Klimaforscher Dirk Notz

  • Search27.10.2021

Aktiv für die Arktis

Dirk Notz war einer der Leitautoren des Weltklimaberichts. Die Mitarbeit daran ist für Forscher eine hohe Auszeichnung. Mindestens ebenso wichtig ist Notz aber das Gespräch mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen: Sie sollen die Klimakrise verstehen – und ihre Verantwortung erkennen.

InhaltsverzeichnisToggle-Icons

    Dirk Notz 2007 auf einer Eisscholle nördlich von Spitzbergen, wo der Forscher einen Bohrkern zieht. Im Hintergrund liegt das Schiff „Dagmar Aaen“ des deutschen Klimaaktivisten und Abenteurers Arved Fuchs.

    Dirk Notz zieht einen Bohrkern im Packeis. „Ich dokumentiere eine Landschaft, die verschwindet“, sagt der Hamburger Wissenschaftler.

     

    Von Julia Graven

    Kinderuni Vogtland, wegen Corona sitzen die jungen Zuhörer nicht im Hörsaal, sondern vor ihren Bildschirmen. Manche nehmen noch auf dem Schoß von Mama oder Papa Platz. Das Thema: „Das große Schmelzen“. Der Referent ist Dirk Notz, Meereisforscher und weltweit anerkannter Experte für den Klimawandel in der Arktis. Ein hartes Thema. Doch statt auf physikalische Grundlagen einzugehen, erklärt Notz den Kids erst einmal fröhlich in breitem Hamburger Kapitänstonfall, dass man sich bei Seekrankheit am besten nicht gegen den Wind übergeben sollte.

    „Menno!“, ruft der Experte dann und muss selbst ein bisschen kichern. In seiner Präsentation will das Video von seinem Segeltörn durch die Eisschollen rund um Spitzbergen nicht laufen. Dabei sind es gerade solche Aufnahmen, mit denen er seine Zuhörer hautnah mitnehmen will ins Eis.

    Es ist ein breiter Spagat zwischen Isotopenmessungen in Eisbohrkernen und Tipps für Seekranke – doch für Dirk Notz macht diese Bandbreite seine Arbeit aus. Er will mit seinen bahnbrechenden Forschungsergebnissen die Gesellschaft mitnehmen. „Dann wird der Veränderungsdruck für Politik und Wirtschaft viel mächtiger“, sagt er.

    Notz doziert nicht mit erhobenem Zeigefinger. Er lässt die Fakten wirken

    Besonders viel Spaß machen ihm Vorträge vor Kindern. „Die sitzen mit leuchtenden Augen da, wenn ich von der Arktis erzähle“, sagt Notz. Bei ihnen müsse er aber auch besonders vorsichtig sein. Kinder ließen sich von seinen wissenschaftlichen Fakten so beeindrucken, dass ihre Begeisterung für die Arktis leicht in Angst und Hoffnungslosigkeit umschlagen könne.

    Dirk Notz will mit Fakten überzeugen, den erhobenen Zeigefinger lehnt er ab. Der 46-Jährige leitet die Forschungsgruppe „Meereis im Erdsystem“ am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg.

    „Wer sich manipuliert fühlt, wird sich umso stärker wehren“, sagt Dirk Notz. Er leitet die Forschungsgruppe „Meereis im Erdsystem“ am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg.

    Bei Erwachsenen kann er deutlicher werden. Wichtig ist ihm nur, bei den Fakten zu bleiben. „Ich möchte die Menschen durch das Wissen, das ich kommuniziere, befähigen, aktiv Verantwortung zu übernehmen“, sagt Notz. Als Aktivist mit erhobenem Zeigefinger sieht er sich nicht. Für individuelle Schlüsse, für Verhaltensänderungen gar, sei jeder Zuhörer selbst verantwortlich, sagt Notz. „Wenn ich versuche, jemanden davon abzubringen, dass er in den Urlaub fliegt, dann kann das auch nach hinten losgehen“, erklärt er. „Wer sich manipuliert fühlt, wird sich umso stärker wehren.“

    Drei Jahre hat er am Klimabericht mitgearbeitet. Um jedes Wort wurde gekämpft

    Notz selbst ist seit vielen Jahren nicht mehr in den Urlaub geflogen. Zuletzt hatte sich der 46-Jährige sich im Sommer zwei Wochen ausgeklinkt, beim Wandern im Harz und in den Pfälzer Weinbergen. Er hatte zwar ein Handy dabei, seine Mails und alles andere aber einfach mal komplett ignoriert. Die Notbremse war nötig, nach drei Jahren Mitarbeit am Sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC. Der Bericht, dessen erster Teil im August erschienen ist, beschreibt wissenschaftlich penibel auf knapp 4000 Seiten den Zustand der Erde im Zeichen des Klimawandels. Weniger wissenschaftlich formuliert, lautet das Fazit: Alles noch schlimmer als gedacht.

