Offshore-Wind-Turbinen

  • Search23.08.2023

Leistungsexplosion mit Nebenwirkungen

China baut immer größere Offshore-Windräder, während sich westliche Hersteller nach Verlusten eine Pause verordnen. Was bedeutet das für die Branche? EnergieWinde hat mit Analysten und der Industrie gesprochen.

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    Windkraft-Testfeld Østerild: An der Nordspitze Dänemarks testen Siemens Gamesa, Vestas und GE ihre gewaltigen Offshore-Wind-Prototypen. Bild: Volker Kühn

    Windkraft-Textfeld in Østerild: Hier testet die Industrie die Giganten von morgen.

     

    Von Volker Kühn, Østerild

    Fünf Kilometer misst die schnurgerade Schotterstraße von der Breite einer Autobahn in Norddänemark. Daran aufgereiht reckt sich der Stolz der westlichen Offshore-Windenergie in den Himmel: neun Prototypen von Siemens Gamesa, Vestas und GE. Hier, auf dem Testfeld Østerild an der Nordwestspitze Jütlands, prüfen die Hersteller ihre Anlagen auf Herz und Nieren, bevor sie die Meere entern. Fast 150 Meter messen die Türme, die Flügel umkreisen eine Fläche so groß wie sechs Fußballfelder, die Turbinen leisten bis zu 15 Megawatt. Mächtigere Windräder hat die Welt noch nicht gesehen.

    Außer in China.

    Vor der Küste der Provinz Fujian hat die China Three Gorges Corporation (CTG) im Juli das weltweit erste Windrad mit einer Leistung von 16 Megawatt aufgestellt. Und das ist nur der Anfang. Gleich mehrere chinesische Hersteller arbeiten an 18-Megawatt-Turbinen, selbst die 20-Megawatt-Marke kommt in Sicht.

    Damit erreicht die atemlose Jagd nach immer größeren Anlagen einen Höhepunkt. Den Unternehmen aus Europa und den USA scheint dabei momentan allerdings die Puste auszugehen. Denn dass sie den Vorsprung der Chinesen in naher Zukunft aufholen, ist nicht abzusehen. Zu ungleich sind die Wettbewerbsbedingungen, zu leer die Kassen nach dem ruinösen Preiskampf der jüngeren Zeit.

    Die Hersteller kämpfen mit hohen Kosten – und Lasten der Vergangenheit

    Die gestiegenen Preise für Rohstoffe wie Stahl, das Lieferkettenchaos und der politisch verursachte Fadenriss beim Ausbau im wichtigen Markt Deutschland haben Spuren hinterlassen. Keiner der großen Hersteller im Westen schrieb im letzten Jahr schwarze Zahlen, die Industrie arbeitet teils mit Verlust Aufträge ab, die zu Zeiten niedrigerer Rohstoffkosten abgeschlossen wurden.

    Nicht wenige in der Branche rufen deshalb nach einer Atempause, teils hinter vorgehaltener Hand, teils offen. Vestas-CEO Henrik Anderson erklärte im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum, Windturbinen seien für den Augenblick groß genug. Einstweilen plane sein Unternehmen keine weitere Leistungssteigerung. Wichtig sei vielmehr, die Produktionszahlen der jetzigen Anlagen zu erhöhen.

    Ähnlich klingt es bei Siemens Gamesa. „Neuentwicklungen kosten viel Geld“, sagt Konzernsprecher Marco Lange im Gespräch mit EnergieWinde. „Für uns liegt in Anbetracht der gegenwärtigen Herausforderungen in der Windindustrie  der Fokus auf Profitabilität und Stabilität.“

    Auf Seiten der Kunden scheint es ein gewisses Verständnis dafür zu geben. Irina Lucke, Geschäftsführerin des Windparkbetreibers Omexom Renewable Energies Offshore, wunderte sich schon 2021 im Interview mit „Erneuerbare Energien“, dass die Hersteller nicht sagten: „Stopp! Wir müssen einmal Luft holen.“ Der schnelle Takt der Produktentwicklung habe schmerzhafte finanzielle und qualitative Spuren hinterlassen.

    Offshore-Windräder werden immer größer und leistungsstärker. Kamen sie vor 20 Jahren noch auf 2 Megawatt, sind es künftig schon 18 Megawatt. Infografik: Andreas Mohrmann

    Die Frage allerdings ist, ob sich die Hersteller eine Atempause erlauben können – oder ob sie damit der Konkurrenz aus Fernost ein Einfallstor in den Markt bieten.

    Bislang sind chinesische Turbinenbauer nur in einem europäischen Offshore-Windpark zum Zug gekommen, Beleolico in Süditalien. Aus der Branche heißt es oft, man arbeite lieber mit vertrauten Partnern zusammen. Aber was ist, wenn chinesische Unternehmen stärkere Anlagen zu günstigeren Preisen anbieten? Jedes zusätzliche Megawatt verbessert die Erträge der milliardenscheren Offshore-Wind-Projekte. Wird es dann eng für die großen Drei?

