Windenergie und Artenschutz

  • Search03.09.2021

Hightech für den Rotmilan

Das Artensterben und die Klimakrise sind zwei der drängendsten Probleme unserer Zeit – doch das eine Problem lässt sich nicht auf Kosten des anderen lösen. Kann innovative Technik an Windrädern Energieversorgung und Artenschutz versöhnen? Erste Testprojekte wecken Hoffnung.

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    Hightech für den Rotmilan: Kamera- oder radargestützte Überwachungssysteme an Windrädern können verhindern, dass die Vögel in die Rotorblätter geraten.

    Rotmilan in Windradnähe: Verschiedene Hersteller erproben intelligente Systeme zur Vermeidung von Kollisionen.

     

    Von Julia Graven

    Der Bauer nebenan hatte gerade Getreide geerntet und die Erntereste untergepflügt. Für die Greifvögel der Gegend war das Feld mit aufgeschreckten Maulwürfen, Mäusen und Feldhasen eine Festtafel – für die Betreiber der Windräder daneben aber ein Problem. Damit kein Vogel in die Rotorblätter gerät, mussten früher zwei der fünf Windräder im schwäbischen Windpark Weißbach während Ernte und Mahd mehrere Tage stillstehen. Im August hat nun zum ersten Mal das Überwachungssystem BirdVision testweise dafür gesorgt, dass die Anlagen nur dann abgeschaltet werden, wenn tatsächlich Kollisionsgefahr droht.

    Das war keine einfache Aufgabe, erzählt Katharina Pohl, die für den Windpark arbeitet. Schwarzmilane, Rotmilane, ein Mäusebussard und ein Turmfalke seien an diesem kalten, windigen Spätsommertag bei den Windrädern auf Jagd gewesen. „Zum Teil kreisten acht Vögel gleichzeitig“, erzählt Pohl, die mit der Biologin Anke Tkacz vor Ort war, um die Rotoren während des Tests im Notfall manuell abzuschalten. „Schließlich ist es bei so vielen Vögeln selbst für geübte Menschen schwer, den Überblick zu behalten“, sagt sie.

    Kameras scannen den Himmel. Nähert sich ein Greifvogel, bremst das Windrad ab

    Bei BirdVision suchen sechs am Fuß des Windrads befestigte Kameras die Umgebung nach gefährdeten Arten wie dem Rotmilan ab. Die Entfernungsmessung schlägt Alarm, sobald ein Vogel auf Kollisionskurs schwenkt. Dann stellen sich die Rotorblätter in den Wind und der Anlage geht buchstäblich die Luft aus, bis sie nach einigen Sekunden nur noch trudelt. Nach drei Minuten geht es wieder in den Normalbetrieb.

    BirdVision: Das Überwachungssystem erkennt den Flug gefährdeter Vögel (hier: Rotmilan) und schaltet das Windrad bei Kollisionsgefahr rechtzeitig in den Trudelbetrieb.

    BirdVision im Einsatz: Das Bild zeigt, wie die Kameras den Flug eines Rotmilans überwachen.

    Technik, die geschützte Vögel erkennt und verscheucht oder das Windrad anhält, könnte Konflikte zwischen Artenschutz und Windkraft befrieden. Schätzungen zufolge sterben in Deutschland jedes Jahr 100.000 Vögel durch Kollisionen mit den rund 30.000 Windrädern an Land. Die Zahl ist zwar bedeutend niedriger als die der Vögel, die an Fensterscheiben sterben, an dem grundsätzlichen Problem ändert das aber nichts.

    Zwar umfliegen Störche, Gänse oder Kraniche die Anlagen, viele Vögel bleiben unterhalb der Rotorblätter. Aber es gibt einige Arten, die besonders häufige Opfer sind. Zum Beispiel Greifvögel, die nach unten schauen, wenn sie Beute suchen und den Rotor übersehen. Zu ihnen gehört der seltene Rotmilan, der vor allem in Deutschland nistet. Er hat als „Verantwortungsart“ einen hohen Stellenwert im Naturschutz.

