Windkraft auf See

  • Search24.03.2025

70 Gigawatt? Ja, aber ...

Der Offshore-Wind-Ausbau muss effizienter werden, darüber sind sich Politik und Industrie einig. Teile der Energiebranche fordern, das 70-Gigawatt-Ziel zu kappen. Andere empfehlen, Parks in ausländischen Gewässern zu bauen.

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    Offshore-Windpark in der Nordsee: Industrie und Politik diskutieren darüber, wie die geplanten Ausbauziele am besten erreicht werden können.

    Windrad in der Nordsee: Je dichter die Turbinen nebeneinanderstehen, desto weniger Strom erzeugen sie. Das verteuert den Ausbau.

     

    Von Volker Kühn

    Seit fast zwei Wochen verhandeln 16 Arbeitsgruppen von Union und SPD über den Kurs einer gemeinsamen Regierung. Für die Energiepolitik hatte CDU-Chefverhandler Andreas Jung zum Start einen „Effizienzcheck“ vorgegeben: Die Energiewende müsse günstiger werden.

    Insbesondere die Kosten für den Netzausbau und die Offshore-Windenergie sind in den Fokus gerückt. Begleitend zu den Koalitionsverhandlungen haben Interessenverbände und Ökonomen eine ganze Serie von Vorschlägen auf den Tisch gelegt. Sie alle identifizieren erhebliche Sparpotenziale, teils im mehrstelligen Milliardenbereich:

    • Die Boston Consulting Group empfiehlt in einer Studie im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie, die Offshore-Wind-Ziele nach unten zu korrigieren. Stattdessen sollten mehr Windparks an Land gebaut werden, da sie günstiger seien.
    • Auch der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz plädiert für einen effizienteren Netzausbau durch weniger Offshore-Wind. Würden einzelne Parks dafür etwas größer gebaut, könnten sie die Leitungen an mehr Tagen vollständig auslasten.
    • Die Chefs des Stromversorgers RWE und des Verteilnetzbetreibers Eon, Markus Krebber und Leo Birnbaum, empfehlen in einem gemeinsamen FAZ-Interview ebenfalls vorerst weniger Offshore-Wind, da der Strombedarf in Deutschland nicht so schnell steige wie erwartet. Zudem könnten Windparkbetreiber an den Kosten des Netzausbaus beteiligt werden.
    • McKinsey prognostizierte bereits im Januar einen geringeren Stromverbrauch mit einem entsprechend geringeren Bedarf an Erneuerbaren.
    • Christoph Maurer, Chef der Energieberatung Consentec, sieht mögliche Effizienzgewinne durch einen grenzüberschreitenden Anschluss von Offshore-Windparks. Sie könnten ihren Strom je nach Bedarf, Netzauslastung und Preis in verschiedene Länder einspeisen.

    Auch aus der Ökostrombranche kommen Vorschläge für einen kostengünstigeren Ausbau der Erneuerbaren. Zugleich warnen Branchenvertreter eindringlich vor Einschnitten in die Ausbauziele:

    • Eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft im Auftrag von Green Planet Energy kommt zu dem Schluss, dass ein um 25 Prozent geringerer Ausbau in den nächsten fünf Jahren Investitionen von 65 Milliarden Euro verhindern könnte. Dadurch würde der Sektor seine Funktion als Jobmotor einbüßen. Die Rede ist von bis zu 65.000 Jobs, die bei einer entsprechenden Kürzung nicht geschaffen würden.
    • Zugleich plädiert der Bundesverband Windenergie Offshore dafür, unbedingt am Ausbauziel von 70 Gigawatt auf See festzuhalten – schon weil die Lieferkette Planungssicherheit benötige, um für heimische Wertschöpfung und Beschäftigung zu sorgen.

    Die Warnung kommt nicht überraschend. Der Branche sind die Folgen vergangener Ausbaukürzungen noch schmerzhaft in Erinnerung. Insbesondere der „Fadenriss“ unter dem damaligen Umweltminister Peter Altmaier zog eine Welle von Entlassungen und Firmenpleiten in der Offshore-Windenergie nach sich.

    Dass der Ausbau effizienter gestaltet werden kann, bestreiten allerdings auch die Windparkbetreiber nicht. Ein Problem sieht die Branche insbesondere in der sogenannten Abschattung: Nirgendwo auf der Welt sind Offshore-Windräder in geringerem Abstand zueinander geplant als in der deutschen Nordsee. Das allerdings führt dazu, dass sie sich gegenseitig den Wind rauben.

    Die Parks stehen dicht nebeneinander – und erzeugen daher weniger Strom

    Nach Untersuchungen des Fraunhofer IWES ist der Effekt beträchtlich. Die Zahl der sogenannten Volllaststunden – ein Wert, der die Auslastung der Windräder misst – sinkt bei fortschreitendem Ausbau auf manchen Flächen auf weniger als die Hälfte des theoretisch Möglichen. Für die Betreiber bedeutet das geringere Stromerträge und Einnahmen. Das wiederum treibt die Stromkosten in die Höhe, denn darüber wird der milliardenschwere Bau der Parks finanziert. Schlimmstenfalls könnte es dazu führen, dass einzelne Flächen unwirtschaftlich werden und kein Betreiber dort bauen will.

