Grüner Energieträger

  • Search21.11.2023

Auf dem Sprung in die Wasserstoffwirtschaft

Kaum eine Woche vergeht ohne neue Projekte: Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft nimmt endlich Fahrt auf. EnergieWinde erklärt die Etappen von der Erzeugung über den Transport und die Speicherung bis zum Verbrauch.

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    Stahlhersteller wie die Salzgitter AG benötigen gewaltige Mengen Wasserstoff, um klimaneutral produzieren zu können.

    Salzgitter AG: Für die Umstellung auf klimaneutrale Produktionsverfahren benötigen Stahlhersteller große Mengen Wasserstoff.

     

    Von Volker Kühn, Cuxhaven

    Eine Handvoll Container am Rand einer Brachfläche, dazwischen ein Gewirr silberner Rohre, durch die der Wind pfeift: Es gibt charmantere Orte, auch in Cuxhaven. Und doch hat es seinen Grund, dass sie hier ein Festzelt aufgestellt und Niedersachsens Wirtschaftsminister eingeladen haben. Denn in den Containern geht an diesem Novembernachmittag einer der ersten Elektrolyseure Deutschlands in Betrieb.

    Mit Hilfe von Ökostrom spaltet die Anlage Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff. Letzterer soll künftig ein Schiff antreiben, das zwischen Cuxhaven und der Bohrinsel „Mittelplate A“ im Wattenmeer verkehrt. Es ist ein erster Schritt zur Dekarbonisierung der Schifffahrt.

    Wirtschaftsminister Olaf Lies wird denn auch nicht müde, die Bedeutung der Anlage zu betonen, als er mit dem Oberbürgermeister und dem Chef der Betreiberfirma Turneo zur Einweihung feierlich ein Band durchschneidet. Der Elektrolyseur soll ein Signal des Aufbruchs senden: Endlich wird die viel gepriesene neue Wasserstoffwelt konkret.

    Ökostrom und grüner Wasserstoff: die zentralen Bausteine der Energiewende

    Seit Jahren schon gilt Wasserstoff als großer Hoffnungsträger auf dem Weg in die Klimaneutralität. Das farb- und geruchlose Gas soll fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas überall dort ersetzen, wo der direkte Einsatz von Strom an seine Grenzen stößt – in der Stahlindustrie etwa, im Schwerlastverkehr oder als klimafreundliches Speichermedium für tagelange Dunkelflauten.

    Landauf, landab arbeiten Politik, Forschungsinstitute und Unternehmen an entsprechenden Projekten. Es geht um den Bau von Elektrolyseuren, um Wasserstoffpipelines, um unterirdische Speicheranlagen und um die Umstellung von Produktionsprozessen in der Industrie.

    Doch was bislang nur in der Theorie existierte, wird jetzt Realität. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass Politiker irgendwo im Land Förderbescheide verteilen oder Unternehmen zu Spatenstichen für Wasserstoffprojekte einladen würden. Zugleich hat das Bundeswirtschaftsministerium Pläne für ein „Wasserstoff-Kernnetz“ vorgelegt: ein 9700 Kilometer langes Pipelinesystem, über das der Energieträger von den Quellen zu den Abnehmern kommen soll.

    Von der Erzeugung über den Transport und die Speicherung bis zum Verbrauch zeichnen sich damit endlich die konkreten Etappen beim Hochlauf der Wasserstoffinfrastruktur ab.

    Wasserstofferzeugung: heimische Elektrolyseure und Importe aus dem Ausland

    Zwei Megawatt leistet der neue Elektrolyseur in Cuxhaven. Gebaut hat ihn die Turneo GmbH, ein Joint Venture des Energieversorgers EWE und der Beteiligungsgesellschaft Karlsson. Bundesweit gibt es bislang nur wenige Dutzend solcher Anlagen. Doch der Bedarf ist gewaltig. Laut der Bundesregierung soll Deutschland 2030 auf eine Elektrolysekapazität von zehn Gigawatt kommen. Das ist das 500-Fache der Cuxhavener Anlage.