    Jan Bauer, Analyst bei Warburg Research, rechnet damit zumindest vorläufig nicht. Grund seien die fehlenden Produktionskapazitäten chinesischer Anbieter in der nötigen Größenordnung in Europa. Die Hunderte Tonnen schweren Komponenten müssten um den halben Globus verschifft werden. „Auch wenn Chinas Hersteller vom Staat gepampert sind, ist angesichts der hohen Frachtraten für Spezialschiffe klar, dass damit kein Geld zu verdienen ist“, sagt Bauer gegenüber EnergieWinde.

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    Ich erwarte nicht, dass chinesische Turbinenbauer in den nächsten Jahren eine nennenswerte Position in der europäischen Offshore-Windenergie erobern

    Jan Bauer, Warburg Research

    Zudem erschwerten weitere Gründe den Markteintritt im Westen, etwa die zur Zulassung erforderliche Prüfung der Turbinen im Livebetrieb oder das Fehlen von Serviceteams vor Ort zur Wartung der Anlagen. „Ich erwarte daher nicht, dass chinesische Turbinenbauer in den nächsten Jahren eine nennenswerte Position in der europäischen Offshore-Windenergie erobern“, sagt Bauer. Das gelte umso mehr für die USA, die mit dem Inflation Reduction Act (IRA) hohe Barrieren aufgebaut hätten.

    Eine Achillesferse der europäischen Anbieter sieht der Analyst allerdings doch: die Verwerfungen in der Lieferkette. „Wenn sich Projekte dadurch erheblich verzögern, die Konkurrenz aber in wenigen Wochen liefern kann, könnte das den einen oder anderen Betreiber doch veranlassen, in China zu bestellen.“

    Rotorblätter und Türme von Offshore-Windrädern liegen in einem chinesischen Hafen zur Verschiffung bereit. Fast jedes zweite Offshore-Windrad weltweit steht in China.

    Verschiffung von Rotorblättern in China: Der teure Transport erschwert asiatischen Anbietern den Markteintritt in Europa.

    Für Dennis Rendschmidt, der als Geschäftsführer des Verbands VDMA die Anlagenbauer vertritt, ist es vor allem eine Frage der Wettbewerbsbedingungen, ob die westlichen Hersteller im Rennen mit ihren chinesischen Rivalen Schritt halten. „China schottet seinen Windmarkt rigoros ab und sorgt zugleich mit Subventionen und einem rasanten Ausbautempo für eine hohe Auslastung seiner Unternehmen“, sagt Rendschmidt im Gespräch mit EnergieWinde. „Das ist unfair und verzerrt den Markt. Wenn europäische Technologien verdrängt werden, steht die Energieunabhängigkeit auf dem Spiel.“

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    Wenn wir Chancengleichheit hätten, würde ich mir um die westlichen Hersteller keine Sorgen machen

    Dennis Rendschmidt, VDMA

    Der Gesetzgeber hätte Rendschmidt zufolge eine Reihe von Möglichkeiten, die Nachteile europäischer Anbieter auszugleichen. Allen voran müsse er Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass auch bei Europas Herstellern die Arbeit nicht abreißt – durch eine gleichmäßig hochlaufende Nachfrage in den Märkten. Zudem seien hohe Umwelt- und Technologiestandards zur Voraussetzung einer Teilnahme an Ausschreibungen denkbar. „Für einen globalen, fairen Wettbewerb ist nationaler local content zwar kein gangbarer Weg. Aber Standards für die Marktteilnahme in Europa, die Resilienz und Technologiesicherheit gewährleisten, und Instrumente, die Dumping verhindern, könnten die Unfairness reduzieren“, sagt Rendschmidt.

    Auch Siemens Gamesa macht sich für ein Auktionsdesign stark, das sogenannte qualitative Kriterien in der Wertschöpfungskette stärker berücksichtigt und beispielsweise eine besonders CO2-arme Herstellung der Komponenten belohnt. Bislang entscheidet vor allem die Zahlungsbereitschaft der Bieter, wer den Zuschlag zum Bau eines Windparks bekommt. „Allein der niedrigste Preis kann mit Blick auf die Energiesicherheit und die Wertschöpfung in Europa nicht in unserem Interesse sein“, sagt Konzernsprecher Lange.

    Dass Europas Hersteller derweil auch für Erfolgsmeldungen gut sind, zeigt eine Meldung von dieser Woche aus Østerild: Dort hat der Prototyp einer 15-Megawatt-Turbine von Vestas binnen eines Tages 363 Megawattstunden Strom produziert. Mehr hat noch kein Windrad der Welt geschafft. Auch nicht in China.

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