    Windgeschwindigkeiten in der deutschen Nordsee und erwartbare Volllaststunden von Offshore-Windrädern: Je geringer die Abschattungseffekte, desto höher die Stromproduktion. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Der Offshore-Windparkbetreiber Ørsted plädiert deshalb dafür, die Flächen zu entzerren. Sie sollten so geplant werden, dass darauf mindestens 4000 Volllaststunden pro Turbine und Jahr erreicht werden können. „Aus ökonomischer Sicht spricht viel dafür, in den deutschen Meeresgebieten erst mal etwas weniger auszubauen als geplant“, sagte Jörg Kubitza, der Geschäftsführer der Deutschland-Sparte des Konzerns, in einem Interview bereits im November. (Transparenzhinweis: Ørsted finanziert das journalistische Angebot von EnergieWinde.)

    Der Ausbau ließe sich entzerren – durch eine Kooperation mit Dänemark

    Das bedeute allerdings nicht, dass Deutschland von seinem 70-Gigawatt-Ziel abrücken müsse. Vielmehr schlägt der Energieversorger vor, 55 Gigawatt in deutschen Gewässern und 15 Gigawatt in dänischen zu planen. Die Anlagen dort könnten radial angeschlossen werden: per direkter Kabelverbindung ans deutsche Netz. Das sei günstiger als ein Ausbau des sogenannten Entenschnabels, also der bis zu 400 Kilometer von der deutschen Küste entfernt liegenden nordwestlichen Spitze des deutschen Seegebiets.

    Die Levelized Cost of Electricity (LCOE), die Gesamtkosten für Bau und Betrieb der Windparks, liegen nach Angaben von Ørsted in Dänemark um bis zu 35 Prozent niedriger als in den deutschen Seegebieten östlich der Schifffahrtsstraße SN 10, auf denen bereits Windparks ausgeschrieben wurden. Allein durch die Verlagerung von 15 Gigawatt nach Dänemark seien deshalb Kosteneinsparungen zwischen 8,4 Milliarden und 18,6 Milliarden Euro möglich, heißt es bei Ørsted.

    Dänemark hat mit seinen gut sechs Millionen Einwohnern einen erheblich geringeren Strombedarf als Deutschland. Seine Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) in der Nord- und Ostsee ist zugleich gut dreimal so groß wie die deutsche. Platz wäre also vorhanden.

    Nirgendwo stehen Offshore-Windräder so dicht nebeneinander wie in der deutschen Nordsee. Hier liegt die Leistungsdichte in Megawatt pro Quadratkilometer im Schnitt besonders hoch. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Voraussetzung wäre allerdings, dass sich Deutschland und Dänemark darüber einigen, in welcher Form die Dänen davon profitieren, dass sie Meeresflächen für Windparks zur Verfügung stellen, die ihren Strom nach Deutschland liefern. Ein mögliches Forum für Gespräche darüber könnte die Nordsee-Energiekooperation (NSEC) sein, in der neun europäische Länder und die EU-Kommission ihre grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei Offshore-Wind und Netzen koordinieren. Denkbar wäre, dass Länder einen Staatsvertrag schließen, wenn sie eine derartige Kooperation planen.

    Das bisherige Auktionsdesign treibt die Kosten hoch. CfD wären eine Alternative

    Bei Ørsted hält man zudem eine Reform des Ausschreibungssystems für erforderlich. Das bisherige Design, in dem die Zahlungsbereitschaft der Bieter entscheidet, wer den Zuschlag für eine Offshore-Wind-Fläche erhält, treibe die Kosten für den Bau in die Höhe und verteure den Strom. Würde man auf ein System mit Contracts for Difference (CfD) wie in Großbritannien wechseln, könne dies nach Konzernberechnungen zu Einsparungen von 7,5 bis 12,5 Milliarden Euro führen.

    Wer für Schwarz-Rot die Energiepolitik verhandelt

    Arbeitsgruppe Klima und Energie

    In ihrem Sondierungspapier haben sich Union und SPD auf „dauerhaft niedrige und planbare, international wettbewerbsfähige Energiekosten“ und einen „zügigen Netzausbau“ verständigt. Außerdem halten sie daran fest, dass Deutschland 2045 klimaneutral sein soll. In den Koalitionsgesprächen verhandeln 16 Fachpolitikerinnen und -politiker darüber, wie diese Ziele erreicht werden sollen. CDU und SPD haben je sechs Mitglieder in die Arbeitsgruppe Klima und Energie entsandt, die CSU drei.

    CDU

    Vorsitz:
    Andreas Jung

    Weitere Mitglieder:
    Thomas Gebhart
    Jan Heinisch
    Mark Helfrich
    Tilman Kuban
    Lars Rohwer

    CSU

    Vorsitz:
    Martin Huber

    Weitere Mitglieder:
    Anja Weisgerber
    Andreas Lenz

    SPD

    Vorsitz:
    Olaf Lies

    Weitere Mitglieder:
    Nina Scheer
    Jakob Blankenburg
    Delara Burkhardt
    Ulf Kämpfer
    Johann Saathoff
    Dietmar Woidke

    Zudem macht sich der Energieversorger dafür stark, die Laufzeit von Offshore-Windparks zu verlängern. Auch dadurch ließen sich Kosten sparen, Netzkosten besser verteilen, Lieferengpässe mildern und die Umweltbilanz verbessern. Sinnvoll sei eine Betriebszeit von 35 Jahren anstelle der bislang vorgesehenen 25 Jahre. Insgesamt beziffert der Konzern das Sparpotenzial durch die vorgeschlagenen Maßnahmen auf bis zu 31,1 Milliarden Euro.

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