Neurowissenschaftlerin Maren Urner

  • Search07.11.2024

„Das Absurde ist, dass wir wissentlich unsere Lebensgrundlagen gefährden“

Es sind harte Zeiten für Klimaschützer. Die Neurowissenschaftlerin Maren Urner erklärt, wie sich Frust und Verzweiflung überwinden lassen – und warum Gefühle der Schlüssel sind, um wieder ins Handeln zu kommen.

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    Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Wir können die Klimamüdigkeit überwinden: indem wir lernen, besser mit Gefühlen umzugehen – mit unseren eigenen, aber auch mit denen unserer Mitmenschen.

     

    Deutschland ist nach dem Bruch der Ampel gelähmt, die USA wählen einen Klimaleugner zum Präsidenten und die CO2-Emissionen klettern von einem Rekord zum nächsten: Bei vielen Klimaschützern macht sich angesichts der Weltlage Resignation breit. Die Fridays-Bewegung ist längst nur noch ein Schatten ihrer selbst. Wie geht man mit Frust und Verzweiflung um, wie schafft man es, Zuversicht zurückzugewinnen und wieder ins Handeln zu kommen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Neurowissenschaftlerin und Bestseller-Autorin Maren Urner. Wir können die Klimamüdigkeit überwinden, sagt sie: indem wir lernen, besser mit Gefühlen umzugehen – mit unseren eigenen, aber auch mit denen unserer Mitmenschen.

    Frau Urner, Klimaschutz scheint keine große Rolle mehr zu spielen. Ist es okay, wenn mich das traurig, deprimiert und wütend macht – oder ich schlicht an dieser Situation verzweifle?
    Maren Urner: Es ist ganz wichtig, Gefühle zuzulassen und am eigenen Körper zu spüren, wie dringlich und wie ernst die Lage ist. Aber bitte verzweifeln Sie nicht!

    Leichter gesagt, als getan!
    Urner: Verzweiflung hilft nicht weiter. Wenn Menschen verzweifeln, glauben sie nicht mehr daran, dass sich die Dinge zum Positiven entwickeln können. Dieses Phänomen ist in der Psychologie als sogenannte erlernte Hilflosigkeit bekannt. Der Klassiker ist zu denken: „Die da oben machen sowieso, was sie wollen!“ Also: Verzweiflung ist nicht gut, Gefühle wie Angst zwischendurch zu spüren ist es dagegen schon.

    Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin, Bestseller-Autorin und seit September 2024 Professorin für Nachhaltige Transformation an der FH Münster. Zuvor war sie unter anderem Chefredakteurin des Onlinemagazins „Perspective Daily“, das sich dem konstruktiven Journalismus verschrieben hat. Zuletzt erschienen ist ihr Buch „Radikal emotional. Wie Gefühle Politik machen“. Foto: Victoria Jung

    Ich könnte mich freuen für Menschen, die Fotos von Flughäfen und fernen Reisezielen posten. Sie entdecken die Welt, kommen mit anderen zusammen, das ist toll. Aber ich ärgere mich: Sie fliegen in der Klimakrise! Warum kann es auch gut sein, so einen Ärger zuzulassen?
    Urner: Wenn es beim Ärger bleibt, ist es nichts weiter als Fingerpointing. Aber Sie können dieses Gefühl nutzen, um einen ersten, wichtigen Schritt zu machen.

    Welcher könnte das sein?
    Urner: Sie können sich fragen: Was spüre ich da eigentlich gerade? Das gilt es, erst mal einfach festzuhalten: Ah, okay, ich sehe das – und spüre umgehend Wut in mir. Entscheidend ist: Eine Emotion, ein Gefühl als solches, ist weder gut noch schlecht. So gesehen gibt es weder „positive“ noch „negative“ Gefühle. Was hingegen gut oder schlecht sein kann, ist unser Umgang mit der jeweiligen Emotion. So ist es beispielsweise keine besonders gute Lösung, es beim Ärger über die Reisen anderer zu belassen und griesgrämig durch den Alltag zu gehen.

