Beauftragter gegen Antisemitismus

  • Search23.12.2024

„Erneuerbare sind Friedensenergien“

Wo Öl und Gas im Überfluss vorkommen, haben es Demokratie und Toleranz oft schwer: Michael Blume über den Fluch fossiler Ressourcen – und wie er mithilfe der Energiewende gebannt werden kann.

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    Michael Blume bei einer Solidaritätskundgebung für die Opfer des Überfalls der Hamas am 7. Oktober 2023.

     

    Religionswissenschaftler, Hirnforscher, CDU-Mitglied, Blogger und selbsterklärter Solarpunk: Michael Blume engagiert sich auf vielen Feldern. Das Foto zeigt ihn in seiner Rolle als Beauftragter gegen Antisemitismus bei einer Solidaritätskundgebung für die Opfer des Überfalls der Hamas.

    Herr Blume, Sie sind Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben in Baden-Württemberg. Viele Menschen dürften denken, dass Sie Synagogen besuchen oder vor Schulklassen sprechen. Aber Sie setzen sich in Ihrem Amt auch für die Energiewende ein. Warum gehört das für Sie dazu?
    Michael Blume: In den Jahren 2015 und 2016 leitete ich das humanitäre Sonderkontingent des Landes Baden-Württemberg für 1100 jesidische Frauen und Kinder im Irak. Ich begegnete dort einem Antisemitismus ohne Juden. Denn die jüdischen Gemeinden im Irak, die 2600 Jahre alt waren, waren praktisch alle vernichtet worden. Und ich sah im Irak mit eigenen Augen, wie sich Antisemitismus finanziert – nämlich durch Einnahmen aus fossilen Energien, also durch Geschäfte mit Öl und Gas. Mein Team und ich konnten die militärischen Bewegungen und Kämpfe darauf zurückführen, wo es Öl und Wasser gibt. Es wächst dort fast nichts mehr. Wir haben dort im Sommer Temperaturen von teilweise über 50 Grad. Mesopotamien, wie das Land ja mal hieß – also das Land zwischen den Flüssen –, liegt im Sterben, die Staatlichkeit zerfällt. Alle dort kämpften ums Öl.

    Haben Sie dafür ein Beispiel?
    Blume: Sehr viele Jesiden berichteten uns, dass die kurdischen Peschmerga sie im Stich gelassen und sich stattdessen lieber Kirkuk mit den Ölfeldern gesichert hätten. Die ganzen Regime in der Region – wie zum Beispiel der sogenannte Islamische Staat – finanzierten sich nicht durch Steuern, sondern aus fossilen Einnahmen. Diese Eindrücke haben mich seither nicht losgelassen. Wegen all dem war es mir dann auch wichtig, am 9. November 2023, dem 100. Jahrestag des ersten Hitler-Putsches und dem 85. Jahrestag der Reichspogromnacht, im Landtag in der sicher wichtigsten Rede meines bisherigen Lebens den Begriff „erneuerbare Friedensenergien“ zu etablieren. Ich kämpfe dafür, dass die Menschen die Zusammenhänge begreifen.

    Michael Blume, Jahrgang 1976, ist seit 2018 Landesbeauftragter gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben in Baden-Württemberg. Nach einer Bankausbildung studierte er Religions- und Politikwissenschaften in Tübingen, wo er auch zu Religion und Hirnforschung promovierte. Blume leitete von März 2015 bis Juli 2016 die Projektgruppe „Sonderkontingent für besonderes schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak“. Michael Blume, der selbst evangelischer Christ ist, bloggt regelmäßig auf „Scilogs“, einem Wissenschaftsblog von Spektrum.de und ist Autor mehrerer Bücher.  Foto: Picture-Alliance/dpa

    Um welche Zusammenhänge geht es Ihnen?
    Blume: Um solche, die eigentlich nicht neu sind: Seit den Achtzigern ist in der Politikwissenschaft die sogenannte Rentierstaatstheorie bekannt.

    Hat aber sich nichts mit dem Tier zu tun, das in der Weihnachtszeit omnipräsent ist?
    Blume: Nein, ein Rentier ist eine Person, die auf sehr hohe Einkünfte zurückgreifen kann. In der Volkswirtschaft nennt man die Rentierstaatstheorie auch die Ressourcenfluchtheorie, das macht das Phänomen, um das es geht, schon deutlicher. Beide Theorien besagen: Wenn eine Gruppe in der Lage ist, sich sehr hohe Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen zu sichern, dann wird sie diese Mittel dazu verwenden, um andere Gruppen zu unterdrücken. So entsteht ein autoritärer Staat.

