Offshore-Wind-Auktion

  • Search11.08.2023

„Das Risiko eines Blutbads war uns bewusst“

Für 12,6 Milliarden Euro haben die Ölriesen BP und Total die erste Versteigerung von Windparkflächen gewonnen. Energieexperte Dominik Hübler ordnet die Rekordsumme ein und spricht über mögliche Änderungen am Auktionsdesign.

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    BP und Total zahlen zusammen 12,6 Milliarden Euro für das Recht, Offshore-Windparks in der Nordsee zu bauen.

    Offshore-Windräder in der Nordsee: Die Auktion spült Milliarden in die Staatskasse. Aber wer kommt am Ende dafür auf?

     

    Von Volker Kühn

    Die erste Versteigerung von Offshore-Wind-Flächen in diesem Jahr endete mit einer Sensation: In Dutzenden von Runden über einen Zeitraum von drei Wochen boten sich die Teilnehmer auf insgesamt 12,6 Milliarden Euro hoch. Mehr wurde nie für das Recht bezahlt, Windparks zu bauen. Die vier versteigerten Flächen mit einer Kapazität von zusammen sieben Gigawatt gingen an die Ölkonzerne BP und Total. Die Briten erhielten vier Gigawatt in der Nordsee, die Franzosen zwei Gigawatt in der Nordsee und ein Gigawatt in der Ostsee. In der gestern beendeten zweiten Auktion ging es um vier kleinere Areale mit zusammen 1,8 Gigawatt. Die Gebotssumme lag bei insgesamt 784 Millionen Euro. Eine Fläche sicherte sich Luxcara, drei gingen an RWE, wobei eine aufgrund älterer Eintrittsrechte an Vattenfall weitergereicht werden könnte.

    In der Branche ist das Echo geteilt: Einerseits beweise die Rekordsumme das Vertrauen in die Wirtschaftlichkeit von Offshore-Wind, hieß es. Andererseits könne sie den Strompreis in die Höhe treiben und die Zulieferer unter Druck setzen.

    EnergieWinde hat darüber mit Dominik Hübler gesprochen. Er ist Direktor des Beratungsunternehmens Nera Economic Consulting und ein exzellenter Kenner der Auktionen weltweit. An der deutschen Versteigerung war Hübler indirekt beteiligt: Nera hat einen nicht genannten Bieter beraten.

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    Herr Hübler, waren Sie überrascht, als die Bundesnetzagentur am 12. Juli das Rekordergebnis der ersten Offshore-Wind-Auktion verkündet hat?
    Dominik Hübler: Wir haben intern natürlich über den Ausgang spekuliert. Dass das Risiko eines Blutbades bestand, um es mal so martialisch zu formulieren, war uns durchaus bewusst.

    Warum wird in Deutschland so viel mehr gezahlt als bei jeder anderen bisherigen Auktion weltweit?
    Hübler: Dafür gibt es klare Gründe: Es ging in der Auktion ausschließlich um den Preis, nicht um irgendwelche anderen Kriterien. Zudem wurden zeitgleich sehr attraktive große Flächen angeboten, die überdies als Brückenkopf für angrenzende Flächen dienen können, die später versteigert werden. Hinzukam die aus Bietersicht sehr barwertfreundliche Gestaltung der Auktion.

    Barwertfreundlich?
    Hübler: Es müssen nur zehn Prozent der Summe gleich zu Anfang hingelegt werden, die übrigen 90 Prozent fallen erst im Lauf der Betriebsphase der Parks an, wenn die Kosten direkt steuerwirksam sind. Zudem werden in der Zukunft liegende Kosten abgezinst. Das macht es für die Bieter finanziell attraktiver.

    Dominik Hübler, 37, arbeitet seit 15 Jahren für die internationale Energieberatungsagentur Nera Economic Consulting, inzwischen als Associate Director in Berlin. Der gebürtige Hannoveraner hat Wirtschaftswissenschaften in Oxford und Cambridge studiert. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Offshore-Windenergie: Hübler analysiert die Auktionsmodelle weltweit und berät die Branche.

    Der Staat kann sich nun über satte Einnahmen freuen, aber viele fürchten, dass der Preis für Offshore-Windstrom steigt, weil die Bieter die Kosten refinanzieren müssen. Eine berechtigte Sorge?
    Hübler:
    Das ist eine der spannendsten Debatten, die wir derzeit führen. Es gibt eine Fraktion, die sagt, dass die Preise durch die Decke gehen. Und dann gibt es eine zweite Fraktion, die der ersten vorwirft, nichts verstanden zu haben, weil es einen Marktpreis für Strom gebe, der sich durch die Auktion nicht ändere.

    Wer hat recht?
    Hübler: Um das zu beantworten, muss man sich anschauen, wie der Strom vermarktet wird. Das wird vor allem über PPAs der Fall sein, also über Direktvermarktungsverträge zwischen den Stromerzeugern und industriellen Großabnehmern. Ich sehe durchaus die Gefahr, dass zumindest Teile der Auktionskosten in diesen PPAs auftauchen. An der Strombörse wird man davon natürlich nichts sehen, dort geht es allein nach den Grenzkosten der Anbieter.

