EU-Notfallverordnung

  • Search01.02.2023

Turbo für die Energiewende

In der Energiekrise gibt die EU den Mitgliedsstaaten weitreichende Möglichkeiten, um den Ökostromausbau voranzutreiben. Wie die Bundesregierung davon Gebrauch macht – und wo Branchenvertreter Verbesserungsbedarf sehen.

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    Wartung eines Windrads: Deutschland vereinfacht auf Basis der EU-Notfallverordnung vorübergehend die Genehmigungsverfahren.

    Wartung eines Windrads: Die Genehmigungsverfahren zum Bau neuer Anlagen werden gestrafft.

     

    Von Angelika Nikionok-Ehrlich

    Um den Klimawandel einzudämmen, muss die Wirtschaft so schnell wie möglich vom CO2 befreit werden. Zentral dafür ist der Umstieg von fossilen Brennstoffen auf Ökostrom und grünen Wasserstoff. Das wiederum erfordert einen massiven Ausbau der Erneuerbaren – und der hakt nicht zuletzt am Tempo, in dem neue Wind- und Solarparks genehmigt werden. Vor diesem Hintergrund hat das Bundeskabinett Ende Januar Schritte beschlossen, die den Ausbau der Erneuerbaren und der Stromnetze beflügeln sollen.

    „Die Erneuerbaren sind Klimaschutz, sie sind eine Standortfrage, sie bedeuten Sicherheit“, begründete Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck die Beschlüsse, die vor allem bei den Genehmigungsverfahren ansetzen.

    Die Bundesregierung stützt sich dabei auf die sogenannte EU-Notfallverordnung vom Dezember 2022. Sie erlaubt es, in Gebieten, für die bereits eine strategische Umweltprüfung erfolgt ist, vorübergehend auf eine Umweltverträglichkeits- und artenschutzrechtliche Überprüfung zu verzichten. Zugleich soll es aber weiterhin Ausgleichsmaßnahmen für Eingriffe in die Natur geben.

    Die EU schaltet in der Energiekrise in den Notfallmodus – vorerst bis Mitte 2024

    Brüssel hatte die Notfallverordnung angesichts des Kriegs in der Ukraine und der Energiekrise erlassen. Um ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, müssen gleich mehrere Gesetze geändert werden: das Windenergieflächenbedarfsgesetz, das Windenergie-auf-See-Gesetz und das Energiewirtschaftsgesetz. Den Entwürfen des Ministeriums dazu hat die Bundesregierung nun zugestimmt. Sie greifen entsprechend der EU-Regelung befristet für bis zum 30. Juni 2024 eingereichte Anträge.

    Windenergie nach Bundesländern: Schleswig-Holstein hat mehr Windkraftleistung im Verhältnis zur Landesfläche installiert als alle anderen Flächenländer. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Der Bundesverband Windenergie (BWE) wie auch der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) begrüßten die Regelungen, kritisieren aber die Befristung. „Für die langfristige Wirksamkeit braucht es eine dauerhafte Verankerung im europäischen und deutschen Recht und die schnelle Ausweisung weiterer Windenergiegebiete“, betont BWE-Präsident Hermann Albers. Der VKU verlangt zusätzlich Erleichterungen bei Netzverstärkungsmaßnahmen und auf der Verteilnetzebene, auf der viele Erneuerbaren-Anlagen angeschlossen werden.

    Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sieht richtige Weichenstellungen, aber auch Korrekturbedarf. Allein durch den Wegfall der Kartierung im Genehmigungsprozess „können Jahre eingespart werden“, lobt Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. Allerdings bemängelt sie unzureichende Konkretisierungen bei Artenschutz- und Netzausbauregelungen, die durch Interpretationsspielräume für die Behörden zu Verzögerungen führen könnten. Und auch die Ausgleichszahlungen seien mit bis zu 7000 Euro pro Megawattstunde „enorm“. So könnten für eine Fünf-Megawatt-Anlage im Zeitraum von 20 Jahren bis zu 700.000 Euro anfallen, rechnet sie vor.

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    80 Prozent, das bedeutet eine Verdoppelung bis Verdreifachung bei der Windenergie und eine Vervierfachung bei der Fotovoltaik

    Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des BDEW

    Andreae verdeutlichte kürzlich auf dem Energiegipfel des „Handelsblatts“ in Berlin, wie dringlich eine Beschleunigung des Ausbaus ist, wenn der Ökostromanteil in Deutschland wie geplant von aktuell rund 50 Prozent bis 2030 auf 80 Prozent steigen soll. „80 Prozent, das bedeutet eine Verdoppelung bis Verdreifachung bei der Windenergie und eine Vervierfachung bei der Fotovoltaik“, so Andreae, und dafür blieben nur wenige Jahre.

