Monitoringbericht zur Energiewende

  • Search15.09.2025

Tritt Katherina Reiche jetzt aufs Bremspedal?

Der Ökostromausbau muss effizienter werden, aber in hohem Umfang weitergehen, fordert ein Expertenbericht des Wirtschaftsministeriums. Doch dort scheint man die Ergebnisse anders zu interpretieren.

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    Katherina Reiche bei der Vorstellung des Monitorings: Die Meinungen über die Auslegung des Berichts gehen auseinander.

     

    Von Volker Kühn

    Keinem Termin haben Energiewirtschaft und Umweltverbände zuletzt mit so viel Spannung entgegengefiebert wie der Vorstellung des Monitorings zum Stand der Energiewende. Als es heute Vormittag endlich so weit war, hatten manche Beobachter allerdings das Gefühl, nicht einer, sondern gleich zwei Pressekonferenzen beizuwohnen. In der ersten präsentierten die beauftragten Institute die Ergebnisse ihrer Studie. In der zweiten interpretierte ihre Auftraggeberin, Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche, diese Ergebnisse – und kam dabei teils zu Einschätzungen, die ganz anders klangen. Dieser Streit darüber, was eigentlich in dem Bericht steht und welche Folgen daraus abzuleiten sind, dürfte die kommenden Wochen prägen.

    Mit dem Monitoring beauftragt waren das Energiewirtschaftliche Institut der Uni Köln und das Beratungsunternehmen BET Consulting. Umwelt- und Klimaschützer hatten sowohl die Auswahl der Institute als auch ihre Auftragsbeschreibung im Vorfeld skeptisch beurteilt: Das Design des Monitorings sei darauf angelegt, den künftigen Strombedarf Deutschlands möglichst gering einzuschätzen, hieß es. Damit könne es einen Vorwand liefern, um die Ausbauziele für erneuerbare Energien herunterzuschrauben und die Energiewende auszubremsen.

    Der Strombedarf wird weiter steigen. Die Frage ist, wie schnell

    Doch was die Institute heute präsentierten, liest sich nicht wie eine Studie mit bestelltem Ergebnis. Es ist vielmehr eine nüchterne Metaanalyse zahlreicher vorliegender Studien aus den vergangenen Monaten, der Beobachter in ersten Reaktionen bescheinigen, handwerklich gut gemacht und ausgewogen zu sein.

    Die für viele zentrale Stelle ist die Prognose des deutschen Stromverbrauchs im Jahr 2030. Die Ampelregierung war von 680 bis 750 Terawattstunden ausgegangen. Darauf hatte sie ihr Ausbauziel für die erneuerbaren Energien ausgerichtet, die laut Gesetz 2030 einen Anteil von 80 Prozent erreichen sollen.

    Doch die Elektrifizierung in Deutschland kam zuletzt langsamer voran als erwartet. Unternehmensberatungen und Denkfabriken aus unterschiedlichen politischen Lagern schätzten den künftigen Strombedarf deshalb zuletzt auf deutlich weniger als 750 Terawattstunden. Und diese Spannbreite gibt auch das Monitoring wieder: Es geht von 600 bis 700 Terawattstunden aus.

    Bruttostromverbrauch in Deutschland in Terawattstunden: Entwicklung seit 2010 und Prognose für 2030 (Monitoring-Bericht). Infografik: Benedikt Grotjahn

    Das Monitoring unterscheidet in den untersuchten Studien zwischen zwei verschiedenen Arten von Szenarien zur Abschätzung des Stromverbrauchs:

    • Das eine sind „normative Szenarien“. Sie prognostizieren jenen Bedarf an Strom und erneuerbaren Energien, die nötig sind, um die gesetzlich vorgeschriebenen deutschen und europäischen Klimaziele zu erreichen.
    • Demgegenüber stehen „explorative Trendszenarien“. Sie schreiben die Entwicklung des Strombedarfs abhängig von den heute geltenden politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen möglichst realistisch fort. Die Klimaziele werden in solchen Szenarien nicht zwingend erreicht, sondern tendenziell verfehlt.

    Im Monitoring heißt es dazu: „Eine Diskrepanz zwischen normativ klimazielerreichenden Szenarien und explorativen Trendszenarien kann zum Ausdruck  bringen, ob und wie sehr die bisherigen Bemühungen und Maßnahmen auf Grund empirischer Beobachtung ausreichen, um die Zielpfade zu erreichen.“ Eine Abweichung sei in der Regel ein Indiz für die Notwendigkeit des Gegensteuerns.

