Energiewende in der Stahlindustrie

  • Search15.06.2022

Koloss auf dem Klimapfad

Für kaum eine Industrie ist der Weg in die Klimaneutralität weiter als für die Stahlbranche. Doch die Unternehmen sind längst aufgebrochen. Sie entwickeln Produktionsverfahren auf Wasserstoffbasis – und verbünden sich mit Energiekonzernen.

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    Stahlabstich bei der Salzgitter AG: Der Konzern trimmt seine Produktion auf Klimaneutralität. Mithilfe von Wasserstoff will er grünen Stahl erzeugen.

    Stahlherstellung bei der Salzgitter AG: Um klimaneutral zu werden, muss die Branche komplett neue Produktionsverfahren entwickeln.

     

    Von Kathinka Burkhardt

    Auf dem Gelände der Salzgitter AG steht ein Stückchen Zukunft. Gemeinsam mit Partnern hat der niedersächsische Stahlkonzern dort vor drei Jahren einen sogenannten Hochtemperatur-Elektrolyseur aufgestellt. Darin wird Wasserstoff erzeugt. Mit einer Leistung von 720 Kilowatt ist er derzeit der weltweit leistungsstärkste seiner Art. An der Frage, wie gut er funktioniert, könnte sich das Wohl und Wehe ganzer Industriezweige entscheiden.

    Denn in dem von der EU geförderten Projekt wird nicht nur erprobt, wie sich Wasserstoff in der Stahlbranche einsetzen lässt. Die Forschungspartner arbeiten vor allem daran, mehr Leistung aus dem Elektrolyseur herauszukitzeln. Er muss mit möglichst wenig Strom möglichst viel Wasserstoff erzeugen – nur dann rechnet sich die Technologie für die Industrie. Und nur wenn genügend Unternehmen Elektrolyseure anschaffen, profitieren deren Hersteller von Skaleneffekten, sodass sie die Produktion erweitern können. Im Fachjargon ist vom „Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft“ die Rede.

    Für grünen Wasserstoff ist viel Ökostrom nötig. Er muss effizient genutzt werden

    Bislang verläuft das Projekt vielversprechend. Im Frühjahr hat der Elektrolyseur einen Wirkungsgrad von 84 Prozent erreicht. Das bedeutet, 84 Prozent der aufgewendeten Energie landeten im Wasserstoff. Nur 16 Prozent gingen etwa in Form von Abwärme verloren – ein Rekord. „Die knappe Ressource Strom aus erneuerbaren Quellen wird hier ideal für die Erzeugung von Wasserstoff eingesetzt“, erklärt Stefan Mecke, Sprecher des konzerninternen Klimaprogramms Salcos.

    Der Elektrolyseur auf dem Gelände der Salzgitter AG stammt vom Dresdner Hersteller Sunfire.

    Für die Stahlindustrie ist das ein wegweisender Schritt. Sie ist einer der größten Treibhausgasemittenten der Welt. In Deutschland stehen die Eisen- und Stahlproduktion mit jährlich knapp 60 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten für sieben Prozent aller Emissionen. Zum Vergleich: Der innerdeutsche Flugverkehr verursacht gerade einmal 0,3 Prozent.

    Die Stahlbranche muss sich neu erfinden. Die Technologien dafür sind vorhanden

    Doch die Hürden auf dem Weg in die Klimaneutralität sind für die Branche mit Konzernen wie Thyssenkrupp, Salzgitter oder Saarstahl nicht nur deshalb höher als für andere Branchen, weil ihre Emissionen so gewaltig sind. Sie haben ein zusätzliches Problem: Ein Drittel des von ihnen verursachten CO2 ist prozessbedingt. Das bedeutet, dass es nicht durch den Einsatz fossiler Energien entsteht. Vielmehr wird es durch chemische Reaktionen bei der Eisengewinnung freigesetzt. Allein durch den Einsatz von Ökostrom lassen sich diese Emissionen nicht verhindern.

    Dazu ist ein kompletter Technologieumstieg nötig, samt des Austauschs sämtlicher Anlagen in der Stahlerzeugung, also entlang der sogenannten Hochofenroute. Es ist ein Projekt, das Milliarden verschlingt. Das liegt auch am großen Energiebedarf in der Produktion, der noch größtenteils mit fossilen Brennstoffen gedeckt wird. Doch die haben sich zuletzt enorm verteuert. Auch die gestiegenen Kosten für die notwendigen CO2-Zertifikate nagen an der Investitionskraft der Unternehmen. Und als wäre das alles nicht genug, drängt die Zeit. Denn die Erderhitzung schreitet unvermindert fort.

