Verbrenner. UN-Ökonom Steven Stone bringt es auf den Punkt: „Wir verbrennen unsere Ökosysteme.“

    Puma verkauft kompostierbare Schuhe – 500 Paar im Jahr

    Pioniere, die den Ressourcenverbrauch bremsen wollen, haben es nach wie vor schwer. Start-ups wie der Modeverleih Re-nt oder die Läden für gerettete Lebensmittel von Sirplus haben wieder aufgegeben. Der Sneaker-Hersteller On will den Kreislauf aktuell mit einem Abo für einen recycelbaren Laufschuh etablieren. Doch das Angebot beschränkt sich vorerst auf ein einziges Modell. Und Puma verkauft gerade mal 500 Paar Turnschuhe, die das Unternehmen kompostieren will, wenn die Käufer sie zurückschicken.

    Vaude bietet online Zelte und Fahrradtaschen zur Miete oder Jacken aus zweiter Hand an. Der Outdoorhersteller hat auch T-Shirts oder Schlafsäcke im Sortiment, die so entworfen wurden, dass sich ihre Bestandteile leicht wiederverwenden lassen. Aber weil es kein Rücknahmesystem für Textilien gibt, darf Vaude auch nicht mit deren Kreislauffähigkeit werben. Unternehmenssprecher Benedikt Tröster berichtet EnergieWinde, dass das Unternehmen schon in den Neunzigern ein Recyclingsystem für Textilien hatte. Das wurde mangels Rücklauf eingestellt. Nun hofft man bei Vaude, dass der Green Deal der EU das Thema voranbringt.

    Eine Schildkröte kriecht über einen von Plastikmüll übersäten Strand auf Hawaii: Praktisch keine Region der Welt ist frei von menschlichem Abfall.

    Eine Schildkröte kriecht über einen von Plastikmüll übersäten Strand auf Hawaii: Praktisch keine Region der Welt ist frei von menschlichem Abfall.

    Experten und Politiker sind vom gewaltigen Potenzial der Kreislaufwirtschaft für den Klima- und den Naturschutz überzeugt. Schließlich entstehen mehr als 55 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen laut gerade veröffentlichtem „Global Resources Outlook“ der Vereinten Nationen durch die Gewinnung und Verarbeitung von natürlichen Ressourcen. Für Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe sind die Pariser Klimaziele daher auch ohne den konsequenten Umbau hin zu einer maximal ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft unerreichbar. „Ressourcenschutz ist Klimaschutz“, sagt der Fachmann für Kreislaufwirtschaft gegenüber EnergieWinde.

    Schon die Energiewende ist komplex – und die Kreislaufwirtschaft umso mehr

    Doch wie gelingt der? Im Sommer letzten Jahres trafen sich Branchenexperten, Industrievertreter und Wirtschaftsforscher auf einer Konferenz des BDI und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Am Ende waren sie sich einig: Im Vergleich mit der Energiewende wird die Umsetzung der Circular Economy schwieriger werden. „Es gibt bei diesem hochkomplexen Thema keine einfachen Antworten“, sagt Rebecca Tauer, Circular-Economy-Expertin des WWF, im Interview mit EnergieWinde.

    Mit einer Verpackungssteuer will die Stadt Tübingen das Müllaufkommen reduzieren und die Kreislaufwirtschaft fördern. Ob die Steuer zulässig ist, muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

    Mit einer Verpackungssteuer will die Stadt Tübingen das Müllaufkommen reduzieren und die Kreislaufwirtschaft fördern. Ob die Steuer zulässig ist, muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

    Klar ist für Tauer aber, dass die Politik ambitionierte Vorgaben machen muss. Auch DUH-Experte Fischer sagt nach 17 Jahren politischer Beschäftigung mit dem Thema: „Freiwillige Initiativen bringen nichts.“ Er denkt eher an Verbote für bestimmte „schwachsinnige Produkte“ wie Einweg-E-Zigaretten, verbindliche Reduktionsziele für Abfall, konkrete Einsatzquoten für Recyclingmaterial oder eine Einwegsteuer. Die Verpackungssteuer der Stadt Tübingen, die zum Beispiel für jeden Kaffeebecher 50 Cent kassiert, ist für Fischer etwas, an dem sich alle deutschen Kommunen ein Vorbild nehmen sollten.

