Goldene Aussichten: Taiwan soll für die europäische Windkraftbranche das Tor zum asiatischen Markt sein.
Offshore-Wind-Boom in Taiwan
- 07.06.2019
Stürmische Geschäfte
Von Daniel Hautmann
Taiwans großer Nachteil ist zugleich sein großer Vorteil. Jedenfalls aus Sicht der Windkraftbranche: Berge, Berge, Berge. Die Insel im Westpazifik ist in etwa so zackig wie die Schweiz, nur geringfügig kleiner, aber von dreimal so vielen Menschen bevölkert. Für Windräder ist zwischen den bis zu fast 4000 Meter hohen Gipfeln kaum Platz.
Dennoch soll die Windkraft in Taiwan eine tragende Rolle bei der Energieversorgung spielen. Seit die Regierung 2017 den Atomausstieg bis zum Jahr 2025 verkündet hat, führt daran kein Weg vorbei. Und das ist gut – vor allem für die Europäer. Denn weil die Insel so bergig ist, wird es in Taiwan fast ausschließlich Offshore-Windräder geben.
Da das Land allerdings weder eine eigene Offshore-Industrie noch Erfahrungen mit der Öl- und Gasförderung auf See besitzt, sind die Taiwanesen auf fremde Hilfe angewiesen. Die meiste Erfahrung gibt es in Europa, und so zieht es gerade fast alle großen Namen der Branche auf die Insel. Mit dabei sind unter anderen: Siemens, Vestas, DNV-GL, WPD, Fred Olson und Ørsted. Sie alle haben ihre Quartiere in Taiwan aufgeschlagen. 9000 Kilometer von der Nordsee entfernt erlebt die Offshore-Windkraft einen Boom, der an den Goldrausch am Klondike-River Anfang des 20. Jahrhunderts erinnert.
Bislang stehen zwar lediglich zwei Windräder im Wasser vor Taiwans Westküste. Doch es werden schon bald viel mehr sein. Bis zum Jahr 2025 sollen Windparks mit einer Gesamtleistung von 5,5 Gigawatt installiert sein. Das ist fast genauso viel, wie Deutschland seit Inbetriebnahme seines ersten Offshore-Windparks vor gut zehn Jahren aufgebaut hat. „Da geht es um viele Milliarden Euro“, sagt Windkraft-Spezialist Po Wen Cheng von der Universität Stuttgart.
Die Bedingungen sind grandios. Denn Taiwan bietet gerade wegen seiner Berge beste Windkraft-Voraussetzungen. In der 180 Kilometer schmalen Straße von Formosa, zwischen Chinas Festland und Taiwan, beschleunigt sich der Wind über dem Wasser auf durchschnittlich zwölf Meter je Sekunde. Zum Vergleich: In der Nordsee sind es rund neun.
Das deutsche EEG stand beim Aufbau der taiwanesischen Windkraft Pate
Martin Skiba von der Stiftung Offshore Wind ist regelmäßig als Berater in Taiwan unterwegs. Er kennt die Bedingungen vor Ort und ist begeistert: „Die taiwanesische Regierung ist sehr klug vorgegangen. Die haben sich bei den Briten, Dänen, Niederländern und uns Deutschen informiert, und sich vor allem ein Beispiel am EEG genommen.“
Zwar gab es im vergangenen Herbst einen Rückschlag für die Branche: Die neu gewählte Regierung kürzte die Vergütung von 167 auf 146 Euro je Megawattstunde. Zudem wurde die Festvergütung auf 3600 Volllaststunden pro Jahr gedeckelt. „Dennoch sind die Bedingungen immer noch sehr attraktiv“, sagt Cheng.
Der dänische Energiekonzern Ørsted, der auch das Portal EnergieWinde finanziert, unterhält ein Büro mit rund 50 Mitarbeitern in Taiwan – und ist gleich in mehreren Projekten aktiv. Matthias Bausenwein lebt vor Ort, er leitet seit drei Jahren das Asia-Pazifik-Geschäft von Ørsted: „Wir sind am ersten Windpark Formosa 1 beteiligt. Die Komponenten für 20 Sechs-Megawatt-Anlagen stehen im Hafen bereit, das Installationsschiff ist da. Es kann losgehen. Wenn wir den Park aufgebaut haben, haben wir das erste Demoprojekt abgeschlossen.“
Wobei Formosa1 so eine Art Übung ist. Die Anlagen stehen lediglich zwei bis sechs Kilometer vor der Küste, an der tiefsten Stelle sind es 30 Meter bis zum Grund. Doch die folgenden Parks, die Ørsted miterrichten wird, haben ganz andere Dimensionen. Changua etwa hat 900 Megawatt und ist bis zu 65 Kilometer vom Festland entfernt. Das Wasser ist stellenweise 45 Meter tief, die Jacket-Fundamente messen 75 Meter.
