Auf dem Weg zur Energieunion

  • Search09.04.2021

Stromnetze, vereinigt euch!

Je mehr Ökostrom durch Europa fließt, desto wichtiger werden grenzüberschreitende Stromleitungen: Sie verhindern Blackouts, sorgen für sinkende Strompreise und sind die Grundlage für eine klimaneutrale EU. Doch noch fehlen wichtige rechtliche Grundlagen.

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    Verlegung eines Seekabels 1910 zwischen Dover (Großbritannien) und Cap Gris-Nez (Frankreich): Die Bedeutung von länderübergreifenden Stromleitungen wächst mit der Energiewende.

    Anfang des 20. Jahrhunderts war zur Verlegung von Seekabeln noch viel Handarbeit nötig. Diese Männer verbinden 1910 das britische Dover mit dem französischen Cap Gris-Nez. Im Zuge der Energiewende wächst die Bedeutung transnationaler Stromleitungen.

    Von Denis Dilba

    Die Idee ist simpel: Bläst an Deutschlands Ostseeküste der Wind so stark, dass die Windkraftanlagen mehr Strom produzieren, als verbraucht werden kann, leitet man den Überschuss nach Schweden. Dort kann er von Pumpspeicherkraftwerken aufgenommen oder von schwedischen Verbrauchern direkt genutzt werden. Herrscht andersherum zwischen Flensburg und Usedom Flaute, zapft man die schwedische Wasserkraft an und nutzt den gespeicherten Strom hierzulande. Das stabilisiert das Netz, erhöht die Versorgungssicherheit und lässt die Strompreise in Deutschland und Schweden sinken.

    Möglich machen soll das Ganze eine Stromleitung namens Hansa Power Bridge, die von den Übertragungsnetzbetreibern 50Hertz und Svenska kraftnät geplant wird und 2026 in Betrieb gehen soll. Interkonnektoren heißen solche grenzüberschreitenden Kabel im Fachjargon. Der Strom fließt darin immer in die Richtung, wo er den größten Mehrwert erzielt – dafür sorgt ein sogenannter Markkopplungs-Algorithmus.

    Interkonnektoren gleichen Stromschwankungen der Erneuerbaren aus

    Solche Interkonnektoren verbinden bereits zahlreiche Länder in Europa, weitere befinden sich im Bau oder sind in Planung. Je nachdem, ob sie über Land oder durch Wasser laufen, sind sie als konventionelle Hochspannungsleitung, Erd- oder Seekabel ausgelegt. Die rund 300 Kilometer lange Hansa Power Bridge etwa, die von Güstrow ins schwedische Hurva führen soll, ist komplett unterirdisch als Erd- und Seekabel aus Kupfer konzipiert. Die 1999 fertiggestellte Verbindung zwischen Hagenwerder in Sachsen und Mikułowa in Polen hingegen verläuft als freistehende 380-Kilovolt-Wechselstromleitung.

    „Um die Stromflüsse und das Netz zu stabilisieren, hat es Interkonnektoren im Prinzip schon immer gegeben. Mit steigenden Anteilen an fluktuierender erneuerbarer Energie wie Windkraft und Fotovoltaik wird diese Funktion und der Bedarf an großräumigem Energieaustausch aber zunehmend wichtiger“, sagt Henrich Quick, Leiter der Offshore-Projekte von 50Hertz.

    Belgien, Norwegen, Dänemark: Deutschlands Stromnetz sucht Anschluss

    Laut Beschluss der EU-Kommission muss daher jeder Mitgliedsstaat bis 2030 in der Lage sein, 15 Prozent seiner Stromproduktionskapazität über die Landesgrenze zu transportieren. Dadurch soll nicht nur die Versorgungssicherheit in Europa insgesamt verbessert werden, sondern vor allem auch der europäische Stromhandel weiter wachsen. Das Ziel ist eine Energieunion ähnlich dem europäischen Binnenmarkt. Sie soll das Rückgrat der Energiewende auf dem Kontinent werden.

    Deutschland als Stromtransitland mitten in Europa hat zwar in absoluten Zahlen die meisten Interkonnektoren, muss aber trotzdem in den kommenden Jahren noch deutlich zubauen, um die 15-Prozent-Marke zu erreichen. Die Arbeiten sind in vollem Gange: So wurden im vergangenen Jahr weitere vier Interkonnektoren in Betrieb genommen: Alegro (Belgien), Nordlink (Norwegen), Mittelachse (Dänemark) und Combined Grid Solution (Dänemark).

    Für den großen Zuwachs an Offshore-Wind bis 2050 fehlt ein Netzausbauplan

    „Wir stehen beim Ausbau von Interkonnektoren in Deutschland nicht schlecht da und auch in den anderen EU-Ländern bewegt sich einiges“, sagt Andreas Jahn, Energieexperte beim Regulatory Assistance Project (RAP). Die Organisation berät Regierungen weltweit bei der grünen Transformation ihrer Energieversorgung. Der heutige EU-Energie-Binnenmarkt funktioniere schon sehr gut. „Wir sparen dadurch als EU bereits jetzt gemeinsam zig Milliarden Euro im Gegensatz zu einem rein nationalstaatlichen Ansatz“, sagt der Experte.