    So wird grüner Stahl hergestellt

    Wie grüner Stahl hergestellt wird: Das Schaubild zeigt das Verfahren von der Wasserstoff-Erzeugung (Elektrolyse) über die Direktreduktion bis zur Rohstahlherstellung per Lichtbogenofen. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Wie grüner Stahl hergestellt wird: Das Schaubild zeigt das Verfahren von der Wasserstoff-Erzeugung (Elektrolyse) über die Direktreduktion bis zur Rohstahlherstellung per Lichtbogenofen.

    Und so arbeiten die Stahlhersteller mit Hochdruck an ihrer Transformation. Deutschlands größter Produzent Thyssenkrupp Steel will bis 2045 klimaneutral sein. Die Salzgitter AG will 2033 alle konventionellen Hochöfen abgeschaltet haben. Wenn sämtliche Anlagen mit Wasserstoff versorgt werden, spart Salzgitter 95 Prozent der heutigen Emissionen ein, heißt es.

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    Die Stahlproduktion ist ein guter Anker, um die Produktion, Speicherung und den Transport von Wasserstoff in Deutschland aufzubauen

    Philipp Hauser, Agora Industrie

    So weit der Weg auch sein mag – dank des Innovationswillens und erster Erfolgsprojekte wie in Salzgitter sehen Experten durchaus Chancen für die Traditionsbranche. „Die Stahlproduktion ist ein guter Anker, um die Produktion, Speicherung und den Transport von Wasserstoff in Deutschland aufzubauen, eine Infrastruktur, die wir für eine klimafreundliche Wirtschaft ohnehin brauchen“, sagt Philipp Hauser, Industrieexperte beim Thinktank Agora Industrie.

    Die Transformation ist eine Belastung für die Industrie – und eine Riesenchance

    Für die deutsche Wirtschaft insgesamt eröffnet sich zudem die Perspektive, mit technologischen Fortschritten in den traditionell wichtigen Branchen Anlagenbau und Verfahrenstechnik weltweit gefragte Produkte zu entwickeln und so Zukunftsmärkte zu erschließen.

    Ausgerechnet mit ihrem großen Wasserstoffhunger könnte die Stahlindustrie nach einer gelungenen Transformation überdies zu einer Stütze der Energieversorgung werden. Denn Stahlproduzenten benötigen nicht zwingend 24 Stunden am Tag grünen Wasserstoff. Mit einer Technologie wie dem Hochtemperatur-Elektrolyseur könnten sie Sonnen- oder Windenergie-Spitzen in Wasserstoff umwandeln, speichern und auf Sicht bei einer drohenden Dunkelflaute der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. „Die Stahlindustrie kann Wasserstoff sehr flexibel einsetzen, wodurch sie eine wichtige Ergänzung für ein Energieversorgungssystem in Deutschland sein wird, das auf erneuerbaren Energien basiert“, erklärt Hauser.

    Wasserstoff, das Zauberelixier der Energiewende

    Der Bund unterstützt die Transformation, auch wenn sie teuer ist. 2021 bezifferte die alte Bundesregierung den Bedarf auf mindestens 35 Milliarden Euro. Noch ist allerdings unklar, welche Förderungen die EU im Rahmen ihres Wettbewerbsrechts zulässt.

    Die Stahlbranche belastet das Klima. Doch ohne Stahl gibt es keinen Klimaschutz

    Die Hersteller haben sich dessen ungeachtet bereits auf den Weg gemacht. Dazu gehen sie auch Kooperationen über Branchengrenzen hinweg ein. Da sie ihren gewaltigen Strombedarf nur zu einem Teil selbst decken können – Salzgitter etwa betreibt einen kleinen Windpark am Werksgelände –, schließen sie Partnerschaften mit Energieerzeugern. Salzgitter beispielsweise kooperiert mit dem dänischen Offshore-Windparkbetreiber Ørsted (der auch das Portal EnergieWinde finanziert). Es ist eine Win-win-Situation: Der Stahlhersteller bekommt grünen Strom für seine Produktion, der Windparkbetreiber grünen Stahl für seine Anlagen auf See. Derweil arbeitet Thyssenkrupp an einer Kooperation mit dem Energieversorger RWE.

    Klimaschutz und Schwerindustrie – das klang lange nach zwei unversöhnlichen Welten. Immer neue Klimaauflagen schienen den Unternehmen das Leben schwer zu machen. Inzwischen aber entwickelt sich der Klimaschutz zum Geschäftstreiber. Nicht nur Deutschland, praktisch alle großen Industrienationen haben ehrgeizige CO2-Einsparziele aufgelegt. Um sie zu erreichen, sind viele Windräder nötig. Und die bestehen zu einem großen Teil: aus Stahl.

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