    Das Auktionsdesign

    Zweiteiliges Verfahren

    Das Wind-auf-See-Gesetz (WindSeeG) unterscheidet bei der Versteigerung von Flächen für Offshore-Windparks zwischen bereits erkundeten und noch nicht untersuchten Flächen. Die Ergebnisse für die erkundeten Flächen wurden am 12. Juli 2023 bekanntgegeben, die für nicht untersuchte Flächen am 10. August.

    Nicht voruntersuchte Flächen

    In Meeresgebieten, die noch nicht auf ihre Tauglichkeit für den Bau von Windparks untersucht wurden, nennen die Bieter zunächst einen Mindestpreis, zu dem sie ihren Strom verkaufen würden. Verzichten mehrere Bieter auf einen solchen Mindestpreis („Null-Cent-Gebote“), folgt ein „dynamisches Gebotsverfahren“: In festgelegten Preisstufen legen die Teilnehmer Geldsummen auf den Tisch, bis nur noch einer übrig ist.

    Voruntersuchte Flächen

    Auch auf bereits vom Staat voruntersuchten Flächen geht es in erster Linie ums Geld: Die Bieter müssen eine Summe aufrufen, die sie für den Bau ihres Windparks zu zahlen bereit sind, oft ist von einem „Eintrittsgeld“ die Rede. Das Höchstgebot wird mit 60 Punkten bewertet. Weitere 35 Punkte entfallen daneben auf vier weitere Kriterien, in denen es um die Kapazität eines Parks geht, um umweltverträgliche Bauverfahren, den CO2-Fußabdruck beim Bau und den Ausbildungsquotient der Betreiber.

    Für Industriekunden könnte es also teurer werden – und für Privathaushalte?
    Hübler: Für Sie und mich als Verbraucher ist die Auktion ein Gewinn, für uns werden die Preise tendenziell sinken, weil 90 Prozent der Auktionserlöse genutzt werden, um die Netzentgelte zu verringern. Um mal ein Gefühl für die Höhe der Summe zu liefern: Rechnerisch betrachtet würde das Geld reichen, um 30 Millionen Familien ein Jahr lang kostenlos Strom zu liefern.

    Wenn die Preise für Offshore-Wind-PPAs tendenziell steigen, weichen die Abnehmer dann nicht auf andere Quellen aus?
    Hübler:
    Die müssten sie erst mal finden. Es ist etwas anderes, Strom aus einem ein Gigawatt starken Offshore-Windpark zu kaufen, als sich dieselbe Menge über diverse kleine PV-PPAs zusammenzusuchen. Zudem ist Offshore-Windstrom in gewisser Weise besonders hochwertig: Wer seinen Kunden gegenüber wirklich glaubwürdig zeigen will, dass er Grünstrom bezieht, kann nicht einfach über die Börse Strom kaufen, der mit Herkunftsnachweisen aus 50 Jahre alten norwegischen Wasserkraftwerken einen zartgrünen Anstrich erhält.

    Bei keiner Versteigerung von Offshore-Windpark-Flächen wurde mehr erlöst als in Deutschland. Die Sieger waren BP und Total. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Die Bundesregierung diskutiert einerseits über einen staatlich subventionierten Industriestrompreis auf Basis von Offshore-Wind. Andererseits verteuert sie diesen Strom durch die Auktionen. Passt das zusammen?
    Hübler: Kurze Antwort: Nein. Aber das ist der Koalitionsdynamik geschuldet. Das Bundeswirtschaftsministerium, das über den Industriestrompreis nachdenkt, hat sich die ungedeckelte Gebotskomponente in ihrer jetzigen Form ja nicht ausgedacht. Sie hat durch den Teil der Koalition mehr Gewicht bekommen, der wiederum den Industriestrompreis für Quark hält. Da sitzen zwei Seiten mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen, die für sich allein genommen sicher eine gewisse Stringenz besitzen, nur eben nicht zusammenpassen.

    Sie haben die Auktionsdesigns in verschiedenen Ländern analysiert. Gibt es ein Land, von dem sich Deutschland bei künftigen Versteigerungen etwas abschauen könnte?
    Hübler: Ich finde die Variante sehr interessant, die momentan in Holland diskutiert wird. Sie bringt qualitative und finanzielle Ausschreibungskriterien auf eine charmante Art zusammen. Die Bewerber können dabei Summen in beliebiger Höhe bieten, die aber nur mit 15 Prozent in die Bewertung des Gesamtgebots einfließen. Die übrigen 85 Prozent entfallen auf Faktoren wie den Einsatz besonders innovativer Technologien, Klima- und Umweltfreundlichkeit oder soziale Standards.

    Lassen sich solche qualitativen Kriterien rechtssicher unterscheiden? Drohen nicht Klagen der unterlegenen Bieter?
    Hübler:
    Es gab ja bereits Auktionen mit qualitativen Kriterien. Meines Wissens ist keine Vergabe später auf dem Gerichtsweg kassiert worden, selbst wenn es Klagen gab.

