Versorgung bei Dunkelflaute

  • Search01.10.2022

Wie eine Welt mit 100 Prozent Erneuerbaren funktioniert

Wind und Sonne sind die wichtigsten Quellen eines komplett auf Ökostrom basierenden Energiesystems. Für Zeiten ohne Wind und Sonne muss vorgesorgt werden: mit Speichern und intelligenter Netzsteuerung.

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    Windpark im Schurwald (Baden-Württemberg) bei Sonnenaufgang: Woher kommt die Energie, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint?

    Windräder (hier in Baden-Württemberg) und Solaranlagen tragen die Hauptlast im künftigen Energiesystem.

     

    Von Volker Kühn

    Gelegentlich tritt in Deutschland eine Wetterlage auf, die Skeptikern der Energiewende als Totschlagargument dient: eine tagelange Dunkelflaute. Dann verschwindet die Sonne hinter grauen Wolken oder Nebel und es weht kaum ein Windhauch; meist ist das im Januar oder Februar der Fall. Solaranlagen und Windräder liefern dann kaum Strom. Stattdessen laufen Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke auf Hochtouren – also genau die Anlagen, von denen sich Deutschland bis 2045 schrittweise verabschiedet.

    Funktioniert die Energiewende folglich nur an Schönwettertagen?

    „Nein“, sagt Carsten Agert, Direktor des DLR-Instituts für Vernetzte Energiesysteme in Oldenburg. „Technisch gesehen ist eine stabile Energieversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien verlässlich möglich.“ Allerdings müsse sich dazu die Art, wie Deutschland seinen Strom erzeugt, speichert und verbraucht, grundlegend ändern.

    Elektrogeräte laufen im Idealfall erst dann, wenn viel Ökostrom im Netz ist

    Die Herausforderung dabei ist eine doppelte: Zum einen muss das schwankende Stromangebot aus Wind und Sonne möglichst gut mit der ebenfalls schwankenden Stromnachfrage in Einklang gebracht werden. Haushaltsgeräte und Fabrikmaschinen etwa, die nicht pausenlos gebraucht werden, springen im Idealfall genau dann an, wenn besonders viel Ökostrom in die Netze flutet.

    Zum anderen müssen für Zeiten, in denen die Strommenge nicht reicht, Reservekapazitäten auf Basis von Speichern geschaffen werden. Sie müssen kurzfristig einspringen können und zur Not tagelang reichen. Die Energieversorgung muss also sehr viel flexibler als in der alten Welt werden, in der große, aber träge Braunkohle- und Atomkraftwerke einfach durchliefen.

    „Das Gute ist: Wir kennen alle technologischen Lösungen, die dazu nötig sind“, sagt Energiewissenschaftler Agert.

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beim Besuch eines Kavernenspeichers in Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt). In solchen Anlagen soll künftig grüner Wasserstoff gespeichert werden.

    Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck beim Besuch eines Kavernenspeichers in Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt): Solche Anlagen sollen künftig grünen Wasserstoff statt Erdgas aufnehmen.

    Es sind im Wesentlichen vier Bausteine, auf denen eine zu 100 Prozent erneuerbar versorgte Energiewelt basiert.

    • Flexibilität Auf das Wetter hat der Mensch genauso wenig Einfluss wie auf die Frage, wie viel Strom Windparks und Solaranlagen zu einem bestimmten Zeitpunkt bereitstellen. Der Verbrauch dagegen lässt sich besser steuern. Elektrisch betriebene Wärmepumpen etwa, die künftig millionenfach Gaskessel ersetzen sollen, müssen nicht erst dann heizen, wenn die Menschen morgens unter die Dusche springen. Sie können den Wasserkessel auch tief in der Nacht vorheizen, wenn gerade viel Windstrom im Netz ist. Auch die Ladezeiträume von E-Autos lassen sich lenken, und selbst Geräte wie Gefriertruhen sind in ihrem Verbrauchsverhalten teilweise steuerbar. Nötig dazu sind digitalisierte Geräte und Infrastrukturen, die Bedarf und Angebot zusammenbringen.
    • Kapazität Für die CO2-freie Energieversorgung muss die Leistung der Solaranlagen und Windräder in Deutschland massiv steigen. Gerade für die Solarenergie ist reichlich Potenzial vorhanden, auf Hunderttausenden Haus- und Fabrikdächern etwa, auf Freiflächen oder entlang von Autobahnen oder Bahnschienen. Für die Windenergie sollen zwei Prozent der Landesfläche reserviert werden, ein Wert, der in norddeutschen Regionen oft schon erreicht ist. Und auf See stehen derzeit 27 Offshore-Windparks mit einer Leistung von zusammen knapp acht Gigawatt. Bis 2045 sollen es 70 Gigawatt sein.
    • Vernetzung Dunkelflauten treffen oft große Landstriche, aber niemals ganz Europa. Windstille in Norddeutschland? Dann strahlt womöglich die Sonne über Spanien. Um den Ökostrom kreuz und quer durch Europa zu leiten, sind zusätzliche grenzüberschreitende Stromleitungen nötig, auch auf See. Zum Teil gibt es sie schon. Deutschland tauscht darüber beispielsweise Windenergie mit Strom aus Wasserkraftwerken in Norwegen aus. Und in Wilhelmshaven entsteht derzeit eine neue Leitung nach England.
    • Speicher In Zeiten kurzfristiger Engpässe können Großbatterien oder Pumpspeicherkraftwerke einspringen, die Wasser aus einem Oberbecken durch eine Turbine in ein Unterbecken leiten. In längeren Dunkelflauten kann der Strom vor allem aus Gaskraftwerken kommen, die grünen Wasserstoff verbrennen. Er wird zu Zeiten von Ökostromüberschüssen produziert oder importiert und unterirdisch gespeichert. Dabei spielt der Nordwesten mit seinen großen Gaskavernen eine wichtige Rolle. „Die Kapazität der heutigen Gaskavernen reicht in Deutschland aus, um über 50 Terawattstunden Wasserstoff zu speichern. Diese Energiemenge entspricht etwa zehn Prozent des gesamten deutschen Jahresstromverbrauchs“, sagt Carsten Agert vom DLR. Die Herausforderung ist es, die bisher für Erdgas genutzte Infrastruktur so auszubauen, dass sie Wasserstoff speichern und transportieren kann. Außerdem müssen zusätzliche wasserstofftaugliche Gaskraftwerke gebaut werden. Das werden allerdings keine teuren High-End-Anlagen sein, sondern vergleichsweise günstige Turbinen, die teils nur wenige Hundert Stunden im Jahr gebraucht werden.
    Die Karte zeigt die Lage der Kavernenspeicher in Deutschland. Bislang werden sie für Erdgas genutzt, künftig sollen sie grünen Wasserstoff speichern. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Doch auch wenn die Technologien bereits vorhanden sind und weiter verbessert werden – die grüne Transformation ist ein Jahrhundertprojekt, für das kaum mehr als zwei Jahrzehnte Zeit bleiben. Dafür winkt ein großer Lohn: eine saubere Energieversorgung, ohne Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen, die noch dazu günstiger sein wird. Schon heute sind Solaranlagen und Windräder die mit Abstand günstigsten Stromquellen.

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