    Und das kann auch bei Öl- oder Gasvorkommen der Fall sein?
    Blume: Genau. Ein Regime kommt an die Macht, dominiert die Ölquellen und nutzt dann Verschwörungsmythen, um an der Macht zu bleiben – etwa, indem es die Opposition als Teil einer angeblichen zionistischen Verschwörung diffamiert. Genau das sehen wir in vielen arabischen Ländern. Der Ressourcenfluch ist auch gut am Beispiel der Niederlande erforscht worden.

    Der Niederlande?
    Blume: Ja, dort wurden Gasfelder entdeckt, lange bevor es eine gemeinsame europäische Währung gab. Die hohen Einnahmen aus dem Gasverkauf führten dazu, dass der Gulden aufgewertet wurde. Das hat niederländische Produkte in den Nachbarländern verteuert. Es gab damals sogar die bizarre Situation, dass die Niederlande Käse importieren mussten, weil sich die Käseherstellung dort nicht mehr lohnte. Man nannte das die Holländische Krankheit. Die Niederlande konnten die Probleme aber mithilfe ihrer demokratischen Tradition lösen. Die Norweger zogen ihre Lehren daraus und sichern ihre Einnahmen aus dem Ölverkauf in einem Staatsfonds.

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    Wo große Mengen an Öl, Gas oder auch Gold auftauchen, kann das für eine kleine Elite sehr einträglich sein. Für den Großteil der Menschen ist es aber eine Katastrophe

    Michael Blume

    Aber Diktaturen lernen nicht aus der Geschichte?
    Blume: Sie wollen die Situation oft gar nicht verändern. Wo große Mengen an Öl, Gas oder auch Gold auftauchen, kann das für eine kleine Elite sehr einträglich sein. Für den Großteil der Menschen in solchen Ländern ist es aber eine Katastrophe. In Öl- und Gasstaaten haben wir häufig autoritäre, teils auch antisemitische Regime. Und das Verrückte ist: Wir selbst finanzieren die Raketen, die auf die Ukraine niedergehen. Wir finanzieren die Terrorgruppen, die vom Iran abhängig sind – die Hisbollah, die Huthi im Jemen, die Hamas. Das Beste, was wir als Europäer sofort für Frieden in der Ukraine und in Israel tun können, ist die konsequente Nutzung erneuerbarer Energien. Sie sind darüber hinaus eben auch Friedensenergien. Wenn wir an fossilen Rohstoffen festhalten, beschädigen wir die Mitwelt, aber wir fördern auch Gewalt und Antisemitismus. Leider habe ich auch erlebt, dass die allermeisten Menschen nicht gerne an ihre eigene Verantwortung erinnert werden – und dass es ein Widerspruch in sich ist, wenn sie mit einem dicken Verbrenner-SUV zur Friedensdemonstration fahren.

    Traf der Ressourcenfluch auch Kohlestaaten?
    Blume: Der Ressourcenfluch gilt vor allem bei Öl und Gas. Um Kohle zu fördern, brauchte es Facharbeiter. Es entstand eine Arbeiterbewegung. Um an Öl und Gas heranzukommen, braucht es nur noch sehr wenige Leute – und die kommen oft überwiegend aus dem Ausland, wie man beispielsweise in Katar sieht. Der Vorteil für die Elite ist: Diese Menschen begehren nicht auf. Sie sind wirtschaftlich abhängig, und wenn sie Ärger machen würden, könnte man sie einfach wieder nach Hause schicken.

    Warum ging Europa einen anderen Weg?
    Blume: Man sollte sich nicht vertun: Die Macht der Öl- und Gaslobby war und ist auch in den westlichen Staaten enorm. Aber Rentierstaaten entstanden bei uns auch deshalb nicht, weil der Schlachtruf der amerikanischen Revolutionäre gegen den König von England, der zur Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten führte, lautete: „No taxation without representation!“

    Das müssen Sie bitte erklären.
    Blume: Dieser Satz meinte: Wenn du von uns Steuern willst, König, dann wollen wir ein Parlament. Diese Forderung schwappte nach Europa zurück. Bis heute bezeichnen wir in jeder Demokratie das Haushaltsrecht als das Königsrecht des Parlaments. Ein Parlament ist nur dann ein echtes Parlament, wenn es über Einnahmen und Ausgaben entscheiden kann. Somit stehen demokratische, parlamentarische Demokratien einer Elite im Weg, die alle Einnahmen aus Rohstoffen für sich verbuchen möchte. Es ist auf eine Art auch ein Segen, in Regionen aufgewachsen zu sein, die arm an Rohstoffen sind. Das entbindet uns aber nicht von unserer Verantwortung.

