Deutsch-norwegische Pipeline-Pläne

  • Search06.01.2023

Grüner Deal mit blauem Wasserstoff

Statt Erdgas will Deutschland künftig blauen Wasserstoff aus Norwegen kaufen. Bei der Produktion freiwerdendes CO2 wird unterirdisch entsorgt. Klimaneutral ist das Gas zwar nicht, doch Robert Habeck nimmt das für den Übergang in Kauf.

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    Robert Habeck spricht vor Unternehmern in Oslo über die Pläne zum Import von blauem Wasserstoff aus Norwegen.

    Blaue Stunde in Oslo: Robert Habeck spricht vor Unternehmern über den Import von Wasserstoff aus Norwegen.

     

    Von Volker Kühn

    Norwegen ist Deutschlands wichtigster Gaslieferant, Deutschland ist Norwegens größter Kunde. Die Energiepartnerschaft beider Länder ist eng und der Krieg in der Ukraine hat sie weiter gefestigt. Bislang liefert Norwegen fossiles Gas, künftig jedoch soll Wasserstoff aus der Pipeline kommen. Doch auch der wird auf unbestimmte Zeit vor allem aus Erdgas stammen. Das bei der Umwandlung freiwerdende CO2 soll unterirdisch deponiert werden; nach gängiger Farbenlehre ist dann von „blauem Wasserstoff“ die Rede.

    Das Problem: Klimaneutral ist blauer Wasserstoff nicht. Je nachdem, wie das nötige Erdgas gewonnen wird, ist er im besten Fall emissionsarm, im schlimmsten ist der Treibhausgasausstoß beträchtlich. Eine US-Studie von 2021 kommt sogar zu dem Schluss, dass blauer Wasserstoff kaum Klimavorteile gegenüber herkömmlichem „grauen“ Wasserstoff hat. Der wird aus Erdgas erzeugt, ohne dabei das CO2 aufzufangen.

    Es ist besser, Erdgas zu verfeuern als blauen Wasserstoff, sagt eine Studie

    Die Forscher Mark Z. Jacobson von der Universität Stanford und Robert Howarth von der Cornell-Universität machen dafür vor allem zwei Gründe verantwortlich. Zum einen entweiche bei der Förderung und dem Transport von Erdgas immer eine gewisse Menge von Methan, einem Klimagas, das die Erderhitzung noch um ein Vielfaches stärker anfacht als CO2. Zum anderen sei es nicht möglich, 100 Prozent des bei der Wasserstofferzeugung aus Erdgas freiwerdenden CO2 aufzufangen. Das dabei angewandte Verfahren, „Carbon Capture and Storage“ oder kurz CCS genannt, könne dies nicht leisten.

    Jacobson und Howarth zufolge ist es für das Klima sogar weniger schädlich, Erdgas, Kohle oder Öl direkt zu verfeuern, als blauen Wasserstoff einzusetzen. Dabei berücksichtigen sie in ihrer Studie nicht einmal eine zumindest theoretische Gefahr für die Klimabilanz von blauem Wasserstoff: Das unterirdisch entsorgte CO2 könnte wieder entweichen. In Norwegen, wo CCS bereits seit 1996 eingesetzt wird, war dies bislang allerdings auch nicht der Fall.

    Gasterminal auf der nordnorwegischen Insel Melkøya: Hier wird CO2 unterirdisch unter dem Meeresgrund verpresst (Carbon Capture and Storage, CCS).

    Vor Melkøya in Norwegen werden 700.000 Tonnen CO2 pro Jahr in den Meeresgrund gepresst.

    Neben Norwegen setzen auch andere Nordseeanrainer wie Dänemark, die Niederlande und Großbritannien auf die CO2-Speicherung. In Deutschland dagegen ist CCS derzeit de facto verboten. Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck war lange skeptisch, inzwischen allerdings befürwortet er die Technologie. Ein Gesetz dazu ist in Vorbereitung. Vor allem die Industrie sei darauf angewiesen, um wie geplant bis 2045 klimaneutral zu werden, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.

    Erst blau, dann grün: Eine neue Pipeline soll Wasserstoff aus Norwegen bringen

    Am Mittwoch bekräftigte Habeck seine Haltung: „Wenn Sie mich fragen: Lieber CO2 in die Erde als in die Atmosphäre“, sagte der Grünen-Politiker in Oslo, wo er zwei Absichtserklärungen zur Energiezusammenarbeit mit Norwegen unterzeichnete. Dazu gehört der Plan, bis 2030 eine neue Pipeline durch die Nordsee zu bauen. Beteiligt daran sind der deutsche Energiekonzern RWE und Equinor aus Norwegen.

