Flächenkonflikt in der Nordsee

  • Search27.04.2022

Marine und Windbranche ringen um Seegebiete

Die Marine braucht Übungsgebiete, die Windindustrie Bauflächen. Beides dient der deutschen Sicherheit. Als Ausweg schlägt die Branche die Ko-Nutzung einzelner Zonen vor. Doch das Militär ist skeptisch.

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    Das Marineschiff „Berlin“ beim Auslaufen aus Wilhelmshaven: Die Betreiber von Windparks und die Marine streiten darüber, wer welche Flächen in der Nordsee nutzen darf.

    Marineschiff „Berlin“: Russlands Krieg in der Ukraine verschärft einen Verteilungskonflikt in der Nordsee.

     

    Von Heimo Fischer

    Deutschland ist ein Land mit vergleichsweise kurzen Küstenlinien und darf deshalb nur eine kleine Fläche in der Nord- und Ostsee wirtschaftlich nutzen. Damit das geordnet abläuft, steckt ein Raumordnungsplan die Areale ab. Er legt die Flächen fest für Kiesbagger, Schweinswale, Fischerboote oder Schifffahrtslinien. Und er schreibt vor, wo sich Windräder drehen und wo Kriegsschiffe kreuzen dürfen.

    Der aktuelle Raumordnungsplan stammt von 2021, ist also noch gar nicht alt. Er kam nach langen Gesprächen zwischen den beteiligten Akteuren zustande. Doch schon jetzt kündigt sich ein neuer Konflikt darüber an, wer welche Flächen in Nord- und Ostsee nutzen darf. Das liegt am politischen Koordinatensystem, das sich in den vergangenen Monaten grundlegend verschoben hat.

    Zum einen hat die Ampelkoalition die Ausbauziele für Offshore-Wind drastisch erhöht. Das geänderte Windenergie-auf-See-Gesetz sieht vor, die Leistung von heute knapp acht Gigawatt bis 2030 auf 30 Gigawatt zu erhöhen. 2035 soll sie bei 40 Gigawatt liegen, 2045 sogar schon bei 70 Gigawatt. Das sind Tausende neuer Offshore-Windräder – für die der im aktuellen Raumordnungsplan ausgewiesene Platz bei Weitem nicht ausreicht.

    30 Gigawatt Offshore-Wind 2030, 40 im Jahr 2035 und 70 GW 2045: Das sind die Pläne der Ampelregierung im Koalitionsvertrag. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Von 7,8 auf 30 Gigawatt in acht Jahren: Die Ampel hat ehrgeizige Ziele für die Offshore-Windenergie.

    Für Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands der Windparkbetreiber Offshore (BWO), ist deshalb klar, dass die Areale neu geordnet werden müssen. „Die aktuelle Flächenaufteilung wird nicht ausreichen, um das Ziel von 70 Gigawatt zu erreichen.“ Ein Pluspunkt im drohenden Verteilungswettbewerb ist für ihn das neue Windenergie-auf See-Gesetz. Darin ist der Grundsatz verankert, dass der Bau von Offshore-Windparks im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient.

    Im Verteidigungsministerium pocht man hingegen auf den Status quo. „Die im Raumordnungsplan ausgewiesenen Flächen stellen derzeit das operative Minimum dar“, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage von EnergieWinde. Sich auf Übungsgebiete zu konzentrieren, die weiter draußen liegen, sei nicht praktikabel. Anfahrtswege, Stehzeiten und ungünstige ozeanografischer Bedingungen würden die Truppe dort zu sehr einschränken, heißt es.

    Auf Übungsflächen verzichten? Die Marine denkt eher an zusätzliche Gebiete

    Es müsse geübt werden, wo im Ernstfall auch gekämpft werde, sagt die Sprecherin Und es sei nicht auszuschließen, „dass eine mögliche, sich aus dem aktuellen Ukraine-Krieg ergebende Neuorientierung der deutschen Verteidigungspolitik auch zu einer Neubewertung des Bedarfs an militärischen Übungsgebieten auf See führen könnte“. Die Bundeswehr hätte also nichts dagegen einzuwenden, wenn die Flächen zu ihren Gunsten neu verteilt würden.

    Ein Installationsschiff transportiert Bauteile für den Offshore-Windpark Kaskasi in der Nordsee.

    Ein Installationsschiff transportiert Bauteile für den Offshore-Windpark Kaskasi vor Helgoland: Die Verteilung der Flächen auf See ist umstritten.

    Marine und Luftwaffe nutzen die ihnen zugeteilten Gebiete vor den Küsten auf unterschiedliche Weise. Manchmal üben U-Boote dort nur, wie sie sich in Notverfahren sicher auf den Grund legen. In anderen Bereichen wird wiederum scharf geschossen – zum Beispiel mit Lenkflugkörpern oder Torpedos. Dass Windparks in solchen Zonen fehl am Platz sind, bestreitet BWO-Geschäftsführer Thimm nicht. Er warnt allerdings vor einer einseitigen Sichtweise. Denn nicht nur das Militär, auch die Energieversorgung sei ein wichtiger Pfeiler für die Sicherheit des Landes.

    Zwar ist seit vielen Jahren klar, dass die Nutzung fossiler Energien zu Ende gehen muss. „Aber durch den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine erhält diese Dringlichkeit eine neue Dimension“, sagt Thimm. Der Krieg zeige, in welchem Maße Deutschland von Energieeinfuhren abhänge. Der Ausbau der Offshore-Windenergie sei daher eine wichtige Säule für eine sichere Energieversorgung – nicht nur im Kampf gegen den Klimawandel.

    Ein Ausweg wäre die gemeinsame Flächennutzung. Sagt zumindest die Industrie

    Thimm plädiert dafür, dass Bundeswehr und Windparkbetreiber so viele Flächen wie möglich gemeinsam nutzen. Überall dort, wo nicht geschossen wird, sollte das möglich sein. Die Bundeswehr steht dieser Idee skeptisch gegenüber. Die Elektronik der Windparks könnte die Sensorik von Radar und Feuerleitanlagen beeinflussen, so lautet einer der Einwände. Das könnte vor allem dann der Fall sein, wenn U-Boote mit Flugzeugen und anderen Marineschiffen gleichzeitig üben und komplexe Waffensysteme nutzen.

    Der BWO-Chef hält diese Begründung für nicht schlüssig. Schließlich müsse die Bundeswehr auch im Ernstfall Offshore-Windparks ohne Probleme durchfahren können. „Die Landes- und Bündnisverteidigung muss auf hoher See mit der Infrastruktur zur Energieerzeugung zurechtkommen.“

    Andersherum wünscht sich die Bundeswehr, Informationstechnik an Windkraftanlagen anbringen zu können, um die so erhobenen Daten nutzen zu können. Die Betreiber sorgen sich allerdings, die Kontrolle über ihre Anlagen zu verlieren.

    Trotz der Probleme und gegenseitiger Skepsis hält Thimm eine Lösung für möglich und plädiert für weitere Gespräche. Nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine sei die Bundeswehr zwar etwas weniger verhandlungsbereit. „Ich bin mir dennoch sicher, dass wir zu einem für beide Seiten brauchbaren Ergebnis kommen können.“

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