    Sondern?
    Urner: Man sollte sich im nächsten Schritt klarmachen, warum einen der augenscheinliche Widerspruch im menschlichen Verhalten triggert. Wir – im Sinne von „die Menschheit“ – wissen, dass sich das Klima aufgrund menschlicher Tätigkeiten rasant erwärmt und dass unsere Lebensgrundlage massiv bedroht ist. Stärker noch: Sechs von neun planetaren Belastungsgrenzen sind bereits überschritten. Trotzdem tun wir so vieles, das es noch schlimmer macht. So erreichen die weltweiten CO2-Emissionen jedes Jahr einen neuen Rekordwert. Habe ich diese Zusammenhänge verstanden, kann ich mich fragen: Was kann ich tun, damit diese selbstzerstörerischen Handlungen aufhören?

    Aber was kann ich allein schon machen?
    Urner: Selbst, wenn ich hier in Deutschland im Zelt lebte, mich vegan ernährte und nur noch zu Fuß unterwegs wäre, könnte ich meinen persönlichen Treibhausgasausstoß nicht unter zwei Tonnen im Jahr drücken. Das stimmt! Und leider führen wir häufig Scheindebatten und streiten darüber, ob Soja-, Hafer- oder Mandelmilch besser fürs Klima ist und ob individuelle Flugreisen noch in die Zeit passen. Diese Debatten werden die fatalen Strukturen nicht verändern.

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    Ich nenne unseren aktuellen Zustand ein Leben in Absurdistan. In der Psychologie sprechen wir von Wahnsinn, wenn jemand weiß, was zu tun ist, aber das Gegenteil davon tut

    Maren Urner

    Was folgt daraus?
    Urner: Dass wir ehrlicher miteinander umgehen und darüber sprechen müssen, was wirklich Sache ist – als Gesellschaft, als Individuen, in der Politik, in den Unternehmen, in den Medien, in den Familien, in den Schulen: Wir – als Menschen – wissen alles! Noch mal: Das Absurde ist, dass wir wissentlich unsere Lebensgrundlage massiv gefährden. Ich nenne unseren aktuellen Zustand ein Leben in Absurdistan. In der Psychologie sprechen wir von Wahnsinn, wenn jemand weiß, was zu tun ist, aber das Gegenteil davon tut.

    Ist es eine sinnvolle Strategie, andere aus der Lethargie zu reißen, indem ich ihnen Angst vor den Folgen der Klimakrise mache? Greta Thunberg sagte vor Jahren: „I want you to panic!“
    Urner: Panik zu verursachen, ist keine gute Idee, weil sie unseren Körper in einen Ausnahmezustand bringt, der noch stärker auf das Hier und Jetzt fokussiert ist, als es unser Gehirn und Körper ohnehin schon sind. Einige Funktionsweisen unseres Gehirns stehen uns leider dabei im Weg, die Klimakrise und alle anderen planetaren Grenzüberschreitungen adäquat zu bekämpfen.

    Das müssen Sie bitte erklären!
    Urner: In Panik handeln wir ultrakurzfristig, was aus evolutionsbiologischer Sicht sehr sinnvoll ist. So mussten unsere Urahnen sehr schnell handeln, wenn ein Tier angriff. Und wenn es brennt, haben wir keine Zeit darüber nachdenken, was nächste Woche oder im nächsten Monat möglicherweise ansteht. So sollte Angst vor der Klimakrise maximal ein kurzer Ausflug und kein Dauerzustand sein, um zu spüren – wie man im Englischen so schön sagt – „what's at stake“: worum es wirklich geht. Wer anfängt, sich damit zu befassen, wie es um unser Klima steht, kann nur verzweifeln, weil es so irre und absurd ist, dass wir noch immer auf diesem selbstzerstörerischen Weg unterwegs sind. Gerade neulich habe ich das selbst erlebt und gespürt.