    Im Meereskapitel, für das Notz einer der Leitautoren war, findet sich zum Beispiel die Hiobsbotschaft, dass eisfreie Sommer im arktischen Ozean wohl nicht mehr zu verhindern sind. Bis solche Aussagen schwarz auf weiß geschrieben stehen, ist unfassbar viel Abstimmung nötig, berichtet der Hamburger.

    Die Lufttemperatur steigt, die Meereisfläche schrumpft: Die Statistik zeigt die Daten der Folgen des Klimawandels in der Arktis von 1980 bis 2020. Infografik: Benedikt Grotjahn

    „In der abschließenden Plenarsitzung, als es darum ging, die ‚Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger‘ mit den Delegationen der Länder abzustimmen, haben wir mit den Entscheidungsträgern teilweise zwei Wochen lang Satz für Satz diskutiert und sogar um einzelne Wörter gerungen“, erzählt Notz. Rund 20.000 Nachrichten pro Woche seien in dieser Zeit zwischen den Autorinnen und Autoren ausgetauscht worden.

    Anführungszeichen

    Wenn ich die Rückmeldung bekomme, dass ich etwas bewegt habe, dann gibt mir das sehr viel

    Dirk Notz

    Lieber als digitale Nachrichtenschlachten ist ihm der persönliche Kontakt zu Menschen. Statt sich auf Twitter oder Youtube mit Klimaleugnern herumzuärgern, reist Notz in seiner freien Zeit durch die Republik und hält Vorträge – an Volkshochschulen, für Fridays for Future und immer wieder auch an Schulen. „Wenn ich dort die Rückmeldung bekomme, dass ich etwas bewegt habe, dann gibt mir das sehr viel“, sagt er.

    Für Jugendliche aus ganz Europa veranstalten der Polarforscher Arved Fuchs und Notz jedes Jahr ein Klimacamp auf hoher See. Im nächsten Sommer soll der Segeltörn nach einer Coronapause wieder die Entscheidungsträger von morgen für die Klimaforschung begeistern. „Das hinterlässt tiefe Spuren bei den Jugendlichen und für viele sind diese Eindrücke auch entscheidend bei der späteren Berufswahl“ erzählt Notz stolz.

    Der Weltklimarat

    Gremium

    Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), in Deutschland meist Weltklimarat genannt, ist ein 1988 gegründetes Gremium der Vereinten Nationen, das die Aufgabe hat, für politische Entscheidungsträger den Stand der Forschung zum Klimawandel zusammenzufassen. Fast alle Regierungen der Welt sind Mitglied im IPCC.

    Sachstandsberichte

    Seit 1990 hat der IPCC fünf sogenannte Sachstandsberichte veröffentlicht. Daran arbeiten renommierte Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen aus aller Welt mit. Derzeit wird der sechste Sachstandsbericht erstellt; der erste von drei Teilen ist im August erschienen. Neben Dirk Notz waren weitere deutsche Wissenschaftler beteiligt, etwa die in Oxford forschende Physikerin Friederike Otto.

    Für Dirk Notz geht nach der Mammutaufgabe Weltklimabericht gerade die normale Arbeit wieder los: Seminare an der Uni Hamburg, Forschung am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Im Januar fliegt er wieder nach Spitzbergen. Vor 20 Jahren war er zum ersten Mal dort, verbrachte als Student ein Auslandsjahr in Svalbard, der nördlichsten Uni der Welt. Sein Professor hatte damals für ihn renommiertere Hochschulen im Auge und war enttäuscht über die Entscheidung. Notz ist froh, dass er auf Spitzbergen bestanden hat, die Landschaft ist ihm ans Herz gewachsen – und hat seinen beruflichen Lebensweg bestimmt. Ein- bis zweimal im Jahr sucht er die Nähe der Eisbären.

    Luftbild vom Mast der Dagmar Aaen auf eine Eisscholle, auf der der deutsche Klimaforscher Dirk Notz einen Eisbohrkern zieht.

    Augenzeuge des Klimawandels: Dirk Notz auf einer Eisscholle nördlich von Spitzbergen. Das Foto wurde von der „Dagmar Aaen“ aus aufgenommen, dem Segelschiff des Abenteurers Arved Fuchs.

