EEG-Erfinder Hans-Josef Fell

  • Search27.11.2024

„Wir verfügen über alle Werkzeuge für den Umstieg“

Vor einem Vierteljahrhundert schob Hans-Josef Fell mit dem EEG die Energiewende in Deutschland an. Heute gehen seine Pläne darüber hinaus: Fell sucht gemeinsam mit Forschern Wege, um die Erde wieder abzukühlen.

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    EEG-Erfinder Hans-Josef Fell spricht im Interview über die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre, die Merkel-Jahre und die Fehler der Ampelregierung.

     

    Hans-Josef Fell ist einer der Pioniere der Energiewende in Deutschland. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus dem Jahr 2000 geht maßgeblich auf ihn zurück. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 setzt sich der heute 72-Jährige für eine Welt ein, die vollständig auf erneuerbaren Energien basiert. Unter anderem ist der Grünen-Politiker Präsident des Klima-Thinktanks Energy Watch Group. Als das Portal EnergieWinde vor zehn Jahren online ging, war Fell unser erster Interviewpartner. Aus diesem Anlass blicken wir mit ihm zurück auf die vergangene Dekade. Fell geht mit der Politik der Merkel-Jahre hart ins Gericht. Aber auch für das Wirken der Grünen in der Ampelregierung findet er nicht nur lobende Worte.

    Herr Fell, Amerika wählt einen Klimaleugner ins Weiße Haus, die CO2-Emissionen liegen auf Rekordniveau und der Klimagipfel endet mit einem Minimalkompromiss. Wie geht es Ihnen in diesen Tagen?
    Hans-Josef Fell: Persönlich geht es mir gut. Aber von unserem Planeten lässt sich das nicht sagen. Er ist sehr krank und bräuchte dringend eine Kur. Ich muss allerdings gestehen, dass ich im Augenblick nicht viel Hoffnung habe, dass wir Menschen ihm diese Kur zugestehen. Die Ergebnisse der jüngsten Klimakonferenzen jedenfalls sind weit davon entfernt.

    Welche Kur würden Sie dem Planeten verordnen?
    Fell: Zwei Dinge: Zum einen müssen wir so schnell wie möglich damit aufhören, Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen. Zum anderen müssen wir jene Treibhausgase wieder einfangen, die wir bereits freigesetzt haben. Beides erfordert große Anstrengungen, aber wir besitzen alle Mittel und Möglichkeiten, die es dafür bedarf. Wir Menschen sind ja eine sehr einfallsreiche Spezies, im Guten wie im Schlechten.

    An welche Mittel denken Sie konkret?
    Fell: Das Wichtigste ist, keine fossilen Treibstoffe mehr zu verfeuern. 60 Prozent der Emissionen stammen aus der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle. Das müssen wir schnell stoppen, indem wir unsere Energie zu 100 Prozent erneuerbar produzieren. Mit Solarenergie, Windkraft, Wasserkraft, Biomasse, Geothermie und Speichern verfügen wir über alle nötigen Werkzeuge für den Umstieg. Die gesamte Gesellschaft muss nur wollen. Es gibt aber noch weitere CO2-Quellen. Ein großer Faktor sind petrochemische Kunststoffe. Wenn sie nicht mehr gebraucht werden, passiert zweierlei: Entweder landen sie in den Flüssen und Meeren, wo sie verheerende Umweltschäden verursachen, oder sie kommen in die Müllverbrennung, wo sie den in ihnen enthaltenen Kohlenstoff als CO2 freisetzen. Der Ausweg wäre eine vollständige Kreislaufwirtschaft, die ohne Emissionen auskommt, in der Chemie beispielsweise mit Biokunststoffen, statt fossiler Petrochemie. Viel CO2 und andere Treibhausgase stammen darüber hinaus aus der Landwirtschaft. Aber auch da gibt es Mittel und Wege. Wenn wir sie richtig betreiben, zum Beispiel mit Biolandwirtschaft, kann die Landwirtschaft von einer CO2-Quelle zur CO2-Senke werden. Denn das ist die zweite große Aufgabe im Klimaschutz: die Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre.

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    Wir müssen die Konzentration von Treibhausgasen wie CO2, Methan, Lachgas und weiteren in der Atmosphäre verringern, um die Erde wieder abzukühlen

