CO2-Ausgleich in Unternehmen

  • Search07.03.2023

„Wir bräuchten zwei bis vier Planeten, um alles zu kompensieren“

Das Aufforsten von Wäldern macht Konzerne nicht klimaneutral, sagt Reena Skribbe vom New Climate Institute. Im Interview erklärt sie, wie Verbraucher in die Irre geführt werden – und was Unternehmen wirklich fürs Klima tun können.

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    Reena Skribbe vom New Climate Institute: Kompensation von CO2-Ausstoß ist kein Ersatz für die Reduktion. Klimaneutral wird man durch Kompensation nicht.

    Reena Skribbe ist Analystin beim deutschen Thinktank New Climate Institute. Die gemeinnützige Organisation hat 24 Weltkonzerne untersucht, die sich selbst als Klimaschutzvorreiter präsentieren. Bei einem Großteil davon klafft demnach eine große Lücke zwischen dem, was die Unternehmen nach eigener Darstellung bereits erreicht haben, und ihren tatsächlichen Treibhausgaseinsparungen. Die Verbraucher werden in die Irre geführt, sagt Skribbe.

    Frau Skribbe, greifen Sie im Supermarkt bevorzugt zu Produkten, die mit dem Label „klimaneutral“ werben?
    Reena Skribbe: Bis vor einem Jahr habe ich das getan. Aber seit ich mich intensiv mit dem Thema befasse, sehe ich solche Label kritisch, weil man sich nie sicher sein kann, wie ernsthaft die Hersteller der Produkte an ihrer Klimabilanz arbeiten und was sich tatsächlich hinter dem Label verbirgt.

    Kann man den Herstellern denn zumindest unterstellen, dass sie sich der Problematik stärker bewusst sind als Konkurrenten, die keine Angaben zur Klimabilanz machen?
    Skribbe: Nein, nicht mal das. Es ist für Konsumentinnen und Konsumenten schlicht nicht möglich, zu erkennen, ob es sich um Klimavorreiter handelt oder ob die Unternehmen sich nur dafür ausgeben. Das zumindest ist meine Erfahrung durch die Arbeit an unserem Corporate Climate Responsibility Monitor. Wir haben uns dafür 24 internationale Konzerne angesehen, die sich ehrgeizige Ziele gesetzt haben und als besonders fortschrittlich darstellen. Die meisten davon werden ihrem Anspruch allerdings nicht mal ansatzweise gerecht.

    Was genau meint der Begriff „klimaneutral“ eigentlich?
    Skribbe: Gute Frage, da fängt das Problem nämlich schon an! Manche Unternehmen sagen, sie seien „klimaneutral“, andere sprechen von „CO2-neutral“, von „klimapositiv“, „klimanegativ“, „treibhausgasneutral“ oder einer Vielzahl ähnlicher Begriffe. Wenn ein Unternehmen ein Produkt als „klimaneutral“ bewirbt, meint es damit in der Regel, dass damit keine negativen Auswirkungen auf das Klima verbunden sind, weil alle damit verbundenen Treibhausgasemissionen „neutralisiert“ werden. Wer zum Beispiel von „kohlenstoffneutral“ spricht, meint meist nur das CO2 und nicht die anderen Emissionen wie etwa Methan.

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    Die Hersteller betrachten meist nur einen kleinen Ausschnitt im Leben des Produkts, den sie dann neutralisieren, aber nicht die gesamte Wertschöpfungskette

    Reena Skribbe

    Wenn das gesamte CO2 neutralisiert wird, ist doch zumindest schon mal ein Anfang.
    Skribbe: Stimmt, theoretisch ist das so. In der Praxis gibt es aber eine Reihe von Problemen. Das betrifft zum Beispiel die Frage, was mit Neutralisieren überhaupt gemeint ist. Zudem betrachten die Hersteller meist nur einen kleinen Ausschnitt im Leben des Produkts, den sie dann neutralisieren, aber nicht die gesamte Wertschöpfungskette.

