Verluste und Entlassungen

  • Search22.03.2023

Große Ziele, rote Zahlen: Was der Windkraft zusetzt

Die Windenergie steht vor einem beispiellosen Boom, doch die Hersteller machen Verluste, schließen Werke und streichen Jobs. Wie passt das zusammen? Lagebild einer Branche, die hofft, dass endlich der Knoten platzt.

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    Windräder zwischen Sturm und Sonnenschein: Die Windenergie steckt in einer tiefen Krise – doch die Lage könnte sich bald bessern.

    Zwischen Sturm und Flaute: Die Windenergie gibt derzeit ein paradoxes Bild ab.

     

    Von Volker Kühn

    Wer die Nachrichten über Europas Windindustrie verfolgt, könnte glauben, es gäbe zwei Branchen: eine mit einer goldenen Zukunft und eine andere im Abwärtsstrudel. Da sind zum einen die Meldungen über den stürmischen Ausbau der Windkraft an Land und auf See. Die EU, Deutschland und viele andere Länder geben gewaltige Ziele vor. Allein die deutsche Offshore-Windkraft soll innerhalb von nur sieben Jahren von heute 8,4 auf 30 Gigawatt wachsen. Die EU-Kommission plant 2030 insgesamt sogar mit 510 Gigawatt – ebenfalls mehr als doppelt so viel wie heute.

    Überall werden die Ziele hochgeschraubt, soll sich das Tempo vervielfachen, schwärmen Politiker von neuen Jobs, Fabriken und einer Zukunft ohne fossile Energie. Die Windkraft, eine Branche im Aufwind.

    Doch dann sind da Meldungen, die so gar nicht dazu passen wollen, über Entlassungen bei Turbinenherstellern, über die Schließung von Produktionsstandorten, über Millionenverluste. Von wegen Aufwind – diese Meldungen klingen, als drohe der Branche ein Kollaps wie zuvor der Solarindustrie.

    Ja, was denn nun?

    „Politische Zielvorgaben sind eben noch keine Aufträge“, sagt Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer beim Fachverband VDMA Power Systems, der die Interessen der Anlagenbauer vertritt. Was den Herstellern fehlt, sind konkrete Ordereingänge, die ihre Produktionsstätten auslasten würden.

    Ranking der europäischen Windradhersteller: Nordex hat 2022 in Deutschland am meisten Windräder gebaut, es folgen Vestas, Enercon, Siemens und GE. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Fünf Hersteller dominieren den Windkraftmarkt. Die Auftragsflaute trifft sie hart.

    Ein Blick auf die Zahlen zeigt, was Rendschmidt meint. Im bisher stärksten Jahr der Windenergie in Deutschland 2017 gingen fast 1800 neue Onshore-Windräder mit einer Gesamtleistung von rund 5,3 Gigawatt ans Netz. Dann kollabierte der Ausbau, weil die damalige Große Koalition die Rahmenbedingungen verändert hatte. 2018 kamen 740 Turbinen hinzu, 2019 waren es sogar nur 280.

    Seither erholt sich der Ausbau, allerdings auf niedrigem Niveau. „Von den Zielvorgaben der Bundesregierung sind wir noch immer weit entfernt“, sagt Rendschmidt. Zumal neue Windräder vor allem im Norden aufgestellt werden. Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen hinken der Branche stark hinterher.

    Seit Jahresbeginn 2023 wurden deutschlandweit nur 62 Windräder neu in Betrieb genommen, die meisten davon im Norden. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Zwar hat Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich erklärt, dass in Deutschland jeden Tag vier bis fünf neue Windräder aufgestellt werden sollen. Doch die Realität ist davon weit entfernt. Seit Jahresbeginn gingen nach Zahlen der Fachagentur Wind an Land gerade einmal 62 neue Anlagen ans Netz. Mehr als die Hälfte davon stehen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.

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    Die Hypothek der vergangenen Legislatur – 50.000 verlorene Jobs und eine Reihe von Unternehmenspleiten – lastet noch heute schwer

    Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands Windenergie

    Es sind die politischen Weichenstellungen der Großen Koalition, unter denen die Branche mit ihren langen Vorlaufzeiten noch immer leidet. „Die Hypothek der vergangenen Legislatur – 50.000 verlorene Jobs und eine Reihe von Unternehmenspleiten – lastet noch heute schwer“, schrieb Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands der Windenergie, jüngst in einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“.

