Gastbeitrag von Rainer Baake

  • Search18.12.2020

Klimaneutral in drei Schritten

Der Abschied von fossilen Rohstoffen ist ein Modernisierungsprogramm, das Deutschlands Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahrzehnten sichert. Rainer Baake, Chef der Stiftung Klimaneutralität, erklärt, wie die Aufgabe gelingt.

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    Warum sich Klimaschutz und Wachstum bedingen: Ein Gastbeitrag von Rainer Baake, Chef der Stiftung Klimaneutralität.

    „Entscheidend sind die nächsten zehn Jahre“: Rainer Baake, Chef der Stiftung Klimaneutralität.

    Ein Gastbeitrag von Rainer Baake

    Sowohl die EU als auch Deutschland haben das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden. Grundlage ist das Paris-Abkommen, mit dem sich die Staatengemeinschaft vor fünf Jahren verpflichtet hat, die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst sogar auf 1,5 Grad zu begrenzen. Klimaschutz wird zunehmend zum Standortfaktor werden. Inzwischen haben sich die G7- und die Hälfte der G20-Staaten zum Ziel der Klimaneutralität bekannt: In diesem Jahr hat China Klimaneutralität bis 2060 verkündet. Joe Biden hat als neugewählter US-Präsident erklärt, der Stromsektor solle bis 2035 CO2-frei und die USA bis 2050 klimaneutral werden. Japan, Kanada, Südkorea und Südafrika haben das Ziel der Klimaneutralität 2050 ebenfalls ausgerufen. Insgesamt werden dadurch fast zwei Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen abgedeckt.

    Unternehmen, die jetzt vor längerfristigen Investitionsentscheidungen stehen, wissen, dass ihre Investitionen vereinbar sein müssen mit dem Ziel der Klimaneutralität. Doch was bedeutet das? Denn nachdem Klimaneutralität beschlossen worden ist, hat die Bundesregierung noch keinen Plan vorgelegt, wie sie gedenkt, dieses Ziel zu erreichen. Der Primärenergieverbrauch Deutschlands besteht derzeit noch zu 80 Prozent aus Erdöl, Kohle und Erdgas. Alle fossilen Energieträger binnen drei Jahrzehnten durch Effizienz und erneuerbare Energien zu ersetzen, ist eine sowohl anspruchsvolle als auch spannende Aufgabe. Bislang fehlt eine Orientierung, wie dies praktisch umgesetzt werden kann.

    Wer als Unternehmer noch in fossile Infrastruktur investiert, macht einen Fehler

    Bei der Umsetzung sind aus meiner Sicht vier Grundsätze zu beachten. Der erste ist für Unternehmen von zentraler Bedeutung. Er lautet: Fehlinvestitionen in fossile Technologien sind zu vermeiden! Am Beispiel des Kohleausstiegs können wir beobachten, was es für den Bundeshaushalt und für die betroffenen Kraftwerksbetreiber bedeutet, noch vor wenigen Jahren Millionenbeträge in fossile Technologien investiert zu haben, die mit den Klimaschutzzielen nicht vereinbar sind.

    Der zweite Grundsatz lautet „Efficiency First!“ Wir brauchen eine Effizienzrevolution, weil wir den heutigen Primärenergieverbrauch von 13.000 Petajoule nicht vollständig durch erneuerbare Energien ersetzen können. Gleichwohl werden wir die Stromerzeugung aus Erneuerbaren massiv ausbauen müssen, um eine weitgehende Elektrifizierung der Sektoren Industrie, Verkehr und Gebäude zu ermöglichen. Das ist der dritte Grundsatz.

    Es ist immer günstiger, Strom direkt zu nutzen, als ihn erst in Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe umzuwandeln, um damit Auto zu fahren oder Heizungen zu befeuern. Wasserstoff oder daraus hergestellte Brennstoffe werden wir daher nur in den Bereichen einsetzen, wo wir keine Alternative haben, etwa als Ersatz für Erdgas in Kraftwerken für Zeiten mit wenig Wind- und Sonnenenergie; das ist Grundsatz Nummer vier. Natürlich auch im Flugverkehr. Ganz sicher schon in näherer Zukunft in der Stahlproduktion und anderen Industrien.

    Der Weg führt nicht über Verzicht; Klimaneutralität ist ein Wachstumspfad

    Die Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende haben vor Kurzem eine Studie veröffentlicht, die einen Pfad aufzeigt, wie Deutschland in drei Schritten bis 2050 klimaneutral werden kann. Dieser Weg ist technisch umsetzbar, in sich konsistent und wirtschaftlich optimiert. Und er baut explizit nicht auf Verzicht oder Postwachstumsszenarien auf. Stattdessen wird ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent pro Jahr bis 2050 unterstellt. Unser Kerngedanke ist, Deutschland durch öffentliche und private Investitionen zu modernisieren.

