Klimaexperte Özden Terli

  • Search01.10.2021

„Leute, worauf wartet ihr denn noch?“

Özden Terli erklärt einem Millionenpublikum im ZDF den Einfluss der Klimakrise auf das Wetter. Im Interview mit EnergieWinde spricht er über Angriffe von Klimaleugnern, den aus seiner Sicht verpatzten Wahlkampf und die Frage, wie politisch Wissenschaftler sein dürfen.

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    Der Klima-Experte und Wettermoderator Özden Terli vermittelt in seinen Wettervorhersagen und in Beiträgen auf Twitter wichtige Fakten und Grundkenntnisse über den Klimawandel.

    „Dass nichts passiert, macht mich wahnsinnig“: Klimaexperte Özden Terli.

     

    Als Tief Bernd im Sommer über dem Westen Deutschlands wütet, als Häuser weggespült werden, Menschen sterben und die Schäden in die Milliarden gehen, da taucht eine Frage wieder auf: Sind solche Extremwetterereignisse eine Folge des Klimawandels? Özden Terli winkt bei dieser Frage ab. „Darüber sind wir längst hinaus“, sagt der ZDF-Meteorologe. Schließlich lebten wir längt in der Welt der Klimakrise, mit einer Atmosphäre, die sich verändert hat. „Es ist ja nicht so, dass irgendwo ein Schalter umgelegt wird und heute dann Klimawandel ist, morgen aber nicht“, sagt er.

    Seit 2013 arbeitet Terli als Wettermoderator beim ZDF. Seine Vorhersagen erreichen Millionen deutscher Haushalte. Seit 2014 nutzt er die knappe Zeit seiner Beiträge auch, um den Klimawandel zu erklären. Er zeigt, wie der CO2-Ausstoß seit Beginn der Industrialisierung steigt und wie mit ihm die Durchschnittstemperaturen klettern. Er spricht über die Häufigkeit von Hitzewellen. Und er erklärt, warum der Jetstream aus dem Gleichgewicht ist. Normalerweise zieht das Starkwindband, das in acht bis zwölf Kilometer Höhe um die Erde kreist, die darunterliegenden Tiefs verlässlich mit. Doch immer öfter schwächelt das Band. In der Folge können Tiefs wie Bernd über Mitteleuropa stranden und sich dort ungewöhnlich lange austoben. Die Flutkatastrophe war in Terlis Augen deshalb eine Katastrophe mit Ansage.

    Doch vielen Menschen ist die Gefahr des Klimawandels noch immer nicht bewusst. Das zeigen Terli die Zuschriften von Zuschauern und die Diskussionen auf Twitter, wo er täglich Links zu Studien und Artikel zu dem Thema postet oder Falschaussagen von Klimaleugnern richtigstellt. Oft wird er dafür angefeindet. Im Gespräch mit EnergieWinde erzählt Terli, wie er damit umgeht. Er erklärt, wie politisch Wettermoderatoren sein dürfen und er kritisiert Politiker und Teile der Medien für ihre Untätigkeit in der Klimakrise.

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    Herr Terli, Sie klären im Wetterbericht im ZDF regelmäßig über den Klimawandel auf. Was bewegte Sie dazu, Ihre Plattform für diese Aufklärungsarbeit zu nutzen?
    Özden Terli: Die Frage ist, warum andere Meteorologen ihre Plattform nicht nutzen. Die Klimafolgen wirken doch längst ins Wetter hinein. Wenn man diese Informationen auslässt, erzählt man nicht die komplette Geschichte. Das Ganze fing bei mir mit Rückblicken auf den vergangenen Monat an. Solche Rückblicke haben die Kollegen im ZDF auch schon vorher gezeigt. Es ist interessant zu schauen, wie der letzte Monat eigentlich war – zu warm, zu nass? Gab es wirklich so viel Sonnenschein? Das sind Klima-Informationen, die unmittelbar mit der Arbeit eines wissenschaftlich ausgebildeten Meteorologen zusammenhängen.

    Ich habe diese Präsentationen ausgedehnt und im Hintergrund habe ich mit Wissenschaftlern gesprochen. Das war meine private Initiative: Ich hatte realisiert, dass es nicht nur wichtig ist, Menschen davor zu warnen, wie gefährlich der nächste Sturm wird. Auch die Perspektive der Veränderungen im globalen Zusammenhang empfand ich als sehr wichtig. Was viele unterschätzen: Wir sind beim Wetter nicht auf einer Insel. Was woanders passiert, zum Beispiel in der Arktis, geht uns sehr wohl etwas an.

    Die Debatte um den Klimawandel ist politisch aufgeladen – wie politisch dürfen Wettermoderatoren sein?
    Terli: Der Moderator ist ein Journalist, der Zusammenhänge einordnet und als Wissenschaftler auch erklärt. Die Klimainfos gehören da zwingend rein: Meteorologen sind genau die richtigen, um diese Fakten vorzutragen und einzuordnen. Wenn also versucht wird, den Überbringer der Nachricht zu diskreditieren, ist das auch ein Angriff auf die Wissenschaft. Ich wurde da reingezogen in diesen seit Jahrzehnten andauernden Krieg gegen die Wissenschaft, und mittlerweile gehört es einfach dazu. Die Angriffe lasse ich mir allerdings nicht mehr gefallen, es gibt verschiedene Methoden sich zu wehren.

