Offshore-Wind-Ausbau

  • Search31.01.2024

Die Ziele sind erreichbar, wenn ...

Der Offshore-Wind-Ausbau muss um den Faktor zehn schneller werden. Grundsätzlich sei das zu schaffen, sagt die Branche – wenn Hürden bei Auktionsdesign, Infrastruktur und Finanzierung beseitigt werden.

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    Offshore-Windpark in der Nordsee: Die Branche steht vor einem großen Boom – wenn die Politik die Weichen richtig stellt.

    27 Offshore-Windräder gingen 2023 in Deutschland neu in Betrieb. Das Ausbautempo muss drastisch zulegen.

     

    Von Volker Kühn

    Fast 14 Jahre hat die deutsche Offshore-Windenergie gebraucht, um eine Kapazität von 8,5 Gigawatt aufzubauen. 2030 sollen es nach den Plänen der Bundesregierung schon 30 Gigawatt sein. Die Branche soll also weit mehr als das Doppelte des bisher Erreichten in weniger als der Hälfte der Zeit schaffen. Dabei sind die Rahmenbedingungen denkbar ungünstig: Das Lieferkettenchaos und die Inflation setzen der Industrie genauso zu wie fehlende Fabriken, Häfen, Werften, Schiffe, Stromnetzanschlüsse und Fachkräfte.

    Kein Wunder also, dass viele Beobachter das 30-Gigawatt-Ziel schon als illusorisch abschreiben. Und trotzdem übt sich die Branche in Optimismus. „Die Offshore-Industrie kann die Ausbauziele erreichen“, sagt Dennis Rendschmidt, Chef des Herstellerverbands VDMA Power Systems, „wenn die Politik klare Rahmenbedingungen dafür herstellt.“

    Ausschreibungsvolumen in der deutschen Offshore-Windenergie: Allein 2024 werden acht Gigawatt von der Bundesnetzagentur ausgeschrieben. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Dabei erkennen die Branchenverbände der Windenergie im Grundsatz durchaus an, dass die Ampelregierung Schwung in den Ausbau gebracht hat, der in den Merkel-Jahren infolge zahlreicher Gesetzesänderungen fast zum Erliegen gekommen war. Die ambitionierten Ziele – 30 Gigawatt 2030, 70 Gigawatt 2045 – wurden mit entsprechend großen Ausschreibungen hinterlegt. Allein in diesem Jahr versteigert die Bundesnetzagentur (BNetzA) Flächen in der Nord- und Ostsee, auf denen Windparks mit zusammen acht Gigawatt gebaut werden sollen. Bis 2028 folgen jedes Jahr um die vier Gigawatt.

    Hinzu kommen zahlreiche Erleichterungen, die den Ausbau beschleunigen sollen. So liegen die erneuerbaren Energien jetzt „im überragenden öffentlichen Interesse“, wodurch Klagen gegen Projekte schlechtere Aussichten haben.

    Alle deutschen Offshore-Windparks mit Name, Leistung und Jahr der Inebtriebnahme im Überblick. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Doch das allein reicht aus Sicht von Industrievertretern nicht. Daneben muss eine Reihe von Hürden und Engpässen überwunden werden, wenn das 2030er-Ziel erreicht werden soll.

    Das betrifft insbesondere die folgenden vier Punkte.

    Hürde Nummer eins: die Gestaltung der Offshore-Wind-Auktionen

    Derzeit entscheidet in erster Linie die Zahlungsbereitschaft der Bieter darüber, wer in den Ausschreibungen der BNetzA den Zuschlag zum Bau eines Offshore-Windparks erhält. Sogenannte qualitative Kriterien, die etwa umweltverträgliche Bauverfahren belohnen, spielen dagegen eine untergeordnete Rolle (siehe Kasten). Im Vorteil sind folglich finanzstarke Konzerne, etwa aus der Öl- und Gasbranche.

    Das Auktionsdesign

    Zweiteiliges Verfahren

    Das Wind-auf-See-Gesetz (WindSeeG) unterscheidet bei der Versteigerung von Flächen für Offshore-Windparks zwischen bereits erkundeten und noch nicht untersuchten Flächen. Die Ergebnisse für die erkundeten Flächen wurden am 12. Juli 2023 bekanntgegeben, die für nicht untersuchte Flächen am 10. August.