    Das geht nur mit Elektrolyseuren im Kraftwerksmaßstab. Entsprechende Pläne liegen bereit. Der nordwestdeutsche Versorger EWE etwa will im ostfriesischen Emden einen Elektrolyseur mit 320 Megawatt bauen, der in drei bis vier Jahren in Betrieb gehen soll. RWE plant bis 2030 eigene Kapazitäten von zwei Gigawatt. Zwei 100-Megawatt-Elektrolyseure für das niedersächsische Lingen sind bereits bestellt.

    Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies bei der Einweihung eines Wasserstoff-Elektrolyseurs von Turneo in Cuxhaven.

    „Industrie folgt Energie“: Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies bei der Einweihung des Elektrolyseurs in Cuxhaven.

    Die Standorte im Nordwesten Deutschlands kommen nicht von ungefähr. Niedersachsen wird laut dem „Elektrolyse-Monitor“ 2030 über die mit Abstand größten Kapazitäten in Deutschland verfügen, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern, NRW und Schleswig-Holstein. „Der Standort ist ideal, weil dort gewaltige Mengen Offshore-Windstrom ins Netz drängen, die oft gar nicht abtransportiert werden können und deshalb abgeregelt werden“, sagt EWE-Chef Stefan Dohler.

    Wasserstoff als Wirtschaftsmotor: „Industrie folgt Energie“

    Dohler geht davon aus, dass der windreiche Norden mit seinem Potenzial zur Wasserstofferzeugung wirtschaftlich zu den großen Profiteuren der Energiewende gehören kann. „Wir können der Ruhrpott von morgen werden, nur in sauber“, sagt er. Ähnlich äußert sich Niedersachsens Wirtschaftsminister Lies: „Industrie folgt Energie, das war schon immer so.“

    Gerade für energieintensive Unternehmen sei bei der Standortwahl entscheidend, wo große Mengen sauberer Energie zuverlässig verfügbar sind. Der Norden könne damit punkten.

    Deutschland wird viel Wasserstoff importieren – grünen und wohl auch blauen

    Doch auch wenn Deutschland künftig über Kapazitäten im Gigawattbereich verfügt, wird ein Großteil des Wasserstoffs aus dem Ausland kommen. „Deutschland war schon immer ein Importland von Energie und wird das auch bleiben“, sagt EWE-Chef Dohler. In der Vergangenheit habe Deutschland 70 bis 80 Prozent der Gesamtenergie importiert, vor allem in Form von Kohle, Öl und Erdgas. Künftig könnten Strom und grüne Gase an deren Stelle treten.

    Geht es nach Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, könnte zumindest für einen Übergangszeitraum nicht nur grüner, sondern auch blauer Wasserstoff nach Deutschland fließen. Der wird nicht per Elektrolyse, sondern per Dampfreformierung aus fossilem Erdgas gewonnen. Das dabei frei werdende CO2 soll aufgefangen und dauerhaft unterirdisch gespeichert werden, im Fachjargon Carbon Capture and Storage (CCS) genannt.

    Absichtserklärungen zum Import von blauem Wasserstoff unterzeichnete Habeck Anfang des Jahres in Norwegen. Er könnte über eine Pipeline nach Deutschland kommen; als Endpunkt ist Wilhelmshaven im Gespräch. Klimaschützer sehen die Pläne kritisch, da bei der Erdgasförderung viel Methan frei wird. Aus Sicht vieler Industrievertreter ist blauer Wasserstoff allerdings nötig, da er in grüner Form in absehbarer Zeit nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehe. Doch ohne sichere Versorgung werde die Industrie nicht in Wasserstoffprojekte investieren.

    Der Transport: Wie Wasserstoff durch Deutschland fließt

    Bis 2032 soll Deutschland ein sogenanntes Kernnetz für Wasserstoff mit einer Länge von 9700 Kilometern haben. Es soll Wasserstoff-Importhäfen, Elektrolyseure, Kavernenspeicher, Kraftwerke und Großabnehmer in der Industrie verbinden. Die Kosten dafür werden auf knapp 20 Milliarden Euro veranschlagt, die der Bund vorschießen will. Das sei nötig, weil zu Anfang nur wenige Verbraucher an das Netz angeschlossen sein werden, die die Ausbaukosten nicht im Alleingang über die Netzentgelte tragen könnten. Bis etwa 2055 will der Bund seine Vorleistung wieder eingespielt haben.