    Hans-Josef Fell

    Was haben Sie im Sinn? Geoengineering-Experimente, bei denen zum Beispiel Flugzeuge Schwefeldioxid in der Atmosphäre versprühen, um die Sonneneinstrahlung zu reduzieren?
    Fell: Nein. Wir müssen vielmehr die Konzentration von Treibhausgasen wie CO2, Methan, Lachgas und weiteren in der Atmosphäre verringern, um die Erde wieder abzukühlen. Wir sprechen dabei von gewaltigen Mengen, schätzungsweise 700 Gigatonnen CO2-Äquivalente. Ich arbeite derzeit mit einer Reihe von Universitäten und Wissenschaftlern daran, zu beschreiben, wie das funktionieren kann. Wir haben das Forschungsprojekt „Zurück zum Holozän“ genannt. Es geht darum, auf der Erde wieder ein stabiles Klima zu schaffen, wie es in den vergangenen rund 12.000 Jahren herrschte, also dem Erdzeitalter des Holozän. Dieses Klima mit Temperaturschwankungen von einem halben Grad war die Basis dafür, dass sich Hochkulturen entwickeln konnten. Inzwischen hat sich die Erdtemperatur allerdings schon um circa 1,6 Grad erwärmt, deutlich über den in Paris vereinbarten 1,5 Grad. Es ist tragisch, dass in der Klimadebatte kaum über die Abkühlung der Erde gesprochen wird. Wir fühlen uns ziemlich allein gelassen mit unserem Projekt.

    Wie genau wollen Sie die Erde abkühlen?
    Fell: Mit 100 Prozent erneuerbaren Energien, einer emissionsfreien Kreislaufwirtschaft, einer regenerativen Landwirtschaft sowie durch Aufforstung und durch die Wiederbegrünung semi-arider Wüstenflächen zum Beispiel. Vor allem aber müssen wir das gigantische Potenzial der Mangroven und Algen in den Meeren nutzen.

    Das müssen Sie erklären.
    Fell: Die größte Hoffnung liegt in schwimmenden Makroalgen, die sehr viel CO2 speichern können. Man findet sie unter anderem in der Sargassosee im Atlantik. Die natürliche Biodiversität dort ist so groß wie an keinem anderen Ort in den Weltmeeren. Wenn die Algen genügend Nährstoffe und Sonnenlicht haben, verdoppeln sie ihre Biomasse innerhalb von zehn Tagen, wodurch sie noch mehr CO2 aufnehmen können. Wir müssen ihr Wachstum stimulieren, indem wir Wege finden, die Nährstoffe aus tieferen Wasserschichten nach oben zu den Algen zu befördern. Das Potenzial dieser Algen ist gewaltig, als CO2-Speicher genauso wie als Rohstoff für Biokraftstoffe, Kunststoffe, Baumaterial oder Biokohle. Damit ließe sich sogar Geld verdienen, was die Sache auch für Investoren interessant macht.

    Tauchgang in einem Algenteppich in der Karibik: Beim Wachsen binden die Pflanzen CO2. Geerntet finden sie als Rohstoff Verwendung, etwa in der chemischen Industrie.

    Tauchgang in einem Algenteppich in der Karibik: Beim Wachsen binden die Pflanzen CO2. Geerntet finden sie als Rohstoff Verwendung, etwa in der chemischen Industrie.

    Ihr Parteifreund Robert Habeck und die Ampelregierung hatten einen anderen Weg im Sinn: Carbon Capture and Storage (CCS), also CO2-Deponien unter der Nordsee.
    Fell: Von solchen lebensverlängernden Maßnahmen für die fossile Industrie halte ich gar nichts. Wir wissen nicht, ob diese Deponien wirklich dauerhaft dicht sind oder ob das CO2 eines Tages nicht doch wieder entweicht. Aber viel schlimmer noch: Bei der Erdgasförderung zum Beispiel entweichen gewaltige Mengen Methan. Diese entweichen weiter, selbst wenn das CO2 bei der Verbrennung des Erdgases am Schornstein des Kraftwerks aufgefangen wird. CCS ist also überhaupt nicht klimaneutral. Ganz zu schweigen von all den anderen fatalen Umweltauswirkungen beim Abbau fossiler Rohstoffe. Und auch ökonomisch ergibt CCS keinen Sinn: Der Strom aus Gaskraftwerken mit CO2-Abscheidung wäre viel zu teuer gegenüber erneuerbaren Energien mit Speichern.

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    Insgesamt war die grüne Beteiligung an dieser Regierung ein Lichtblick gegenüber den 16 Jahren Dunkelheit unter Angela Merkel

    Hans-Josef Fell über die Ampel

    Konnten Sie der Energiepolitik der Ampel ansonsten etwas abgewinnen?
    Fell: Sie hat auf alle Fälle ganz andere Akzente gesetzt als die diversen Koalitionen von Angela Merkel und neuen Schwung erzeugt. Die Fotovoltaik boomt wie noch nie, und mit Balkonkraftwerken können endlich auch Mieter von der Energiewende profitieren. In der Windenergie ist es gelungen, die Verfahren in den Behörden zu vereinfachen, sodass wir jetzt einen Rekord genehmigter Projekte haben, die demnächst an den Start gehen können. Das sind gute Entwicklungen. Aber es gab natürlich auch Fehler.

    Nämlich?
    Fell: Etwa den LNG-Ausbau, auf den insbesondere die SPD gedrängt hat, oder die Idee, blauen Wasserstoff zu fördern. Aber insgesamt war die grüne Beteiligung an dieser Regierung ein Lichtblick gegenüber den 16 Jahren Dunkelheit unter Angela Merkel. Hätten wir die Merkel-Jahre genutzt, wären wir heute viel weiter.