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    Niemand hört gern Vorwürfe. Stattdessen sollte man aus einer konstruktiven, wissensorientierten Haltung heraus sagen: Darum geht es, bitte lasst uns gemeinsam etwas tun

    Maren Urner

    Was war passiert?
    Urner: Ich saß auf einem Podium mit Volker Arzt, einem Wissenschaftsjournalisten, der in den Siebzigerjahren in Westdeutschland an der Seite von Hoimar von Ditfurth mit der ZDF-Sendung „Querschnitt“ bekannt wurde. Schon damals ging es um den menschengemachten Treibhauseffekt. Volker Arzt ist über 80 Jahre alt, und er war sich damals sicher: Die Menschen würden klug handeln, wenn er sie darüber aufklärte, dass sie an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Was seitdem passiert ist, wissen wir alle. Und natürlich ist Volker Arzt darüber auch ab und zu verzweifelt und traurig. Umso wichtiger ist, immer wieder diese – ich nenne es: aktive Hoffnung – aufzubringen und andere aufzuklären. Nicht mit Vorwürfen, denn niemand hört gern Vorwürfe. Stattdessen sollte man aus einer konstruktiven, wissensorientierten Haltung heraus sagen: Darum geht es, bitte lasst uns gemeinsam etwas tun.

    In ihrem Buch „Radikal emotional“ betonen Maren Urner, dass Menschen kooperative Wesen sind, und zitiert den buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh.

    Menschen sind kooperative Wesen: Diese Überzeugung des 2022 verstorbenen buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh kann Maren Urner zufolge helfen, Gräben zu überwinden und Gemeinsamkeiten zu entdecken.

    In Ihrem Buch „Radikal emotional“ betonen Sie, dass wir Menschen kooperative Wesen sind. Sie zitieren den buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh, der unter Liebe verstand: das Gegenüber verstehen zu wollen. Warum ist Ihnen das so wichtig?
    Urner: Wir Menschen werden als hilflose Wesen geboren, die darauf angewiesen sind, geliebt zu werden, angenommen zu werden, unterstützt zu werden. Um Kinder groß zu bekommen, braucht es die Bereitschaft, andere Perspektiven einzunehmen, sich in die Gefühle anderer Menschen hineinzuversetzen, um sie zu verstehen. Letztendlich geht es um eine rationale, überlebensorientierte Erkenntnis, dass wir alle miteinander verbunden sind. Das klingt für manche spirituell, esoterisch, hippie-mäßig – aber es entspricht schlicht unserer Biologie. Und das gilt auch für die Verbundenheit mit unserer vermeintlichen Umwelt.

    Warum sagen Sie „vermeintliche“ Umwelt?
    Urner: Weil wir oft so tun, als könnten wir unabhängig von der Umwelt existieren. Das ist eine ultimative Dichotomie, eine Zweiteilung – hier die Umwelt, dort der Mensch. Wer das behauptet, dem rate ich, einfach mal die Luft anzuhalten. Dann spüren wir schnell, wie abhängig wir mit jedem einzelnen Atemzug von dieser vermeintlichen Umwelt sind.

    Ich rede oft mit anderen über Klima und Energiewende. Wenn es um E-Autos geht oder um Windenergie, höre ich oft ein „Aber!“ „Aber Windstrom ist nicht verlässlich!“ Oder: „Aber wo sollen die ganzen Rohstoffe herkommen?“ Dann werde ich ungeduldig, will mit Fakten überzeugen und am Ende gibt es Streit. Wie gehe ich mit diesem ewigen „Aber!“ um?
    Urner: Dieses „Aber!“ kommt ja irgendwo her, und zwar aus einem Bedürfnis Ihres Gegenübers. Und in den meisten Fällen sind Gefühle beteiligt. Viele Menschen können sich zum Beispiel nicht vorstellen, dass und wie Windenergie zuverlässig Strom liefern soll. Oder sie können sich nicht vorstellen, wie eine Stadt aussieht, in der weniger Autos fahren. Diese fehlende Vorstellung kann gepaart mit der Angst vor Veränderung generell Ängste wecken. Und mit diesen Ängsten können wir – wie eben beschrieben – schlecht, aber auch gut umgehen.

