Weisen Alternativmedien manchmal auch auf Themen hin, die etablierte Medienschaffende übersehen?
Paulitsch: Alternativmedien sind zunächst ein Ausdruck von Medienpluralität. Das kann auch im Sinne der Demokratie sein und helfen, wenn zu gewissen Themen nur Regierungsvertreter eingeladen werden. Zum Beispiel waren viele Menschen mit der Berichterstattung in der Flüchtlingskrise unzufrieden. Einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung zufolge haben unsere Leitmedien vor allem 2015 und 2016 tatsächlich zu stark die Positionen der Regierung wiedergegeben. Dies habe dazu geführt, dass sie als unkritisch wahrgenommen worden seien. Aber die Frage ist: Verfolgt ein alternatives Medium tatsächlich den Zweck, anderen Positionen mehr Gehör zu verschaffen oder eine andere Sichtweise einzunehmen? Oder aber geht es darum, unter dem Vorwand der Gegenöffentlichkeit politische Propaganda zu betreiben?
Was meinen Sie?
Paulitsch: Ich glaube, dass wir es mittlerweile sehr oft mit parteinahen Medienprojekten zu tun haben, die in Wahrheit nichts anderes bewirken wollen, als einen Rechtsruck herbeizuführen.
Woran machen Sie das fest?
Paulitsch: An Begriffen, die in die breite Öffentlichkeit gelangen. Wenn wir uns das rechtsextreme Spektrum anschauen, sind das zum Beispiel Worte wie „Genderwahn“ oder „Remigration“. Sie tauchten früher hauptsächlich in Alternativmedien auf, mittlerweile aber spricht die AfD darüber ganz offen auf Parteitagen. Wir sehen das auch beim Klimawandel. Eine Studie von Curd Knüpfer und Matthias Hoffmann hat gezeigt, dass bestimmte Begriffe, die sich gegen die Klimabewegung richteten, zunächst auf rechtspopulistischen Seiten auftauchten. Ab 2021 fanden sie dann in den Social-Media-Postings der AfD Verwendung. Man darf zudem nicht unterschätzen, dass die AfD eine Partei ist, die inzwischen bevorzugt Alternativmedien-Content teilt und damit diesen Medien eine zusätzliche Reichweite verschafft. Wir haben es mittlerweile mit einer transnationalen rechtsautoritären Bewegung zu tun, die verstärkt auf diese Medienkanäle zurückgreift. Etablierte Medien sollten sich daher genauer anschauen, was auf diesen Kanälen verbreitet wird. Wir haben gerade erst bei Donald Trump wieder gesehen, wie einzelne Medienakteure wie Joe Rogan wahlentscheidend werden können.
Wie viele Menschen in Deutschland nutzen die Formate, die einen gefährlichen Rechtsruck verfolgen?
Paulitsch: Die Studien und Erhebungen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Im letzten Digital News Report für Deutschland liegt die Nutzung alternativer Medienangebote etwa bei 18 Prozent der Bevölkerung. Wenn man sich die konkreten einzelnen Alternativmedien anschaut, die eine durchaus problematische Agenda verfolgen, liegt die Nutzung noch im einstelligen Prozentbereich. Auch wenn diese alternativen Medien inzwischen im digitalen Raum sehr aktiv sind, dürfte ihre Reichweite deutlich unter denen der traditionellen Leitmedien liegen. Andererseits: Gerade soziale Plattformen befördern ihre Sichtbarkeit inzwischen stark.
Und das heißt?
Paulitsch: Personen, die sich vorwiegend über soziale Plattformen informieren – und das werden immer mehr –, kommen sehr schnell und sehr leicht in Berührung mit alternativen Nachrichtenseiten. Deshalb gelingt alternativen Medien immer öfter, dass sie auch ihre Themen und Begrifflichkeiten in den Mainstream einbringen. Trotz geringer Reichweite kann es einem Alternativmedium gelingen, auf indirektem Weg die öffentliche Debatte zu beeinflussen.
Die Fragen stellte Nils Husmann.