Energieexperte Tim Meyer

  • Search08.07.2025

„Die Revolution kann man nicht aufhalten“

Deutschland diskutiert über seine Klimaziele und den Ökostromausbau. Doch es wäre falsch, die Energiewende auszubremsen, sagt der Unternehmensberater Tim Meyer. Denn stoppen lasse sich der Trend ohnehin nicht mehr.

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    Windpark auf der Schwäbischen Alb: Bremst die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche die Energiewende aus?

    Windpark im Abendrot: „Noch nie in der Geschichte der Menschheit ist eine Energiequelle so rasant gewachsen.“

     

    Von Volker Kühn

    Herr Meyer, Sie haben Ihr Buch über die Energiewende schlicht „Strom“ genannt – ganz so, als sei längst ausgemacht, dass wir uns künftig vor allem mit dieser Form der Energie versorgen. Die aktuelle Debatte klingt aber ganz anders. Da geht es um Gaskraftwerke, einen „Realitätscheck“ für den Ökostromausbau und die Verschiebung der Klimaziele. Ist die Sache wirklich schon durch?
    Tim Meyer: Weltweit betrachtet gehe ich fest davon aus. In Deutschland machen wir allerdings gerade mal wieder eine Rolle rückwärts, ähnlich wie in den USA. Dabei ist das, was wir „Energiewende“ nennen, in Wirklichkeit eine industrielle Revolution, und die kann man nicht aufhalten, wie wir aus der Geschichte wissen. Man kann sie allenfalls verzögern. Aber auch das sollten wir nicht tun, denn es ist eine gute Revolution. Sie hilft uns, den Klimawandel zu begrenzen, und bringt gewaltige Chancen für die Gesellschaft und Unternehmen mit sich. In der Bundesregierung scheint das allerdings noch nicht angekommen zu sein. Ansonsten käme man nicht auf die Idee, in einem so großen Ausmaß neue Gaskraftwerke bauen zu wollen.

    Was macht Sie so sicher, dass erneuerbare und nicht fossile Rohstoffe das Rennen machen?
    Meyer: Die unglaubliche Dynamik, mit sich der sich saubere Technologien weltweit verbreiten. Noch nie in der Geschichte der Menschheit ist eine Energiequelle so rasant gewachsen wie die Solar- und Windenergie. Und bei den Batterien geht es mit dem Preisverfall sogar noch schneller. Vor wenigen Jahren wäre man für verrückt erklärt worden, wenn man prophezeit hätte, in welchem Ausmaß Batterien heute schon eingesetzt werden, um Schwankungen der Wind- und Solarenergie auszugleichen.

    Tim Meyer blickt auf mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Energiewirtschaft zurück. Nach seinem Elektrotechnikstudium und der Promotion am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) hat er unter anderem beim Solarunternehmen Conergy und als Vorstand der Naturstrom AG gearbeitet. Heute berät er Energieunternehmen in ihrer Geschäfts- und Strategieentwicklung und erläutert als „Top Voice“ auf LinkedIn globale Energietrends. Kürzlich ist sein Buch „Strom“ erschienen, in dem er die globale Energiewende als industrielle Revolution schildert.         Foto: Rolf Driesen

    Aber haben Öl und Gas nicht die mächtigeren Lobbys? In den USA will Trump die fossilen Rohstoffe entfesseln, und auch hierzulande sind die Beharrungskräfte groß.
    Meyer: Die fossilen Lobbys sind ohne Zweifel stark. Das sieht man schon daran, wie sie uns seit Jahrzehnten mit Desinformation überschütten. Das hat die Energiewende immer wieder zurückgeworfen. Der Internationale Währungsfonds – der ja nicht gerade als Öko-Thinktank gilt – hat ausgerechnet, dass weltweit jährlich sieben Billionen US-Dollar an Subventionen in fossile Energien fließen. Sieben Billionen! Doch noch nicht einmal diese gigantische Marktverzerrung zugunsten fossiler Energie kann die weltweite Energiewende aufhalten. Selbst in republikanischen US-Bundesstaaten wie Texas boomen die Erneuerbaren und Batteriespeicher. Ich glaube nicht, dass es Trump gelingen wird, die Wende zurück ins fossile Zeitalter komplett durchzuziehen. Schon weil ihm dann die Unternehmer aufs Dach steigen werden.

