Energieexperte Bernd Weber

  • Search18.09.2025

„Nicht das Ausbautempo ist das Problem“

Statt die erneuerbaren Energien auszubremsen, sollte Deutschland die Energiewende smarter gestalten, fordert Epico-Gründer Bernd Weber – und legt im Interview konkrete Vorschläge vor.

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    Kohlekraftwerk und Windräder in Niedersachsen: Epico-Gründer Bernd Weber fordert Strukturreformen für die Energiewende bei weiter hohem Ausbautempo der Erneuerbaren.

    Kohlekraftwerk und Windräder in Niedersachsen: Die Energiewende benötigt ein Update, sagt Bernd Weber.

     

    Von Volker Kühn

    Seit der Vorlage des Monitoringberichts zur Energiewende diskutiert die Politik über die Geschwindigkeit und den Umfang des Ausbaus erneuerbarer Energien. Bernd Weber, Chef der CDU-nahen Denkfabrik Epico, plädiert dafür, das Tempo hochzuhalten, aber den Ausbau effizienter als bislang zu gestalten. Im Interview erklärt er, warum Deutschland in Zukunft deutlich mehr Strom verbrauchen wird, was gegen hohe Netzentgelte hilft und welche Rolle Offshore-Wind auf dem Weg in die Klimaneutralität spielen kann.

    Herr Weber, der Stromverbrauch in Deutschland sinkt seit Jahren. Für die Zukunft gehen Sie aber von einem steigenden Bedarf aus. Warum?
    Bernd Weber: Kurzfristige Rückgänge ändern nichts am langfristigen Trend. Besonders die Umsetzung der Klimaziele wird zu einem hohen Anstieg der Stromnachfrage führen. Gleichzeitig ist die Bandbreite bei der Prognose dieses Nachfragewachstums groß – mit 615 bis 760 Terawattstunden bis 2030 –, da einige Faktoren schwer vorhersehbar sind.

    Bernd Weber ist Gründer und Geschäftsführer des Thinktanks Epico Klimainnovation. Zuvor hat er den Bereich Industrie, Energie und Umwelt des Wirtschaftsrats der CDU geleitet. Weber hat zu europäischer Energie- und Klimapolitik an Sciences Po Paris und der University of Oxford promoviert und gehört als Experte der Plattform Klimaneutrales Stromsystem des Bundeswirtschaftsministeriums an.  Foto: Epico

    Welche Faktoren werden den Bedarf in die Höhe treiben?
    Weber: Fest steht: Wir stehen vor einer umfassenden Elektrifizierung der Sektoren Wärme, Verkehr und Industrie. Fossile Energieträger werden zunehmend durch erneuerbaren Strom ersetzt. Wärmepumpen, E-Mobilität, mehr Bahnverkehr und veränderte industrielle Prozesse, etwa die Stahl- oder Chemieproduktion mit grünem Wasserstoff, werden den Strombedarf in den kommenden Jahren deutlich erhöhen. Hinzu kommt der steigende Strombedarf durch Digitalisierung, insbesondere durch Rechenzentren und KI-Anwendungen. Effizienzmaßnahmen sind dabei wichtig und machen das Wachstum smarter, kehren den Trend jedoch nicht um. Deshalb brauchen wir in jedem Fall ein umfassendes Update des „Betriebssystems“ der Energiewende, das in erster Linie auf erneuerbare, flexible und digitale Lösungen setzt.

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    Wir müssen die Energiewende und den Ausbau der Erneuerbaren smarter, marktwirtschaftlicher und effizienter gestalten – aber nicht abbremsen

    Bernd Weber

    Derzeit wird eher eine Herabsetzung der Ausbauziele für die Erneuerbaren diskutiert. Wie beurteilen Sie das?
    Weber: Auch wenn der Strombedarf aktuell etwas langsamer steigt als erwartet: Der Investitionsbedarf bleibt riesig. Investitionen in erneuerbare Energien haben eine dreifache Dividende: Sie senken die Großhandelspreise für Strom, reduzieren die Emissionen im Stromsektor und ermöglichen darüber hinaus Elektrifizierung in anderen Sektoren, wie Wärme, Verkehr und Industrie. Gleichzeitig müssen wir die Energiewende und auch den Ausbau der Erneuerbaren smarter, marktwirtschaftlicher und effizienter gestalten – aber nicht abbremsen. Das Problem liegt nicht im Tempo des Ausbaus, sondern in den überfälligen Strukturreformen: schnellere Genehmigungen, ein reformiertes Marktdesign und klare Preissignale. Statt auf die Bremse zu treten, sollten wir mit Strukturreformen in den nächsten Gang schalten.

    Solarpark: „Wenn wir kurzfristig Kosteneinsparungen erreichen wollen, bietet sich hierfür eine Priorisierung von Freiflächenanlagen gegenüber Dachanlagen an“, sagt Bernd Weber (Epico).

    Solarpark in Brandenburg: Freiflächenanlagen haben gegenüber PV-Anlagen auf Privathäusern Effizienzvorteile.

