Der deutsche Wald in der Klimakrise

  • Search04.12.2020

Das Sterben der Fichten

Die trockenen Sommer und der Borkenkäfer setzen dem Wald zu. Bislang sind es vor allem Fichten, die dem Klimawandel zum Opfer fallen. Der Bonner Förster Uwe Schölmerich erklärt, was man dagegen tun kann. Protokoll eines Waldspaziergangs.

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    Förster Uwe Schölmerich im Kottenforst bei Bonn: Auf einer Fläche von mehr als zehn Fußballfeldern wurden abgestorbene Fichten abgeholzt.

    Kahlschlag im Kottenforst: Die Fichten, die hier noch vor wenigen Monaten standen, sind abgestorben und wurden gefällt. Förster Uwe Schölmerich hofft, dass in einigen Jahrzehnten ein neuer Wald herangewachsen ist – einer, der dem Klimawandel trotzt.

    Von Heimo Fischer

    Die Novembersonne arbeitet sich durch den Morgendunst über der Lichtung. Baumstümpfe und totes Holz bedecken den Boden, vereinzelt recken sich nadellose Baumskelette in die Höhe. Die Fläche ist so groß wie zehn Fußballfelder und war noch vor einigen Monaten mit Fichten bewachsen. Innerhalb weniger Wochen war Schluss. „Die Bäume haben den Sommer nicht überlebt“, sagt Uwe Schölmerich. Sie mussten gefällt werden.

    Der Leiter des Regionalforstamtes Rhein-Sieg-Erft führt regelmäßig Besucher durch den Kottenforst bei Bonn. Über die Zeit beobachtete der heute 65-Jährige auf seinen Rundgängen, wie der Wald immer stärker unter dem Klimawandel litt. Wie die Rinde von Buchen blätterte und Fichten ihre Nadeln abwarfen. Wird der Boden zu trocken, erreichen ihre flachen Wurzeln die tieferen feuchten Erdschichten nicht mehr. Der Baum wird krank. „Rund 90 Prozent der Fichten sind hier geschädigt“, sagt Schölmerich.

    Auf Sturmtief Friederike folgen der Borkenkäfer und zwei Dürresommer

    Über viele Jahre hatte sich der Klimawandel im Kottenforst nur schleichend ausgewirkt. Das änderte sich schlagartig, als im Januar 2018 der Orkan Friederike über das Land fegte und massenweise Bäume umknickte. „Dadurch blieb viel Totholz liegen“, erklärt der Förster. Ein ideales Umfeld für den Borkenkäfer. Zu allem Unglück folgten einige der heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das schwächte die Fichten zusätzlich und freute den Borkenkäfer. „Normalerweise vermehrt er sich zwei Mal im Jahr“, sagt Schölmerich. In den vergangenen Sommern sind bis zu vier Generationen geschlüpft. Geschätzt folgten so aus der Brut eines Weibchens im Laufe eines Jahres zwischen 100.000 und 250.000 Nachkommen.

    Förster Uwe Schölmerich zeigt an einer Fichte im Kottenforst bei Bonn die Spuren des Borkenkäfers, der sich zuletzt exponentiell vermehrt hat.

    Die Rillen unter der Rinde sind Spuren des Borkenkäfers. Er hat sich zuletzt exponentiell vermehrt.

    Der Förster geht ein paar Schritte weiter an den Rand der Lichtung und löst ein Stück Rinde von einem Fichtenstumpf. Auf der Innenseite sieht man die Rillen, die der Käfer gegraben hat. Gesunde Fichten können sich durch die Produktion von Baumharz gegen den Angreifer wehren. Wie viele andere war auch diese Fichte zu schwach dafür. Schölmerich zeigt mit den Fingerspitzen auf den Hohlraum, in dem sich die Käfer vermehren und den Forstleute als Rammelkammer bezeichnen. Die Jungkäfer bohren sich später durch die Rinde heraus ins Freie und beginnen das Spiel von Neuem. „Der befallene Baum ist oft schon nach sechs Wochen nicht mehr zu retten“, erläutert Schölmerich.