    Langfristig soll die Leitung grünen Wasserstoff transportieren, der vor allem mit dem Strom aus Offshore-Windparks erzeugt wird. Zunächst allerdings wird blauer Wasserstoff hindurchfließen. Habeck nimmt das als Übergangslösung in Kauf, weil es aus seiner Sicht hilft, ein Henne-Ei-Problem zu lösen: Erst wenn ausreichende Mengen des Gases sicher zur Verfügung stünden, werde es gelingen, eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen.

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    Blauer Wasserstoff bremst die Energiewende, wir brauchen ihn nicht

    Karsten Smid, Greenpeace

    Von zahlreichen Umweltverbänden erntete Habeck dafür Kritik. „Wasserstoff aus Erdgas zu produzieren, um damit im kommenden Jahrzehnt in Deutschland Strom zu erzeugen, ist gefährliche Energieverschwendung“, erklärte Karsten Smid, Klimaexperte von Greenpeace, gegenüber EnergieWinde. „Das dafür nötige Verpressen von CO2 birgt ungeklärte Haftungsrisiken und ist eine Scheinlösung. Zudem gaukelt dieser sogenannte blaue Wasserstoff der fossilen Stromerzeugung eine Zukunft vor, die sie nicht mehr hat.“ Erneuerbare Energien aus Sonne und Wind seien die günstigste und sauberste Form der Energieerzeugung. „Blauer Wasserstoff bremst die Energiewende, wir brauchen ihn nicht“, so Smid.

    Ähnlich äußerten sich etwa die Deutsche Umwelthilfe und Friends of the Earth Norway. Beim BUND hieß es, blauer Wasserstoff sei ineffizient, setze bei Leckagen klimaschädliches Methan frei und verringere das ohnehin knappe Erdgasangebot.

    CCS ist risikoreich und nicht nachhaltig, kritisiert die Ökonomin Kemfert

    Auch Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Umwelt und Verkehr am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), hält nichts von blauem Wasserstoff: „Er ist nicht emissionsfrei, zudem ist er teuer und er verlängert die fossilen Geschäftsmodelle insbesondere der Erdgasunternehmen“, erklärte sie auf Anfrage von EnergieWinde. Nur grüner Wasserstoff sei wirklich emissionsfrei und nachhaltig. „Die Bundesregierung sollte ausschließlich grünen Wasserstoff importieren und dies durch internationale Zertifizierungen sicherstellen“, so die Ökonomin. Das CCS-Verfahren kritisierte sie als risikoreich und nicht nachhaltig.

    Erika Bellmann, Deutschland-Geschäftsführerin der norwegischen Umweltorganisation Bellona, begrüßt dagegen die Ergebnisse von Habecks Norwegen-Reise. Ohne CCS und blauen Wasserstoff sei es nicht möglich, den Gasbedarf der Industrie auf dem Weg in die Klimaneutralität rechtzeitig zu decken, sagte sie im Gespräch mit EnergieWinde. Zudem sei die Klimabilanz besser als in der Studie von Jacobson und Howarth angegeben. Dort würden Annahmen zugrunde gelegt, die vielleicht auf die Fracking-Industrie in den USA zuträfen, bei der es zu vergleichsweise großen Methanlecks komme, nicht aber auf die europäische Gasförderung.

    Die Lagerung des CO2 drei Kilometer tief unter dem Meeresgrund hält die promovierte Chemikerin zudem selbst bei Seebeben für sicher. Das Gas werde dort nicht in Hohlräumen, sondern in porösem Gestein gespeichert, mit dem es sich langfristig verbinde. „Dass es plötzlich wie bei einer Explosion austritt, ist nicht zu befürchten“, sagt Bellmann.

    Robert Habeck beim Besuch eines Zementwerks in Norwegen (Norcem), in dem CO2 abgeschieden wird (CCS).

    Zum Abschluss seiner Reise besucht Habeck ein Zementwerk, in dem CO2 aufgefangen wird.

    Ein Allheilmittel sieht aber auch Bellmann nicht in blauem Wasserstoff. Sein Einsatz müsse auf bestimmte Einsatzgebiete beschränkt werden, etwa auf die Produktion von Ammoniak zur Düngemittelherstellung oder auf Industrien, die Wasserstoff nicht als Energieträger, sondern als Rohstoff bräuchten. Das Gas in Kraftwerken zu verfeuern, wie es in den deutsch-norwegischen Erklärungen vorgesehen ist, sei Verschwendung.

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