    Wirklich? Sie stehen doch eher Gewehr bei Fuß, wenn man etwa die Techkonzerne sieht.
    Meyer: Stimmt, von dieser Seite ist der Widerstand wirklich sehr schwach. Überhaupt wäre es gut, wenn Unternehmen sehr viel stärker für die Energiewende einstehen würden. Schließlich ist sie auch in ihrem wirtschaftlichen Interesse. Das gilt übrigens auch in Deutschland. Man kann über Details des Gebäudeenergiegesetzes sicher streiten, aber als die Kampagne gegen den „Heizungshammer“ auf Hochtouren lief, hätte ich mir gewünscht, dass aus den Unternehmen heraus dazu aufgerufen worden wäre, die Kirche im Dorf zu lassen. Dabei waren sich die meisten einig, dass die grundsätzliche Richtung des Gesetzes stimmte.

    World Energy Outlook 2024 (IEA): Seit etwa 2018 wird weltweit mehr Geld in erneuerbare als in fossile Energiequellen Investiert. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Woher kommt die enge Verbindung von Populisten und fossilen Energien?
    Meyer: Wer das genau verstehen möchte, dem empfehle ich das Buch „Männer, die die Welt verbrennen“. Darin hat Christian Stöcker auf sehr präzise Weise herausgearbeitet, wie ultrareiche Unternehmer aus den fossilen Energien jahrzehntelang mit viel Geld Falschinformationen in die Welt gesetzt, Politiker und Wissenschaftler gekauft und die Energiewende diskreditiert haben.

    Windpark in Texas: Auch in republikanisch dominierten US-Bundesstaaten boomen die erneuerbaren Energien.

    Windpark in Texas: Auch in republikanisch dominierten US-Bundesstaaten erleben die erneuerbaren Energien einen Boom.

     

    Dass Unternehmer aus der Öl- und Gasindustrie die Energiewende ablehnen, ist nicht überraschend. Aber es beschränkt sich nicht auf Populisten und Superreiche. Die Skepsis reicht bis in konservative Kreise, denen man nicht einfach finstere Motive unterstellen kann. Woran liegt das?
    Meyer: Einerseits glaube ich, dass die Veränderung so schnell geht, dass auch viele Entscheider in Politik und Wirtschaft sie noch nicht mitbekommen haben. Wer vor zwanzig oder vor zehn Jahren energiepolitisch sozialisiert wurde, hat vieles, was seither möglich geworden ist, nicht gelernt. Wir Menschen tun uns nun mal schwer damit, exponentielle Entwicklungen zu verstehen.

    Und andererseits?
    Meyer: ... ist es auch eine Frage der politischen Agenda. Es ist der Wunsch, sich vom politischen Gegner abzusetzen. Wer im Wahlkampf aufs Schärfste gegen alles vermeintlich Grüne zu Felde gezogen ist, kann nun nicht einfach zugeben, dass manches davon richtig war. Selbst wenn die Politik dem alten Kurs weitgehend folgt – wie vermutlich auch im Fall des Gebäudeenergiegesetzes –, wird nach außen hin so getan, als sei jetzt alles anders.

    Anführungszeichen

    Die Netze halten mit dem Ausbau nicht Schritt. Aber in der Konsequenz zu sagen, dass dann eben der Ausbau gestoppt oder zumindest gebremst werden muss, wäre falsch