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    Ich wurde da reingezogen in diesen Krieg gegen die Wissenschaft. Die Angriffe lasse ich mir allerdings nicht mehr gefallen

    Özden Terli

    Wie viele Klimafakten können Sie in Ihrer doch recht kurzen Sendezeit unterbringen?
    Terli: In der Tat würde ich gerne mehr unterbringen, aber die Zeit ist limitiert. Fernsehen bedeutet Reduktion, das ist die Herausforderung. Man muss sich tief in die Materie einarbeiten, um genau das Wesentliche zu sagen und in den Aussagen sicher zu sein. Aber ich habe auch über die Jahre gelernt, dass nicht einmal die Basisfakten allen klar sind.

    Welche Basisfakten meinen Sie?
    Terli: Schon beim Verständnis des normalen Wetters hapert es: Wie funktionieren die Wetterphänomene mit ihren Tiefs und Hochs? Das muss klar sein, bevor wir auf komplexere Zusammenhänge des Klimawandels eingehen. Also muss man immer wieder neu anfangen und erklären, dass auf der Vorderseite eines Tiefs warme Luft aus dem Mittelmeer zu uns geführt wird, dass so die Temperaturen steigen und so weiter. Das ist Wetter. Aber warum liegt das Tief dort und wie lange und wie sieht sonst die Strömung aus, passt das zu den Klimafolgen? Welche wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es? Das sind Fragen, die dazugehören. Meteorologie ist eine Wissenschaft. Ich fange bei den grundlegenden Zusammenhängen an: Die Ursache für die Erderwärmung ist CO2, das CO2 kommt vor allem aus der Industrie und ist wegen des Kohlenstoffkreislaufs so schlimm. Das ist zwar ein natürlicher Kreislauf, aber auf den hämmern wir mit unseren Emissionen ständig drauf und verschärfen ihn dadurch enorm.

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    Mit Spannung blickt Terli derzeit auf die UN-Klimakonferenz, die Ende Oktober in Glasgow beginnt. Dort treffen sich die Staatschefs aus aller Welt, um über die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zu verhandeln. Das Ergebnis ist von enormer Bedeutung für den Kampf gegen die Klimakrise. Der renommierte US-Forscher Michael E. Mann, für dessen jüngst auf Deutsch erschienenes Buch „Propagandaschlacht ums Klima“ Terli ein Nachwort geschrieben hat, ist vorsichtig optimistisch. Viele Aktivisten dagegen blicken skeptisch auf den Gipfel, sie fordern vehement konkrete Maßnahmen. „Wir brauchen konstruktiven Dialog, aber wir hatten jetzt 30 Jahre voller Blablabla – und wo hat uns das hingeführt?“, erklärte gerade erst Greta Thunberg. Terli stimmt der Schwedin zu - und nimmt auch deutsche Politiker und die Medien von der Kritik nicht aus.

    Wurde die Gefahr des Klimawandels in der Politik und im Wahlkampf Ihrer Meinung nach stark genug thematisiert?
    Terli: Der Wahlkampf war unterirdisch. Das war eine riesige Chance, die die Parteien in den Sand gesetzt haben. Es ist so wichtig, dass die Leute informiert werden. Stattdessen gab es Lügen, Angriffe, Denunziationen, Kampagnen und Ablenkungsmanöver. Das wichtigste Thema der Menschheitsgeschichte, die Begrenzung der Klimakrise, wurde reduziert auf eine Diskussion um Verbote und die Frage, was der Klimaschutz kosten wird. Dabei müssen wir uns endlich mit der gesamten Thematik auseinandersetzen. Nur wenn wir die Fakten endlich alle anerkennen, können wir gemeinsam Strategien entwickeln, um gegen die Klimakrise zu arbeiten.

    Was würden Sie sich in der Berichterstattung wünschen?
    Terli: Es muss viel klarer gemacht werden, dass wir mittendrin sind in der Klimakrise. Es gibt erst einmal keinen Ausweg: Die Atmosphäre wird sich weiter aufheizen. Es wird noch mehr Eis schmelzen, Grönland wird es noch schlechter gehen. Das werden wir nicht aufhalten.

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    Terli war noch ein Teenager, als ihm die Klimakrise zum ersten Mal begegnet ist. Es war in Form einer Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ von 1986. Darauf war der Kölner Dom zu sehen, halb untergangen in den steigenden Fluten des Meeres. Für Terli, einen gebürtigen Kölner, war das ein Aha-Erlebnis. Einige Jahre später las er im Videotext eine Warnung vor der Erderhitzung, die ihn nicht losließ. Terli, der Fernmeldeanlagen-Elektroniker gelernt hatte, holte das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach und studierte Meteorologie.