    Doch seine Arktis ist eine Landschaft, von der er sich verabschieden muss. „Wenn ich Kindern Bilder zeige, von dieser Gegend aus Eis und ich weiß: Das Weiß wird irgendwann nur noch ein matschiges Braun sein, dann ist das schon sehr traurig. Ich dokumentiere eine Landschaft, die verschwindet.“

    Es sind dennoch nicht die traurigen Momente, die hängenbleiben bei seinen Zuhörern. Der Forscher arbeitet nicht mit Angst und Schrecken. Stattdessen kann er einfach wahnsinnig gut erklären. Egal, ob in 90 Sekunden, in fünf Minuten oder auch in einer Stunde: Er packt die Grundlagen der Klimakrise so klar auf den Tisch, das alles ganz einfach wirkt. Die Kernthesen sind immer gleich:

    • Der Klimawandel ist real.
    • Wir sind die Ursache.
    • Er ist gefährlich.
    • Expertinnen und Experten sind sich einig.
    • Es gibt (noch) Hoffnung.

     

    Diese Hoffnung will Notz sich auch noch nicht nehmen lassen. Die Erde wird die Klimakrise irgendwie verkraften, ist er sicher. Auch für den Menschen sieht er noch Chancen. „Ich finde, der Mensch ist eine ganz wunderbare Spezies“, sagt Notz und lächelt. Es wäre doch eine schöne Sache, wenn wir sein Überleben auf der Erde sichern könnten.

    Fotostrecke: Forschung in der Arktis – die Mosaic-Expedition

    Mosaic-Expedition: Im September 2019 nimmt der Forschungseisbrecher Polarstern Kurs auf den russischen Sektor der Arktis.

    In die Klimaberichte fließen Erkenntnisse aus Expeditionen ein, wie sie das Forschungsschiff „Polarstern“ 2019/20 in der Arktis unternommen hat. Das Foto zeigt den Eisbrecher des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) im Herbst 2019 auf dem Weg in den russischen Sektor der Arktis. Als die Crew dort Anfang Oktober ...

    Mosaic-Expedition: Im Oktober 2019 lässt sich die Polarstern im Nordpolarmeer festfrieren, um ein Jahr lang mit der natürlichen Drift durch die Arktis zu reisen.

    … eine Eisscholle mit der nötigen Größe findet, lässt sie das Schiff einfrieren. Von nun an bestimmt nicht mehr der Kapitän den Kurs, sondern die natürliche Drift des Eises. Gut zwölf Monate soll die „Polarstern“ mit ihrer Scholle durch das Polarmeer reisen, bevor sie im Herbst 2020 bei Spitzbergen aus dem Eis herausgebrochen wird. In dieser Zeit ...

    Mosaic-Expedition: Die Polarstern ist an einer gewaltigen Eisscholle festgefroren. Mit ihr wird das Schiff ein Jahr lang durchs Eis reisen.

    … tragen die Forscher eine nie dagewesene Fülle an Daten zusammen. Auf gewöhnlichem Weg ist die Zentralarktis im Winter selbst für so starke Eisbrecher wie die „Polarstern“ nicht zu erreichen. Deshalb fehlen genaue Erkenntnisse über die Klimaveränderungen in dieser Region. Diese Forschungslücke wollen die Wissenschaftler …

    … auf ihrer Expedition mit dem Namen Mosaic füllen. Das Akronym steht für „Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate“. Beteiligt sind 600 Menschen aus mehr als 80 Forschungsinstitutionen in 20 Ländern. Die Forscher arbeiten versetzt für jeweils mehrere Monate vor Ort. Unterstützung erhält die „Polarstern“ ...

    ... durch zwei russische, einen schwedischen und einen chinesischen Eisbrecher, die zu Versorgungszwecken an das eingefrorene Schiff heranfahren, solang die Eisdicke dies zulässt. Auch Helikopter und Flugzeuge sind im Einsatz; für Letztere wird eine Landebahn auf dem Eis gebaut. Das Foto zeigt die „Akademik Fedorov“, einen der beiden ...

    ... russischen Eisbrecher, auf dem Kapitän Sergei Sidorov das Kommando führt. Das Team auf seinem Schiff hat im Oktober ein System aus Bojen und Messstationen in einem Umkreis von bis zu 50 Kilometer um die „Polarstern“ herum errichtet. Damit ist ein erster Meilenstein der Expedition erreicht. Ein zweiter besteht im Aufbau ...

