Hummer-Lebensraum Offshore-Windpark

  • Search01.06.2015

Das große Krabbeln

Auf Helgoland drohen die Hummer auszusterben. Forscher wildern daher Tausende Zuchtexemplare aus – unter anderem in einem Windpark. Nur der bedenkliche Charakter der Tiere erschwert das Projekt.

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    Hummer-Aufzuchtstation auf Helgoland: Hier werden Tausende Hummer gezüchtet, um sie in Offshore-Windparks wie Riffgat auszuwildern.

    Von Volker Kühn, Helgoland

    Man könnte ihn für einen verdammt harten Kerl halten. Wie er da so liegt in seinem Becken, die kräftigen Scheren weit geöffnet, die ausdruckslosen Augen starr auf den Eindringling gerichtet.

    Und im Prinzip ist er das ja auch. Denn kaum nähert sich ihm eine unvorsichtige Hand, schießt ein Kneifer aus dem Wasser, dicht neben dem Ziel schnappt er Leere. Bis auf die Knochen hätte er das Fleisch eines Fingers zusammenquetschen können.

    Und wehe, man würde diesen Wüstling mit geübtem Griff hinter dem Kopf packen, aus seiner Einzelzelle heben und zu seinem Nachbarn im Becken nebenan legen. Ein Kampf auf Leben und Tod wäre die Folge.

    Mit der größeren ihrer beiden Scheren würden die Tiere versuchen, sich gegenseitig die Gliedmaßen abzukneifen und die Panzer aufzuschneiden. Dann käme die kleinere Schere zum Einsatz, um das Fleisch aus der Beute zu schälen.

    Der Helgoländer Hummer hat ein echtes Aggressionsproblem. Oder, um es mit den nüchternen Worten von Professor Heinz-Dieter Franke zu sagen: „Der Hummer verteidigt sein Revier bedingungslos und neigt zu Kannibalismus.“

    Das ist der Grund, warum die bis zu 3000 Hummer, die Frankes Team jedes Jahr in der Aufzuchtstation der Biologischen Anstalt auf Helgoland großzieht, mit viel Aufwand isoliert voneinander gehalten werden müssen – andernfalls würde wohl nur ein einziger übrigbleiben. Etwas lädiert vielleicht, dafür aber pappsatt.

    Video: Heinz-Dieter Franke über das Hummerprojekt in Offshore-Windparks

    Doch der Hummer hat auch eine andere Seite. Dieser harte Kerl in seinem archaischen Panzer ist zugleich ein Sensibelchen – und das ist der Grund, warum er überhaupt in einer Zuchtstation aufgepäppelt werden muss. Denn die Hummerbestände rings um Helgoland sind dramatisch zurückgegangen.

    In den Dreißigerjahren fingen die Inselfischer noch einige Zehntausend Tiere pro Jahr, 87.000 waren es allein 1937. Dann kam der Zweite Weltkrieg, und das von den Nationalsozialisten zur Seefestung ausgebaute Helgoland wurde in zwei Angriffen der Alliierten im April 1945 völlig zerstört.

    Als die Briten auf Helgoland ihre Bomben testen, kollabiert der Hummerbestand

    Nach dem Krieg jagten die Briten die verbliebenen Bunkeranlagen in die Luft, unvorstellbare 6700 Tonnen Sprengstoff kamen zum Einsatz. Anschließend diente die Insel mehrere Jahre als Bombenabwurfplatz.

    Den Hummer hatten die Briten dabei zwar nicht im Visier. Die Folgen für ihn waren dennoch fatal. Denn mit den Bomben gelangten gewaltige Mengen chemischer Giftstoffe ins Meer, die – so eine Vermutung der Wissenschaft – das empfindliche Geruchssystem der Tiere störten.

    Die Fischerei und die Verschmutzung der Nordsee taten ein Übriges: Die Population sank auf ein derart niedriges Niveau, dass der Hummer auf Helgoland vom Aussterben bedroht ist.

    Heute gibt es nur noch eine Handvoll Nebenerwerbsfischer auf der Insel, die pro Jahr kaum 100 Tiere aus dem Wasser holen.

    Hummer-Aufzuchtstation Helgoland: Heinz-Dieter Franke präsentiert mit geübtem Griff einen der Hummer.

    Noch ist der Hummer zu retten, meint der Biologe Heinz-Dieter Franke, der hier mit routiniertem Griff eines seiner Exemplare aus der Zuchtbox geholt hat.

    Professor Franke aber glaubt, dass die Bestände wieder aufgebaut werden könnten – das zumindest ist das Ergebnis seines Pilotversuchs in der Biologischen Anstalt Helgoland. 15.000 Hummer haben er und sein Team in den vergangenen 15 Jahren auf der Insel großgezogen, mit Markierungen versehen, und im Meer ausgesetzt.