Asiatisch-europäische Koproduktion: Beim Aufbau seiner Offshore-Windkraft nutzt Taiwan das Know-how etablierter Unternehmen.
Bausenweins Job ist es, dabei zu helfen, eine richtige Offshore-Industrie aufzubauen. Mit allem Drum und Dran. Ganz wichtig: „Local content“, sagt Bausenwein. Die Taiwanesen wollen vom Windrausch im eigenen Land auch selbst profitieren – und schreiben Beteiligungen vor. „Wir stehen im intensiven Dialog mit den lokalen Behörden“, sagt Bausenwein. Heimische Partner haben er und seine Kollegen längst gefunden: „Mehr als die Hälfte unserer Fundamente und Piles, sowie alle unsere Türme kommen aus Taiwan.“
Auch der Energieversorger EnBW ist in Taiwan mit elf Mitarbeitern vertreten und entwickelt seit Anfang 2018 gemeinsam mit dem australischen Investor Macquarie Capital und dem taiwanischen Industrieunternehmen Swancor drei Offshore-Projekte mit einer Gesamtleistung von bis zu 2.000 Megawatt, wie Unternehmenssprecherin Stefanie Klumpp sagt.
Der Konflikt zwischen China und Taiwan erschwert das Geschäft
Völlig unbeschwert sind die Bedingungen für die Branche allerdings auch in Taiwan nicht. Seit dem Chinesischen Bürgerkrieg liegen die Insel und China im Clinch. China erkennt die Eigenständigkeit des Landes bis heute nicht an. Entsprechend ungern sehen es die Chinesen, wenn man Geschäfte mit Taiwan macht.
Ein weiteres Problem: Es gibt keinerlei Netzverbindungen zu den Nachbarn. Taiwan ist auf sich allein gestellt – hat also ein echtes Inselnetz. Und das wird vom Staatsunternehmen Taipower betrieben, faktisch dem einzigen Abnehmer auf der Insel. Das alles macht es nicht leichter. „Die Taiwanesen haben keine Chance, ihren Strom irgendwohin zu leiten“, sagt Bausenwein.
Zudem spielen auch Umweltschutzaspekte in Asien inzwischen einen größere Rolle. Ähnlich heiß wie in Deutschland wird der Konflikt zwischen Klima- und Naturschutz diskutiert. Vor Taiwan gibt es seltene Weiße Delfine, die unter Schutz stehen. Sie sind gewissermaßen das Pendant zum Schweinswal. „Die Taiwanesen nehmen den Umweltaspekt sehr ernst“, sagt Po Wen Cheng.
Taiwans Offshore-Windräder müssen Taifunen und Erdbeben trotzen
Ebenfalls sehr ernst nimmt man die Naturgewalten, die man so in Europa gar nicht kennt. In der Region gibt es Taifune und Erdbeben. Zwar seien die beherrschbar, dennoch müsse man mit extremeren Lasten als in Europa rechnen, warnt Po Wen Cheng. So ist der Meeresboden sehr weich. Daher müssten die Pfähle extrem tief in den Grund gerammt werden. Die Gründungen müssten zudem massiv verstärkt werden, um der plastischen Verformung des Untergrunds bei einem Erdbeben standzuhalten.
Noch heftiger aber seien die Auswirkungen von Taifunen mit ihren extremen Winden und den sehr großen Änderungen der Windgeschwindigkeit: „Im Auge des Taifuns herrscht nahezu Windstille, am Rand sind es mehr als 80 Meter je Sekunde“, sagt Cheng.
Ein Thema sind auch die Stromausfälle während eines Taifuns oder Erdbebens. Es könne daher sein, die Anlagen mit Stromaggregaten auszurüsten, um die Vitalfunktionen im Notfall aufrecht zu erhalten, meint Cheng.
Windkraftanlagen, die in Taiwan installiert werden, müssen „typhoon-proof“ sein. Doch das haben die Windradhersteller längst geregelt. Siemens-Gamesa, General Electric und MHI-Vestas haben solche Maschinen bereits im Angebot. Kein Wunder, schließlich wollen sie in den kommenden Jahren auch die anderen asiatischen Märkte stürmen, sagt Matthias Bausenwein: „Taiwan ist Asiens Pionier für Offshore-Wind.“