    Fichten wachsen schnell. Aber sie sind besonders anfällig für Hitzestress

    Die Fichte hat Hitze, Wassermangel und Käferschäden wenig entgegenzusetzen; sie mag es gern kühler. Unter natürlichen Bedingungen siedelt sie sich vor allem in höheren Lagen an. In den Fünfzigerjahren pflanzten die Deutschen sie jedoch auch in tiefergelegenen Gegenden. Denn Fichten wachsen schnell und können schon nach 80 Jahren geschlagen werden. Das hört sich lang an, ist aber wenig im Vergleich zu manchen Laubbäumen, die 150 Jahre brauchen. Fichten produzieren zwar kein besonders gutes Holz, aber es ist leicht zu verarbeiten und die Qualität genügt, um Massenware wie Papier, Dachbalken oder Verpackungen daraus zu machen.

    Mehr als ein Viertel der Bäume in deutschen Wäldern sind offiziellen Zahlen zufolge Fichten. Doch die Daten sind zwei bis drei Jahre alt. Nach den vergangenen Hitzesommern dürfte ihr Anteil bereits deutlich niedriger sein. Schölmerich glaubt nicht, dass die Fichte in den wärmeren Regionen noch eine Chance hat. „Bei uns ist das Thema durch.“

    Kottenforst im Klimastress: Während viele Fichten der Erderwärmung zum Opfer gefallen sind, haben sich mit Mischwald bewachsene Flächen als resistenter erwiesen.

    Echte Urwälder gibt es in Deutschland praktisch nicht mehr. Der Mensch prägt das Bild der Landschaft seit Jahrhunderten. Auch der Kottenforst ist sein Werk.

    Im Vergleich zu anderen Gegenden sind die Wälder des Regionalforstamtes Rhein-Sieg-Erft gegen die Folgen des Klimawandels gut geschützt. Denn nachhaltige Forstwirtschaft wird hier schon seit mehr als 20 Jahren betrieben. Das bedeutet, Monokulturen mit Fichten werden schrittweise durch widerstandsfähige Mischwälder ersetzt, die hier eigentlich heimisch sind. Im Kottenforst setzt man zum Beispiel auf Stieleichen, Buchen, Douglasien oder Tannen.

    Mischwälder sind Monokulturen überlegen: Stirbt eine Art, füllen andere die Lücke

    Stehen alte und junge Bäume unterschiedlicher Art nebeneinander, ist der Wald gegen schädliche Umwelteinflüsse gewappnet. Die einen Bäume vertragen mehr Hitze, die anderen mögen es nass und kalt. Nicht alle Arten müssen die Forstleute gezielt anpflanzen, viele Sorten keimen von allein, weil der Wind die Samen herbeiträgt.

    Warum Mischwälder robuster sind, lässt sich an einer Stelle im Kottenforst besonders gut sehen. Schölmerich zeigt auf die toten Fichten in dem Waldstück und dann auf die gesunden Douglasien daneben. Sie vertragen das wärmere Klima besser und können sich gegen Schädlinge wehren.

    Mischwälder haben einen weiteren Vorteil. Sie verhindern, dass durch den Tod einer einzigen Baumart Kahlflächen entstehen, die den Klimawandel noch weiter verstärken. Denn wenn Sonnenlicht ungehindert auf den Waldboden scheint, werden Pilze und Bakterien aktiv. Sie emittieren den im Humus gespeicherten Kohlenstoff, der den Treibhauseffekt noch verstärkt.

    Fotostrecke: Der Kottenforst im Klimawandel

    Der Wald und die Klimakrise: Diese Fichte im Kottenforst bei Bonn zeigt deutliche Schäden durch Wassermangel und Borkenkäfer.

    Die Folgen des Klimawandels sind im Kottenforst südwestlich von Bonn nicht zu übersehen. Neun von zehn Fichten gelten als geschädigt. Ihre Wurzeln sind zu flach, ...

    Förster Uwe Schölmerich (rechts) im Gespräch mit EnergieWinde-Autor Heimo Fischer über die Schäden durch die Klimakrise.

    ... um in Trockenperioden die feuchten, tiefen Erdschichten zu erreichen, sagt Förster Uwe Schölmerich (rechts, im Gespräch mit unserem Autor Heimo Fischer). In der Folge ...

    Rodung im Kottenforst bei Bonn: Auf einer Fläche von mehr als zehn Fußballfeldern wurden abgestorbene Fichten abgeholzt.

    ... sterben die Bäume und werden gefällt. Die Preise für Holz sind deshalb eingebrochen – es werden mehr Bäume geschlagen, als verarbeitet werden können. Auch ...

