Jutta Paulus, geboren 1967 in Gießen, ist seit 2019 Abgeordnete der Grünen im EU-Parlament. Sie gehört dem Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit an und engagiert sich für das Nature Restoration Law. Damit will die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten dazu bringen, zerstörte Naturräume wiederzubeleben und besser zu schützen. Doch nachdem sich die konservative EVP als größte Fraktion im EU-Parlament dagegen ausgesprochen hat, steht das Gesetz auf der Kippe. Paulus fürchtet, dass Europa die Chance verpasst, die Biodiversitätskrise zu stoppen, was auf lange Sicht in eine Ernährungskrise führen könne.
Frau Paulus, im vergangenen Sommer hat die EU-Kommission den Entwurf zum Nature Restoration Law als wichtigen Pfeiler ihrer Biodiversitätsstrategie und damit des Green Deals vorgelegt. Worum geht es dabei?
Jutta Paulus: Wie die Klimakrise bedroht die Biodiversitätskrise das Leben auf der Erde. Der Großteil der natürlichen Lebensräume ist zerstört, wodurch Pflanzen- und Tierarten aussterben, die notwendig sind, damit die Natur uns das geben kann, was wir als Menschen zum Leben benötigen: sauberes Wasser, reine Luft oder ertragreiche Böden. Bisher wurden in der EU wertvolle Gebiete zwar geschützt, aber die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt: Das reicht nicht aus. Deshalb geht das Nature Restoration Law weiter und will wertvolle Gebiete nicht mehr nur schützen, sondern vielmehr sollen die Mitgliedsstaaten die Natur wiederbeleben.
Sie sprechen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) an, die 1992 von der EU eingeführt wurde. Neben nationalen Gesetzen und zusammen mit der Vogelschutzrichtlinie ist sie der einzige europäische Naturschutzrahmen für die Mitgliedstaaten. Damals sollten die Länder innerhalb von drei Jahren alle schützenswerten Lebensräume kartieren und der Kommission melden, und dann gegebenenfalls unter Schutz stellen. Warum hat das nicht ausgereicht?
Paulus: Ein Problem ist, dass überhaupt nicht alle Lebensräume, die nach den Vorgaben des FFH wertvoll sind, gemeldet und gelistet wurden. Nehmen Sie das aktuelle Beispiel der Hafenerweiterung in Rostock. Dort gibt es mehrere Hundert Hektar Küstenüberflutungsmoor, welches abgesehen von seiner Funktion als CO2-Speicher auch als Naturraum wichtig ist, jetzt aber als Ausbaufläche für den Hafen zur Diskussion steht. Dieses Gebiet müsste schon lange nach FFH-Richtlinie geschützt sein, wurde aber nicht gemeldet. Das zeigt, dass weder bei uns noch bei den anderen Mitgliedsstaaten sichergestellt ist, dass alle wertvollen Gebiete überhaupt geschützt sind.
Wie soll das Nature Restoration Law das ändern?
Paulus: Das Gesetz ist natürlich mehr als eine Deadline für die vorhandene FFH-Richtlinie. Aber es baut auf ihr auf und verwendet die FFH-Typisierung und Bewertung von Gebieten. Allerdings fordert es die Mitgliedsstaaten nun dazu auf, noch einmal genau hinzuschauen, wo Renaturierungsbedarf besteht und neben den bereits gemeldeten Flächen möglich ist. Daneben macht es konkrete Zielvorgaben, damit in der EU bis 2050 90 Prozent der zerstörten Flächen renaturiert werden, und sanktioniert Verfehlung.