    Die „Höegh Esperanza“, ein schwimmendes LNG-Terminal, liegt in Wilhelmshaven am Anleger. Die Klimabilanz von Flüssigerdgas gilt als noch schlechter als die von Pipeline-Erdgas.

    Was waren aus Ihrer Sicht die Kardinalfehler?
    Fell: Die boomende Fotovoltaik-Industrie in Deutschland wurde unter dem FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler 2012 mutwillig zerstört, sodass wir heute von China abhängig sind. Generalsekretär war damals übrigens Christian Lindner. Und dann kam auch noch die fatale Umstellung der Erneuerbaren-Förderung auf Ausschreibungen unter SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, was den boomenden Bürgerenergien weitgehend die Grundlage entzog.

    Das Argument war damals, mehr Marktwirtschaft ins EEG zu bringen.
    Fell: Pah! Was man damit erschaffen hat, ist das genaue Gegenteil von Marktwirtschaft: Planwirtschaft in Reinform. Der Staat gibt mit dem Ausschreibungsvolumen für jeden Energieträger genaue Ausbauziele vor, genau wie in China. Dieses Framing ist aus meiner Sicht einer der größten Erfolge der fossilen Industrie: Sie hat es geschafft, dass alles rings um die Erneuerbaren als Planwirtschaft gilt, während die Fossilen angeblich für den freien Markt stehen. Nach den diversen EEG-Novellen erkenne ich das EEG, das wir im Jahr 2000 auf den Weg gebracht haben, heute jedenfalls nicht mehr wieder. Merkel, Rösler, Gabriel und Altmaier haben es zerstört.

    Vier Abgeordnete schrieben mit dem EEG Parlamentsgeschichte

    Michaele Hustedt (Grüne) war neben Dietmar Schütz, Hermann Scheer und Hans-Josef Fell als Teil der Viererbande im Jahr 2000 eine der Autoreninnen des EEG.

    Das Erneuerbare-Energien-Gesetz aus dem Jahr 2000 geht maßgeblich auf vier Abgeordnete zurück. Eine davon ist Michaele Hustedt. Sie vertritt die Grünen von 1994 bis 2005 im Bundestag. Von 2008 bis 2012 engagiert sie sich im Beirat der RWE-Ökostromtochter Innogy, anschließend arbeitet sie als selbstständige Politikberaterin und Coach.

    Hans-Josef Fell ist einer der Autoren des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) von 2000 und gilt deshalb als Architekt der Energiewende. Das heutige EEG kritisiert er allerdings vehement.

    Hans-Josef Fell sitzt von 1998 bis 2013 für die Grünen im Bundestag. Seit 2014 ist der Unterfranke Präsident der Energy Watch Group, einem Netzwerk von Wissenschaftlern und Politikern, die für die Energiewende kämpfen.

    Hermann Scheer (SPD) war neben Dietmar Schütz, Michaele Hustedt und Hans-Josef Fell als Teil der Viererbande im Jahr 2000 einer der Autoren des EEG.

    Hermann Scheer ist von 1980 bis zu seinem Tod 2010 Bundestagsabgeordneter. 1999 erhält der Sozialdemokrat den Alternativen Nobelpreis, 2009 ist er Mitgründer der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (IRENA).

    Dietmar Schütz (links) wird von Gerhard Schröder im Wahlkampf zum Posten des Oldenburger Oberbürgermeisters unterstützt. Im Jahr 2000 hat Schütz das EEG mitverfasst.

    Dietmar Schütz (links, im Wahlkampf mit Gerhard Schröder) sitzt von 1987 bis 2001 für die SPD im Bundestag, anschließend wird er Oberbürgermeister von Oldenburg. Von 2008 bis 2013 ist er Präsident des Ökostromverbands BEE.

    Aber musste das EEG nicht reformiert werden? Die Kosten drohten aus dem Ruder zu laufen.
    Fell: Aber doch nicht so! Man hätte das alte EEG wunderbar modernisieren können, indem die Förderung daran gekoppelt wird, dass die Erneuerbaren systemdienlich ausgebaut werden – also besonders dann, wenn sie am dringendsten gebraucht werden. Wenn wir Kurs gehalten hätten, könnten wir heute schon bei 100 Prozent Ökostrom in Deutschland sein, mit Bioenergie, Wasserkraft und Speichern auch in der winterlichen Dunkelflaute. Unser EEG war damals ein echter Exportschlager, viele andere Länder haben es übernommen und halten bis heute im Grundsatz daran fest. China ist ein Beispiel dafür, also das Land, in dem die Erneuerbaren schneller als überall sonst in der Welt ausgebaut werden. Heute verliert Deutschland seine Industriebasis, weil viel zu lange auf fossile Verbrennungstechnologien gesetzt wurde, statt auf Klimaschutztechnologien wie Solarmodule, E-Autos oder Batterien, die nun immer mehr aus China kommen.

    Die Fragen stellte Volker Kühn.

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