    Allerdings dürfe man sich darauf nicht ausruhen. Zwar reichten die derzeit laufenden Interkonnektorprojekte aus, um mit den aktuell prognostizierten Zubauten von Windkraft und Fotovoltaik zurechtzukommen. Aber über 2030 hinaus fehle es an einem koordinierten europäischen Plan. „Das ist insbesondere wichtig für den geplanten gewaltigen Zuwachs an Offshore-Windkraft bis 2050“, sagt Jahn.

    Weg von einzelnen Leitungen – hin zu vernetzten Erzeugungsgebieten

    Laut der Ende November 2020 vorgestellten Offshore-Strategie der EU-Kommission soll die Kapazität von damals zwölf Gigawatt (ohne Großbritannien) über mindestens 60 Gigawatt im Jahr 2030 auf 300 Gigawatt 2050 ausgebaut werden – eine Steigerung auf das 25-Fache. Und trotzdem liegt die Kapazität damit noch am unteren Ende der bisher nur grob von der Kommission geschätzten Spanne von 240 bis 450 Gigawatt Offshore-Windenergie, die nötig sein wird, um die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Der Ausbauplan hätte also noch Luft nach oben.

    Ob nun 300 oder 450 Gigawatt: „Für den Offshore-Ausbau bis 2050 brauchen wir in jedem Fall neue Interkonnektoren“, sagt RAP-Experte Jahn. Und damit ergebe sich die Chance, ein separates Offshore-System zu errichten. „Das, was wir in der Regel heute noch machen – einzelne Leitungen durch Nord- und Ostsee ziehen und einzelne Windparks anbinden –, wird langfristig nicht das vorrangige Ziel sein“, erläutert Jahn. „Es wird vielmehr darum gehen, gemeinsame Offshore-Erzeugungsgebiete mit vermaschten Leitungen aufzubauen.“ So wäre beispielsweise die Nordsee eines dieser Erzeugungsgebiete, an das alle Anrainerstaaten angebunden wären.

    Wer bezahlt den Strom eines Windparks, der mal ins eine, mal ins andere Land fließt?

    Doch dazu muss zunächst ein regulatorischer Rahmen geschaffen werden. Es geht um die Fragen, wer diese Gebiete errichtet, wie sie aufgebaut werden und vor allem, wie der dort produzierte Strom vergütet wird. Das müsse möglichst innerhalb der nächsten fünf Jahre geklärt sein, so Jahn. „Denn wenn wir 2025 einen Offshore-Park ausschreiben, muss für die Unternehmen klar sein, wie sie den Strom in den folgenden 15 Jahren verkaufen können und damit wie sie ihre Investitionen refinanzieren können.“ Als Betreiber hat der Experte eine unabhängige Instanz im Sinn. Großbritannien habe so etwas national installiert, nach diesem Vorbild könnte man einen europäischen Betreiber aufbauen.

    „Simpel gesagt, ist die Regulatorik bisher in der Regel darauf ausgerichtet, dass genau ein Windpark in ein Land einspeist und da entsprechend Vergütung bekommt – wenn der Park aber in zwei Länder einspeisen kann, ist die Frage nach der Vergütung aber noch nicht allgemeingültig und zusammenhängend geklärt“, sagt 50Hertz-Experte Quick.

    Deutschland und Dänemark verbinden ihre Stromnetze über die Offshore-Windparks Kriegers Flak und Baltci 1. Die Karte zeigt den Verlauf dieser "Combined Grid Solution".

    Pionierprojekt: Im Projekt Combined Grid Solution wurden erstmals Offshore-Windräder über einen Interkonnektor an die Stromnetze mehrerer Länder angeschlossen.

    Aber nicht nur regulatorisch, auch technisch ist die grenzüberschreitende Verknüpfung von Offshore-Windparks anspruchsvoll. Einfach Windräder ins Meer zu stellen und dann an einen bestehenden Interkonnektor anzuschließen, funktioniert leider nicht, sagt Quick. „Dafür benötigt man sogenannte Hybrid-Interkonnektoren. Das heißt, ich verbinde zwei Länder oder zwei Regionen und habe gleichzeitig an diesem Strang auch eine Offshore-Wind-Einspeisung“, erklärt der Experte, der es wissen muss: Den weltweit einzigen Hybrid-Interkonnektor Combined Grid Solution hat 50Hertz zusammen mit dem dänischen Übertragungsnetzbetreiber aufgebaut.

    Er verbindet den deutschen Offshore-Windpark Baltic 2 und den im Bau befindlichen dänischen Windpark Kriegers Flak in der Ostsee. „Das ist ein toller Erfolg, aber noch nicht State-of-the-Art und reif für die Massenanwendung“, so Quick. „Er rechnet damit, dass die Technik zur Verbindung von Gleichstromkonvertern auf See irgendwann ab Mitte der 2020er-Jahre zum Einsatz kommen könnte. „Mit dem ersten Hybrid-Interkonnektor Combined Grid Solution wurden die ersten Schritte in dieses wichtige Zukunftsfeld unternommen. Aber es gibt für alle Beteiligten noch viel zu tun“, sagt der 50Hertz-Mann.

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