    Was meinen Sie damit?
    Skribbe: Man unterscheidet grundsätzlich zwischen drei Bereichen, in denen Treibhausgase anfallen, den sogenannten Scopes. Scope 1 umfasst die direkten Emissionen, für die ein Unternehmen verantwortlich ist, etwa durch den Betrieb von Maschinen. Unter Scope 2 werden die indirekten Emissionen zusammengefasst, die durch den Bezug von Energie in Form von Strom, Wärme, Kälte und so weiter entstehen. Und Scope 3 betrifft die indirekten Emissionen in der vorgelagerten Lieferkette und in der nachgelagerten Nutzung von Produkten beim Kunden. Scope 3 ist oft der größte Bereich – aber ausgerechnet ihn blenden die meisten Unternehmen aus, wenn sie von Klimaneutralität oder Ähnlichem sprechen.

    Treibhausgas-Bilanzierung nach dem Scope-System: Das Schaubild erklärt, wie Unternehmen ihren CO2-Ausstoß erfassen. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Das heißt, die Unternehmen machen es sich zu einfach?
    Skribbe: Ja. Vor allem sind sie nicht immer ehrlich in dem, was sie behaupten. Unter den 24 Weltkonzernen, die wir uns angeschaut haben, sind elf, die schon heute für sich oder ihre Produkte und Dienstleistungen eine Art von Neutralität in Anspruch nehmen. Aber wir haben ausgerechnet, dass sie im Durchschnitt nur drei Prozent ihres Fußabdrucks abdecken. Also nur einen Bruchteil!

    Ist das Greenwashing?
    Skribbe: Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden damit in die Irre geführt. Sie kaufen die Produkte dieser Unternehmen und gehen davon aus, dem Klima in keinerlei Form zu schaden, aber tatsächlich ist das bei Weitem nicht so!

    Wie kommt es zu dieser Diskrepanz? Warum behaupten die Unternehmen etwas, das sie nicht erfüllen?
    Skribbe: Sie stehen unter einem großen Druck durch die Öffentlichkeit und ihre Investoren. Wer sich heute nicht ums Klima kümmert, gefährdet sein Image. Da greift man dann offenbar schnell zu solchen großen Labels wie Klimaneutralität – zumal die Begriffe schwammig sind und man schwer darauf festgenagelt werden kann.

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    Google sagt, dass es seit 2007 CO2-neutral sei. Gleichzeitig hat Google für 2030 das Ziel ausgegeben, „netto null“ zu sein. Da fragt man sich natürlich, was denn der Unterschied ist

    Reena Skribbe

    Sie sagen, dass im Schnitt nur drei Prozent der Treibhausgasemissionen neutralisiert werden. Wie sind Sie auf diesen Wert gekommen?
    Skribbe: Wir haben ausschließlich mit Daten gearbeitet, die die Unternehmen selbst veröffentlichen – also mit Zahlen, die sich theoretisch jeder zuhause am Rechner anschauen könnte. Daraus geht transparent hervor, welche Emissionen die Unternehmen für ihre Berechnung zugrunde gelegt haben. So kommt man auf die drei Prozent. Wenn man sich in die Berichte hineinvertieft, stößt man übrigens schnell auf Schwammigkeiten. Google zum Beispiel sagt, dass es seit 2007 CO2-neutral sei. Gleichzeitig hat Google für 2030 das Ziel ausgegeben, „netto null“ zu sein. Da fragt man sich natürlich, was denn der Unterschied ist. Die meisten Verbraucher werden das nicht verstehen.

    Haben Unternehmen heute überhaupt schon die Möglichkeit, komplett ohne Emissionen auszukommen?
    Skribbe: Nein. Das erwarten wir auch. Es hängt sehr stark vom jeweiligen Geschäftsfeld ab, wie weit sie auf diesem Weg bereits kommen können. Und um das klar zu sagen: Wir begrüßen es, wenn sie sich auf den Weg machen und ehrgeizige Ziele anstreben – ohne die Privatwirtschaft werden wir es schließlich nicht schaffen, die Klimakrise einzugrenzen. Aber die Unternehmen sollten eben nicht mehr behaupten, als sie heute schon leisten.

    Goldener Geier für Shell: 2022 zeichnete die Deutsche Umwelthilfe den Mineralölkonzern mit dem Negativpreis für „die dreisteste Umweltlüge aus“. Den versprochenen CO2-Ausgleich halten die Umweltschützer für Greenwashing.