    Feuer über einem Gasfeld im Irak 2019: „Zentralistische fossile Energiegewinnung stärkt autoritäre Strukturen“, sagt Michael Blume.

    Feuer über einem Gasfeld im Irak 2019: „Zentralistische fossile Energiegewinnung stärkt autoritäre Strukturen“, sagt Michael Blume.

    Verfolgt Russland in der Ukraine auch Rohstoffinteressen?
    Blume: Absolut. Es geht um die Krim und den Zugang zum Schwarzen Meer, aber auch um Gebiete, unter denen Rohstoffe lagern. Warum drang Nazi-Deutschland bis nach Stalingrad und in den Kaukasus vor? Das war auch damals eine Schlacht ums Öl. Hier im heutigen Baden-Württemberg gab es das sogenannte Unternehmen Wüste: In mehreren Konzentrationslagern kamen Tausende Menschen um, die aus Schieferöl Mineralöl herstellen mussten. Später hat man diese Abhängigkeit vom Öl für eine lange Zeit hinter einer ökonomischen Theorie verschleiert, die besagte: Wenn alle miteinander handeln, haben alle etwas davon. Wir sollten uns endlich ehrlich machen und sagen, dass erneuerbare und dezentrale Energieerzeugung demokratische Strukturen stärkt. Zentralistische fossile Energiegewinnung stärkt dagegen autoritäre Strukturen.

    Ihr Buch heißt „Öl- und Glaubenskriege. Wie das schwarze Gold Politik, Wirtschaft und Religionen vergiftet“. Wie kann es sein, dass durch den Ölreichtum sogar die Religion unter die Räder kommen kann?
    Blume: Jede Religion kann in und von autoritären Strukturen verformt werden. Der Klassiker ist natürlich Saudi-Arabien, Herzland des Islam und der einzige Staat der Welt, der noch nach einer Familie benannt ist. Das Königshaus hat mit Ölmilliarden auch dafür gesorgt, dass sich der Wahhabismus, eine fundamentale Lesart des Islam, weltweit ausbreitet, auch in muslimischen Communities im Westen. In Russland sehen wir, wie die russisch-orthodoxe Kirche unter den Einfluss des Staates gekommen ist. Unter Stalin wurde sie brutal verfolgt. Unter Putin wird sie praktisch kooptiert, um den Krieg gegen die Ukraine zu legitimieren, obwohl dort ebenfalls orthodoxe Christen leben. Also: Ölstaaten führen zu autoritärer Politik und autoritärer Religion. An der Entstehung des Protestantismus sehen Sie das Gegenteil.

    Inwiefern?
    Blume: Wo die Einkommen an der Basis erwirtschaftet wurden, in kleinen Handwerksbetrieben oder von Kaufleuten etwa, hatte die Reformation die besseren Chancen. Damals sagten sich die Gläubigen: Ich sehe nicht ein, in Rom eine teure Hierarchie zu finanzieren – dann wähle ich meinen Pfarrer lieber selbst.

    Also hat dann Religion in Rentierstaaten eine Funktion: die Macht der Herrschenden abzusichern?
    Blume: Ja, Religion kann immer beides sein. Sie kann uns sagen: Jeder Mensch ist im Bilde Gottes geschaffen und hat eine menschliche Würde. Das kann eine demokratische, reformierte Form von Religion begründen, die der Lehre folgt: Es gibt kein göttlich legitimiertes Anrecht des Adels oder einer Tyrannei, über andere zu herrschen. Auf der anderen Seite lässt sich aber mit Religion auch ein autoritäres Denken begründen: Ich bin der Zar oder der Kaiser von Gottes Gnaden. Selbst der Herrscher von Aserbaidschan sagte neulich bei der Klimakonferenz, das Öl sei ein Geschenk Gottes. Gott hat gewollt, dass ich reich und der Herrscher bin. In einer Religion kommt es darauf an, was man aus ihr macht.

