Stromleitungen

  • Search29.09.2024

Runter mit den Netzentgelten – so könnte es gehen

Industrie und Privathaushalte ächzen unter hohen Netzentgelten. Helfen könnten technische und regulatorische Eingriffe. Denkbar wäre auch, die Kosten staatlich zu finanzieren – als Teil der Daseinsfürsorge wie Straßen und Schulen.

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    Die Netzentgelte für Haushaltskunden haben sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Was Ökonomen und Politiker empfehlen, um sie zu senken.

    Stromleitungen an einem Kohlekraftwerk: Die Netzentgelte haben sich binnen zehn Jahren fast verdoppelt.

     

    Von Daniel Hautmann

    Die Hierarchie im Stromnetz lässt sich mit der des Straßennetzes vergleichen. Ganz oben stehen die Stromautobahnen der vier Übertragungsnetzbetreiber. Sie transportieren Höchstspannung über weite Distanzen. Darunter gibt es Haupt- und Nebenstraßen, über die fast 900 Netzbetreiber den Strom bis in die heimische Steckdose liefern. Doch während das Fahren auf der Straße zumindest im Pkw kostenlos ist, kassieren alle diese Netzbetreiber eine Gebühr, das sogenannte Netzentgelt. Und das wird zunehmend zum Problem. Denn es hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt und macht heute im Schnitt gut 28 Prozent des Stromendpreises für Privatverbraucher aus.

    Aber nicht alle Kunden bezahlen gleich viel. Für industrielle Großkunden gelten andere Tarife als für Privatleute. Und auch regional gibt es große Unterschiede. Ausgerechnet dort, wo die Energiewende besonders weit fortgeschritten ist, liegen die Netzentgelte in der Regel deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt. Denn dort mussten die Netze ausgebaut werden, mit neuen Leitungen, Umspannwerken oder Leittechnik. Das gilt vor allem für die ost- und norddeutschen Bundesländer. Hier bezahlen Privathaushalte teils dreimal mehr als im Süden. Die Nordländer forderten schon 2022 eine Aufspaltung der Strompreiszonen in Deutschland, die den Strom tendenziell dort günstiger machen würden, wo er im Überschuss erzeugt wird.

    Die Bundesnetzagentur will die Entgelte reformieren. Es soll gerechter zugehen

    Inzwischen hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) reagiert. Ende August kündigte sie für kommendes Jahr ein neues Verrechnungsmodell an, das die Belastungen gerechter verteilen soll. „Wir schaffen faire Netzentgelte für die Menschen und Unternehmen, die in Regionen mit einem starken Ausbau der Erneuerbaren leben und wirtschaften. Die Energiewende ist eine Gemeinschaftsaufgabe, und Investitionen in die Netze kommen allen zugute“, sagt BNetzA-Präsident Klaus Müller.

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    Wir müssen an die Struktur der Netzentgeltsystematik heran, da sind größere Reformen nötig

    Wolfgang Fritz, Geschäftsführer von Consentec

    „Das sehe ich als absolut richtig an“, sagt Wolfgang Fritz, Experte für Energiewirtschaft und Geschäftsführer der Consentec GmbH in Aachen, einem Beratungsunternehmen, das sich auf die Energieversorgung spezialisiert hat. Gegenüber EnergieWinde warnt er allerdings gleichzeitig: „Die Umverteilung der Kosten auf die nun beschlossene Weise ist nur eine kurzfristige Problembeseitigung. Wir müssen an die Struktur der Netzentgeltsystematik heran, da sind größere Reformen nötig.“

    Klar scheint: Der Netzbetrieb ist ein einträgliches Geschäft. Es heißt, die Betreiber nähmen jährlich rund 25 Milliarden Euro ein. „Das ist schon eine Summe, bei der es sich lohnen würde, mal genauer hinzusehen“, sagt Andreas Jahn, Energiespezialist beim Regulatory Assistance Project (RAP), einem mit Agora Energiewende assoziierten Thinktank. „Es gibt viel zu wenig Anreiz, Kosten zu reduzieren“, so Jahn im Gespräch mit EnergieWinde.

    Der Ausbau treibt die Netzkosten in die Höhe. Aber er ist nicht der einzige Faktor

    Die Gründe für die hohen Kosten liegen aber nicht immer nur beim Netzausbau, sondern auch im Regulierungsrahmen. Erst mit der Novelle des Energiewirtschaftsrechts im Dezember 2023 hat die Bundesnetzagentur die Kompetenz erhalten, die Grundlagen für die Berechnung der Netzentgelte zu treffen. „Bisher lag diese beim Gesetzgeber, der nach Entscheidung des europäischen Gerichtshofs keine ausreichende Unabhängigkeit ermöglicht hat“, sagt Jahn.

    Einen Schuldigen für die Preistreiberei kann Jahn nicht erkennen, zumindest keinen einzelnen: „Wenn es eine Schuld gibt, dann ist es die Struktur.“ So mache es etwa die Masse an Netzbetreibern kompliziert. Zudem sei problematisch, dass viele zugleich Energieerzeuger seien, etwa Stadtwerke. Hier könnte es Interessenverflechtungen geben. Zudem seien die kleinen nun mal nicht ganz so innovativ und effizient, wie die großen Betreiber, monieren Fachleute.