    Für gefährdete Arten gelten strenge Regeln: viel Aufwand für Windparkbetreiber

    Es greifen strenge Gesetze. Die EU-Artenschutzrichtlinie verbietet es, wildlebende Tiere streng geschützter Arten zu stören, zu töten oder ihre Brutplätze zu vernichten. Grundsätzlich ist dadurch das einzelne Tier geschützt. Vor Gericht gilt aber meist ein „signifikant erhöhtes“ Tötungsrisiko als Argument gegen Windkraft. Doch auch an dieser abstrakten Formulierung scheiden sich die Geister – und es kommt je nach Bundesland und Gericht zu unterschiedlichen Auslegungen.

    Ein Beispiel sind die Abschaltanordnungen beim Windpark Weißbach. 2016 hatten sich in Nähe der Windräder drei Rotmilan-Paare angesiedelt. Während die Betreiber sich um sogenannte Ablenkflächen kümmern mussten, die den Rotmilan mit einem reichen Nahrungsangebot von den Windrädern weglocken sollen, war der Windpark sechs Monate lahmgelegt. Für den Betreiber, die Bürgerwindpark Hohenlohe GmbH, ging das an die wirtschaftliche Substanz. Dabei hat es an allen 21 Anlagen des Bürgerwindparks laut Katharina Pohl seit der Gründung 1999 keinen einzigen Vogelschlag gegeben.

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    Am Anfang hat das System noch Alarm geschlagen, wenn eine Wanze über die Linse gekrabbelt ist

    Katharina Pohl, BirdVision

    Weil sie auf dem Markt keine funktionierende Lösung fanden, machten sich die Betreiber selbst mit Hilfe von Bildverarbeitungs-Profis an die Entwicklung eines intelligenten Antikollisionssystems. Es wurde mit Millionen verschiedener Bilder gefüttert und lernte ähnlich wie ein Kleinkind ständig dazu. „Am Anfang hat das System noch Alarm geschlagen, wenn eine Wanze über die Linse gekrabbelt ist“, erzählt Pohl. Jetzt kann es Milan oder Bussard sicher von Insekten und Flugzeugen unterscheiden.

    Das Bundesamt für Naturschutz testet mehrere Systeme – auch radargestützte

    Kathrin Ammermann kennt solche Probleme. Sie arbeitet im Bundesamt für Naturschutz (BfN) an der Schnittstelle von Artenschutz und erneuerbaren Energien. Antikollisionssysteme können Win-win-Potential für Natur und Klima haben, sagt sie. Schließlich müssen sich in Zukunft viel mehr Windräder drehen, doch der Ausbau soll nicht zu Lasten von Vögeln gehen, die mit den Rotorblättern kollidieren. „Der Vorteil ist, dass sie passgenaue Abschaltungen auslösen können, nämlich dann, wenn ein Vogel der entsprechenden Art in den Gefahrenbereich fliegt“, sagt Ammermann. Auch bei der Standortsuche könnten Detektionssysteme in Zukunft helfen. Weil es kaum noch konfliktarme Standorte gibt, könnte die Beobachtung von Vogelarten und deren Flugbewegungen bei der Beurteilung der Lage helfen, sehr viel umfassender als menschliche Gutachter das können.

    Deswegen testet das BfN zum Beispiel an seinen Versuchsanlagen Kamerasysteme wie das von BirdVision oder auch Radaranlagen. Radar hat dabei einen entscheidenden Vorteil: Er funktioniert auch im Dunkeln und könnte somit auch nachtaktive Arten schützen. Noch allerdings sind Radarsysteme sehr teurer und nicht so gut darin, Vogelarten zu unterscheiden.

    Windräder bei Nacht: Ab 2023 darf das Warnlicht an Windrädern nur noch dann leuchten, wenn sich Flugzeuge nähern.

    Windpark bei Nacht: Ab 2023 dürfen die Anlagen nur noch blinken, wenn sich Flugzeuge nähern.