    Viele Tiere haben in der Freiheit überlebt und sich in den Helgoländer Felsen angesiedelt. „Das zeigt, dass das Programm funktioniert“, sagt Franke beim Rundgang durch die Aufzuchtstation in der Biologischen Anstalt, eine Außenstelle des Alfred-Wegener-Instituts.

    Die Zukunft des Hummers sieht wieder besser aus – dank der Energiewende

    In langen Reihen stehen die grünen Hummerboxen nebeneinander in Regalen. Eine Meerwasserspülung verbindet die Boxen, sie simuliert regelmäßig Ebbe und Flut und sorgt dabei für den nötigen Wasseraustausch. Ein gleichmäßiges Blubbern erfüllt die Halle, in der Luft liegt ein leicht fischiger Geruch.

    Manche Tiere messen nur wenige Zentimeter; sie verkriechen sich meist in kleinen Röhrchen, die die Felsspalten ersetzen, in denen sie in Freiheit Unterschlupf finden würden. Andere haben die Länge eines Unterarms.

    Um die Bestände auf ein Niveau zu bringen, das wieder eine ernsthafte Fischerei erlauben würde, ist die Zuchtstation allerdings zu klein. „Dazu müsste man eine sehr große Zahl an Hummern in einem kurzen Zeitraum auswildern“, sagt Franke. Ein solches Programm würde allerdings mehrere Millionen Euro kosten – Geld, das man nicht habe.

    Dass es dennoch Hoffnung für den Helgoländer Hummer gibt, liegt an einem Projekt, das auf Anhieb niemand mit den Tieren in Verbindung bringen würde: am Ausbau der Offshore-Windkraft im Zuge der Energiewende.

    Hummer-Baby in der Hummer-Aufzuchtstation auf Helgoland: Tausende Tiere werden in Offshore-Windparks ausgewildert.

    Manche Hummer messen nur wenige Zentimeter, wie dieser auf der Hand von Professor Franke. Andere haben die Länge eines Unterarms.

    Im Offshore-Windpark Riffgat findet der Hummer ein neues Zuhause

    Denn wo immer Unternehmen für den Bau eines Windparks oder die Verlegung von Stromkabeln in die Umwelt eingreifen, sind sie zu sogenannten ökologischen Ausgleichsmaßnahmen verpflichtet. Was sie der Natur an einer Stelle an Schaden zufügen, müssen sie an anderer wiedergutmachen, so verlangt es das „Verschlechterungsverbot“ in den Naturschutzgesetzen von Bund und Ländern.

    Als 2012 der Oldenburger Energieversorger EWE und die Unternehmensgruppe Enova aus Ostfriesland 30 stählerne Monopile-Fundamente für den Windpark Riffgat in den Nordseegrund vor Borkum trieben, kamen sie bei der Suche nach möglichen Ausgleichsmaßnahmen auf das Helgoländer Hummerprojekt.

    „Rings um die Windmühlen wurden große Steinfelder als Kolkschutz angelegt“, erklärt Franke. „Uns war schnell klar, dass sie sich als Lebensraum für Hummer eignen könnten.“

    3000

    Junghummer werden in Riffgat ausgesiedelt. Dafür investiert der Riffgat-Betreiber 700.000 Euro

    Rund 700.000 Euro stellten die Windparkbetreiber für das Projekt zur Verfügung. Die Mittel erlaubten es der Biologischen Anstalt, ihre Aufzuchtstation auszubauen und im Sommer 2014 schließlich 3000 Junghummer mit einer Größe von acht bis zehn Zentimetern in Riffgat auszuwildern.

    Wie erfolgreich das Projekt ist, wird sich in diesem Sommer zeigen – dann werden die Forscher mit Tauchern und Fangkörben überprüfen, wie viele Hummer noch in Riffgat leben.

    In solchen grünen Boxen wachsen die Hummer heran. Ein ständiges Blubbern erfüllt die Aufzuchtstation, in der Luft liegt leichter Fischgeruch.

    Franke ist optimistisch, denn der Helgoländer Hummer bringt eine besondere genetische Eigenschaft mit, die ihm erleichtern könnte, in Windparks heimisch zu werden: „Er ist an einen sehr kleinen Lebensraum gewöhnt“, sagt der Forscher. Während Junghummer aus Norwegen oder Großbritannien kaum Chancen hätten, sich auf den vergleichsweise kleinen Steinfeldern anzusiedeln, stünden sie für die Tiere aus seiner Zucht gut.

    Er erwarte zudem, dass die Hummer einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der übrigen Meeresfauna in Riffgat hätten. Sollte die Zählung im Sommer Frankes Prognose bestätigen, könnte das ein zweites Projekt vorantreiben: Auch mit dem Stromnetzbetreiber Tennet, der für die Verkabelung der Nordsee-Windparks zuständig ist, befinde man sich in Gesprächen über eine Zusammenarbeit.

    So bedenklich sein Charakter auch sein mag – für den Helgoländer Hummer sind die Aussichten so gut wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

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