    Netzentgelte für Haushaltskunden: Zwischen 2014 und 2024 haben sich die Entgelte fast verdoppelt. Inzwischen leigen sie bei 11,53 Cent je Kilowattstunde, was einem Anteil von 28 Prozent an den Stromkosten entspricht. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Wie also würde ein energiewendefähiges Netz aussehen? An Ideen, wie es besser gehen könnte, fehlt es jedenfalls nicht. Allein technisch könnte man dem Preistreiben an vielen Stellen den Stecker ziehen:

    • Strategisch platzierte Großakkus könnten die Notwendigkeit neuer Leitungen eindämmen oder die Auslastung bestehender optimieren.
    • All die Batterie-Heimspeicher, die inzwischen auf zusammen 8,4 Gigawatt kommen – und damit fast die zehnfache Kapazität der Großakkus haben –, könnten geregelt werden und so die Belastung der Netze senken. Die Speicher würden nur dann in die Netze einspeisen, wenn auch Bedarf da ist. Und nicht wie heute, zur Mittagszeit, wenn durch die ganzen Fotovoltaikanlagen bereits Überschuss herrscht.
    • Neue Tarifstrukturen würden Gerechtigkeit schaffen. So stellt sich die Frage, ob Stromkunden, die sich teilweise durch eigene Fotovoltaikanlagen selbst versorgen, zukünftig noch in gleichem Umfang von Netzentgelten entlastet werden sollten wie heute, findet Wolfgang Fritz. Dies führe perspektivisch zu einer wachsenden Mehrbelastung der Verbraucher ohne eigene Erzeugungsanlage.
    • Die Elektrifizierung des Transports würde helfen, Lasten zu verschieben, in dem die Batterien in stromreichen Zeiten geladen werden und bei Bedarf ins Netz einspeisen.
    • Ähnlich im Wärmemarkt. Auch hier können Lasten verschoben und Spitzen abgepuffert werden. Je nach Stromangebot könnte mal mehr, mal weniger stark geheizt oder gekühlt werden.
    • Stromübertragungsleitungen könnten mutiger und lastabhängig gefahren werden. Heute werden oft konservative Lastannahmen getroffen, die mit der Realität wenig zu tun haben. So gelten oftmals hochsommerliche Temperaturen als Regelfall – auch wenn die mit den tatsächlich herrschenden Bedingungen nicht übereinstimmen.
    • Digitale Stromzähler und dynamische Tarife könnten Verbräuche steuern und so Angebot und Nachfrage angleichen. So wäre der Strom teurer, wenn die Nachfrage besonders hoch ist. Das würde vor allem Großverbraucher animieren, ihre Verhalten anzupassen. Noch belohnt sie das sogenannte Bandlast-Privileg: Kunden mit möglichst konstantem Verbrauch erhalten Vergünstigungen. Das will die Bundesnetzagentur nun ändern. In einem Eckpunktepapier schreibt Agentur-Chef Müller: „Die alten Netzentgeltrabatte entsprechen nicht mehr den Anforderungen eines Stromsystems, das von hohen Anteilen erneuerbarer Stromerzeugung geprägt ist.“

    Schätzungen zufolge dürften sich die Kosten für den Netzausbau in den kommenden zwei Jahrzehnten auf einen dreistelligen Milliardenbetrag belaufen. Wolfgang Fritz sieht hier auch Chancen: „Nur weil die Netzausbaukosten steigen, heißt das noch nicht, dass die Entgelte in gleichem Maße mitsteigen müssen.“ Natürlich entstünden Kosten für den Netzausbau, da aber in Zukunft deutlich mehr Strom verbraucht werde, werden die Kosten auch auf einen steigenden Verbrauch umgelegt. Daher könne man den Anstieg von Netzkosten und Netzentgelt nicht eins zu eins gleichsetzen.

    Die Politik macht Druck. Noch vor der Wahl soll eine Reform kommen

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck jedenfalls drängt auf Änderungen an den Netzentgelten noch vor der Bundestagswahl. Das bisherige Entgeltsystem stamme aus einer Zeit, in der kaum in die Netze investiert werden musste und passe daher nicht zu den Anforderungen der Energiewende. Habeck schlug vor ein Amortisationskonto zu schaffen, ähnlich wie für den Bau des Wasserstoffkernnetzes. Darüber könnten die derzeit hohen Kosten für den Ausbau auch mit staatlichen Zuschüssen über einen Zeitraum von drei oder vier Jahrzehnten gestreckt werden.

    Aus der energieintensiven Wirtschaft kommt noch eine ganz andere Idee: „Langfristig sollten wir überlegen, ob Netze nicht wie Straßen und Radwege Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge sind und deshalb vom Staat finanziert werden sollten“, sagte Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, im EnergieWinde-Interview.

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