    Wie geht das, gut mit solchen Ängsten umzugehen?
    Urner: Indem wir ehrlich darüber reden, worum es wirklich geht – nämlich um Ängste, um Sorgen, vielleicht auch um Hoffnungen. Dann können wir an den Kern der Sache gehen und sagen: Ah, okay, es geht hier gar nicht darum, ob Autos verboten oder erlaubt sein sollen, sondern es geht um eine Angst vor Verlusten und Veränderungen. Vielleicht geht es auch um Ängste, nicht mehr dazuzugehören, was wiederum auf uns als soziale Wesen verweist.

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    Nur wenn ich die aktive Hoffnung habe, dass mein Tun etwas verändern kann, mache ich mich auch wirklich auf den Weg und fange an

    Maren Urner

    Können wir wieder zuversichtlicher werden, wenn wir lernen, so ehrlich miteinander über unsere Klima-Gefühle zu sprechen?
    Urner: Ja, Politik ist doch nichts anderes als der Versuch, unser Zusammenleben zu gestalten. Und weil wir alle diese emotionalen Wesen sind, die verstanden und geliebt werden wollen, ist Politik im Grunde auch ein Aushandlungsprozess von verschiedenen Gefühlslagen. Nur wenn ich die aktive Hoffnung habe, dass mein Tun etwas verändern kann, mache ich mich auch wirklich auf den Weg und fange an. Zu spüren und zu wissen, dass das, was ich tue, etwas verändern kann, ist absolut grundlegend. Das wissen wir aus so vielen Studien, aus der Psychologie, den Verhaltenswissenschaften und den Neurowissenschaften. Wer nicht die Überzeugung hat, einen Unterschied machen zu können, steckt in der genannten erlernten Hilflosigkeit fest. Alles beginnt im Kopf! Deshalb ist die Zuversicht so wichtig.

    Der Soziologe Steffen Mau sieht in Bürgerräten ein Format, um die Demokratie zu stärken. Der Gedanke ist: In Bürgerräten kommen zufällig ausgeloste Menschen in einen ehrlichen Austausch miteinander, es geht dann auch um Gefühle wie: „Ich habe wirklich Angst, dass bei uns das Licht ausgeht, wenn wir auf Wind und Sonnenenergie setzen!“ Teilen Sie diese Ansicht?
    Urner: Unbedingt! Das können gute Orte sein, an denen wir lernen, ehrlich miteinander umzugehen und unser Gegenüber wirklich zu verstehen. Aber es muss nicht gleich ein Bürgerrat sein, schon ganz schlichte Alltagsbegegnungen können helfen. Sogenannte Mikrobegegnungen entscheiden, ob wir abends sagen: Das war ein guter oder schlechter Tag. Das hat die Forschung gut belegt. Jemandem die Tür aufzuhalten und einfach nur ein paar Worte zu wechseln, steigert unsere Laune. Wir sind uns dessen nur leider häufig nicht bewusst!

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    Wann haben Menschen gute Ideen? Meist dann, wenn sie nicht über ein Problem nachdenken und vielleicht sogar das Gefühl haben, gerade „nichts“ zu tun

    Maren Urner

    Kann es auch helfen, das Handy wegzulegen und sich Auszeiten von der ganzen Weltlage zu nehmen?
    Urner: Das ist nicht nur wichtig, sondern notwendig, weil unser Gehirn kein Computer mit Tasten zum Löschen oder Speichern ist. Die vermeintlichen Auszeiten sind nämlich keine Auszeiten. In der vermeintlichen Ruhe passiert ganz viel in unserem Gehirn. Darum sind diese Phasen des Umschaltens so wichtig, um die Verarbeitung all der Nachrichten überhaupt zu ermöglichen. Anders gefragt: Wann haben Menschen gute Ideen? Meist dann, wenn sie nicht über ein Problem nachdenken und vielleicht sogar das Gefühl haben, gerade „nichts“ zu tun. Der Klassiker ist: unter der Dusche oder auf der Toilette. Immer dann, wenn wenig neuer Input von außen verarbeitet wird, können Dinge passieren, die uns bewusst nicht zugänglich, aber ganz grundlegend für unser Weltverstehen und unsere Handlungsfähigkeit sind.

    Die Fragen stellte Nils Husmann.

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