    Nicht voruntersuchte Flächen

    In Meeresgebieten, die noch nicht auf ihre Tauglichkeit für den Bau von Windparks untersucht wurden, nennen die Bieter zunächst einen Mindestpreis, zu dem sie ihren Strom verkaufen würden. Verzichten mehrere Bieter auf einen solchen Mindestpreis („Null-Cent-Gebote“), folgt ein „dynamisches Gebotsverfahren“: In festgelegten Preisstufen legen die Teilnehmer Geldsummen auf den Tisch, bis nur noch einer übrig ist.

    Voruntersuchte Flächen

    Auch auf bereits vom Staat voruntersuchten Flächen geht es in erster Linie ums Geld: Die Bieter müssen eine Summe aufrufen, die sie für den Bau ihres Windparks zu zahlen bereit sind, oft ist von einem „Eintrittsgeld“ die Rede. Das Höchstgebot wird mit 60 Punkten bewertet. Weitere 35 Punkte entfallen daneben auf vier weitere Kriterien, in denen es um die Kapazität eines Parks geht, um umweltverträgliche Bauverfahren, den CO2-Fußabdruck beim Bau und den Ausbildungsquotient der Betreiber.

    2023 haben die Auktionen für voruntersuchte und nicht voruntersuchte Flächen zusammen einen Rekordbetrag von mehr als 13 Milliarden Euro eingebracht. Die großen Gewinner waren die Ölriesen BP und Total Energies. Sie sicherten sich zusammen sieben Gigawatt, also fast ebenso viel wie in Deutschland mit seinen bisher 29 Offshore-Windparks insgesamt erreicht hat.

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    Wir sehen das kritisch, weil wir befürchten, dass oligopole Strukturen aufgebaut werden

    Jens Assheuer, Vorstandsvorsitzender der WAB

    In seiner jetzigen Form ermöglicht das Auktionsdesign die Konzentration erheblicher Marktmacht bei einzelnen oder wenigen Unternehmen. Insbesondere bei den Zulieferern der Branche löst das Bauchschmerzen aus. „Wir sehen das kritisch, weil wir befürchten, dass oligopole Strukturen aufgebaut werden“, sagt Jens Assheuer, Chef der Windkraftagentur WAB. Neben einem erheblichen Preisdruck warnen die Zulieferer davor, dass das Auftragsvolumen komplett an einen überschaubaren Kreis von Zulieferern gehen könnte. Das wiederum stehe dem Aufbau einer starken Zuliefererkette mit entsprechenden Fabriken im Wege, die angesichts der ambitionierten Ausbauziele nötig sei.

    Zudem sieht Assheuer ein Klumpenrisiko: Entscheide sich ein Bieter, der in den Auktionen groß abgeräumt hat, am Ende doch gegen den Bau, gefährde das die gesamten Ausbauziele der Bundesregierung.

    Auch Rendschmidt macht sich für eine Änderung des Auktionsdesigns stark. Denn das Geld, das in den Auktionen hingelegt werden muss, fehle in der gesamten Lieferkette. Zudem müssten die Bieter das Geld über den Strompreis zurückverdienen. „Der Strompreis wird vermutlich nach oben gehen müssen, weil ja diese Summen, die geboten worden sind, wieder erzielt werden müssen“, sagt Rendschmidt.

    Konkret setzt sich die Branche unter anderem dafür ein ...

    • ... qualitative Kriterien stärker zu berücksichtigen. Statt Windparks allein über den Preis zu versteigern, könne etwa die Ausbildungsquote der Bieter oder die Umweltfreundlichkeit beim Bau stärker herangezogen werden.
    • ... europäische Zulieferer durch verbindliche Vergabekriterien vor unfair geförderten außereuropäischen Konkurrenten zu schützen.
    • ... die Gebotshöhe in Ausschreibungen zu deckeln.
    • ... die Zuschlagsmenge pro Bieter zu begrenzen, um eine große Akteursvielfalt zu gewährleisten.

    Hürde Nummer zwei: Deutschland hat zu wenige Hafenflächen

    Um die Hunderte Tonnen schweren Komponenten von Offshore-Windrädern zu lagern und zu verschiffen, fehlen in Deutschlands Häfen laut der Stiftung Offshore-Windenergie bis 2027 mindestens 50 Hektar an Fläche. Sollte es nicht möglich sein, ausreichend auf ausländische Flächen etwa im dänischen Esbjerg oder im niederländischen Eemshaven zuzugreifen, seien es sogar bis zu 200 Hektar.