    Seit dem Antritt der Ampelregierung im Dezember 2021 hat sich der Ton allerdings grundlegend gewandelt. Sie hat versprochen, die erneuerbaren Energien zu entfesseln. Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hat eine ganze Reihe von Gesetzesmaßnahmen vorgelegt, um Hürden beim Ausbau zu beseitigen. Die Genehmigungsverfahren sollen vereinfacht werden, Länder und Kommunen müssen zusätzliche Flächen für den Bau von Windrädern ausweisen. Auf einem „Windgipfel“ will Habeck am heutigen Mittwoch gemeinsam mit der Branche beraten, wie der Ausbau weiter beschleunigt werden kann.

    Doch noch schlagen sich die Maßnahmen nicht in den Auftragsbüchern der Hersteller nieder. Zwischen dem Einreichen der Unterlagen und der Genehmigung eines Windrads vergehen im Schnitt 25 Monate. Zudem kämpft die Branche seit der Pandemie und dem russischen Überfall auf die Ukraine mit einer Reihe weiterer Probleme, die ihre Finanzen belasten:

    • Rohstoffpreise: Nicht nur die Energiekosten sind im vergangenen Jahr durch die Decke gegangen und verteuern die Produktion. Auch die Materialpreise insbesondere für Stahl, Kupfer und andere Metalle sind stark gestiegen. Da in den Ausschreibungen von Windparks der Preis das entscheidende Kriterium ist, haben die Hersteller Schwierigkeiten, die Kosten einfach weiterzugeben.
    • Lieferkette: Zwar sind die Beschränkungen aus der Pandemie weggefallen, doch die Lieferketten greifen noch immer nicht überall reibungslos ineinander. Sollte sich der Konflikt zwischen dem Westen und China weiter verschärfen und China die Ausfuhr von Rohstoffen oder Vorprodukten beschränken, könnte dies die Hersteller zusätzlich belasten.
    • Logistik: Auch die Kosten für die Verschiffung von Materialien liegen weit über dem Niveau vor der Pandemie. Ein Problem für die Onshore-Windenergie in Deutschland ist zudem der Transport der Anlagen zu ihren Bauplätzen. Marode Straßen und Brücken erschweren die Schwerlasttransporte.
    • Ausschreibungsdesign: Wer einen Windpark bauen darf, entscheidet sich auf den europäischen Märkten fast ausschließlich über den Preis. Wer am wenigsten für seinen Strom verlangt, erhält den Zuschlag. Das führt zu einem enormen Kostendruck innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette. Staatlich geförderten Herstellern aus China könnte das den Zugang nach Europa erleichtern. Immer wieder gibt es deshalb aus der Branche Forderungen, in den Auktionen auch nicht-preisliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, etwa die Nachhaltigkeit beim Bau der Anlagen oder die Schaffung regionaler Arbeitsplätze.
    • Politische Eingriffe: Die derzeit laufende Diskussion darüber, wie der Strommarkt in Zukunft gestaltet wird und wie hoch folglich die Erträge für Windparkbetreiber sein werden, führt bei Investoren zu Zurückhaltung. Auch die Gewinnabschöpfung hat Verunsicherung ausgelöst.
    Produktion eines Windrads bei Nordex: Die Hersteller stecken in der Krise, weil sie trotz der großen Ausbauziele noch immer zu wenig Aufträge haben.

    Produktion bei Nordex: Der Windradhersteller schließt die Produktion von Rotorblättern in Rostock. Rund 600 Stellen sollen wegfallen.

    All das setzt den Herstellern zu. Die Erträge der fünf großen europäischen Turbinenproduzenten – Vestas, Siemens Gamesa, Enercon, Nordex und GE – sind seit Langem unter Druck. Die Frage ist, wie lang die Durststrecke anhält und wann sich die Auftragsbücher wieder füllen.

    Dass der Branche bis dahin sprichwörtlich die Puste ausgegangen sein könnte, glaubt Rendschmidt von VDMA Power Systems allerdings nicht: „Die Zubauzahlen sind zwar derzeit noch so niedrig, dass die Grundlage für tiefgreifende Investitionen in die Lieferkette fehlt. Die Unternehmen stehen aber bereit, die Umsetzung der Energiewende mit Technologien und Lösungen zu unterstützen, sofern der politische Rahmen Investitionen in den Standort ermöglicht.“

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