    Schwere Forstmaschinen sind im Kottenforst bei Bonn im Einsatz, um abgestorbene Fichten zu beseitigen, die dem Klimawandel zum Opfer fielen.

    ... im Kottenforst sind die schweren Maschinen der Forstwirte im Einsatz. Seit den Fünfzigerjahren wurden in vielen Regionen Deutschlands Fichten angesiedelt. Künftig ...

    Aufforstung im Kottenforst bei Bonn: Wo früher Fichten standen, die der Trockenheit zum Opfer fielen, sollen Stieleichen gepflanzt werden.

    ... sollen andere Bäume das Bild der Wälder prägen. Im Kottenforst sind die Stellen, an denen tiefwurzelnde Stieleichen gepflanzt werden, mit roten Stöckern markiert.

    Wenn naturnahe Mischwälder dem Klima so viel mehr helfen können, wäre es dann nicht besser, komplett auf Forstwirtschaft zu verzichten und den Wald sich selbst zu überlassen? Als Urwald, in dem sich ein ökologisches Gleichgewicht bildet und so langfristig als Kohlendioxidspeicher einen Beitrag zum stabilen Weltklima leistet? Schölmerich ist skeptisch. „Holz ist ein nachwachsender Rohstoff und ein Baumaterial mit Zukunft.“ Während bei der Herstellung von Beton und Zement große Mengen an CO2 freigesetzt werden, könnten Gebäude aus Massivholz Kohlenstoff langfristig speichern. Mittlerweile gibt es bereits moderne Hochhäuser aus Holz.

    Deutschlands Wälder werden umgebaut – wie schon so oft in der Geschichte

    Die Idee des unberührten Waldes klingt zwar romantisch, hat aber nichts mit der Wirklichkeit in Deutschland zu tun. Schon die Römer fällten links des Rheins Bäume, im Mittelalter pflanzten die Menschen bevorzugt Eichen. „Man konnte mit ihrem Holz Feuer machen, Gebäude errichten und die Früchte an Nutztiere verfüttern“, sagt Schölmerich. Immer wieder wurden im Lauf der Jahrhunderte ganze Landstriche abgeholzt und später wieder aufgeforstet. Die meisten Wälder haben eine bewegte Geschichte; ihre Entwicklung wurde oft von Menschen gesteuert.

    Im Kottenforst sind es nicht allein die Fichten, die leiden. Auch von vielen Buchen blättert die Rinde ab. Eine Folge des Wassermangels, der die Bäume mit ihren flachen Wurzeln eher trifft als zum Beispiel Eichen. Der Rückweg führt uns noch einmal zu der Kahlstelle, wo die vielen Fichten gestorben sind. Unser Blick fällt auf Dutzende roter Pflöcke im Boden. „Da werden demnächst Stieleichen gepflanzt“, sagt Schölmerich. Später werden sich von allein Birken, Lärchen und weitere Arten ansiedeln. Am Schluss, in einigen Jahrzehnten, soll hier ein Mischwald mit bis zu sieben Baumarten stehen. Und der wird gegen die Folgen des Klimawandels zumindest besser gewappnet sein als die Monokultur zuvor.

    Beim Umbau des Walds setzen Förster auf resistente Baumsorten – und auf Wölfe

    Hat das Fichtensterben dann vielleicht sogar etwas Gutes, da es den Wandel zu robusten Mischwäldern beschleunigt? Schölmerich zieht die Augenbrauen hoch. „Von mir aus brauchen wir nicht erst eine Katastrophe, um den Wald nachhaltig umzubauen.“

    Der Mensch muss allerdings auch in Mischwäldern Hand anlegen. So nehmen Buchen kleinen Eichentrieben das Licht. Sie können nur wachsen, wenn einige große Bäume gefällt werden. „Auch Wildverbiss spielt eine wichtige Rolle“, sagt Schölmerich. Es gebe in den Wäldern zu viele Rehe, da sie zu selten geschossen würden. Förster wie Schölmerich verfolgen es deshalb mit Interesse, dass sich der Wolf wieder ansiedelt und Rehkitze jagt. Nicht weit entfernt auf der anderen Seite soll bereits ein Rudel unterwegs sein. Vielleicht erreicht es bald auch den Kottenforst.

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