    Goldener Geier für Shell: 2022 zeichnete die Deutsche Umwelthilfe den Mineralölkonzern mit dem Negativpreis für „die dreisteste Umweltlüge aus“. Den beworbenen CO2-Ausgleich halten die Umweltschützer für Greenwashing.

    Bleiben wir mal bei den drei Prozent, die die Unternehmen geschafft haben: Welche Rolle spielen dabei Kompensationsprojekte, also zum Beispiel die Aufforstung von Wäldern, die CO2 speichern sollen?
    Skribbe: Leider eine viel zu große. Der erste Weg zur Null muss immer die Reduzierung von Emissionen sein. Die Unternehmen müssen sich so aufstellen, dass möglichst wenig Treibhausgas über die gesamte Wertschöpfungskette anfällt. Erst im letzten Schritt kann es darum gehen, wie sie Verantwortung für die verbleibenden Emissionen übernehmen. Es wäre falsch, vorrangig oder sogar ausschließlich auf Kompensation zu setzen.

    Weil man ganz Südamerika mit Wald bepflanzen müsste, um all das CO2 aufzunehmen?
    Skribbe: Nicht nur Südamerika. Wir bräuchten zwei bis vier Planeten, wenn alle Unternehmen Kompensationsstrategien in ähnlichem Umfang planen würden wie die 24, die wir untersucht haben. Wir haben nicht genug Platz auf der Erde, um alles zu kompensieren.

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    CO2-Zertifikate tun so, als sei das Gas für alle Zeiten beseitigt. Aber Kompensation ist keine Neutralisierung

    Reena Skribbe

    Wie bewerten Sie Kompensationsprojekte grundsätzlich? Ist es sinnvoll, zum Beispiel in Waldprojekte zu investieren?
    Skribbe: Es ist natürlich immer richtig, die Umwelt zu schützen und sich für Wälder einzusetzen. Aber man darf das nicht mit der Eliminierung von Treibhausgasen gleichsetzen. Wenn ich heute CO2 emittiere, kann ich nicht so tun, als würde ein neu gepflanzter Wald das alles aufnehmen. Die Bäume müssen erst mal jahrzehntelang wachsen, bis sie theoretisch genauso viel CO2 speichern könnten, und sie dürften niemals gerodet werden oder einem Waldbrand zum Opfer fallen. CO2-Zertifikate tun so, als sei das Gas für alle Zeiten beseitigt. Die dahinterstehenden Projekte sind oft gut und richtig, aber Kompensation ist keine Neutralisierung.

    Wie sollten Unternehmen oder auch Privatpersonen dann mit Emissionen umgehen, die sie heute noch nicht vermeiden können?
    Skribbe: Sie sollten auf jeden Fall Verantwortung dafür übernehmen. Das können sie tun, indem sie einen finanziellen Beitrag zum Klimaschutz leisten, ohne dabei zu behaupten, ihre Emissionen zu neutralisieren. Wir sprechen dann von sogenannten Klimaschutzbeiträgen. Unternehmen legen dabei einen Preis pro Tonne Treibhausgasemissionen fest und investieren diesen Betrag in verschiedene Projekte. Man kann auch in Waldprojekte und Solaröfen investieren, mit denen Menschen in Schwellenländern beim Kochen auf Holzkohle verzichten. Allerdings wäre es wichtiger zusätzliche Projekte zu unterstützen, die anders nicht zustande gekommen wären. Vor allem mit solchen „High Hanging Fruits“ schafft man einen Mehrwert. Aber selbst mit solchen Projekten kann ein Unternehmen anschließend nicht behaupten, klimaneutral zu sein.

    Auch beim New Climate Institute fallen Emissionen an. Wie gehen Sie damit um?
    Skribbe: Indem wir solche Klimaschutzbeiträge leisten. Wir errechnen unseren Klimafußabdruck und investieren pro Tonne 120 Euro in High Hanging Fruits. Aber wir behaupten trotzdem nicht, klimaneutral zu sein.

    Auf Ihre Studien kommt also kein Label?
    Skribbe: Auf keinen Fall!

    Die Fragen stellte Volker Kühn.

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