    Karte der für die Offshore-Windenergie wichtigen Häfen in Deutschland. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Deutschlands wichtigster Offshore-Wind-Hafen ist das niedersächsische Cuxhaven. Dort sind die Planungen bereits weit fortgeschritten; innerhalb von zwei Jahren wäre ein Ausbau möglich. Derzeit fehlt es im Grunde „nur“ an einer Finanzierungszusage von 100 Millionen Euro. Angesichts der mehr als 13 Milliarden Euro, die bei der Auktion 2023 zusammenkamen, ist die Summe überschaubar. WAB-Geschäftsführer Assheuer macht sich dafür stark, einen Teil der Summe in die Infrastruktur umzuleiten.

    Daneben setzt die Branche Hoffnungen auf den Bau eines „Energy Ports“ in Bremerhaven. Dort gab es schon einmal Pläne für ein Offshore-Wind-Terminal. Sie scheiterten letztlich vor Gericht, weil die Richter seinerzeit keinen Bedarf erkannten. Doch inzwischen hat sich die Lage grundlegend geändert. Um erneute Klageverzögerungen beim Hafenausbau zu vermeiden, fordert Assheuer, das „überragende öffentliche Interesse“ an erneuerbaren Energien gesetzlich auf die Häfen auszuweiten.

    Hürde Nummer drei: Konverterplattformen für Offshore-Windparks

    Konverter sind nötig, um den Strom von Offshore-Windparks verlustarm an die Küste zu schicken. Sie haben die Ausmaße von Hochhäusern und schlagen mit rund zwei Milliarden Euro zu Buche. Deutschland braucht mehr als 30 solcher Plattformen. Derzeit gibt es in Europa allerdings nur eine einzige Werft, die Konverter der neusten Generation bauen kann: Dragados im spanischen Cádiz.

    Da die Werft ausgebucht ist, müssen aus Branchensicht weitere Standorte hinzukommen. In Rostock-Warnemünde will Neptun Smulders am ehemaligen Nordic-Yards-Standort in den Bau einsteigen. Auch die Papenburger Meyer Werft baut entsprechende Kapazitäten auf und in Bremerhaven steht die Rönner-Gruppe in den Startlöchern.

    Diese Werften könnten Branchenvertretern zufolge auch den Engpass beseitigen oder zumindest lindern, den das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) beim Netzanschluss von Windparks sieht, die Ende der 2030er-Jahre fertig werden sollen. Sie könnten sich um bis zu zwei Jahre verzögern, hatte das BSH kürzlich gewarnt.

    Da Deutschlands Werftindustrie mittelständisch geprägt ist, befürchtet die Windindustrie allerdings Probleme bei der Finanzierung der milliardenschweren Konverter. Helfen könnten Bürgschaftsprogramme, über die in der Politik bereits verhandelt wird.

    Hürde Nummer vier: Fachkräfte für die Offshore-Windenergie

    Schätzungen zufolge muss die Zahl der Beschäftigten in der Offshore-Windenergie von heute rund 80.000 auf 250.000 wachsen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, setzt sich die Branche für eine Anerkennung von Offshore-Ausbildungsberufen durch die Industrie- und Handelskammern ein. „Die jungen Leute gehen nur in eine Ausbildung, wenn sie wissen, dass sie hinterher auch ein IHK-Zertifikat haben“, sagt Assheuer. Die Gespräche mit den IHKs gestalteten sich allerdings nicht einfach.

    Nötig seien zudem Ausbildungs- und Umschulungszentren mit den entsprechenden Infrastrukturen, auch an staatlichen Berufsschulen.

    Eine Steigerung um den Faktor zehn ist nötig. Und machbar, sagt die Branche

    Trotz dieser Hürden zeigen sich Rendschmidt und Assheuer grundsätzlich zuversichtlich. Zwar müsse der Ausbau im Vergleich zum vergangenen Jahr, in dem die Offshore-Wind-Kapazität gerade einmal um rund 300 Megawatt wuchs, um den Faktor zehn gesteigert werden. Allerdings habe die Branche in der Vergangenheit bewiesen, dass sie solche Größenordnungen zu leisten imstande sei. 2015 etwa gingen acht neue Windparks mit zusammen fast 2,4 Gigawatt ans Netz.

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    Wir brauchen einen möglichst gleichmäßigen Markthochlauf

    Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer von VDMA Power Systems

    „Wir brauchen einen möglichst gleichmäßigen Markthochlauf“, sagt Rendschmidt von VDMA Power Systems. Dadurch könnten verlässliche Investitionsbedingungen geschaffen werden. Sie seien zugleich eine Voraussetzung für den Aufbau der nötigen Kapazitäten. Die Differenz zwischen der derzeit jährlich installierten Kapazität und den europaweit politisch gesetzten Zielen 2030 sei zwar noch gewaltig. Doch die Lücke lasse sich schließen – durch entschiedenes Handeln auf allen Ebenen.

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