    Zum Schutz von Fledermäusen gibt es mittlerweile Abschalteinrichtungen, die die Rotoren nur in solchen Nächten stoppen, in denen zuvor detektierte Fledermäuse auch fliegen, nämlich, wenn es windstill und warm ist. Andernfalls bleiben die Tiere ohnehin in ihren Quartieren, sagt Ammermann – und das Windrad kann laufen. Für Tiere, die von Licht angelockt werden, sei auch die sogenannte bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung ein echter Fortschritt. Sie schreibt vor, dass ab 2023 Windräder nur noch dann nachts blinken dürfen, wenn sich ein Flugzeug nähert. Sonst bleibt es dunkel.

    Der Nabu ist skeptisch: Wichtiger als Hightech sei die Standortwahl für Windräder

    Beim Naturschutzbund Nabu steht man Hightech-Lösungen eher kritisch gegenüber. Wenn Technik auch „ein Tool im Werkzeugkoffer“ sein kann, ist sie „kein Allheilmittel“, sagt Katharina Stucke vom Nabu. „Solche Systeme verhindern nur Kollisionen. Sie können aber nichts dagegen machen, dass Windräder die Tiere in ihrem Lebensraum stören.“ Die Referentin für Energiewende und Naturschutz sagt: „Das Wichtigste ist immer noch die Standortwahl.“ Für mehr Windkraft solle die Politik lieber die Abstandsregeln zu Siedlungen, Militäranlagen oder Wetterstationen überdenken, statt immer weiter in die Natur zu planen. Doch weil auch der Nabu für den Ausbau der Windkraft ist, müsse man im Einzelfall schauen, was Vögeln und Fledermäusen hilft: Kameras, Nachtabschaltungen oder auch sogenannte Ablenkflächen, die Greifvögeln ein Nahrungsrevier fernab vom Windrad bieten.

    Bis jetzt ist noch kein Antikollisionssystem in Deutschland zugelassen, es fehlen unabhängige Untersuchungen, die die Wirksamkeit nachweisen. Hessen, Sachsen, Thüringen und auch Baden-Württemberg erwähnen die Technik in ihren Leitfäden zumindest schon hoffnungsvoll. Das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende hat dazu eine Checkliste mit Mindestanforderungen für solche Systeme erstellt. Danach sollte zum Beispiel die Erfolgsrate beim Erfassen relevanter Tiere bei mindestens 75 Prozent liegen.

    Der BirdVision-Test war erfolgreich: Es gab weder Fehlalarme noch tote Vögel

    Die Entwickler von BirdVision haben zuletzt Kameras und Objektive so verbessert, dass sie gefährdete Arten in noch größerer Entfernung zuverlässig erkennen und das Windrad noch früher abschalten. Zudem gab es beim Praxistest im August auch keine Fehlalarme mehr – und was Pohl besonders freute: Es gab keine Kollision.

    Kameras von BirdVision am Fuß eines Windrads scannen den Himmel nach gefährdeten Vogelarten, um das Windrad rechtzeitig abzuschalten und eine Kollision auszuschließen.

    Die Kameras im BirdVision-System sind am Fuß des Windrads angebracht. Sie schlagen rechtzeitig Alarm, wenn sich zuvor definierte Vogelarten der Anlage nähern.

    Zwischen 30- und 40-mal am Tag hat das System die Windräder automatisch abgeschaltet. Trotzdem konnten die Windräder mit Hilfe der Kameras 17.000 Kilowattstunden mehr erzeugen als mit der vorherigen pauschalen Abschaltung, sagt Katharina Pohl. Das ist das Jahresbudget von fünf Zwei-Personen-Haushalten. Pohl hofft, dass die verbesserten Kameras im kommenden Jahr ohne menschliches Backup mit Genehmigung des Landratsamts ihren Dienst tun dürfen. Schließlich lohnt sich eine fünf- bis sechsstellige Investitionssumme pro Kamerasystem nur, wenn die Windräder in Zukunft nicht mehr monatelang stillstehen müssen.

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