CO2-Grenzausgleich

  • Search30.06.2022

Schutzschild für Europas Industrie

Die Treibhausgaskosten für Europas Wirtschaft steigen. Um zu verhindern, dass die Unternehmen abwandern oder verdrängt werden, plant die EU eine Art Klimazoll: den CO2-Grenzausgleich. Doch die Details sind umstritten.

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    Stahlproduktion bei Thyssenkrupp Steel: Ein sogenannter CO2-Grenzausgleich soll Europas Industrie vor billiger Konkurrenz aus Ländern mit niedrigeren Klimastandards schützen.

    Stahlproduktion bei Thyssenkrupp: Der Grenzausgleich soll Europas Wirtschaft vor Billigimporten aus Ländern mit niedrigeren Klimastandards schützen.

     

    Von Kathinka Burkhardt

    Erst die Kommission, dann das EU-Parlament und jetzt auch der Rat der europäischen Umweltminister – sie alle haben dem nächsten Baustein im Emissionshandel ETS zugestimmt: Bis 2035 soll ein sogenannter CO2-Grenzausgleich eingeführt werden. Dieser Klimazoll, im Fachjargon Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) genannt, soll den Nachteil ausgleichen, den Europas Unternehmen im internationalen Wettbewerb haben, weil sie für ihre CO2-Emissionen Zertifikate kaufen müssen und ihre Produkte dadurch teurer werden. Andernfalls, so die Sorge, könnten sie in Länder mit niedrigeren Klimastandards abwandern oder durch Billigprodukte verdrängt werden, die von dort importiert werden. Deshalb will die EU Einfuhren aus solchen Drittstaaten mit einer Grenzzahlung belegen.

    Das Prinzip ist simpel: Je schmutziger die Produktion, desto höher der Importzoll

    Der geplante Zoll soll sich an den Emissionen bei der Herstellung bemessen. Es ist ein komplexes System, das im Idealfall den Klimaschutz weltweit voranbringen könnte. „Das Ziel ist zum einen, zu vermeiden, dass CO2-intensive Produktionen und damit deren Emissionen aus der EU verlagert werden“, sagt Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament. „Zum anderen können die europäischen Industrien dann in einem geschützten Rahmen transformiert werden und die Wirtschaft dekarbonisieren“, so Bloss im Gespräch mit EnergieWinde.

    CO2-Zertifikate: Der Chart zeigt die Entwicklung von 2008 bis Juni 2022. Derzeit kostet ein Zertifikat im ETS rund 85 Euro. Infografik: Andreas Mohrmann

    Die Befürchtung vieler Politiker und Ökonomen ist, dass sich ohne einen entsprechenden Grenzausgleich vor allem Europas Grundstoffindustrien gezwungen sehen könnten, ihre Produktion in Nicht-EU-Staaten zu verlagern. Einige Wirtschaftszweige könnten in Europa gar komplett verloren gehen, mitsamt der Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Zwar würden auch die Emissionen in Europa sinken. Aus der Welt wären sie allerdings nicht – sie würden schlicht auf anderen Kontinenten anfallen. „Carbon Leakage“ nennt sich dieser Effekt abwandernder CO2-Emissionen.

    Noch werden die CO2-Zertifikate oft kostenlos verteilt. Doch das wird sich ändern

    Die Produktions- und Handelskosten sind in der EU ohnehin höher als in vielen anderen Teilen der Welt. Mit dem Emissionshandelssystem steigen sie zusätzlich. Das ist so gewollt. Denn je mehr ein Unternehmen für das Recht bezahlen muss, die Atmosphäre mit CO2 zu verschmutzen, desto mehr wird es dafür tun, den CO2-Ausstoß zu senken. Allerdings hat die EU den Emissionshandel in der Vergangenheit nur halbherzig verfolgt: Um eine zu hohe Belastung zu vermeiden, werden 90 Prozent der Zertifikate an Industrieunternehmen und Energieerzeuger kostenlos vergeben. Zertifikate, die die Unternehmen selbst nicht brauchen, können sie weiterverkaufen, woran sie derzeit gut verdienen.

    „Wir haben seit 2005 zwar einen Emissionshandel mit nominalen Preisen, die mit 80 Euro auch eine ausreichende Höhe haben“, sagt Karsten Neuhoff, Leiter der Abteilung Klimapolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Aber durch die größtenteils freie Zuteilung der Zertifikate an die Unternehmen haben sie keinen Anreiz, in die Transition zur Klimaneutralität zu investieren“, erklärt Neuhoff gegenüber EnergieWinde.

    Das hat man auch in Brüssel erkannt. Der EU-Rat hat deshalb zugestimmt, die freie Zuteilung im Zeitraum von 2027 bis 2035 abzuschmelzen. Anschließend soll der CBAM die Unternehmen schützen.

    Vorbilder für den CO2-Grenzausgleich gibt es allerdings nirgendwo auf der Welt. Entsprechend umstritten ist das Instrument. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie die Emissionen bei der Herstellung eines Produkts gemessen werden. Die EU hat dazu 55 verschiedene Produktbereiche untersuchen lassen. Für die meisten CO2-intensiven Produkte der EU soll sich der Ausstoß damit genau berechnen lassen.

    Folge des Grenzausgleichs: Hersteller aus Drittländern werden indirekt Teil des ETS

    Ein Beispiel: Eine Tonne Stahl hat im Produktionsprozess etwa 1,7 Tonnen CO2-Äquivalente verursacht. Bei einem Preis von derzeit 80 Euro pro Tonne CO2 fallen also etwa 135 Euro zusätzliche Kosten in Form von Zertifikaten an. Der CBAM wird genau mit diesen sogenannten Benchmarks bemessen, sodass auch eine aus China eingeführte Tonne Stahl dann mit 135 Euro Grenzausgleichkosten belegt wird.

