Recycling von Rotorblättern

  • Search12.09.2021

Wie die Windindustrie ihr Abfallproblem lösen will

In den kommenden Jahren werden Tausende ausgediente Windräder stillgelegt. Während die Fundamente, Türme und Gondeln gut recycelt werden können, gibt es für die Flügel noch keine restlos überzeugende Lösung. Doch das könnte sich bald ändern.

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    Rotorblätter, Türme und andere Bauteile von Offshore-Windrädern werden im Hafen von Esbjerg auf Schiffe verladen. Die Windenergie arbeitet daran, die eingesetzten Materialien komplett recyclebar zu machen.

    Rotorblätter enthalten Kunststoffe, die ihnen aerodynamische Vorteile verschaffen. Nachteil: Sie lassen sich nur entsorgen oder recyceln.

     

    Von Daniel Hautmann

    Die fs 24 Phönix war ein Segelflieger, wie ihn die Welt vor 1957 noch nicht gesehen hatte. Ihre dünnen, festen und extrem glatten Flügel verliehen ihr grandiose Flugeigenschaften. Zu verdanken war das einem neuartigen Baumaterial: glasfaserverstärkter Kunststoff (GFK). Bald darauf erschuf der Windkraftingenieur Ulrich W. Hütter nach demselben Prinzip aerodynamisch optimierte Rotorblätter.

    Was für Fliegerei und Windenergie ein Segen ist, wird zum Problem, wenn das GFK eines Tages entsorgt werden muss. Denn ausgehärtet sind glasfaserverstärkte Kunststoffe nur mühevoll in ihre Ausgangsstoffe zu zerlegen. Zwar werden Recyclingmethoden erprobt. Ausgereift und kommerziell verfügbar ist bislang aber kaum eine.

    Dabei ist der Bedarf gewaltig. Allein 2020 wurden in Europa rund eine Milliarde Tonnen GFK produziert, überwiegend für den Bau-, Infrastruktur- und Transportsektor. Auch die Windenergie setzt immer mehr GFK ein.

    Tausende Windräder kommen an ihr Laufzeitende. Damit wächst das Müllproblem

    Axel Albers, Geschäftsführer der Deutsche Windguard Consulting GmbH, rechnet damit, dass etwa die Hälfte der in den Anfangsjahren der Energiewende gebauten Windkraftanlagen demnächst demontiert werden. Denn die 20 Jahre, während der die Betreiber eine Vergütung über das EEG erhalten, laufen ab.

    Windenergie in Deutschland: Die Statistik zeigt die Entwicklung der Zahl der Windräder an Land und Offshore. 2021 sind es rund 31.000 Anlagen. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Von 2002 bis 2005 wurden in Deutschland jährlich Windräder mit einer Leistung von zwei bis drei Gigawatt installiert. „Dies würde nach obiger Schätzung einen Rückbau von einem bis 1,5 Gigawatt pro Jahr bedeuten“, sagt Albers. Demnach sei ein Rückbau von 500 bis 750 Windrädern pro Jahr zu erwarten. Das wären 1500 bis 2250 Rotorblätter mit zusammen gut 20.000 Tonnen, wenn man mit etwa zehn Tonnen je Flügel kalkuliert.

    In den Jahren danach dürften die Mengen stark steigen. Weltweit drehen sich Millionen Windradflügel, die alle irgendwann das Ende ihrer Lebensdauer erreichen. Und es werden immer mehr.

    Rotorblätter zur Mülldeponie bringen? Keine gute Idee, sagen Umweltschützer

    Im Ausland landen GFK-Teile, etwa von Flugzeugen, Bootsrümpfen, Lkw-Verkleidungen, Wasserrohren, Schaltkästen oder eben Rotorblättern, meist auf der Deponie. Deutschland bildet eine Ausnahme, hier ist das seit 2005 verboten. Der Verband WindEurope macht sich dafür stark, das Deponieverbot überall einzuführen.

    Denn die Deponierung ist nicht ohne Umweltfolgen, sagt Erika Bellmann, Leiterin des Deutschlandprogramms der gemeinnützigen Bellona Foundation, im Gespräch mit EnergieWinde. Deponierung sei die schlechteste aller denkbaren Lösungen. „Da gibt es Zersetzungsprozesse und Gifte landen im Boden und in der Luft.“

    Eine Alternative dazu ist die Verbrennung. Doch das kommt nur für einen kleinen Anteil infrage. Denn der GFK-Abfall kann zum einen die Filter verstopfen, zum anderen können sich in den Verbrennungsanlagen Stalaktiten aus Glas bilden, die abbrechen und Schaden anrichten.

    Der Großteil des Abfalls landet nach Einschätzung von Fachleuten daher woanders: in der Stahl- und Zementindustrie.

    Zementwerke brauchen viel Brennstoff. Rotorblätter mit hohem Heizwert etwa

    Die Firma Neocomp aus Bremen hat ein Verfahren entwickelt, das es erlaubt, ausrangierte Rotorblätter im Zementwerk „rohstofflich und energetisch zu verwerten“, wie es heißt. Dazu werden die Flügel geschreddert, mit Papier- und Plastikabfall zu sogenanntem Spuckstoff-GFK-Bruch vermischt und im Zementwerk Lägerdorf in Schleswig-Holstein verbrannt. „Neocomp ist die weltweit einzige Firma, die das kann, und es ist der einzig sinnvolle Verwertungsweg“, sagt Sven Rausch von der Neocomp-Mutter Nehlsen AG in Bremen, gegenüber EnergieWinde.

    Das Bremer Unternehmen Neocomp arbeitet an der Entsorgung von GFK-Kunststoffen, die unter anderem in Rotorblättern zum Einsatz kommen.

    Ein Bagger bei Neocomp schiebt vorzerkleinerten GFK-Abfall zusammen.

