Naturbasierter Klimaschutz

  • Search02.09.2024

Natürliche Verbündete

Die Natur entzieht der Atmosphäre in großem Stil CO2 – wenn man sie lässt. Moore, Seegraswiesen und begrünte Städte zählen zu den effizientesten Mitteln gegen die Erderwärmung überhaupt: sechs naturbasierte Klimaschutzlösungen im Überblick.

InhaltsverzeichnisToggle-Icons

    Von Julia Graven

    Wir müssen der Atmosphäre Unmengen an Kohlendioxid entziehen, am besten mit Hightech, sagen die einen. Wir müssten einfach nur genügend Bäume pflanzen, sagen die anderen. Ganz so einfach ist es leider nicht. Aber es gibt wirkungsvolle naturbasierte Lösungen für mehr Klimaschutz. Sie sind erprobt, schnell einsetzbar und vergleichsweise günstig – und fördern darüber hinaus meist auch die Biodiversität. Deswegen gehören für den Weltklimarat Nature-based Solutions (NBS) zu den Top Fünf der effektivsten Strategien für weniger Kohlenstoffemissionen.

    Moore: Nasse Wunder

    Wo heute im norddeutschen Flachland Kühe weiden und an den Alpen Kartoffeln wachsen, war früher alles nass. Große Flächen im Norden und Süden waren Moore. Deren Trockenlegung galt einst als bedeutende Leistung gegen Hunger und Armut. Heute wissen wir, dass entwässerte Moore hohe Mengen von CO2 emittieren. Die meisten Forscher halten eine Wiedervernässung von Flächen daher für unumgänglich, wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will. Wird der Grundwasserstand auf Moorflächen wieder angehoben, wird Pflanzenmaterial als Torf eingelagert. Der Kohlenstoff in den Pflanzen ist im Moor quasi luftdicht verpackt, weil Mikroorganismen ohne Sauerstoff die Pflanzen nicht zersetzen können. Das Problem: Landwirte brauchen auf Moorflächen andere Einnahmequellen als Kartoffeln oder Kuhmilch und Rindfleisch.

    Moorlandschaft in der Lüneburger Heide: Wiedervernässte Moore speichern große Mengen CO2, während sie trockengelegt CO2 freisetzen. Sie können effiziente Klimaschützer sein.

    Moorlandschaft in Niedersachsen: Effizienter CO2-Speicher

    Wälder: Grüne Lungen

    Ein Drittel der Fläche Deutschlands ist mit Wald bedeckt. Die Bäume und der darunterliegende Waldboden gehören zu den größten Kohlenstoffspeichern. Doch nur jeder fünfte Baum ist laut Waldzustandserhebung gesund. Wenn zu viele Bäume sterben und mikrobiell zersetzt oder als Brennholz verfeuert werden, können die Wälder von der Kohlenstoffsenke zur -quelle werden. Wiederaufforstung und nachhaltiger Waldumbau sind also positiv für Klima und Biodiversität. Das Problem: Neu aufgeforstete Wälder auf Flächen, wo bislang kein Wald stand, halten Forscher im dicht besiedelten Deutschland für eine wenig realistische Klimasenke. Also steht der Schutz bestehender Wälder im Vordergrund.

    Urwald Sababurg: Naturbelassene Wälder speichern große Mengen CO2. Durch gezielte Aufforstung könnte zusätzliches Klimagas der Atmosphäre entzogen werden.

    Der Schutz bestehender Wälder wie des Urwalds Sababurg in Hessen hat für Klimaforscher Priorität.

    Böden: Verborgene Multitalente

    Pflanzen lagern Kohlenstoff aus dem CO2 in der Luft über ihre Wurzeln in den Boden ein. Dort verarbeiten Mikroorganismen den Kohlenstoff und machen den Boden so allmählich fruchtbarer und humusreicher. Carbon Farming setzt darauf, den Boden als größte natürliche Kohlenstofflagerstätte an Land noch besser zu nutzen. Eine einfache Maßnahme dafür ist der regelmäßige Zwischenfruchtanbau: Landwirte lassen ihre Äcker nicht längere Zeit brachliegen, sondern bauen Zwischenfrüchte wie Winterraps oder Ölrettich an. Der ständige Pflanzenbewuchs steigert ohne großen Aufwand die Photosynthese auf den Flächen. Allerdings nur, solange der Landwirt dabei bleibt. Sonst wird der Kohlenstoff wieder freigesetzt.