    Im Studium an der FU Berlin faszinierte ihn Klimatologie. Er belegte eine Vorlesung zu Paläoklimatologie und lernte die Arbeiten von Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung kennen. Sein Studium schloss Terli mit einer externen Diplomarbeit am Alfred-Wegener-Institut (AWI) ab, für das er auf dem Forschungsschiff „Polarstern“ auf Expedition fuhr. Noch heute hält er Kontakt mit dem AWI und vernetzt sich für seine Arbeit und über Twitter mit Meteorologen und Klimaforschern in Deutschland und der Welt.

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    Sie sind auf Twitter sehr aktiv, dort herrscht schnell ein rauerer Ton. Wie gehen Sie mit Klimaleugnern und Anfeindungen um?
    Terli: Klimaleugner muss man sofort blocken. Man darf ihnen keine Reichweite geben und entsprechend keine Diskussion anfangen – ich diskutiere nicht mehr über die Ursachen der globalen Erhitzung. Das ist gegessen. Gleiches gilt für Beleidigungen und andere Anfeindungen. Bei öffentlichen Personen ist das anders, da muss man Stellung beziehen, beziehungsweise einige neugierige Fragen stellen. Die Klimafakten sind klar. Wer meint, die Propaganda der Ölindustrie fortsetzen zu wollen, muss sich eben Fragen gefallen lassen, und das öffentlich, da lasse ich nicht locker.

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    Es ist problematisch, wenn die Politik und entsprechende Medien Debatten über Verzicht und Verbote führen und Menschen damit Angst machen, statt die Realität wahrheitsgemäß abzubilden

    Özden Terli

    Sie meinen die Bemühungen der fossilen Industrie, den Klimawandel und seine Ursachen herunterzuspielen?
    Terli: Genau. Die Ölkonzerne versuchen seit jeher, die Klimawissenschaft zu diskreditieren. Wissenschaftsleugner haben die Gesellschaft mit Desinformationen infiltriert, die sich seit Jahrzehnten halten. Dabei wissen vermutlich viele Menschen, die diese Desinformationen wiederholen, nicht einmal, wer sie in die Welt gesetzt hat. Es ist problematisch, wenn Politik und entsprechende Medien Debatten über Verzicht und Verbote führen und Menschen damit Angst machen, statt die Realität wahrheitsgemäß abzubilden. Es wird eine Ökodiktatur heraufbeschworen und von der eigentlichen drohenden globalen Katastrophe abgelenkt. Anstatt in der Transformation eine Chance zu sehen, versucht man, den Stillstand zu bewahren. Dabei ist ein Weiter so der radikalste Weg, nämlich der in die sichere Zerstörung unserer Lebensgrundlage.

    Sagt auch das Bundesverfassungsgericht.
    Terli: Letztlich hat das Gericht klargestellt: Wir, die heute in der Gegenwart leben, dürfen nicht auf Kosten der Freiheit der zukünftigen Generationen leben. Aber genau das tun wir. Wir versuchen die ganze Zeit, die Natur zu beherrschen. Aber wir sind Teil der Natur. Entweder wir leben mit ihr oder wir gehen mit ihr unter – wenn wir so weitermachen wie bisher.

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    Wir begreifen die Klimakrise noch immer nicht als eine Bedrohung für die Menschheit. Und das ist tragisch, denn die Zeit wird immer knapper

    Özden Terli

    Braucht es also Initiativen wie „Klima vor Acht“, um weiter aufzuklären?
    Terli: Da selbst die einfachsten Zusammenhänge von vielen Menschen noch nicht verstanden wurden, ist weitere Aufklärung nötig. Wir begreifen die Klimakrise noch immer nicht als eine Bedrohung für die Menschheit. Und das ist tragisch, denn die Zeit wird immer knapper. Die Wetterextreme werden immer krasser. Das ist ins System eingebongt, daran gibt es keinen Zweifel. Es sind zwar nur noch wenige Jahre, aber wir haben noch eine Chance, die krassesten Auswirkungen zu dämpfen. Können wir das Risiko eingehen, das nicht zu tun? Wir Medien müssen uns diesen Schuh auch anziehen: Vor einem Jahr hat die Journalistin Sara Schurmann einen offenen Brief geschrieben und Journalisten aufgerufen, die Klimakrise endlich ernst zu nehmen. Dass nichts passiert ist, macht mich wahnsinnig. Viele Politikjournalisten waren im Wahlkampf noch immer nicht gut genug über den Klimawandel informiert und stellten den Parteien keine tiefgreifenden Fragen zur Klimakrise. Bernd Ulrich von der „Zeit“ hat über die enttäuschende klimapolitische Bilanz des Wahlkampfs gerade eine treffende Analyse geschrieben. Aktivisten, ob nun Greta Thunberg oder Fridays for Future, kann man nicht einfach belächeln und per se diskreditieren. Viele von ihnen berufen sich auf Erkenntnisse, die Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten vortragen. Trotzdem sind wir als Gesellschaft noch immer passiv. Die Wissenschaftler benennen den Klimawandel, der Weltklimarat tut es, die UN tun es, der Vatikan tut es, das deutsche Bundesverfassungsgericht tut es – liebe Leute, worauf wartet ihr denn noch?

    Die Fragen stellte Jasmin Lörchner.

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