Die Kreuzkröte ist stark gefährdet. Als der Netzbetreiber 50 Hertz ein Umspannwerk erweitern will, muss er für die hier lebenden Exemplare deshalb einen neuen Tümpel finden. Das Umsiedlungsprojekt läuft über zwei Jahre.
Ökologischer Ausgleich für Energiewende-Projekte
- 28.08.2015
Achtung, Krötenwanderung!
Von Helmut Monkenbusch
Es gibt im deutschen Naturschutz eine Faustregel: Wer einen Baum fällt, um an seiner Stelle beispielsweise ein Umspannwerk zu bauen, muss zum Ausgleich woanders zwei Bäume pflanzen. Naturschützer sprechen in diesem Fall von einem Faktor eins zu zwei: Ein alter Baum ist doppelt so viel wert wie ein junger Baum.
Als der Netzbetreiber 50Hertz im Jahr 2011 das Umspannwerk Hamburg-Nord erweiterte, schuf das Unternehmen im schleswig-holsteinischen Glasmoor bei Norderstedt neue Waldflächen von mehr als 120.000 Quadratmetern – als Kompensation für die nur halb so große Fläche, die zur Erweiterung der Anlage genutzt wurde.
Der Ausbau des Umspannwerks war nötig geworden, um Strom aus erneuerbaren Energien, insbesondere von den Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee, in den Süden zu leiten. Er ist damit ein Beispiel für die ungezählten Baumaßnahmen, die im Zuge der Energiewende anfallen – und die immer wieder Eingriffe in die Natur bedeuten.
Nun lebten in der Nähe des Umspannwerks allerdings einige Kreuzkröten – eine Art, die in Deutschland „hochgradig vom Aussterben bedroht“ ist, wie die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein mitteilt. Und deshalb war neben der Aufforstung eine weitere Maßnahme fällig, die sich zunächst recht läppisch anhörte: die Umsiedlung der Kröten von Tümpel zu Tümpel.
Neue Heimat: An diesen Tümpel im Naturschutzgebiet Glasmoor werden die Kröten angesiedelt.
Doch was 50Hertz über insgesamt fünf Jahre unternahm, um der Kreuzkröte eine neue Heimat im Glasmoor zu bieten, war alles andere als läppisch. Es gehört zu den aufwendigsten und kostspieligsten Artenschutzmaßnahmen, die es in Norddeutschland jemals gegeben hat. Noch heute ist der Umzug der Amphibie das Leuchtturmprojekt der sogenannten Ausgleichsagentur, einer 100-prozentigen Tochter der Stiftung Naturschutz.
Diese Agentur aus der Gemeinde Molfsee im Kreis Rendsburg-Eckernförde kauft oder pachtet in Schleswig-Holstein Äcker und Wälder, um sie für den Natur- und Artenschutz zu sichern. Und sie managt die Ausgleichsmaßnahmen von Unternehmen, die an einem Ort in die Umwelt eingreifen und an einem anderen dafür Buße tun müssen.
Das schreibt der Paragraf 14 das Bundesnaturschutzgesetz so vor. Darin heißt es im schönsten Amtsdeutsch: „Eingriffe in Natur und Landschaft ... sind Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können.“
Das wichtigste Rechtsmittel, um solche „Beeinträchtigungen des Naturhaushalts“ wiedergutzumachen, ist die sogenannte Eingriffsregelung: Da ein generelles Verschlechterungsverbot für Natur und Landschaft gilt, sollen nicht vermeidbare Eingriffe durch Maßnahmen des Naturschutzes ausgeglichen werden.
Eine komplizierte Formel regelt den Umfang ökologischer Ausgleichsmaßnahmen
Es gibt Regelungen je nach Biotop wie die Wasserrahmenrichtlinie oder die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Und es gibt Richtlinien für einzelne Branchen wie den Orientierungsrahmen für den Straßenbau oder die Ausgleichsermittlung für die Windkraftindustrie. Dabei geht es stets um die F-Frage: die Frage nach dem Faktor. Wie errechnet sich die Kompensation, wenn die Natur beeinträchtigt wurde?
