Braunkohlekraftwerk in der Lausitz: Dank der Steuermilliarden aus dem Kohleausstiegsgesetz könnten CO2-Schleudern wie diese ein längeres Leben haben, als wenn sie sich den Kräften des Markts stellen müssten.
Kohlesubventionen
- 07.02.2020
Zu viel Asche zum Abschied
Von Kathinka Burkhardt
Zu spät, zu zaghaft, zu kurzfristig: Das Urteil über das Kohleausstiegsgesetz fällt vernichtend aus. Vor allem die Umweltverbände und Wissenschaftler, die im vergangenen Jahr als Teil einer gesellschaftsübergreifenden Kommission am Kompromiss zum Kohleausstieg mitgearbeitet haben, hagelt es Kritik: Der jetzt von der Bundesregierung beschlossene Gesetzesentwurf weiche in zentralen Punkten von den Kommissionsvorschlägen ab. Es sind vor allem zwei Punkte, an denen sich die Kritiker stören: der späte Einstieg in den Ausstieg – und die Milliardenentschädigungen für die Kohlekonzerne.
4,35 Milliarden Euro erhalten die Unternehmen, 2,6 Milliarden bekommt RWE für die Tagebaugebiete in NRW, 1,75 Milliarden Euro gehen an die Leag, den Betreiber der Braunkohlereviere in der Lausitz. Entschädigungen „für weitgehend abgeschriebene oder betriebswirtschaftlich nicht rentable Kraftwerke“, wie Umweltverbände und Wissenschaftler der Kohlekommission in ihrer Stellungnahme nach dem Kabinettsbeschluss verlauten ließen.
Statt sie zu beenden, verlängert das Gesetz die Kohleverstromung womöglich
Tatsächlich stellt sich angesichts der Entwicklung auf den Strommärkten die Frage, ob das Ausstiegsgesetz das Zeitalter der Kohle in Deutschland nicht sogar verlängert, anstatt es vorzeitig zu beenden. Denn die Kohleindustrie befindet sich ohnehin im Niedergang. Das zumindest legen Zahlen der britischen Klimaschutzorganisation Sandbag vom vergangenen Jahr nahe, nach denen deutsche Kohleanlagen im ersten Halbjahr ein Minus von 664 Millionen Euro erwirtschafteten – für den Zeitraum 2020 bis 2022 sollen es noch einmal 1,8 Milliarden Euro werden.
Grund für die Verluste ist zum einen die Entwicklung des Strompreises an den Terminbörsen, wo der Strom aus erneuerbaren Energien derzeit günstiger ist als der aus Kohle. Hinzu kommt zum anderen der deutlich gestiegene Preis für CO2-Zertifikate in der EU: 25 Euro pro Tonne zahlen Verursacher mittlerweile – eine Belastung, durch die der Betrieb von Kohlekraftwerken immer unrentabler wird.
Strohfeuer: Selbst in den USA, wo sich Präsident Donald Trump für die Kohle stark macht, werden reihenweise Kraftwerke stillgelegt. Der Kohleanteil am Strommix sank von gut 50 Prozent auf rund ein Drittel.
Bei der Frage, ob der im Gesetzesentwurf beschriebene Ausstiegspfad die Stilllegung von Kraftwerken hinauszögert, lohnt sich ein Blick auf die USA. Obwohl US-Präsident Donald Trump die Kohleindustrie gern zu alter Stärke zurückgeführt hätte, wurden 2019 erneut große Tagebaukapazitäten stillgelegt – nur 2015 war das Ausmaß noch größer. Schon seit Jahren sinkt der Kohleverbrauch der USA. Während der Rohstoff vor zehn Jahre noch rund 50 Prozent des Energiemixes ausmachte, ist er laut der amerikanischen Energieinformationsbehörde EIA 2019 auf weniger als ein Drittel gesunken.
Die Folge: Ein Dutzend US-Kohleunternehmen meldete im vergangenen Jahr Konkurs an. Erst diese Woche kassierte der weltgrößte Kohlekonzern Peabody Energy seine Dividende für die Aktionäre, weil die niedrigen Kohlepreise am Umsatz nagen.
Zwei Entwicklungen bereiten dem Rohstoff Kohle in den USA Schwierigkeiten: Erstens wurden Gas und erneuerbare Energien unter der Präsidentschaft von Barack Obama steuerlich und regulatorisch begünstigt, während der Abbau von Kohle mit höheren Umweltschutzauflagen belegt wurde. Durch den Wechsel zu Gas und Erneuerbaren konnten die USA zudem ihre Energieimporte drosseln und sich unabhängiger von anderen Rohstoffstaaten machen.
Der zweite Grund ist der Klimawandel: Die Experten des US-Finanzanalyseunternehmens S&P Global gehen davon aus, dass sich der laufende Winter zu einem der wärmsten der US-Geschichte entwickelt – wodurch der Gesamtverbrauch an Heizmitteln wie Kohle erneut deutlich sinken könnte.
Jetzt tut man bis kurz vor dem Stichtag fast nichts, und dann sehr viel. Das führt am Ende zu mehr Emissionen
Felix Christian Matthes, Ökonom am Öko-Institut
Wäre der deutsche Kohlesektor allein den Kräften des Marktes unterworfen, müssten die Betreiber auch hierzulande in steigendem Ausmaß Kraftwerke vom Netz nehmen, glauben Wissenschaftler. Doch die meisten der 29 deutschen Braunkohlekraftwerke sollen erst nach 2025 stillgelegt werden. Deshalb werde vorher unnötig viel CO2 ausgestoßen.