    Im Umkehrschluss heißt das: Wer die Dekarbonisierung des Landes und die Investitionen in eine klimagerechte Infrastruktur auf Basis explorativer Szenarien plant, nimmt das Verfehlen der Klimaziele in Kauf. Man könnte sogar so weit gehen, ein solches Handeln als gesetzeswidrig und einen Widerspruch zum Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 zu sehen.

    Die Richtung stimmt, sagt das Monitoring. Aber es muss nachgebessert werden

    Insgesamt bescheinigt das Monitoring der Energiewende, die richtige Richtung eingeschlagen zu haben. Der Ausbau erneuerbarer Energien sei weiterhin „in hohem Umfang“ nötig, so die Autoren. Doch mit Blick auf die Kosten müsse nachgesteuert werden.

    Die Forschungsinstitute machen dazu eine Reihe von Vorschlägen wie etwa eine bessere Auslastung der Stromnetze, Anreize für eine höhere Flexibilität auf der Nachfrageseite, eine beschleunigte Digitalisierung und die bessere regionale Steuerung des Erneuerbaren-Ausbaus.

    Katherina Reiche bei der Präsentation des Monitorings mit Alexander Kox von BET Consulting (links) und Philipp Kienscherf vom Energiewirtschaftlichen Institut der Uni Köln.

    Der Zungenschlag der anschließenden Rede von Katherina Reich allerdings war ein anderer. Für die Wirtschaftsministerin ging es weniger um ein Nachsteuern als vielmehr einen Neustart. Zwar nannte auch sie den bisherigen Ausbau eine Erfolgsgeschichte. Dennoch stehe die Energiewende „am Scheidepunkt“.

    Reiche setzt den Strombedarf niedrig an. Das dürfte Folgen für den Ausbau haben

    Was der Wirtschaftsministerin vorschwebt, skizzierte sie in einem Zehn-Punkte-Plan, den sie gestern vorlegte. Er sieht vor, den Ausbau der Erneuerbaren und der Netze an „realistischen Strombedarfsszenarien“ zu orientieren. Es sei davon auszugehen, dass dieser Bedarf „eher am unteren Ende“ der im Monitoring genannten Spanne von 600 bis 700 Terawattstunden liegen werde.

    Da sich das Ziel von 80 Prozent Erneuerbaren im Jahr 2030 auf diese Prognose bezieht, dürften Reiches Worte deutliche Folgen für den künftigen Ausbau haben. 80 Prozent von 600 Terawattstunden sind schließlich mit deutlich weniger Wind- und Solarparks zu erreichen als 80 Prozent von bis zu 750 Terawattstunden aus Ampelzeiten.

    Das Zehn-Punkte-Papier nennt eine Reihe konkreter Maßnahmen. So sollen etwa die Kapazitäten für die Offshore-Windenergie angepasst werden, was auf eine Senkung der Ausbauziele hindeutet. Feste Einspeisevergütungen sollen „konsequent abgeschafft“ werden. Schon zuvor hatte Reiche erklärt, dass für neue PV-Anlagen auf Privathäusern künftig kein Geld mehr fließen solle, da sich die Anlagen auch so rechneten. Zudem spricht das Papier davon, künftig Contracts for Difference (CfD) und Power Purchase Agreements (PPA) fördern zu wollen.

    Kritik von Klimaschützern: Das Tempo darf nicht nachlassen

    Während das Monitoring von Umwelt- und Klimaschutzverbänden wohlwollend aufgenommen wurde, ziehen Reiches Interpretation der Ergebnisse sowie ihr Zehn-Punkte-Plan viel Kritik auf sich. Das Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren dürfe nicht nachlassen, so der Tenor. Der Fachverband VDMA Power Systems und die IG Metall etwa forderten in einer gemeinsamen Erklärung, die Energiewende nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Kosteneffizienz zu betrachten, sondern auch Faktoren wie heimische Wertschöpfung, Industriearbeitsplätze und wirtschaftliche Resilienz mit einzubeziehen. Von anderen Verbänden wie dem Bund der Industrie (BDI) hingegen bekam Reiche Zustimmung.

    Mindestens ebenso gespannt, wie Energiewirtschaft und Umweltverbände auf das Monitoring heute hingefiebert haben, dürften sie daher erwarten, was die schwarz-rote Koalition in den kommenden Wochen daraus machen wird.

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