Fachkräftemangel

  • Search08.09.2022

Leerstelle in der Windenergie

Anlagenbauer, Elektriker, Monteure, Servicetechniker: Spezialisten für den Ausbau der Windenergie werden händeringend gesucht. Um sie zu finden, gehen die Unternehmen neue Wege.

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    Muohsien Alhamada ist Windkraft-Servicetechniker bei Enertrag. Er ist 2015 aus Syrien geflohen und hat in Deutschland eine neue Heimat gefunden.

    Nach seiner Flucht aus Syrien hat Muohsien Alhamada in Deutschland eine Ausbildung zum Windkrafttechniker durchlaufen. Fachkräfte wie er sind in der Branche heiß begehrt.

     

    Von Daniel Hautmann

    Als Muohsien Alhamada im Dezember 2015 nach einer Odyssee durch halb Europa in Unna ankam, kannte er nur ein deutsches Wort: Hallo! Inzwischen spricht und schreibt der gebürtige Syrer nahezu perfektes Deutsch und hat vom Land der Dichter und Denker mehr gesehen als viele, die hier zur Welt gekommen sind. Kein Wunder: Der 33-Jährige arbeitet als Windkraft-Servicetechniker – und von den bis zu 160 Meter hohen Maschinenhäusern hat er seine neue Heimat fest im Blick. „Ziemlich cool“, findet er seinen Job.

    Facharbeiter wie Muohsien Alhamada bräuchte es zu Hunderttausenden. Denn Männer und Frauen, die die Energiewende in die Tat umsetzen, fehlen hinten und vorne, oben und unten: Elektriker, Kran- und Lkw-Fahrer, Monteure, die in schwindelnder Höhe arbeiten, Personal in Büros und Behörden.

    Zu wenig Berufseinsteiger: Der Fachkräftemangel wird zur Wachstumsbremse

    Schon heute kommt Deutschland auf dem Weg in die Klimaneutralität deshalb langsamer voran. Künftig wird sich das Fachkräfteproblem noch verschärfen. Denn nicht nur der Erneuerbaren-Branche fehlt Personal. Bis 2030 könnte Deutschland fünf Millionen Fachkräfte zu wenig haben, weil mehr Menschen in Rente gehen, als auf dem Arbeitsmarkt nachrücken, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sagt.

    Auch eine Kurzstudie im Auftrag der Grünen kommt zu dramatischen Ergebnissen. Um Deutschland klimaneutral zu machen, fehlen demnach allein 2035 insgesamt 767.200 Personen. 58 Prozent davon sind Fachkräfte. Da verwundert es nicht, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Fachkräftemangel jüngst die „größte Wachstums- und Wohlstandsbremse für dieses Land“ nannte.

    Fachkräftemangel: Für die Energiewende fehlen 2035 insgesamt 762.200 Arbeitskräfte aus unterschiedlichsten Berufsgruppen. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Besonders zwei Bereiche sind vom Mangel betroffen, sagt Filiz Koneberg, Researcherin am Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung des IW: die MINT-Berufe, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, und das Handwerk.

    Was bedeutet der Mangel für die Klimaschutzziele der Bundesregierung? Schon in acht Jahren soll der Ökostromanteil von heute 50 auf 80 Prozent steigen. Doch wer schraubt all die Solaranlagen auf die Dächer, wer stellt die Windräder auf, wer wartet sie?

    Strom, Verkehr, Industrie: Überall muss das Tempo drastisch verschärft werden

    Und mit der Wende im Stromsektor ist es nicht getan. Denn bis 2045 sollen auch der Verkehr, der Wärmesektor und die Industrie dekarbonisiert werden. „Das ist ambitioniert“, sagt Volker Quaschning, Energieexperte an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin, zu EnergieWinde. Er ist skeptisch: „Wir haben 30 Jahre gebraucht, um auf 20 Prozent Erneuerbare im Gesamtmix zu kommen – und die Regierung will jetzt in 25 Jahren die restlichen 80 Prozent schaffen?“

    Andere sind optimistischer. Etwa Jörg Müller, bis Ende Juni Vorstandschef des Ökostrompioniers Enertrag. „Wir hatten 2017 bereits über 5000 Megawatt Zubau. Mit den heutigen Großanlagen und ausreichend Genehmigungen schaffen wir auch 7000.“

    Endlich gibt es Planungssicherheit: Die Unternehmen spüren Aufbruchstimmung

    Die Brandenburger bauen, betreiben und warten Windparks. In den letzten Jahren sind sie zunehmend ins Ausland ausgewichen, weil die Rahmenbedingungen in der Heimat zu unsicher waren. Jetzt aber verspüre man „Aufbruchstimmung“, sagt Müller.

