100 Prozent Ökostrom

  • Search02.11.2022

Wie viele Windräder brauchen wir?

Mehr als 28.000 Turbinen drehen sich in Deutschland, doch für eine Vollversorgung mit Erneuerbaren reicht das nicht. Muss sich die Zahl der Windräder folglich vervielfachen? Nein, sagen Energieforscher – weil die Technik besser wird.

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    Rotorblätter für einen Windpark in Sachsen: Beim sogenannten Repowering steigt die Leistung von Windparks erheblich.

    Mehr Strom mit weniger Windrädern: Beim Repowering werden alte Anlagen durch leistungsstärkere ersetzt – hier im sächsischen Leisning.

     

    Von Kathinka Burkhardt

    Sie stehen im Norden und manchmal auch im Süden, auf Wiesen, Feldern und in Wäldern, auf Anhöhen und neben Ortschaften: 28.300 Windräder säumen die deutsche Landschaft. Gemeinsam kommen sie auf eine Leistung von 56 Gigawatt und decken damit 19 Prozent des Strombedarfs. Schaut man allerdings auf den Primärenergiebedarf, also auf das, was Industrie, Verkehr und Haushalte zusätzlich zum Strom durch Energieträger wie Öl, Gas und Kohle verbrauchen, sind es nur um die acht Prozent.

    Doch das muss sich schnell ändern: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Stromverbrauch 2030 zu 80 Prozent aus Erneuerbaren zu decken. Den größten Anteil soll dabei die Windenergie übernehmen. Der Strombedarf wird in acht Jahren allerdings noch größer sein als heute, weil mehr E-Autos auf den Straßen fahren, weil Wärmepumpen Gasheizungen ersetzen und die Industrie ihre Prozesse elektrifiziert. Bis 2030 könnte der Bedarf von heute etwa 500 Terawattstunden auf bis zu 750 Terawattstunden pro Jahr steigen, bis 2035 auf 900 und bis 2050 auf 1500.

    Aber was bedeutet das für den Ausbau der Windkraft? Wie viele Windräder müssen sich künftig in Deutschland drehen, damit sich das Land zu 100 Prozent aus Erneuerbaren versorgen kann?

    Warum für viermal so viel Windstrom nicht viermal so viele Windräder nötig sind

    „Wir müssen die heutige Leistung unserer Windparks an Land in etwa verdrei- oder vervierfachen“, sagt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Das bedeute aber nicht, dass viermal so viele Windräder wie heute benötigt würden. Vielmehr müsse die durchschnittliche Leistung der Windräder wachsen. Heute liegt sie bei etwa zwei Megawatt je Turbine. Moderne Anlagen schaffen allerdings bereits sechs Megawatt. Es komme also darauf an, alte Windräder nach dem Ende ihrer Lebenszeit durch leistungsstarke neue zu ersetzen, im Fachjargon Repowering genannt.

    „Dann würden wir mit lediglich 10.000 bis 15.000 zusätzlichen Windrädern genügend Windenergie erzeugen“, sagt Quaschning. Was noch für den Gesamtbedarf fehlt, kommt aus anderen erneuerbaren Quellen.

    Mehr als 28.000 Windräder gibt es in Deutschland. Neue Anlagen sind um ein Vielfaches stärker als alte. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Die gut 6000 ältesten Windräder in Deutschland kommen auf eine Leistung von rund 5,5 Gigawatt. Die etwa 4000 jüngsten schaffen zweieinhalbmal so viel.

    Im vergleichsweise windschwachen Jahr 2021 erzeugte die Onshore-Windkraft laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gut 90 Terawattstunden Strom. Bei einer Verdreifachung der jetzigen Leistung von 56 auf 170 Gigawatt dürften jährlich bis zu 300 Terawattstunden zusammenkommen. Mit zusätzlichen 15.000 Windrädern ließen sich folglich noch einmal 200 Terawattstunden erreichen. Damit würde die Windenergie an Land gut ein Drittel des für 2050 prognostizierten Bedarfs von 1500 Terawattstunden decken. Der übrige Strom käme aus Offshore-Wind, Fotovoltaik, Biomasse, Wasserkraft und weiteren sauberen Energieträgern.

    „In Anbetracht der gleichzeitig laufenden technologischen Entwicklung, die in ein paar Jahren noch mehr Ertrag ermöglicht, wird das in Kombination mit einem weiteren Ausbau der Fotovoltaik ausreichen. Und mehr Windräder werden wir zudem nicht bauen können, weil wir nicht genügend Flächen haben“, so Quaschning.

