Ein Café in der Fußgängerzone von Oldenburg, der Heimatstadt von Claudia Kemfert. Die renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin kommt ein paar Minuten zu spät zum Interview, holt die Zeit aber sofort auf: Bei ihren Herzensthemen Energie und Klima muss Kemfert nicht lang nachdenken, sie spricht schnell, Zahlen und Fakten referiert sie aus dem Kopf. „Wir haben ohnehin schon zu viel Zeit in der Energiewende verloren“, sagt die Professorin und Abteilungsleiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Also los!
Frau Kemfert, wir haben von Jahr zu Jahr mehr Ökostrom im Netz, inzwischen fast 60 Prozent. Gleichzeitig steigen die Stromrechnungen. Wie passt das zusammen, wenn Sie doch sagen, dass Erneuerbare viel günstiger seien als Kohle-, Gas- und Atomstrom?
Claudia Kemfert: Dass die Erneuerbaren günstiger sind, ist eine Tatsache. Das sieht man schon daran, dass die Preise an der Strombörse immer dann fallen, wenn erneuerbare Quellen besonders viel Energie liefern. Wenn wir dagegen viel Kohle und Gas benötigen, steigen die Preise. Das liegt am Mechanismus der Strombörse, wonach immer zuerst die günstigsten Energiequellen zur Deckung des Bedarfs herangezogen werden, Stichwort Merit Order. Dass wir die niedrigen Kosten der Solar- und Windenergie nicht in vollem Umfang auf unserer Stromrechnung sehen, hat aber noch andere Gründe: Die Rechnung setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, von denen die Produktion des Stroms nur eine ist. Insbesondere die Netzentgelte sind stark gestiegen, und damit auch unsere Stromrechnungen.
Was ließe sich dagegen tun?
Kemfert: Wir müssten die Netzentgelte gerechter aufteilen. Aktuell sind sie in Regionen, in denen viel erneuerbare Energie neu ans Netz angeschlossen wird, besonders hoch. Das ist unfair. Überall sollte gleich viel bezahlt werden. Außerdem sind die Ausbaupläne für das Stromnetz überdimensioniert. Mit einer dezentralen Energiewende von unten und einer intelligenten Netzsteuerung müssten wir nicht so große Mengen Strom quer durch die Republik transportieren und bräuchten entsprechend weniger Stromautobahnen.