    Der gebürtige Syrer Muohsien Alhamada ist Windkrafttechniker bei Enertrag. Um dem Fachkräftemangel in der Windenergie zu begegnen, erhalten Geflüchtete gezielt eine Ausbildung.

    Vom Agrarwirtschaftler zum Techniker: Muohsien Alhamada bei der Arbeit auf einem Windrad.

    Von dieser Aufbruchstimmung profitiert auch einer von Müllers Angestellten: Windkrafttechniker Alhamada. Den Job bei Enertrag hat er mit der Hilfe von Christian Jaffke bekommen, der beim Essener Schulungsanbieter KWS Energy Knowledge arbeitet. Die Genossenschaft ist aus der „Kraftwerksschule“ hervorgegangen, einem Verein, der schon vor 70 Jahren Fortbildungen für die Energiewirtschaft entwickelte. Früher ging es um Kohle, Gas und Kernkraft, heute immer stärker um Erneuerbare.

    „Wir schaffen das“: Geflüchtete werden zu Windkrafttechnikern ausgebildet

    Als Jaffke Alhamada kennenlernte, hauste er noch auf einem Essener Sportplatz im Zelt. Es war die Zeit der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015/16. Mehr als eine Million Schutzsuchende strömten damals nach Deutschland. „Allein in Essen tummelten sich 10.000 junge Männer“, erinnert sich Jaffke.

    Auf die angespannte Stimmung in der Bevölkerung reagierte Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem berühmten Satz: „Wir schaffen das.“ Jaffke und sein Team machten sich daran, den Satz mit Leben zu erfüllen. „Wir hatten die Idee, Geflüchtete in einer zweijährigen Maßnahme zu Industrieelektrikern Betriebstechnik für die Windkraft auszubilden.“ Der Name des Projekts ist Programm: „Empower Refugees“.

    „Geflüchtete und andere Zuwandernde sind eine Riesenressource“

    Als Alhamada davon hörte, war er begeistert. Windräder faszinieren ihn, seit er sie zum ersten Mal in Deutschland gesehen hat. „Ich habe mich gefragt, wie sie funktionieren und wie man da hochkommt.“ „Geflüchtete und andere Zuwandernde sind eine Riesenressource“, sagt Jaffke. Vor allem Syrer und Iraner brächten eine gute Schulbildung mit. Knackpunkt seien die Sprachkenntnisse. Deshalb arbeiten die Essener mit Sprachschulen zusammen. Auch Alhamada durchlief das Programm. Die IHK-Prüfung bestand er mit Top-Note. Jetzt klettert er als Techniker die Karriereleiter hinauf.

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    Mit den neuen starken Ausbauzielen sehen wir, dass auch das Interesse der Studierenden wieder zunimmt

    Stephan Barth, Center for Wind Energy Research

    Eine Ursache für den Fachkräftemangel in der Windenergie waren die unsicheren Branchenaussichten in den vergangenen Jahren. Viele junge Menschen wählten deshalb andere Ausbildungs- oder Studienplätze. Studierende beobachteten sehr genau, ob ein Themenfeld Zukunft verspreche, sagt Stephan Barth vom Center for Wind Energy Research an der Universität Oldenburg. Doch auch er nimmt einen Stimmungswechsel wahr: „Mit den neuen starken Ausbauzielen sehen wir, dass auch das Interesse der Studierenden wieder zunimmt.“

    Stellenabbau hier, Fachkräftemangel da – wie passt das zusammen?

    Kurios erscheint angesichts des Mangels, dass viele Windkraftfirmen zuletzt Stellen abgebaut haben. Laut dem Bundesverband der Windenergie (BWE) gingen in den letzten Jahren 40.000 Jobs verloren – mehr als es im hochsubventionierten Braunkohlebergbau überhaupt gibt.

    Volker Quaschning wundert das nicht: „Die Groko hat richtig gewütet und Tausende Jobs in den erneuerbaren Energien vernichtet.“ Zuletzt schloss das Rotorblattwerk von Nordex in Rostock, davor das von Vestas im brandenburgischen Lauchhammer. Bereits 2019 geriet Enercon ins Trudeln. Im selben Jahr ging Senvion pleite. Wo all die Spezialisten gelandet sind, weiß niemand so genau.

    Enertrag-Techniker Alhamada hingegen macht sich keine Sorgen um seinen Job. Es läuft gut für ihn. Auch in seiner neuen Heimat ist er knapp sieben Jahre nach der Ankunft längst bestens integriert. Dass er vor wenigen Wochen die deutsche Staatsangehörigkeit erhielt, war nur noch formelle Bestätigung dafür.

    Bei der Arbeit kommt er viel herum, gerade erst war er in Finnland. Dort hat er Windturbinen mit neuer Technik ausgestattet – und die Aussicht über das Land genossen.

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