Weil aber auch niemand gern ein schlechtes Gewissen hat, suchen sich Menschen Argumente, die das eigene Tun rechtfertigen. Manchmal verfestigen sie sich zu Glaubenssätzen, die mit heiligem Furor verteidigt werden. Da heißt es dann fälschlicherweise, dass es global kaum was nütze, wenn Deutschland bei der Energiewende ein hohes Tempo vorlegt. Oder dass der Beitrag des Fliegens zum weltweiten CO2-Ausstoß minimal sei. Und überhaupt, was macht schon ein Verbrenner mehr oder weniger auf den Straßen aus?
„Auf diese Weise stellen Menschen ihre innere Konsistenz wieder her“, sagt Umweltpsychologe Ernst.
Wir sind gut im Verdrängen. Besonders, wenn es um Dinge in der Zukunft geht
Als weiteren Grund sehen Fachleute die zeitliche Lücke zwischen dem Handeln und den daraus resultierenden Folgen. Wer sein undichtes Dach nicht stopft, hat sehr schnell ein Problem. Wer sich hingegen klimaschädlich verhält, wacht am nächsten Tag in derselben Welt auf wie heute. Dadurch lassen sich negative Folgen hervorragend verdrängen. „Menschen beherrschen die Kunst sehr gut, Dinge zu ignorieren, die ihnen nicht gefallen“, sagt die Psychoanalytikerin Delaram Habibi-Kohlen, Mitglied bei Psychologists for Future.
In Interviews mit Studierenden habe sie festgestellt, dass sich viele nicht vorstellen können, dass unsere Gesellschaft eines Tages keine Sicherheit mehr bieten und der Klimawandel tatsächlich in die Katastrophe führen könnte. „Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat es hierzulande keine wirklich existenziellen Krisen mehr gegeben“, sagt Habibi-Kohlen.
Seit 2013 ist Verzicht ein Kampfbegriff: Da kamen die Grünen mit dem Veggie Day
Auch Politiker weisen die Menschen ungern darauf hin, dass sie ihre Gewohnheiten ändern müssen, um Risiken abzuwenden. Aus gutem Grund. Als die Grünen 2013 einen Veggie Day anregten, lösten sie einen Sturm der Entrüstung aus und wurden als Verbotspartei und Verzichtsapostel stigmatisiert. Bei der Bundestagswahl im selben Jahr brach das Wahlergebnis der Grünen ein und die Partei wäre fast aus dem Bundestag geflogen.
Es sei unfair, den Schwarzen Peter immer bei den Politikern zu suchen, sagt der Physiker Ernst Ulrich von Weizsäcker in einem „Spiegel“-Interview. „Es sind die Wählerinnen und Wähler, die einen schnellen Wandel verhindern.“
Der Leidensdruck steigt – und damit auch die Bereitschaft, darauf zu reagieren
Solche Mechanismen sind eine Schwäche der Demokratie – das zumindest ist die Ansicht des Historikers und Philosophen Philipp Blom. In einer Situation, in der die Dynamik des Klimawandels den Menschen entgleitet, seien langsame demokratische Prozesse unterlegen. „Da müssten eigentlich starke Maßnahmen getroffen werden“, sagte Blom kürzlich im Schweizer Fernsehen.
Dass unsere Demokratie im Kampf gegen den Klimawandel an ihre Grenzen stößt, hält Umweltpsychologe Ernst dagegen für übertrieben. „Bevor wir die Systemfrage stellen, sollten wir abwarten, was passiert, wenn uns die Natur mit Extremereignissen noch mehr auf die Pelle rückt.“ Denn wenn Menschen getroffen sind, dann vermögen sie plötzlich, sehr schnell zu handeln.