„Jetzt tut man bis kurz vor dem Stichtag fast nichts, und dann sehr viel. Das führt am Ende zu mehr Emissionen“, sagte kürzlich der Energieexperte Felix Christian Matthes vom Öko-Institut, der auch Mitglied der Kohlekommission war. Er gehe von 40 Millionen Tonnen zusätzlicher Emissionen bis 2030 aus.
Leag wollte die Kraftwerke ohnehin abschalten. Jetzt kassiert der Konzern dafür
Anders gesagt: Die Kohlekonzerne verdienen noch relativ lange an ihren Kraftwerken und bekommen darüber hinaus noch Milliarden an Steuergeldern als Abfindung.
Die Angemessenheit dieser Zahlungen zweifeln auch die Wissenschaftlerinnen Swantje Fiedler und Isabel Schrems vom Thinktank Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft in ihrer Untersuchung „Entschädigungszahlungen für Braunkohleunternehmen: Wofür und Warum?“ an.
Gerade im Fall des Braunkohleunternehmens Leag, das in der Lausitz Tagebau und Kohleverstromung betreibt, könne es bei den in Aussicht gestellten 1,75 Milliarden Euro kaum darum gehen, entgangene Einnahmen auszugleichen, schreiben die Autorinnen. So zeigten Dokumente von 2016, dass die Konzernpläne zur Schließung der Kraftwerke in der Lausitz ähnliche Zielvorgaben hatten, wie die der Bundesregierung im Rahmen des Kohlekompromiss. „Laut Regierungsplänen können bis zum endgültigen Kohleausstieg 854 Millionen Tonnen gefördert werden, laut Plänen der Leag 867 Millionen“, so die Autorinnen. Es geht also um einen Unterschied von lediglich 13 Millionen Tonnen. Zwar sprach Leag kürzlich von 340 Millionen Tonnen, die sie nur noch bis zum Ausstieg abbauen könnten, woher die Differenz zu früheren Plänen für denselben Zeitraum allerdings stammen, erklärte der Konzern nicht.
Kritiker fordern, Entschädigungszahlungen an Bedingungen zu knüpfen
RWE begründet die Entschädigungssumme damit, dass der Konzern seine Rückstellungen aufgrund des Kohleausstiegs um zwei Milliarden Euro aufstocken müsste, weil „höhere Kosten für einen geänderten Abbau- und Rekultivierungsplan, insbesondere durch den Erhalt des Hambacher Forsts und geänderte Restlaufzeiten der Tagebaue“ anfielen. „Um welchen Betrag die Rekultivierungskosten selbst planmäßig steigen, wird allerdings nicht gesagt“, schreiben die Autorinnen. Sie fordern einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, in dem festgehalten wird, dass die Entschädigungen tatsächlich „für die Wiedernutzbarmachung und Rekultivierung der Tagebaue und aller Tagebaufolgekosten“ verwendet werden – wie es im Entwurf des Kohleausstiegsgesetzes tatsächlich auch heißt.
Die Steinkohle kostete den Steuerzahler 2019 noch fast eine Milliarde Euro
Auch für den Ausstieg aus der Steinkohle zahlt der deutsche Steuerzahler noch viel Geld – während die Konzerne noch daran verdienen. Obwohl 2018 die letzten beiden deutschen Steinkohlebergwerke Prosper Haniel und Ibbenbüren stillgelegt wurden, flossen aus den Kassen des Bundes im vergangenen Jahr letztmals Subventionen in Höhe von 794,4 Millionen Euro, 2018 waren es sogar noch 939,5 Millionen Euro. Das Land NRW zahlte in beiden Jahren zusammen weitere 372 Millionen Euro an Subventionen. Der Wirtschaftshistoriker Franz-Josef Brüggemeier schätzte die Gesamthöhe der über die Jahrzehnte geflossenen Subventionen für die deutsche Steinkohle 2018 im „Deutschlandfunk“ sogar auf 200 bis 300 Milliarden Euro.
Der Grund: Der Preis für deutsche Steinkohle ist seit Jahren nicht mehr konkurrenzfähig gegenüber ausländischen Importen, weshalb die Bundesregierung den Rohstoff subventioniert hat. Damit ist jetzt zwar Schluss, aber auch die Steinkohlekraftwerksbetreiber hoffen, über die nächsten Jahre noch Entschädigungen für das Abschalten ihrer Werke zu erhalten.
Dass der Kohleausstieg nicht billig würde, dürfte niemanden überraschen. Und dass die rund 20.000 Beschäftigten der Branche Hilfe benötigen, auch finanzieller Art, liegt auf der Hand. Doch dafür werden nicht die Entschädigungen der Konzerne herhalten müssen, sondern erneut staatliche Gelder: Die Regierung hat bereits in Aussicht gestellt, dass ältere Beschäftige vorzeitig in Rente gehen können und jüngere Umschulungen bezahlt bekommen.
Zudem wird in der strukturschwachen Region Lausitz über wirtschaftliche Impulse wie die Ansiedlung von Behörden nachgedacht – aus Geldern von Bund und Kommunen.
Und somit bleibt der fade Nachgeschmack, dass der Kohleausstieg bis 2038 nicht nur zu lange dauert, sondern dass vor allem die größten CO2-Verursacher sehr glimpflich dabei wegkommen.