In der „Eingriffsregelung für Windkraftanlagen“ ist zu lesen: „Für die Ausgleichsermittlung ist bei allen Windkraftanlagen von den Anlagemaßen auszugehen. Die für die Ausgleichsmaßnahmen erforderliche Ausgleichsfläche „F“ entspricht der durch die Windkraftanlage aufgespannten Querschnittsfläche, also der Nabenhöhe x Rotordurchmesser zuzüglich der Hälfte der von den Rotoren bestrichenen Kreisfläche. Die so ermittelte Fläche stellt annähernd den durch die Windkraftanlage beeinträchtigten Bereich (z.B. Lebensraumverlust und Zerschneidungswirkung) dar.“
Die Ausgleichsfläche ist anhand folgender Formel zu ermitteln: F=2r x H Nabe + TT x r2/2.
Wird dagegen das Landschaftsbild verschandelt, sieht die Regelung eine Ersatzzahlung vor. Auch diese wird natürlich nicht nach Gutdünken, sondern nach einem Schlüssel ermittelt, der aus der Betriebswirtschaftslehre stammen könnte. Er lautet:
Ausgleichsumfang (€) = Grundwert x Landschaftsbildwert x durchschnittlicher Grundstückspreis/m² (zzgl. sonstige Grunderwerbskosten).
Was in allen Gesetzen und Richtlinien nicht angegeben ist, aber zwischen den Zeilen immer mitschwingt, ist der E- beziehungsweise Erziehungsfaktor: Jedes Unternehmen, das in die Umwelt eingreift, kriegt eine teure Lektion erteilt, damit es in Zukunft mit den Ressourcen etwas sorgsamer umgeht.
Damit sich die Kröten wohlfühlen, werden Dünen angelegt und Findlinge verteilt
So wie 50Hertz im Jahr 2011, als der Netzbetreiber die Ausgleichsagentur beauftragte, 9500 Kreuzkröten im Glasmoor auszusetzen. In einem ersten Schritt wurden in einer ausgewählten 45 Hektar großen Weidelandschaft „Gehölze entfernt, neue Laichgewässer, offene Rohbodenstellen und Lesesteinhaufen angelegt, um das Gelände für die Kröten zu optimieren“, wie die Agentur erklärt. Auch künstliche Dünen wurden angelegt und 143 Findlinge verteilt.
Parallel dazu sanierte man die alte Heimat und befreite sie von Wucherungen, um den Laich der Kreuzkröten problemlos einsammeln zu können. Dieser wurde dann in der stiftungseigenen Zuchtstation an der Universität Kiel aufgezogen.
Amphibienexperten siedelten die Aufzucht schließlich im Glasmoor an. Und als die jungen Kröten dort erstmals balzten, wurden auch die Elterntiere aus dem ursprünglichen Moorgebiet nachgeholt. Man darf annehmen, dass sie ihre sorgsam präparierte neue Heimat mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen haben werden.
Fünf wilde Konik-Pferde halten das Gras um den Tümpel niedrig. Das erleichtert den Kröten das Insektenfangen.
Zahlen musste 50-Hertz auch für 30 Galloway-Rinder und fünf wilde Koniks-Pferde, die auf den Weiden rund um die Teiche angesiedelt wurden. Der Grund für diese Zusatzmaßnahme: Die Vierbeiner sollen das Gras um die Teiche herunterfressen, damit die Kröten besser Insekten fangen können. Verständlicherweise verzichtet man dabei auf den Einsatz von Rasenmäher oder Sense.
Die Kosten des Kreuzkrötenprojekts wurden damals in den Medien auf rund 215.000 Euro geschätzt. 50Hertz teilt auf Nachfrage von EnergieWinde mit, bei heutigen Baumaßnahmen fünf bis zehn Prozent des Etats für Ausgleichsmaßnahmen bereitzuhalten.
Auf die Frage, ob man die Arbeit der Ausgleichsagentur als grünen Ablasshandel bezeichnen könnte, sagt Geschäftsführerin Ute Ojowski, die damals das Kreuzkrötenprojekt leitete: „Das kann man so nicht sehen. Man kann sich ja nicht freikaufen.“