    Ein erster Schritt sorgt dafür, dass die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gemindert werden. Das bedeutet eine Anhebung des bisherigen 2030-Ziels um zehn Prozentpunkte. Um dieses Ziel zu erreichen, sind nach den Ergebnissen der Studie sechs Maßnahmen von entscheidender Bedeutung. Ein vollständiger Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030, ein Ausbau der erneuerbaren Energien auf 70 Prozent der Stromnachfrage, 14 Millionen Elektroautos, der Ersatz von fossilen Heizungen durch sechs Millionen Wärmepumpen, eine Erhöhung der Sanierungsrate um 50 Prozent sowie die Nutzung von 60 Terawattstunden sauberen Wasserstoffs.

    Der zweite Schritt nach 2030 besteht aus dem vollständigen Umstieg auf klimaneutrale Technologien und dem Ausstieg aus fossilen Energieträgern, sodass die Emissionen um 95 Prozent sinken. In einem dritten Schritt werden nicht vermeidbare Restemissionen, vor allem aus der Landwirtschaft, durch CO2-Abscheidung und -Ablagerung ausgeglichen.

    Wasserstoff kommt dort zum Einsatz, wo es keine effizienteren Alternativen gibt

    Klimaneutralität wird nicht ohne Wasserstoff gelingen. Wir werden ihn als Speichermedium und Rohstoff dort einsetzen, wo es keine vernünftigen Alternativen gibt. Dies ist nicht zu verwechseln mit der Vorstellung mancher Interessensvertreter, die alten Verbrennertechnologien auch in Zukunft zu nutzen, nur den Brennstoff auszutauschen. Das dürfen sie gern tun, aber bitte auf eigene Rechnung. Wer von der Politik Subventionen einfordert, der muss sich gefallen lassen, dass die Frage nach der Effizienz von Technologiealternativen gestellt wird. Ein batteriebetriebenes Elektroauto wandelt 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien in 70 Prozent Bewegungsenergie um. Ein Auto mit Verbrennungsmotor, das mit synthetischen Kraftstoffen betrieben wird, ist wesentlich ineffizienter.

    Aus 100 Prozent Strom, mit dem erst Wasserstoff und dann Flüssigkraftstoff hergestellt werden, der anschließend im Motor verbrennt, resultieren am Ende nur 13 Prozent Bewegungsenergie. Dieser Weg erfordert also fünfmal so viele Windräder oder Solaranlagen.

    Ähnlich verhält es sich im Raumwärmebereich. Eine Wärmepumpe wandelt eine Kilowattstunden Strom in drei Kilowattstunden Wärme um. Bei mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellenheizungen oder Gasbrennwertkesseln, die mit aus Wasserstoff hergestelltem Methan betrieben werden, kommen von 100 Prozent Strom nur 50 Prozent als Wärme an. Das kostet.

    Solang die Beteiligten die Kosten eigenverantwortlich tragen, spricht weder bei Autos noch bei Heizungen etwas dagegen. Hauptsache, die Technologie verursacht keine Treibhausgase. Wer aber Subventionen einfordert, der wird sich der Frage nach der Effizienz und den Kosten der jeweiligen Technologie nicht entziehen können.

    Der Import von Wasserstoff muss sich innerhalb enger Grenzen bewegen

    Andere Weltregionen mit mehr Wind und Sonne werden voraussichtlich grünen Wasserstoff preisgünstiger produzieren können. Aber der Schiffstransport von Wasserstoff erfordert eine Verflüssigung. Dazu muss das Gas bei hohem atmosphärischen Druck auf etwa minus 250 Grad gekühlt werden. Dadurch geht viel Energie verloren, und der Transport wird teurer als die Herstellung.

    Am Ende werden wir auf Importe aus Ländern auch außerhalb Europas nicht gänzlich verzichten können. Aber es ist der teure Champagner der Energiewende. Die Vorstellung, dass klimaneutraler Wasserstoff und aus ihm hergestellte Brennstoffe auf einem globalen Markt reichlich und kostengünstig zur Verfügung stehen werden, ist abenteuerlich und kein Fundament für einen seriösen Klimapfad.

    Klimaneutralität ist machbar. Mit einem Investitions- und Zukunftsprogramm lässt sich der Treibhausgasausstoß Deutschlands in 30 Jahren auf null reduzieren. Entscheidend sind die nächsten zehn Jahre. Bis 2030 wird sich zeigen, ob Klimaneutralität 2050 eine realistische Option wird.

    Baake, Fischer, Trittin auf dem Parteitag 2000 in Münster – dpaZur Person
    Rainer Baake (65) hat die deutsche Energiepolitik geprägt wie wenige andere. Von 1991 bis 1998 war der Grünen-Politiker Staatssekretär im hessischen Umweltministerium unter Joschka Fischer. Nach dem Wahlsieg von Rot-Grün wechselte er in selber Funktion ins Bundesumweltministerium unter Jürgen Trittin. Von 2006 bis 2012 war er Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe und Gründungsdirektor von Agora Energiewende. 2014 berief ihn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erneut zum Staatssekretär. Als Peter Altmaier (CDU) das Ministerium übernahm, erklärte Baake seinen Rücktritt. Seit Juli 2020 leitet Baake, der oft als „Mr. Energiewende“ bezeichnet wird, die neu gegründete Stiftung Klimaneutralität. Das Bild zeigt ihn mit Fischer (Mitte) und Trittin im Jahr 2000 auf dem Grünen-Parteitag in Münster.

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