    Es gibt also nicht „den gefährlichen Islam“, wie rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien behaupten, sondern eine Religion ist in ihrer Ausprägung immer ein Produkt ihrer Zeit und – im Falle des Islam – der Strukturen in den Ölstaaten?
    Blume: Genau. Und diese Erkenntnis birgt auch Chancen, zum Beispiel aktuell in Syrien. Dort gibt es keine riesigen Rohstoffquellen. Deshalb besteht die Chance, dass wir mit gemäßigten Kräften der ganzen Religion – dazu gehören die Sunniten, die Alawiten, die Christen – gemeinsam an einer Demokratie arbeiten können. Im Irak, wo ich im Einsatz war, müssen Sie dagegen realistisch gucken: Wie finanzieren sich die regional herrschenden Gruppen? Ich habe selbst erlebt, dass mir deren Anführer sagten: Nein, euer deutsches Ausbildungssystem interessiert mich nicht, weil ich will gar nicht, dass die Leute hier gut ausgebildet sind. Die sollen schön abhängig bleiben.

    Was folgern Sie daraus?
    Blume: Man sollte die Bereiche Energiepolitik und Religion vernetzt denken. Das drücken die erneuerbaren Energien für mich aus: Hey, ich kann auch in Europa etwas für den Frieden tun, indem ich darauf achte, welche Art von Energie ich fördere und zulasse. Ich habe mich sogar bei Kampagnen gegen Windkraft hingestellt und gesagt: Wer die Windenergie nur bekämpft, nimmt in Kauf, dass Antisemiten weiterhin finanziert werden. Das hören nicht alle Leute gerne. Aber es ist nicht mein Job, immer beliebt zu sein, sondern ich habe halt die Aufgabe, solche Dinge auszusprechen.

    Derzeit erscheint unklar, in welche Richtung das Pendel schlägt: Setzen sich die Erneuerbaren mit ihren Kostenvorteilen durch, oder wird der Umbau verzögert, weil die fossilen Beharrungskräfte gewinnen? Angenommen, das Pendel schlägt voll aus in Richtung globale Energiewende: Was passiert mit all den Menschen, die heute in Rentierstaaten und unter dem Ressourcenfluch leben?
    Blume: Ich stimme zu, dass wir momentan ein Gegeneinander haben zwischen zunehmend erneuerbaren Demokratien, die angegriffen werden von fossilen Timokratien.

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    Jede Sonnen- und Windenergieanlage ist ein Signal an die Timokraten dieser Welt: Eure Zeit geht zu Ende

    Michael Blume

    Timokratien?
    Blume: Eine Timokratie ist die Herrschaft der Reichen über den Staat. Heutige Timokratien sind Regierungssysteme, in denen Menschen manipuliert werden mit Verschwörungsmythen, die letztlich immer einen antisemitischen Kern haben. Und aus diesen Staaten verbreitet sich über die sozialen Medien der Mythos, dass die Demokratie nicht mehr funktioniere. Genau diese Gefahr sehe ich auch in den USA unter Donald Trump. Er hat im Wahlkampf der Ölindustrie das Versprechen gemacht, ihnen den Weg freizuräumen, wenn sie ihn unterstützt. Nun soll Chris Wright, ein Konzernchef aus der Öl-Branche und Klimaskeptiker, Energieminister werden. Wenn wir in Europa jetzt die erneuerbaren Energien schnell ausbauen, signalisieren wir den Staaten in der arabischen Welt: Verwendet das Geld besser nicht mehr für irgendwelche Kriege, sondern sorgt vor für die post-fossile Wirtschaft. Saudi-Arabien versucht es schon und investiert in Bildung, in Infrastruktur und stärkt die Rechte von Frauen. Jede Sonnen- und Windenergieanlage ist ein Signal an die Timokraten dieser Welt: Eure Zeit geht zu Ende. Wenn ihr nicht enden wollt wie die Assads, dann reformiert jetzt!

    In vielen Narrativen wird betont, die Erneuerbaren seien teuer, unzuverlässig oder verschlängen zu viele Rohstoffe. Würden Sie so weit gehen zu sagen, dass solche Desinformationskampagnen auch von Timokraten gestreut werden?
    Blume: Das kann ich aus eigener Erfahrung ja bestätigen. Als ich am 9. November vor dem Landtag in Stuttgart sprach, erhoben sich die demokratischen Fraktionen zu stehenden Ovationen. Das passiert selten bei uns im baden-württembergischen Landtag. Die AfD hat den Saal verlassen, und wir kennen alle die Forderung dieser Partei: Sie will zurück zu Putin-Gas. Im Bundestag forderte sie zuletzt auch meine Entlassung. Die fossilen Interessen wollen nichts hören von den erneuerbaren Energien – und sie wollen schon gar nicht, dass das bekannt wird, was Öl und Gas neben den Klimaschäden noch anrichten. Auch für das Interview hier werde ich wahrscheinlich wieder einige Hassmails bekommen.

