Man kann geteilter Meinung sein, ob Deutschland seine letzten drei Atomkraftwerke zu früh stillgelegt hat. Schließlich waren die alten Reaktoren abgeschrieben und lieferten zuletzt gut sechs Prozent des deutschen Stroms. Dass ein Wiedereinstieg in die Atomenergie samt neuer Reaktoren das Land mit billiger Energie fluten würde, ist allerdings ein Trugschluss. Denn selbst wenn man die Milliardenkosten für die Entsorgung und die jahrhundertelange Lagerung des Strahlenmülls vernachlässigt, ist Atomstrom extrem teuer. Einer Studie des Fraunhofer ISE zufolge kostet die Produktion einer Kilowattstunde Atomstrom aus einem neuen Reaktor je nach konkreten Gegebenheiten zwischen 14 und 49 Cent. Das ist ein Vielfaches der Kosten von Windparks (zwischen vier und zehn Cent) und Fotovoltaikanlagen (vier bis sieben Cent).
Mythen der Energiewende
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30.01.2024
Die Mär vom billigen Atomstrom
Infografik: Benedikt Grotjahn
Dass sich der Mythos vom günstigen Atomstrom dennoch so hartnäckig hält, dürfte mindestens zwei Ursachen haben: zum einen den jahrzehntelangen Lobbyismus der Atomindustrie, die fälschlich behauptete, die Stromnetze vertrügen nicht mehr als vier Prozent Ökostrom. Und zum anderen der Blick nach Frankreich. Denn unsere Nachbarn, die in der Vergangenheit teils mehr als zwei Drittel ihres Stroms in Kernkraftwerken erzeugt haben, zahlen im Schnitt deutlich niedrigere Preise.
Das liegt allerdings nicht daran, dass die 57 französischen Reaktoren, die sich allesamt in Besitz des Staatskonzerns EDF befinden, so günstig produzieren würden. Vielmehr ist der Preis staatlich gedeckelt – mit der Folge, dass EDF inzwischen einen Schuldenberg von mehr als 50 Milliarden Euro angehäuft hat. Statt über die Stromrechnung werden die Franzosen über kurz oder lang mit ihren Steuern dafür aufkommen müssen. Der französische Rechnungshof hat Pläne zum weiteren Ausbau der Atomkraft deshalb scharf kritisiert.