    Wie bewerten Sie das gestern verkündete Ergebnis der zweiten Auktion? Die Gebote erscheinen mit 784 Millionen Euro auf den ersten Blick deutlich niedriger.
    Hübler:
    Aber nur auf den ersten Blick. Die Summe verteilt sich nämlich nur auf die Hälfte der ohnehin eher kleinen Flächen. Für die andere Hälfte besaß der Gewinner RWE bereits Eintrittsrechte, die aus früheren Änderungen am Auktionsdesign herrühren. Hier wäre es nur dann zu einem Bieterwettbewerb gekommen, wenn jemand RWE diese Rechte streitig gemacht hätte, was offenkundig nicht der Fall war. Vor diesem Hintergrund liegen die 784 Millionen Euro in einer Größenordnung pro Megawatt ähnlich den Auktionen in England und Wales, die damals noch allen Beteiligten gigantisch erschienen. Spannend wird, wie Vattenfall reagiert. Das Unternehmen muss bis Mitte September entscheiden, ob es sein Eintrittsrecht für die dritte Fläche ausübt, die RWE gewonnen hat. Dann wird man sehen, wie aggressiv das Gebot auf diese Fläche war.

    Welche Rolle spielten die qualitativen Kriterien in der zweiten Auktion?
    Hübler: Offenbar so gut wie keine. Das zeigt schon die Tatsache, dass die Bundesnetzagentur nur zehn Tage gebraucht hat, um diese Kriterien zu bewerten. Den Ausschlag dürfte weitgehend allein der Preis gegeben haben.

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    Wenn immer derselbe Bieter abräumen sollte, könnte das dazu führen, dass andere Bieter gar nicht erst antreten, wodurch die Staatseinnahmen tendenziell sinken würden

    Dominik Hübler, Nera

    Aus der Branche wurde gefordert, die Zahl der Flächen zu begrenzen, die ein einzelner Bieter in der Auktion gewinnen kann, um die Akteursvielfalt zu erhalten. Droht durch die Finanzkraft der Oil-Majors ein Oligopol in der Offshore-Windenergie?
    Hübler: Den Begriff würde ich nicht gleich verwenden. Aber wenn immer derselbe Bieter abräumen sollte, könnte das natürlich dazu führen, dass andere Bieter gar nicht erst antreten, wodurch die Gebotssummen und damit die Staatseinnahmen tendenziell sinken würden. Außerdem wäre ein Klumpenrisiko damit verbunden: Was passiert, wenn der Dauersieger irgendwann einen Strategieschwenk weg von Offshore-Wind vollzieht oder gar pleitegeht? Letzteres ist mit Blick in die Bilanzen der Ölkonzerne wenig wahrscheinlich, aber der Staat muss sich die Frage stellen, ob er es riskieren will, dass mit dem Ausfall nur eines Bieters ein Großteil seiner Offshore-Wind-Ziele hinfällig werden könnte.

    Besteht auch diesmal schon die Gefahr, dass die Projekte am Ende gar nicht gebaut werden? BP und Total wollen erst 2027 die finale Investitionsentscheidung treffen.
    Hübler: Nein, dass die Entscheidung nicht sofort fällt, ist ganz normal. Schließlich handelt es sich um nicht voruntersuchte Bauflächen. Wer weiß, was dort unten alles auf dem Grund liegt? Die Diskussion hatten wir im Übrigen schon in den Auktionen von 2017. Bei den damals versteigerten Flächen wäre es noch vergleichsweise einfach gewesen, die Projekte abzubrechen, weil die dafür vorgesehenen Pönalen, also Strafzahlungen, eher gering waren. Trotzdem werden die Parks jetzt kommen.

    Und in den aktuellen Ausschreibungen?
    Hübler:
    … ist die Abbruchoption erheblich teurer geworden, nämlich um den Faktor zehn. Natürlich könnten die Betreiber noch immer einen Rückzieher machen, wenn sich etwa der Stahlpreis verdreifacht und die Strompreise verfallen. Es geht ja um betriebswirtschaftlich kalkulierte Projekte, nicht um Stuttgart 21. Aber ein Abbruch wäre erheblich unattraktiver als bei den 2017er-Auktionen.

    Welche Folgen werden die hohen Auktionskosten entlang der Wertschöpfungskette haben, etwa für die Zulieferer der Turbinen und Türme? Müssen sie die Zeche zahlen?
    Hübler: Ob mit oder ohne Auktionskosten: Jeder Betreiber versucht, in den Verhandlungen mit den Zulieferern den bestmöglichen Preis durchzusetzen. Niemand lädt seine Zulieferer nach Wimbledon ein, nur weil er niedrigere Kosten hat.

    Rechnen Sie damit, dass die Bundesregierung das Auktionsverfahren noch einmal überarbeitet?
    Hübler: Man wird sich sicher im Anschluss mit allen Beteiligten zusammensetzen, um die Ergebnisse zu bewerten. Dabei wird man vermutlich feststellen, dass den Ausschlag in beiden Fällen der Preis gegeben hat. Wenn das so gedacht war, kann man die qualitativen Kriterien eigentlich auch weglassen. Wenn nicht, muss man nachsteuern.

    Die Fragen stellte Volker Kühn.

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