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    Es ist relativ egal, wer regiert. Die fossilen Lobbyisten sind auf Ebene der Nationalstaaten viel zu stark, bekämpfen und zertrümmern praktisch jeden Ansatz

    Michael Blume

    Sie schreiben in Ihrem Buch, dass jede und jeder etwas tun kann für den Wandel hin zur Energiewende. Aber geht es nicht eher darum, die Strukturen zu verändern? Damit sind wir auch als Einzelne schnell überfordert ...
    Blume: Ich erlebe das so, dass Nationalstaaten unter dem Einfluss von fossilen Lobbyisten ganz wenig hinbekommen. Es ist also auch relativ egal, wer regiert. Die fossilen Lobbyisten sind auf Ebene der Nationalstaaten viel zu stark, bekämpfen und zertrümmern praktisch jeden Ansatz. Das heißt, es gibt zwei Möglichkeiten, wie wir etwas bewegen können. Das eine ist die europäische Ebene. Ich habe die große Hoffnung, dass Frau von der Leyen ihren Kurs halten kann. Und die andere Ebene ist die private, aber auch die kommunale Ebene.

    Warum?
    Blume: Weil wir hier die Erfahrung der Selbstwirksamkeit machen können. Ich bezeichne und verstehe mich als Solarpunk.

    Was ist das, ein Solarpunk?
    Blume: Das ist jemand, der sich vorstellt, wie eine post-fossile Welt aussehen wird und wie energiedemokratisch, friedlich und freiheitlich unsere Zukunft sein kann. Und dann ändere ich auch mein eigenes Verhalten. Ich bin 2017 nach der Rückkehr vom Irak auf ein Elektroauto umgestiegen und bin glücklich damit. Aber auf der anderen Seite gibt es eben immer noch keine ordentlichen deutschen Elektromodelle. Unsere eigene Autoindustrie hat die Profite abgezockt, an die Aktionäre und die Vorstände ausgeschüttet. Und jetzt zahlen die Arbeiterinnen und Arbeiter den Preis dafür, dass man eben nicht ordentliche Autos und Elektrobatterien entwickelt hat. Wir hätten eine Technologieführerschaft haben können und haben die stattdessen China überlassen. Die fossilen Lobbyisten haben für kurzfristige Profite die Zukunft Europas und ganz konkret auch von Deutschland geschwächt. Das macht mich wütend. Ich esse übrigens auch kein Fleisch aus industrieller Massentierhaltung und habe mit meiner Familie eine Wärmepumpe und eine Solaranlage installiert. Das sind Dinge, die kann ich tun, ohne darauf zu warten, dass sich der letzte Lobbyist im Deutschen Bundestag damit einverstanden erklärt.

    Sie sind CDU-Mitglied. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Energiewende in allen Parteien eine Mehrheit hat?
    Blume: Es gibt in allen demokratischen Parteien ökologisch kluge Menschen. Ich selbst bin Mitglied der Klimaunion. Wir haben hier in Baden-Württemberg Andreas Jung, der sehr progressiv ist. Wir haben Daniel Günther in Schleswig-Holstein. Ich sehe überall Leute, die die Zusammenhänge begriffen haben. Aber zumindest auf nationaler Ebene ist es nicht die Mehrheit. Hätte ich ein Amt, in dem ich mich alle paar Jahre öffentlichen Wahlen stellen müsste, hätten möglicherweise Vertreter der fossilen Wirtschaft ihren Einfluss geltend gemacht, um mir Hürden in den Weg zu stellen. Aber ich habe eben auch einen wissenschaftlichen Auftrag und soll qua Amt erklären: Was können wir gegen Antisemitismus tun? Wichtig sind natürlich Bildung, Prävention, Strafverfolgung. Manchmal können auch Abschiebungen ein Weg sein. Letztlich ergibt es aber natürlich keinen Sinn, gegen Antisemitismus zu sein und gleichzeitig Antisemitismus zu finanzieren. Doch ich bin Realist geworden. Einfach nur gute Argumente vorzubringen, reicht in einer Demokratie nicht aus, sondern man muss hartnäckig sein und mit Widerstand klarkommen.

    Die Fragen stellte Nils Husmann.

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