    Wasserstoff in Deutschland: Die Karte zeigt das geplante Kernnetz und die Lage von Gas- und Porenspeicher, in denen Wasserstoff gespeichert werden könnte. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Das Kernnetz muss nicht komplett neu gebaut werden. Zu rund 60 Prozent wird es laut der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) aus alten Erdgasröhren bestehen. Dem Lobbyverband Zukunft Gas zufolge sind die Erdgasleitungen zu 96 Prozent problemlos in der Lage, Wasserstoff zu transportieren.  

    Wasserstoff-Speicher: Im Norden sind die Voraussetzungen am besten

    Was nötig ist, um Wasserstoff in bestehenden Erdgaskavernen zu speichern, erforscht EWE im brandenburgischen Rüdersdorf. Dort hat der Energieversorger vor wenigen Wochen erstmals Wasserstoff in einer Testkaverne in einem Salzstock eingelagert. Grundsätzlich erwarten Experten keine Probleme bei der Speicherung. Allerdings stellt Wasserstoff andere Ansprüche an die Infrastruktur als Erdgas. Das Testprojekt soll zeigen, wie der Wasserstoff nach dem Ausspeichern getrocknet oder gegebenenfalls auch gereinigt werden muss.

    Speicherkaverne für Wasserstoff: Im brandenburgischen Rüdersdorf erforscht EWE die Bedingungen zur Wasserstoff-Einlagerung.

    In Rüdersdorf östlich von Berlin testet der Energieversorger EWE die Speicherung von Wasserstoff.

    Die mit Abstand meisten unterirdischen Speicherkavernen Deutschlands befinden sich im Nordwesten. Doch selbst wenn sie komplett von Erdgas auf Wasserstoff umgerüstet würden, wären es zu wenige, um den langfristigen Bedarf zu decken, heißt es beim Branchenverband Initiative Energien Speichern (Ines). Wasserstoff hat eine geringere Energiedichte als Erdgas. Um dieselbe Menge Energie zu speichern, ist daher mehr Volumen nötig. Bis 2045 müsste die Speicherkapazität von heute 32 auf bis zu 74 Terawattstunden mehr als verdoppelt werden.

    Da die Kavernen anders als etwa Windparks kaum mit Eingriffen ins Landschaftsbild verbunden sind und bereits seit Jahrzehnten in Deutschland betrieben werden, dürfte die Akzeptanz dafür vorhanden sein. Allerdings gibt es auch Anwohner, die Bodenabsackungen befürchten.

    Die Verbraucher: Wo Wasserstoff unersetzlich ist – und wo nicht

    Zu den ersten Abnehmern von grünem Wasserstoff werden die Branchen gehören, für die es kaum oder keine anderen Möglichkeiten gibt, klimaneutral zu werden. Das gilt insbesondere für die Stahlindustrie, den Flug- und Schiffsverkehr und die Chemiebranche, die Wasserstoff als Grundstoff zur Herstellung weiterer Produkte benötigt.

    Da grüner Wasserstoff zumindest zu Anfang teuer und rar sein wird, sollte er aus Sicht von Experten möglichst nicht in Sektoren eingesetzt werden, die sich direkt elektrifizieren lassen. Ihn in Kleinwagen mit Brennstoffzelle zu verheizen, wäre Verschwendung.

    Auch in der Wärmeversorgung wird Wasserstoff voraussichtlich nur eine Nischenrolle spielen. „Es wird derzeit gern verbreitet, dass Gasthermen eines Tages flächendeckend auf Wasserstoff umgestellt werden könnten, aber das ist ein Mythos“, sagt EWE-Chef Dohler. „Warum? Weil wir die nötigen Mengen in den nächsten 20 Jahren nicht haben.“ Er rate niemandem, darauf zu wetten, dass er seine Gastherme auf Wasserstoff umstellen könne.

    Die Energieökonomin Claudia Kemfert hat mit Blick auf Preis und Verfügbarkeit den Ausdruck von grünem Wasserstoff als „Champagner der Energiewende“ geprägt. Doch nicht allen Forschern gefällt das Bild.

    „Wasserstoff ist systemrelevant, Champagner nicht“, sagt Jochen Linßen vom Forschungszentrum Jülich. „Wenn Sie dekarbonisieren wollen, kommen sie in vielen Prozessen nicht um Wasserstoff herum.“

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