    Welche Rolle sollten die verschiedenen Technologien von Dach-PV bis zu Offshore-Wind aus Ihrer Sicht spielen?
    Weber: Wir brauchen einen starken Ausbau der Erneuerbaren allgemein, um die Strompreise zu stabilisieren und die wachsende Nachfrage zu decken. Wer den Ausbau bremst, bremst auch Investitionen in Industrie, Gebäude und Verkehr. Anstatt die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien zu reduzieren, sollte der Fokus stärker auf deren Effizienz und Systemdienlichkeit liegen. Erneuerbare müssen dringend stärker mit Netzausbau und Flexibilität zusammengedacht werden. Wenn wir kurzfristig Kosteneinsparungen erreichen wollen, etwa beim Ausbau der Solarenergie, so bietet sich hierfür eine stärkere Priorisierung von Freiflächenanlagen gegenüber Dachanlagen an, um Investitions- und Netzausbaukosten zu reduzieren. Denn hier sind sowohl die Kapitalkosten als auch die Netzanschlusskosten deutlich höher als bei Freiflächenanlagen. Zweitens könnte eine netzdienlichere Einspeisung von Solaranlagen dazu beitragen, Netzausbau zu verringern, Redispatch-Maßnahmen zu vermeiden und die günstige Solarerzeugung zur Effizienzsteigerung im Gesamtsystem optimal zu nutzen. Zeitvariable Netzentgelte können hierfür geeignete Anreize für ein systemdienliches Verhalten schaffen.

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    Wind-Offshore verfügt über ein besonders attraktives Grundlastprofil und kann auch für einen politisch angestrebten Industriestrompreis eine wichtige Rolle spielen

    Bernd Weber

    Welche Rolle sehen Sie für die Windkraft auf See?
    Weber: Wind-Offshore verfügt über ein besonders attraktives Grundlastprofil und kann auch für einen politisch angestrebten Industriestrompreis eine wichtige Rolle spielen. Optimierungspotenzial liegt in einer stärkeren europäischen Kooperation – beim Ausbau von Wind auf See, beim Ausschreibungsdesign sowie optimierter Verteilung der Netzanschlüsse. Durch die Verknüpfung von Wind auf See mit Elektrolyseuren an Land oder als Teil von Energieinseln könnte die Energie von Wind auf See selbst bei Netzengpässen genutzt werden.

    Könnte der Ausbau der Erneuerbaren besser auf den der Netze abgestimmt werden?
    Weber: Das Problem, das wir in Deutschland wie auch in anderen Ländern haben, ist, dass der Netzausbau dem Zubau erneuerbarer Energien gewissermaßen hinterherhinkt. Deswegen ist neben einem beschleunigten Netzausbau, das Thema regionale Strompreissignale von großer Bedeutung. Nach der politisch schwierigen Diskussion über eine Strompreiszonenaufteilung, die meiner Meinung nach nicht kommen wird, bietet eine umfassende Netzentgeltreform hier einen klugen Ansatzpunkt.

    Könnten Batteriespeicher den Bedarf an neuen Stromleitungen reduzieren?
    Weber: Speicher und Flexibilität sind das fehlende Scharnier, das Angebot und Nachfrage klug miteinander verbindet. Batteriespeicher stellen das Gegenstück zur Erzeugung aus erneuerbaren Energien dar, indem sie das Erzeugungsprofil an die Nachfrage anpassen. Dadurch sinkt die Strompreisvolatilität, negative Preise werden vermieden und der Marktwert der Erneuerbaren steigt. Sie bringen einen Nutzen auch für diejenigen, die selbst keine Speicher nutzen, weil Preisspitzen reduziert werden.

    CO2-Preis im europäischen Emissionshandel von 2010 bis 2025. Infografik: Benedikt Grothjan

    Mal ganz grundsätzlich: Wie lässt sich das Ziel der Klimaneutralität am effizientesten und günstigsten erreichen?
    Weber: Durch einen schnellen Gangwechsel mit mehr Effizienz, Marktwirtschaft und Technologieoffenheit bei der Energiewende. Das Energiewende-Monitoring sollte dabei den Auftakt bilden, um hierfür die notwendigen Strukturreformen einzuleiten. Darüber hinaus spielen der europäische Emissionshandel und seine Ausweitung auf die Bereiche Wärme und Verkehr im Rahmen des ETS 2 für mich die entscheidende Rolle. Der bisherige europäische Emissionshandel (ETS 1) hat mit seiner CO2-Mengensteuerung und Lenkungswirkung bereits bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Die Entkoppelung von Wachstum und Emissionen gelingt in Europa besser als anderswo. Dank des ETS 1 ist Europa auf einem guten Weg, seine Klimaschutzziele 2030 zu erreichen. Eine Ausweitung auf weitere Sektoren wie Straßenverkehr und Gebäude hat das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zu leisten, um die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Aber der Widerstand auf dem Weg zur Einführung wächst in verschiedenen Mitgliedsstaaten wegen der sozialen Auswirkungen. Für mich sind die Verteidigung des ETS 2 und die Entwicklung einer tragfähigen sozialen Lösung der Lackmustest für einen effizienten, marktwirtschaftlichen Klimaschutz.

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