    Der Prozess sei ideal, sagt Rausch, „der Prototyp einer perfekten Verwertung“. Denn bei der Zementherstellung brauche man viel Energie, die in Form des Harzes in den Rotorblättern vorhanden sei. Den ebenfalls nötigen Quarzsand lieferten die Glasfasern.

    In der Zementindustrie gelten niedrigere Grenzwerte. Zum Ärger der Grünen

    Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Bettina Hoffmann dagegen kann dem Verheizen von Rotorblättern in Zementwerken wenig abgewinnen. Denn in den Fabriken landet alles was brennt: Altreifen, giftiger Papierschlamm, Plastikmüll, Altöl, Tiermehl. Im Fachjargon ist von „Ersatzbrennstoff“ die Rede. Die Betreiber preisen ihn gern als ökologisch an, schließlich spare er Kohle ein. Dabei haben die Ersatzbrennstoffe in der Regel einen schlechteren Heizwert als die Kohle.

    In den Öfen der Zementindustrie ist der vermeintliche Ersatz dennoch Standard. Laut dem Verein Deutscher Zementwerke lag der Anteil dieser Stoffe in Deutschland 2019 bei 68,9 Prozent, ein Viertel des Brennstoffs entfiel auf Braun- und Steinkohle. Für die Unternehmen ist das ein gutes Geschäft, so Bettina Hoffmann im Gespräch mit EnergieWinde: „Durch die Verbrennung von Abfällen spart die Zementindustrie nicht nur die Kosten für fossile Brennstoffe wie Kohle ein, zusätzlich erhält sie noch Geld für die Entsorgung der Abfälle.“

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    Für Zementwerke, in denen Abfall mitverbrannt wird, sollen die gleichen Grenzwerte gelten wie für Müllverbrennungsanlagen. Das wird kein Zementwerk in den Ruin treiben

    Bettina Hoffmann, Abgeordnete der Grünen im Bundestag

    „Möglich machen das Schlupflöcher im Immissionsschutzgesetz“, sagt Hoffmann. Fast alle Zementwerke dürften bei der Mitverbrennung von Abfall deutlich mehr Schadstoffe ausstoßen, als es Müllverbrennungsanlagen erlaubt ist. Die Grünen reden vom bis zu Achtfachen der eigentlichen Grenzwerte bei Schwefeldioxid und bis zu 60-fachen bei Kohlenmonoxid. „Wir wollen diese Ausnahmen streichen. Für Zementwerke, in denen Abfall mitverbrannt wird, sollen die gleichen Grenzwerte gelten wie für Müllverbrennungsanlagen. Das wird kein Zementwerk in den Ruin treiben“, sagt Hoffmann.

    Das Verbrennen soll sauberer werden: mit Filteranlagen und CO2-Abscheidung

    Für Erika Bellmann von Bellona dagegen ist die Verwertung im Zementwerk in Ordnung – sofern die Filter gut sind: „Müllverbrennungsanlagen und Zementwerke sollten ohnehin auf CO2-Abscheidungstechnik nachgerüstet werden. Das hätte zur Folge, dass weitere Filter installiert werden müssten.“

    Doch auch nachgerüstete Zementwerke könnten in einigen Jahren auf Probleme bei der Verbrennung von Rotorblättern stoßen. Denn dann müssen auch die ersten Flügel entsorgt werden, die ein noch komplizierteres Material als GFK enthalten: carbonverstärkte Kunststofffasern (CFK), auch Kohlenstofffasern genannt. „Bei deren Verbrennung entstehen sehr dünne, lungengängige Fasern, die Asbest ähnlich sind. Zudem schädigen sie die Elektrofilter der Verbrennungsanlagen“, sagt Sven Rausch von Neocomp. Selbst die Zementindustrie hat daher kein Interesse daran.

    Ideal wären recyclingfähige Materialien. Erste Tests damit laufen bereits

    Eine mögliche Option ist die Rückgewinnung der Kohlenstofffasern mit Hilfe der sogenannten Pyrolyse. Diese Technologie wird im CFK-Valley im niedersächsischen Stade erprobt. Die gebrauchten CFK-Fasern könnten in Zukunft Beton beigemischt werden und dort die Stahlarmierung ersetzen. Carbonbeton, wie er etwa von Manfred Curbach an der Technischen Universität Dresden erforscht wird, biete eine Reihe an Vorteilen: „Mit Carbonbeton kann man mindestens 50 Prozent des Betons einsparen“, sagt Curbach gegenüber EnergieWinde. Zwar sind solche Strukturen teuer, dennoch kann der Einsatz vorteilhaft sein, ist der Bauingenieur überzeugt: „Auf die Leistung bezogen ist Carbon schon heute billiger als Stahl; und wenn man statt 400 Kilogramm Stahl nur 14 Kilogramm Carbon verwendet, ist auch die Umweltbilanz besser.“

    Die beste Lösung allerdings wäre, wirklich recyclingfähige Kompositmaterialien zu entwickeln und beim Rotorblattbau einzusetzen. Die Forschung daran läuft seit Längerem. Erst vor wenigen Tagen gab der Windturbinenhersteller Siemens Gamesa bekannt, die Phase der Machbarkeitsstudien hinter sich gelassen zu haben und erste Pilotprojekte anzugehen. Bis 2030 sollen sämtliche Rotorblätter aus der Produktion des Konzerns wiederverwertbar sein. Damit reagiert das deutsch-spanische Unternehmen auch auf den Druck der Betreiber von On- und Offshore-Windparks, die solche Bauteile verlangen, um ihren eigenen Nachhaltigkeitszielen gerecht zu werden. Rotorblätter, die sich nicht entsorgen oder recyceln lassen, passen nicht dazu.

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