    Tim Meyer

    In einigen Bereichen hebt sich Wirtschaftsministerin Katherina Reiche allerdings deutlich von ihrem Vorgänger Robert Habeck ab. Sie spricht davon, den Business-Case für Erneuerbare „nach unten zu bringen“, weil der Ausbau zu hohe Kosten verursache. Hat sie mit Blick auf die explodierenden Netzentgelte nicht recht?
    Meyer: Nein. Recht hat sie nur darin, dass sich die Energiewende in einer Schieflage befindet. Die Netze halten mit dem Ausbau tatsächlich nicht Schritt. Aber in der Konsequenz zu sagen, dass dann eben der Ausbau gestoppt oder zumindest gebremst werden muss, wäre falsch. Denn dann verlieren wir viele Jahre, bis die neuen Leitungen endlich da sind. Aber wir brauchen den Strom möglichst schnell, um neue Unternehmensansiedlungen mit Strom zu versorgen, fossile Energien zu ersetzen und zur Klimaneutralität zu kommen. Deswegen müssen wir die Balance auf anderem Wege herstellen: indem wir die Nachfrage nach Strom schneller steigern und flexibilisieren.

    Also unseren Stromverbrauch möglichst in Zeiten verschieben, in denen er im Überfluss vorhanden ist.
    Meyer: Richtig. Das geht mit Smart Metern und dynamischen Stromtarifen, mit flexiblen Netzentgelten, mit Batteriespeichern und vielen anderen Lösungen. Wir müssen sie nur zulassen und die bürokratischen Hemmnisse beseitigen. Der Markt regelt dann den Rest. In meinem Buch habe ich geschrieben: „Flexibilität ist das neue Gold“.

    Dann bräuchten wir die 20 Gigawatt neuer Gaskraftwerke nicht, die Katherina Reiche plant?
    Meyer: Wir brauchen definitiv Lösungen, um auch lange Dunkelflauten durchzustehen. Aber bitte nicht gleich 20 Gigawatt jetzt! Lasst uns doch erst mal fünf oder zehn Gigawatt bauen und dann sehen, wie weit wir damit kommen. Es entstehen derzeit so viele neue Geschäftsmodelle und Innovationen in der Energiewelt. Wir wissen heute noch gar nicht, was morgen alles möglich sein wird. Ich bin mir sicher, dass wir mit deutlich weniger hinkommen. Aber die Wirtschaftsministerin scheint anderes im Sinn zu haben.

    Worauf spielen sie an?
    Meyer: Auf die Studie zum Monitoring der Energiewende, die sie in Auftrag gegeben hat. Das Studiendesign zielt eindeutig darauf ab, den künftigen Strombedarf möglichst gering einzuschätzen …

    … sodass die Ausbauziele der Energiewende gesenkt werden können?
    Meyer: Richtig. Man schafft quasi eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Ähnlich ist es mit dem seit Jahrzehnten verschleppten Netzausbau, der jetzt dazu führt, dass wir vermeintlich nicht so viele neue Energien und Batteriespeicher daran anschließen können.

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    Wenn die soziale Frage auf der Strecke bleibt, gewinnen nur die Populisten

    Tim Meyer

    Ein weiteres Beispiel für politische Untätigkeit ist die soziale Komponente der Energiewende: Einkommensschwache Haushalte ächzen heute schon unter den hohen Kosten für Strom und Gas, und mit dem CO2-Preis wird es künftig noch teurer. Dennoch ist das schon unter Angela Merkel versprochene Klimageld kein Thema. Hat die Energiewende ein Gerechtigkeitsproblem?
    Meyer: Ja. Bislang hat die Politik es leider versäumt, sich im Grundsatz darum zu kümmern. Ein Problem ist, dass wir den sozialen Ausgleich oft auf Ebene der Fachgesetze schaffen wollen, also zum Beispiel direkt im Gebäudeenergiegesetz. Dadurch werden diese Gesetze brutal komplex, bis am Ende keiner mehr durchsteigt. Wir sollten die Frage der sozialen Gerechtigkeit dort lösen, wo sie hingehört, also vor allem in der Steuer- und Sozialpolitik. Ein steigender CO2-Preis in Verbindung mit einem direkt an die Bürger ausgezahlten Klimageld wäre aus meiner Sicht eine gute Lösung, um gerade Schwächere zu entlasten. Wenn die soziale Frage auf der Strecke bleibt, gewinnen nur die Populisten.

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