    Erst vermeiden – dann wiederverwenden, recyceln, verwerten oder deponieren

    Eine fünfstufige Abfallhierarchie ist in Deutschland schon seit Jahren im Kreislaufwirtschaftsgesetz festgeschrieben: Vermeiden geht vor Wiederverwenden, dann erst kommen Recycling, die energetische Verwertung zum Beispiel bei der Müllverbrennung und zuletzt die Beseitigung auf Deponien. Nur hat der Passus im Alltag kaum Relevanz.

    Schaubild der Abfallhierarchie: Vermeiden, wiederverwenden, recyceln, energetisch verwerten, deponieren. Infografik: EnergieWinde/Benedikt Grotjhan

    In der EU habe sich dagegen mit dem Green Deal schon viel getan, sagt Rebecca Tauer vom WWF. 2020 hat die Kommission zum Beispiel den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft verabschiedet, der den Rahmen für ein „Modell des regenerativen Wachstums“ liefert. Vom Produktdesign bis zum Recycling sollen Elektronik, Fahrzeuge, Verpackungen, Textilien, Gebäude und Lebensmittel kreislauffähig werden.

    Einige Länder preschen vor – Frankreich etwa im Modesektor

    Einige Mitgliedsstaaten sind auch bei der Umsetzung in nationales Recht schon vorangekommen. Österreich etwa hat absolute Ziele für den Verbrauch von Ressourcen, in Frankreich dürfen unverkaufte Textilien seit 2022 nicht vernichtet werden und die Niederlande sind Vorreiter beim zirkulären Bauen mit Recyclingmaterial. Die Gebäude haben digitale Gebäudepässe, die genau festhalten, welche wiederverwendbaren Rohstoffe wo verbaut sind.

    Und C2C-Aktivistin Griefahn fragt: Warum gibt es eigentlich bei öffentlichen Bauten in Deutschland noch keine Vorgaben, dass neue Gebäude nur kreislauffähig und mit geeigneten Materialien geplant und gebaut werden dürfen?

    Deutschland plant eine nationale Strategie – möglichst noch vor dem Sommer

    Die Bundesregierung will das Thema jetzt mit der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) vorantreiben. Sie soll eigentlich noch vor der Sommerpause verabschiedet werden, liegt allerdings seit Wochen bei der Umweltministerin. Umweltverbände hoffen, dass die NKWS schnellstmöglich konkrete Reduktionsziele für den enormen Ressourcenverbrauch Deutschlands nennt.

    Daneben gibt es für Rebecca Tauer zwei große Hebel: zum einen Vorgaben bei der Entwicklung wiederverwendbarer Produkte, also dem Ökodesign, und zum anderen die sogenannte erweiterte Herstellerverantwortung, nach der Hersteller die Kosten für Sammlung, Sortierung und Recycling ihrer Waren übernehmen. Das würde zum Beispiel Pfandsysteme interessant machen.

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    Wir brauchen eine digitale Kreislauflogistik und digitale Produktpässe, und zwar weltweit

    Nora Sophie Griefahn, Mitgründerin von Cradle to Cradle

    Doch die globalisierte Wirtschaft macht die gute Idee der Herstellerverantwortung kompliziert. Das zeigt sich etwa in der Automobilbranche. Sechs Millionen Fahrzeuge in Europa erreichen jedes Jahr das Ende ihrer Lebensdauer und hinterlassen einen Berg von Material, der wiederverwendbar wäre. Hersteller wie BMW arbeiten schon an einem kreislauffähigeren Design. Doch was, wenn die Autos nach ein paar Jahren aus der EU in die Mongolei exportiert werden? Wer kümmert sich dort darum, dass aus alten Stoßdämpfern wieder neue werden? „Wir brauchen eine digitale Kreislauflogistik und digitale Produktpässe, und zwar weltweit“, meint Griefahn.

    Weniger Konsum, mehr Genuss? Für viele klingt das noch utopisch

    Um dorthin zu kommen, müssen wir unser Wirtschaftssystem umkrempeln. Der DUH-Fachmann Fischer fordert: „Wir müssen die Einweg-Geschäftsmodelle überdenken.“ Es geht um Nutzen statt Besitzen und weniger Konsum mit mehr Genuss. Das hört sich gut an, klingt aber für ein Gros der Menschen noch ziemlich utopisch. „Die größte Hürde für die Transformation ist in den Köpfen der Menschen“, konstatiert Griefahn darum auch. Aber aufgeben – und das Erbe ihrer Eltern abschreiben? Das kommt für sie nicht infrage.

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