    Ein blau schimmernder Mistkäfer legt Nahrungsvorräte für die Larven an. Dazu werden unterirdische Gänge und eine Brutkammer für die Ernährung aus Dung, Pilzen und Humus gegraben

    Mistkäfer schätzen Humus als Nahrungsquelle für die Larven, Klimaschützer sehen ihn als CO2-Depot: Fünf Milliarden Tonnen Kohlenstoff sind in den oberen 90 Zentimetern Wald-, Grünland- und Ackerböden in Deutschland eingelagert.

    Küstenfeuchtgebiete: Unerforschtes Potenzial

    Nord- und Ostseeküste stehen für Sommer, Sandburg und Strandkorb. Dabei sind Ökosysteme wie Salzmarschen, Seegraswiesen und Tangwälder wohl auch als Kohlenstoffspeicher wertvoll und effektiv. Erste Bestandsaufnahmen an den deutschen Küsten lassen Forscher hoffen. Die Wiesen und Wälder des Meeres nehmen Kohlendioxid aus der Luft und dem Meerwasser auf, binden den enthaltenen Kohlenstoff und lagern ihn unter Sauerstoffabschluss im Untergrund ab. Solange die Vegetation gedeiht, bleiben die Lagerstätten erhalten, im besten Fall Tausende von Jahren. Weil ein großflächiger Ausbau dieser Ökosysteme an Nord- und Ostseeküste unrealistisch ist, steht der strenge Schutz bestehender Salzmarschen oder Seegraswiesen im Vordergrund, zum Beispiel durch ein Verbot schädlicher Fischereimethoden.

    Küstenlandschaft auf Sylt: Nord- und Ostsee sind in ihrer Bedeutung als CO2-Speicher kaum zu unterschätzen.

    Küstenlandschaft an der Nordsee: Je besser es der Flora unter Wasser geht, desto mehr Klimagas kann sie aufnehmen.

    Siedlungen: Grüne Großstadtdschungel

    Alleen, Tiny Forests und Stadtwälder, begrünte Fassaden, Gründächer und Parks auf Industriebrachen sind absolute Multitalente. Sie sorgen für bessere Luft, spenden Schatten, speichern Wasser und verbessern das Mikroklima. Zusätzlich binden sie jede Menge des Klimagases CO2. Grüne Infrastruktur ist eine Lösung mit großem Klimaschutzpotenzial, die gleichzeitig bei der Anpassung von menschlichen Siedlungen an den Klimawandel hilft. Wegen des offensichtlichen Nutzens für die Bewohner von Großstadtwüsten lässt sich für neue Grünanlagen auf entsiegelten Flächen auch leichter Geld auftreiben als für neu angelegte Algenwälder am Meeresboden.

    Die Begrünung von Hausfassaden trägt zu Verbesserung des Klimas und der Luft bei, schützt den Wohnraum vor Hitze und Kälte und ist gleichzeitig auch ein Lebensraum für Tiere.

    Begrünte Hausfassade in Berlin: Die Pflanzen kühlen nicht nur das Mikroklima und nehmen CO2 auf, sie bieten auch einen Lebensraum für Tiere.

    Landwirtschaft: Entschärfte Rinderpupse

    Unsere Ernährung ist einer der großen Negativposten in der Klimabilanz. Ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen geht auf ihr Konto. Das Problem beginnt, wenn Wälder gerodet, Moore trockengelegt und Grünland in Acker umgewandelt werden. Es setzt sich fort mit dem Einsatz von Kunstdünger in der konventionellen Landwirtschaft. Und endet bei Rindern, die Methan pupsen und rülpsen. Forscher suchen seit Jahren nach Futter oder Zusätzen, die die Methanbildung hemmen – mit ersten Erfolgen. Noch deutlich klimawirksamer wäre es allerdings, wenn wir unsere Ernährung umstellten: weniger Fleisch, mehr einheimisches Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte aus Bioanbau – und weniger Lebensmittelverschwendung vom Feld bis zum heimischen Kühlschrank.

    Kühe stoßen beim Pupsen und Rülpsen viel extrem klimaschädliches Methan aus. Durch spezielles Futter lässt sich der Effekt reduzieren.

    Kühe in einem Stall in Ostfriesland: Durch spezielles Futter lässt sich der Methan-Anteil in ihren Ausscheidungen verringern.

    Go Top