    … des zentralen Forschungscamps auf dem Eis. Da in diesen Breitengraden in der zweiten Oktoberhälfte die Polarnacht anbricht, während der es ein halbes Jahr lang dunkel bleibt, müssen die Arbeiten schnell vorangehen. Alle Messstationen sollen rechtzeitig einsatzbereit sein. Die Eisdecke, auf der die Wissenschaftler dabei arbeiten, ...

    … ist zu dieser Zeit rund 1,5 Meter dick. Dass darunter der bis zu 5600 Meter tiefe Arktische Ozean liegt, ist eine Vorstellung, die man sich während der Arbeit lieber nicht bewusst macht. Das Eis ist ständig in Bewegung, im Schnitt legt die „Polarstern“ mit ihrer Scholle rund sieben Kilometer am Tag zurück. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Schiff ...

    ... durch die Arktis driftet. Schon Ende des 19. Jahrhunderts hat der Polarforscher Fridtjof Nansen mit seinem hölzernen Schiff „Fram“ gezeigt, dass es möglich ist, auf diese Weise durch das Eis zu reisen. Doch während der Norweger damals nur rudimentäre Messungen vornehmen konnte, sind die Mosaic-Wissenschaftler bestens ausgerüstet. Sie verfügen ...

    … unter anderem über Tauchroboter, im Fachjargon Remotely Operated Vehicles (ROV) genannt. Zu Wasser gelassen werden sie durch ein Loch im Eis. Darüber steht ein Zelt mit dem leicht ironischen Namen „ROV City“. Geplant sind Messungen in bis zu 4000 Metern Tiefe. Dass die Forscher in der so verlassen wirkenden Arktis nicht allein sind ...

    … wird ihnen in Situationen wie dieser bewusst: Ein Eisbär hat die Ausrüstung entdeckt und unterzieht sie im Scheinwerferkegel der „Polarstern“ einer genaueren Inspektion. Da sich zu dieser Zeit kein Forscher in der Nähe befindet, besteht keine Gefahr. Doch solche Begegnungen können immer wieder vorkommen. Deswegen ...

    … werden stets mehrere Personen als Eisbärenwache eingeteilt, wenn die Forscher das Schiff für ihre Arbeit verlassen. Um die Bären, hier eine Mutter mit ihrem Jungen, nicht zu gefährden, werden unter anderem Leuchtraketen eingesetzt – sie vertreiben die Tiere in der Regel recht zuverlässig. Leiter der Mosaic-Expedition ist der deutsche ...

    … Klimaforscher Markus Rex (Mitte), der die Abteilung Atmosphärenphysik des AWI führt und Professor an der Uni Potsdam ist. „Die Arktis ist das Epizentrum der globalen Erwärmung“, sagt Rex. „Gleichzeitig verstehen wir diese Region bisher kaum.“ Deswegen sei es so wichtig, die komplexen Zusammenhänge tiefer zu erforschen. Dazu setzen ....

    ... die Wissenschaftler an Bord verschiedene Schwerpunkte. Sie untersuchen Veränderungen in der Atmosphäre, auf dem Eis, im Ozean und in den Ökosystemen. Ziel ist es, den Einfluss der Arktis auf das weltweite Klima besser zu verstehen. Schließlich erwärmt sich keine andere Region der Erde schneller. An Bord der „Polarstern“ ...

    … befinden sich nicht nur sensible wissenschaftliche Forschungsgeräte, sondern auch rustikale Werkzeuge wie etwa Schweißgeräte – nur so lässt sich die Ausrüstung in Schuss halten. Aber natürlich besteht das Leben auf dem Schiff nicht allein aus Arbeit. Zwischendurch bleibt auch mal Zeit, die Atmosphäre dieser einzigartigen Umwelt ...

    … auf sich wirken zu lassen. Dieses Bild zeigt einen der letzten Sonnenuntergänge im Oktober vor dem Beginn der Polarnacht. Und auch, wenn ein Forschungseisbrecher natürlich nicht den Komfort eines Kreuzfahrtschiffs bietet – einige Annehmlichkeiten gibt es dann doch, etwa eine Bibliothek. Besonders beliebt ...

    … sollen zudem die Grillabende sein, zu denen der Chefkoch bei besonderen Anlässen wie dem Bergfest einlädt. Ab und an wird auch in der schiffseigenen Bar ausgeschenkt. Und zu Weihnachten haben sie einen Baum auf der „Polarstern“ aufgestellt. Aus Plastik zwar, aber immerhin.

    Go Top