    Niedersachsen prescht voran – mit ehrgeizigen Zielen und mehr Personal

    Dass für die Beschleunigung des Ausbaus der politische Wille maßgeblich ist, zeigt sich am Beispiel Niedersachsen. „Wir werden die Flächen verdoppeln auf 2,2 Prozent und 6400 Windkraftanlagen bis 2026 aufstellen“, verkündete der zuständige Landesumweltminister Christian Meyer (Grüne) beim Energiegipfel. Niedersachsen plant pro Jahr mit 1,5 Gigawatt zusätzlich. „Wir wollen schnell genehmigen und sind dabei, die Genehmigungsbehörden zu stärken und zu entschlacken“, berichtete Meyer. Wichtig sei auch, dass man die Kommunen berate. „Es muss möglich sein, ein Windrad innerhalb eines Jahres aufzustellen“, meint der Minister. Die Verfahren müssten gebündelt werden.

    Dabei erweist sich der Personalmangel in den Behörden als großes Problem. Meyer berichtet, dass die Konferenz der Landesumweltminister 16.200 neue Stellen für erforderlich hält. In den Ämtern sollten angesichts der Personalnot der Erneuerbaren-Ausbau vorrangig behandelt und daher andere Verfahren hintangestellt werden, so der Minister. Er spricht sich zudem dafür aus, nicht erst den Ausgang von Klagen abzuwarten, sondern mit dem Bau von Anlagen schon vor der Genehmigung zu beginnen, wie beim LNG-Terminal in Wilhelmshaven, das in Rekordzeit errichtet wurde.

    Luftaufnahme einer Windrad-Baustelle: Mit Hilfe der EU-Notfallverordnung will die Bundesregierung dem Ausbau der Windenergie einen Schub geben.

    Windkraft-Bauplatz in Niedersachsen: „Es muss möglich sein, ein Windrad innerhalb eines Jahres aufzustellen“, sagt Landesumweltminister Christian Meyer.

    Gleichzeitig wird der Ausbau weiterhin gebremst durch zu wenige Flächen, Materialengpässe, Fachkräftemangel und Bürokratie. Immerhin: Das Ziel für die Offshore-Windenergie wurde angehoben, ebenso für die Solarenergie. Für die Windkraft an Land wurden die Ausschreibungsvolumina wie auch die Vergütung erhöht, nachdem die Ausschreibungen wiederholt unterzeichnet waren.

    70 Monate bis zum Windpark: Die Branche kritisiert die Umsetzungsdauer

    „Bis Ende des Jahrzehnts pro Jahr 10.000 Megawatt Wind und ein riesiger Ausbau von Solar – ich sehe noch nicht, dass wir dafür aufgestellt sind“, konstatierte denn auch Stefan-Jörg Göbel, Senior Vice-President von Statkraft in Deutschland, bei der Tagung in Berlin. „Es dauert 70 Monate bis zur Realisierung eines Windparks – das darf nicht sein“, nannte der neue EnBW-Chef Andreas Schell ein Beispiel.

    Für den Flächenbedarf ist aus Sicht des BDEW ein großer Schritt durch die Vorgabe des Bundes erfolgt, zwei Prozent der Landesflächen für Ökostromanlagen auszuweisen. „Wir merken schon, dass das in den Ländern angegangen wird“, sagte Andrae. Zugleich mahnte sie bundesweit einheitliche Regeln zum Artenschutz an, für die es bisher neben EU-Vorschriften auf Bundes- wie auch auf Länderebene eine Vielzahl von Leitlinien und Leitfäden gibt.

    Nicht nur die Politik, auch die Branche ist gefragt – etwa beim Thema Akzeptanz

    „Die Ansiedlung von erneuerbarer Energie ist Standortentwicklung. Wir sollten so viel wie möglich in der Fläche bauen“, sagte Statkraft-Manager Göbel. Die Prozesse für die Windkraft an Land seien jedoch „sehr aufwändig und kleinteilig“. Aber die Branche solle „nicht nur nach dem Staat rufen“, sondern könne auch selbst etwas tun. Denn neben den Rahmenbedingungen für den Erneuerbaren-Ausbau wie schnellere Verfahren sei die Akzeptanz vor Ort wichtig, betonte Göbel. Dafür müsse man den Dialog mit den Bürgern vor Ort wie auch mit den Lokalpolitikern suchen, um möglichst schon vor dem Genehmigungsverfahren „die Knackpunkte herauszufinden.“

    Vertreter der Offshore-Windindustrie kritisierten, dass bei den Ausschreibungen in Deutschland der Fokus allein auf dem Preis liege. Dabei würden gerade nicht-preisliche Faktoren sicherstellen, dass ein maximaler Wert für die Gesellschaft geschaffen werde. Dieser könne beispielsweise durch Kriterien wie Systemintegration oder die Verwendung CO2-armen Stahls in den Anlagen entstehen. Zudem müsse ein Business-Modell geschaffen werden, das langfristige Investitionen absichere. Die Zulieferindustrie fahre derzeit Verluste ein, dabei müsste sie ihre Produktionskapazitäten erhöhen, um das Offshore-Ausbauziel zu erreichen.

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