    CO2-Ausstoß in Tonnen pro Kopf in ausgewählten Ländern: In Australien, Kanada und den USA sind die Emissionen besonders hoch. Infografik: Andreas Mohrmann

    Allerdings fallen künftig nicht für jedes in die EU eingeführte Handy oder Auto CBAM-Kosten an. Der Mechanismus wird nicht für verarbeitete Waren, sondern zunächst nur für die Produkte der fünf Sektoren Zement, Dünger, Stahl, Aluminium und Strom gelten. Bis 2035 sollen die Ausgleichszahlungen dann auf die anderen der insgesamt 55 Produktgruppen ausgedehnt werden. Zudem werden zunächst nur Emissionen berechnet, die unmittelbar bei der Herstellung anfallen, nicht Emissionen von Zulieferern oder durch den Gebrauch der Produkte.

    Streit ist programmiert: Entspricht der Grenzausgleich internationalem Recht?

    Der CBAM ist als unilaterales Instrument gedacht, was bedeutet: Die Grenzausgleichszahlungen gelten für alle Nicht-EU-Staaten. Es wird keine einzelnen bilateralen Verträge oder Abkommen mit den USA oder China geben, obwohl zumindest in einzelnen US-Staaten und in der Volksrepublik gewisse Emissionskosten für Unternehmen anfallen.

    Industriebeobachter fürchten deshalb, dass es zu Unklarheiten und Streitereien zwischen Handelspartnern der europäischen Unternehmen kommen könnte. Zumal sich der bisherige Entwurf der EU-Kommission offenbar in einem Grenzbereich des Rechts der Welthandelsorganisation WTO bewegt. „Mit dem jetzigen Design des CBAM wird die zeitnahe Umsetzung noch nicht gelingen“, sagt Neuhoff vom DIW.

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    Es ist quasi eine Gleichstellung mit den Zertifikate-Zahlungen unserer Unternehmen

    Michael Bloss, Grünen-Abgeordneter im EU-Parlament

    Das Ende der kostenlosen Zertifikate gilt als wichtiger Schritt, um die Vorgaben der WTO einzuhalten. Damit wolle man ein WTO-konformes sogenanntes Level Playing Field herstellen, sagt EU-Parlamentarier Bloss. „Es ist quasi eine Gleichstellung mit den Zertifikate-Zahlungen unserer Unternehmen.“

    Europäische Exporteure sehen sich benachteiligt: Der Klimazoll bringe ihnen nichts

    Doch die Kritik beschränkt sich nicht allein auf WTO-Fragen. Experten dringen unter anderem darauf, arme Länder vom CBAM auszunehmen, um ihnen den Handel nicht zusätzlich zu erschweren. Auch Europas Industrien sehen die Einführung des Klimazolls zum Teil kritisch: Das Ende der freien Zuteilung von Zertifikaten komme zu früh, da viele Unternehmen bis 2035 noch mitten im Umbruch steckten und keine zusätzlichen Kosten tragen könnten. Zudem berücksichtige der CBAM lediglich Importe aus Nicht-EU-Staaten. Europäische Exporteure hätten dagegen keine Vorteile durch den CBAM; sie blieben auf den steigenden Kosten für CO2-Zertifikate sitzen.

    Fabrik in Indien: Die EU will sich mit einem sogenannten CO2-Grenzausgleich gegen Importe aus Ländern mit niedrigen Klimastandards schützen (Carbon Leakage).

    Produktion von Autoteilen in Indien: Zunächst soll der Importzoll nur auf unverarbeitete Waren erhoben werden.

    Noch ungeklärt ist zudem, wo die Einnahmen hinfließen. Eigentlich sollen sie der Transformation der Wirtschaft dienen. Sie könnten aber auch direkt an die EU-Länder gehen oder andere EU-Töpfe füllen, wie manche fürchten.

    Wann startet der Grenzausgleich? Das Parlament drängt auf einen frühen Termin

    Nach dem Sommer könnten die Verhandlungen zur Ausgestaltung des CBAM zwischen den Staaten, der Kommission und dem Parlament beginnen. Dabei dürfte es noch Streit geben: Bereits vor zwei Wochen hatte sich das EU-Parlament erst nach mühsamem Ringen darauf geeinigt, den Grenzausgleich zu unterstützen, die freie Zuteilung der CO2-Zertifikate aber bereits 2030 enden zu lassen. „Wir haben mit Ach und Krach durchgesetzt, dass wir den CBAM früher einführen, der Rat behält das Enddatum 2035 wie von der Kommission vorgeschlagen bei, aber anstatt jedes Jahr die freien Zuteilungen um zehn Prozent zu verringern, soll es sogar noch langsamer gehen. Das wird einen Konflikt geben“, sagt Michael Bloss.

    Anführungszeichen

    Man darf nicht vergessen, dass der ETS darauf abzielt, dass der Treibhausgasausstoß der europäischen Wirtschaft reduziert und die Transformation mitfinanziert wird

    Karsten Neuhoff, Leiter der Abteilung Klimapolitik beim DIW

    Experten sind sich einig, dass der Grenzausgleich vor allem eines sein muss: schnell anwendbar. „Er muss so ausgestaltet sein, dass PolitikerInnen ihn direkt umsetzen können, statt eine vollständige Einführung in den Jahre nach 2030 – also von zukünftigen Regierungen – anzukündigen“, sagt Neuhoff.

    Für das Klima wäre eine schnelle ETS-Reform samt wirksamen Grenzausgleichsmechanismus ein Gewinn: „Man darf nicht vergessen, dass der ETS darauf abzielt, dass der Treibhausgasausstoß der europäischen Wirtschaft reduziert und die Transformation mitfinanziert wird“, so Neuhoff.

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