    Auf zwei Prozent der Fläche sollen Windräder stehen. Stand heute: 0,5 Prozent

    Nach Plänen der Bundesregierung sollen zwei Prozent der deutschen Fläche für Windkraft genutzt werden. Aktuell sind laut dem Umweltbundesamt 0,9 Prozent des deutschen Bodens dafür angedacht, tatsächlich zur Verfügung stehen allerdings nur 0,5 Prozent. Und genau hier liegt das Problem: Jeder Quadratmeter der dicht besiedelten Bundesrepublik ist umkämpft. Seit Jahren muss jedes Windradprojekt mit Gegnern rechnen, der Ausgang des Streits oft ungewiss. Nicht nur Anwohnerbedenken und Naturschützer bremsen den Ausbau der Windenergie aus, auch der Bedarf an Wohnraum, Industrieflächen, landwirtschaftlichem Raum sowie strategisch wichtiger Infrastruktur und Schutzflächen ruft Interessenkonflikte in den Kommunen hervor. Zum Vergleich: Reine Industrie- und Gewerbeflächen machen 1,8 Prozent der deutschen Fläche aus – weniger Platz also als die Windenergie einnehmen soll.

    Der Energieforscher Volker Quaschning sagt, dass Deutschland für eine Vollversorgung mit Erneuerbaren 10.000 bis 15.000 zusätzliche Windräder braucht.

    10.000 bis 15.000 zusätzliche Windräder sollten reichen, sagt der Energiewissenschaftler Volker Quaschning.

    „Natürlich könnte man mit geringeren Abstandsregelungen und höherer Akzeptanz noch mehr bauen, aber das dürfte in Deutschland nicht durchsetzbar sein, und deshalb ist die angestrebte Fläche auch das Maximum“, sagt Quaschning.

    Allerdings brauchen moderne Windräder deutlich mehr Platz als alte. Entsprechend aufwendig ist das Repowering. Nicht nur müssen alle alten Anlagen abgebaut werden, manchmal sind aufgrund der Größe der neuesten Rotoren auch neue Genehmigungen nötig. Die Windbranche ist dennoch zuversichtlich, mit der ihr zugedachten Fläche hinzukommen. „Auf zwei Prozent der Fläche lassen sich 200 Gigawatt Leistung installieren, die aus heutiger Sicht 770 Terawattstunden sauberen Strom liefern können. Dafür sind 30.000 bis 35.000 Anlagen erforderlich“, sagte Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes WindEnergie, im Sommer anlässlich einer neuen Flächenstudie des Branchenverbandes. Er setzt die Zahl der Turbinen also niedriger, den Ertrag aber höher an als Quaschning.

    Sind sogar weniger Windräder als heute nötig? Manche halten das für möglich

    Der Thinktank Energy Watch Group um EEG-Pionier Hans-Josef Fell geht davon aus, dass zumindest bis 2030 sogar weniger Windräder nötig sein werden, als heute bereits vorhanden sind. Aufgrund des Einsatzes von Biokraftstoffen und bodennaher Erdwärme im Verkehrssektor liege der Bedarf an Windstrom lediglich bei 250 Terawattstunden, die bereits mit rund 24.000 Windrädern erreicht werden könnten. Voraussetzung: Die Hälfte davon hat eine Leistung von mindestens fünf Megawatt.

    Um das zu erreichen, wäre allerdings eine deutliche Beschleunigung beim Repowering und Neubau von Windparks nötig.

    Repowering in Sachsen: Alte Windräder werden durch leistungsstärkere neue ersetzt. Mit weniger Anlagen erzeugen Windparks anschließend mehr Strom.

    Trotz großer Ziele aus der Politik: Der Bau neuer Windräder kommt weiterhin nicht in Schwung.

    Doch genau daran hapert es. Der Windenergie in Deutschland fehlt es nach wie vor an der nötigen Schubkraft. Schuld daran sind nicht nur Konflikte mit Anwohnern und noch immer langwierige Genehmigungsverfahren. Auch die durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelösten Unsicherheiten samt der Energiekrise und steigender Preise führen dazu, dass sich potenzielle Bauherren zurückhalten.

    So war die jüngste Ausschreibung der Bundesnetzagentur Anfang September wie schon die vorangegangene unterzeichnet. Statt der angebotenen 1319 Megawatt gingen lediglich Gebote für Windparkprojekte im Umfang von 772 Megawatt ein. Und das, obwohl das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz davon ausgeht, dass jährlich mindestens 1500 neue Windräder gebaut werden müssen, um den Ausbaupfad der Bundesregierung einzuhalten.

    Die Zahl der neuen Windräder im ersten Halbjahr unterstreicht, wie schwer diese Aufgabe ist: Lediglich 238 neue Windräder wurden fertiggestellt – während 82 alte Anlagen stillgelegt wurden. „Es bleibt dabei: Eine Energieversorgung aus Erneuerbaren ist zu 100 Prozent möglich. Aber es wird nicht klappen, wenn wir jetzt nicht loslegen“, sagt Quaschning.

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